„DA DACHTEN WIR ‚WHY NOT?‘“- HIDDEN BY THE GRAPES IM MICA-INTERVIEW

Das steirische Trio HIDDEN BY THE GRAPES treibt schon seit längerem sein Unwesen und besticht nach wie vor mit elektrisierender Rock-Musik irgendwo zwischen Post-Punk, Noiserock und Grunge. Unabhängig der Genre-Schubladisierung weiß man am neuen Album OPUS (Kruse Kontrol Digital) mit akribischer Soundtüftelei, dem Brechen von Konventionen und Authentizität zu begeistern. BERNHARD JAMMERBUND (Schlagzeug) und RICHARD KAHLBACHER (BASS) im Gespräch mit Sebastian J. Götzendorfer über Sprachbarrieren, den Status als ewiger Geheimtipp und weingetränkte Stimmung an der kroatisch-slowenischen Grenze.

Wenn man Euer Schaffen verfolgt, die wahrscheinlich drängendste Frage zuerst: Warum sind eure Texte plötzlich überwiegend Deutsch statt vormals Englisch? 

Bernhard Jammerbund: Wir haben uns für dieses Album zum Songwriting an der slowenisch-kroatischen Grenze in einem Haus eingemietet und haben dort nichts anderes gemacht, als an Songs zu arbeiten. Warum auch immer, hat Chris plötzlich als erste Versuche zu den Songs Falco- und STS-Texte darüber gesungen. Einfach so. Verschiedenste Austro-Pop-Sachen halt. So sind einige Gesangslinien entstanden, die uns gefallen haben und die Mundart-Text-Platzhalter sind auch relativ lange geblieben bis zu dem Zeitpunkt, als wir uns, frei nach Bulbul, gedacht haben: warum eigentlich nicht? Es war keine bewusste Entscheidung zum Sprachmix Englisch/Deutsch, sondern es hat uns einfach getaugt. 

Das heißt statt einer bewussten Entscheidung sind sozusagen aus Platzhaltern Platzhirsche geworden? 

Richard Kahlbacher: Naja, Chris meinte schon auch, er fände den Gedanken gut mal nicht in seinem Gehirn zu übersetzen, sondern die Dinge direkt ohne Übersetzung zu formulieren.
In der weingetränkten Stimmung in dem Haus damals, ist es eher zufällig passiert, aber es hat ihm aufgezeigt, dass er durchaus auch Deutsch texten kann. Ich selbst habe ehrlich gesagt eher Widerstand ausgestrahlt zuerst, mich aber dann irgendwann damit abgefunden und mittlerweile bin ich überzeugt davon. Darüber hinaus war es ein Grund, warum auch wir anderen – minimal – als Texter in Erscheinung getreten sind. Weil es die Sprachbarriere nicht mehr so sehr gab. 

Als Beobachter der österreichischen Musikszene – Stichwort: Bilderbuch, Wanda – könnte man sich denken, Artists machen jetzt bewusst einen Wechsel zu deutschen Texten, aber es hört sich so an als wären es bei euch eher „alter Hadern“ gewesen, die da im Spiel waren.

Richard Kahlbacher: Das war genau immer mein Argument, warum wir es nicht machen sollten [lacht]! Weil dann eben jeder sagen würde: „Ihr macht das ja nur nach, weil es gerade ‚in‘ ist“! 

Ist es jedoch einem gewissen Austropop-Einfluss geschuldet? Letztlich hat man Falco und STS ja auch nicht von ungefähr im Ohr. 

Bernhard Jammerbund: Es gibt im klassischen Austropop schon einige Sachen, die uns allen gefallen. STS eben, viele Sachen vom Danzer, Ambros, etc. Es war aber in Summe mehr ein glücklicher Zufall als eine konstruierte Entscheidung. Ich hatte eher Bulbul im Kopf, da die auch Englisch und Mundart kreuz und quer durcheinandermischen. Da dachten wir „Why not?“ Mittlerweile bin ich mit dem Hergang sehr glücklich und ich finde, es hört sich eigentlich sehr natürlich an. 

„Da gibt es diesen wunderschönen Tocotronic-Song ‚Über Sex kann man nur auf Englisch singen‘“

‚Natürlich‘ ist ein gutes Stichwort. Ich finde nämlich, es hört sich absolut nicht konstruiert an, sondern im Gegenteil sehr authentisch. Zum Thema Sprachbarrieren von vorhin, fällt mir noch folgendes ein: Meiner Meinung nach gibt es da zwei Effekte: einerseits, wie vorhin erwähnt, ist mal als Texter viel unmittelbarer an seinen eigenen Gedanken, Gefühlen usw. dran, wenn man auf Deutsch schreibt. Andererseits kommt mir immer vor, viel Musik, die mir gefällt, würde mir mit deutschen Texten wesentlich weniger gefallen. Da die Distanz und Mystik, und auch die Seriosität, die durch die Sprachbarriere entsteht, wegfällt. Was meint ihr dazu? 

Bernhard Jammerbund: Das ist eine schwierige Sache. 

Richard Kahlbacher: Absolut, sehe ich auch so. Da gibt es diesen wunderschönen Tocotronic-Song „Über Sex kann man nur auf Englisch singen“. Da geht es genau darum und ich denke, Dirk von Lowtzow hatte da schon recht [lacht]

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Der Opener „The Awful German Language“ hat natürlich ebenfalls dieses Thema.

Bernhard Jammerbund: Genau, in dem Song wird ja im Text selbst Deutsch und Englisch vermischt. Bernd Heinrauch, bei der wir aufgenommen haben, hat im Endeffekt die Reihenfolge der Songs vorgeschlagen – unter anderem weil wir uns selber nicht ganz einigen konnten. Dadurch, dass genau dieser Song so zum Opener wurde, lenkt er natürlich das lyrische Konzept mehr in gewisse Bahnen.

Welchen Stellenwert haben generell die Texte für euch? Wie wichtig ist euch die Message und der lyrische Inhalt Eurer Musik?

Bernhard Jammerbund: Ich würde schon sagen, dass uns das ziemlich wichtig ist.

Richard Kahlbacher: Ja, vor allem zunehmend wichtig. Am Anfang unserer Karriere waren sie eigentlich unwichtig und nun werden sie immer wichtiger. Ich persönlich finde auch, dass Chris als Texter wesentlich sicherer wurde über die Jahre hinweg. Und auch lustiger. Zum Beispiel den Text von „Herz geht auf“ finde ich großartig, mit den ganzen Anspielungen.

Seid Ihr da auch von Literatur beeinflusst? Ich habe irgendwo die Zeile „Schuld und Sühne“ vernommen.

Richard Kahlbacher: Beeinflusst wäre vielleicht ein zu großes Wort – auch wenn ich da nicht wirklich für Chris sprechen kann.

Bernhard Jammerbund: Ich weiß es auch nicht… Das wollte ich ihn selber schon einmal fragen [lacht]!

Richard Kahlbacher: Ich weiß, er hat das Buch gelesen!

„Opus“ ist seit 2006 erst Euer fünftes Album. Wann ist denn bei Hidden By The Grapes der Punkt erreicht, an dem Ihr sagt „Es ist wieder Zeit ins Studio zu gehen, wir haben was zu sagen“?

Richard Kahlbacher: Wir wollten dieses Mal einen großen Pool an Song-Ideen erschaffen, das waren dann so 30 bis 40. Wir wollten es langsam angehen lassen und nichts überstürzen. Es wurden nach Demo-Prozessen dann letztlich 10 Songs für das Album.

Bernhard Jammerbund: Die zehn Songs haben sieben verschiedene Stimmungen auf der Gitarre – sich darauf immer wieder einzustellen nach Songwriting-Pausen hat meiner Meinung nach die Entstehung des Albums auch verlangsamt. Auch wenn es den Songs sehr gutgetan hat!

„Es klingt so schön bunt und voll, gleichzeitig klingt es wie angemerkt erdig.“

Wie ist der Prozess im Studio von Bernd Heinrauch – insbesondere, wenn er auch Produzent ist?  Mir gefallt der sehr analoge, erdige und natürliche Sound. Es wirkt auf mich wenig überproduziert. Es verströmt ähnlichen Charme, wie wenn man in ein Beisl stolpert und da spielt eine lässige Rock-Band.

Richard Kahlbacher: Die Basis-Tracks nehmen wir immer zu dritt auf – teils mit und teils ohne Metronom. In einem ersten weiteren Schritt kommen dann Basis-Vocals und Gitarren-Overdubs dazu. Teilweise unfreiwillig, weil dann immer jemand anders Corona hatte, und wir Studio-Sessions verschieben mussten, sind viele Details nach den Basis-Sessions dann wieder zu Hause entstanden, in ungeplanten Studio-Pausen. Dadurch hat sich das Album eigentlich über Monate iterativ verfeinert.

Bernhard Jammerbund: Bernd Heinrauch arbeitet aber schon prinzipiell gern so, dass er immer wieder Pausen macht zwischen den Recording-Sessions. In diesen Pausen schraubt er selbst viel herum, probiert Dinge aus und so weiter. Was mir an seinem Produzieren wirklich gut gefällt, ist dass er im Hintergrund überall Synthesizer-Flächen einbaut, viele Stimmen, viel Perkussion. Es klingt so schön bunt und voll, gleichzeitig klingt es wie angemerkt erdig. Ich bin damit echt sehr zufrieden, das kann er wirklich gut.

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Das heißt, er als Produzent arbeitete an Euren Songs eigenständig weiter?

Bernhard Jammerbund: Genau! Mich haben die ganzen Corona-Pausen ursprünglich ziemlich gestört, aber rückblickend betrachtet, hat das den Songs wirklich sehr gutgetan. Im Studio denkt man sich oft im ersten Moment irgendein Take oder Ähnliches sei total super und mit etwas Abstand, ist das oft recht anders.

Richard Kahlbacher: Beispielsweise der Einsatz der Maultrommel bei „Herz geht auf“ ist auch auf Initiative vom Bernd Heinrauch entstanden. Da haben wir plötzlich ‚out of the blue‘ eine neue Version mit Maultrommel-Solo bekommen [lacht].

„Wenn jemand vor Ort Maultrommel spielen kann, kann er immer mitspielen bei dem Song!“

Die Live-Umsetzung des Maultrommel-Solos ist auch schon akribisch geplant?

Bernhard Jammerbund: Wir haben den Song tatsächlich schon einmal live mit Maultrommel gespielt – da war eine Freundin von uns dabei. Wenn jemand vor Ort eine Maultrommel dabei hat, kann er immer mitspielen bei dem Song [lacht].

Ich hätte noch ein paar Fragen zum Thema Zukunft. Erstens, warum seid Ihr eigentlich so ein ewiger Geheimtipp?

Richard Kahlbacher: Gute Frage. Vielleicht fehlte das nötige Glück, vielleicht haben wir falsche Entscheidungen getroffen.

Bernhard Jammerbund: Es ist gewissermaßen eine charmante Bezeichnung, aber es könnte schon auch ein bisschen mehr sein in Sachen Konzerten, wie einfach das Booking von der Hand geht und so weiter.

Ihr habt beinahe 300 Konzerte gespielt. Was hält euch am Weitermachen?

Richard Kahlbacher: Ganz einfach, dass wir es gern machen! Musik zu machen ist so etwas Schöpferisches. Neue Songs zu schreiben, zu erleben, wie so etwas wächst und entsteht. Das ist einer meiner größten Antriebe.

Bernhard Jammerbund: Bei mir ist das genauso. Es ist ein Klischee, aber wir sind nicht nur in einer Band, sondern auch seit Ewigkeiten beste Freunde. Es macht ganz einfach Spaß, gemeinsam kreativ zu sein. Auch im Rahmen von kleineren Konzerten, finden wir sehr oft im Gespräch mit Leuten aus dem Publikum viel Sinn dahinter.

Wo seht Ihr eigentlich die Zukunft von Gitarrenmusik? Es scheint so, als würden auf den großen Festivals immer dieselben fünf übrig gebliebenen Dinosaurier als Headliner spielen.

Richard Kahlbacher: Ich glaube es kommt einfach immer wieder was Neues. Das kommt und geht in Zyklen. Ich glaube auch, dass es ein Stück weit weiblicher wird. Dafür gibt es zum Glück auch in Österreich einige gute Beispiele, wie etwa Cryptic Commands aus Graz oder My Ugly Clementine. Die haben zum Beispiel heuer beim Lido Sounds Festival auf riesiger Bühne echte Rockstar:innen-Qualitäten bewiesen. Grundsätzlich, finde ich aber auch Musik abseits von E-Gitarren immer wieder interessant.

Bernhard Jammerbund: Meine Antwort passt auch noch zur vorherigen Frage bezüglich des ewigen Geheimtipps. Vielleicht trägt es dazu bei, dass wir großteils in der Musik der 90er verhaftet sind – was heutzutage nicht gerade das Populärste in der Musikszene ist.

Zum Abschluss, was sind denn Eure Pläne mit „Opus“?

Bernhard Jammerbund: Nach der Veröffentlichung spielen wir in Graz und in Wien zwei Release-Shows. Die Hoffnung wäre schon, dass wir 2024 im Frühjahr und im Sommer wieder mehr spielen. Wir machen jetzt wieder viel mehr DIY als beim letzten Album und da geht es letztlich dann nur darum, wie sehr lege ich mich selber ins Zeug.

Richard Kahlbacher: Ich würde mir ganz einfach wünschen, dass „Opus“ ein Publikum findet und viel gehört wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sebastian J. Götzendorfer

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Hidden By The Grapes live:
29.09.2023 glam (feldbach) w/ drive moya
14.10.2023 OPUS RELEASE SHOW @ music-house (graz) w/ lambda
09.11.2023 OPUS RELEASE SHOW  @ venster (wien) w/ nepomuks, heroine whores
16.11.2023 das liga (kromeriz / cz) 
17.11.2023 provoz (ostrava / cz)
13.01.2014 chelsea (vienna) w/ curbs

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