Die Komponistin, Performerin, Kuratorin und künstlerische Forscherin PIA PALME arbeitet im Bereich der experimentellen und zeitgenössischen Musik und ist auch Vorstandsvorsitzende des Vereins mica – music austria. Im Zug der Serie „Klimakrise und Nachhaltigkeit im Musikbetrieb“ hat sie für uns ein Essay verfasst. Gedanken über das Anthropozän, neue Arbeitsmodelle wie Artist Residencies oder den Aufbau lokaler Szenen und den Aufruf, alle Generationen einzubinden.
Dass der Musikbetrieb – ebenso wie unsere Lebensweise insgesamt – nachhaltiger werden muss, ist eine Frage des Überlebens. Wir haben keine Wahl. Die sogenannte „Klimakrise“ ist Teil eines systemischen Zusammenbruchs und hängt direkt mit dem 6. Massenartensterben und der Zerstörung gewachsener Ökosysteme der Erde zusammen, ebenso mit der digitalen industriellen Revolution sowie mit Ungleichheit und Not in der Weltbevölkerung, die durch Kriege und den überbordenden Kapitalismus hervorgerufen werden. Wir befinden uns endgültig im Anthropozän und sitzen alle gemeinsam im selben Boot bzw. auf demselben Planeten. Systemisches Denken ist dringend gefordert.
„Die grundlegende Umstellung meiner Lebensweise ändert meine Arbeit und Musik“
Die grundlegende Umstellung meiner Lebensweise ändert meine Arbeit und Musik. Dieser Prozess verläuft auf sehr individuelle Weise, es scheint keine allgemein gültigen Lösungen zu geben, merke ich im Gespräch mit Kolleg:innen. Manchmal fühle ich mich echt erschöpft davon, neue Möglichkeiten zu finden und umzusetzen. Unter anderem reise ich als Künstlerin weniger oft und mit jeweils passend ausgewählten nachhaltigen Verkehrsmitteln. Ich bevorzuge längere Aufenthalte und Artist Residencies gegenüber kurzfristigen Auftritten. Okay, Reisen müssen jetzt besser geplant werden, brauchen länger und sind fallweise anstrengender; ich finde sie intensiver und interessanter.
Ich bemerke, dass die posthumane und ökologische Wende meine Musik auch in ästhetischer Hinsicht ändert. Mein Arbeitsprozess ist anders geworden. Ich betrachte Menschen und andere Lebewesen, Materialien, Dinge und Räume als gleichwertig Mitwirkende. Das ist hörbar. Als Künstlerin werde ich langsamer und radikaler [geht das noch?].
„Bei rasant steigendem Einsatz von künstlicher Intelligenz wird exponentiell mehr Energie verbraucht.“
Zunehmend kritisch denke ich über die ständige Nutzung digitaler Endgeräte und Dienstleistungen wie Clouds, komplexe Programme, Streaming und AI-Systeme im Bereich der Musik. Diese verbrauchen begrenzt verfügbare Rohstoffe [unter welchen Bedingungen werden die abgebaut?] und laufen über Server, die sehr viel Energie fressen. Bei rasant steigendem Einsatz von künstlicher Intelligenz wird exponentiell mehr Energie verbraucht [woher kommt die Energie dafür, wie kann sich das ausgehen, wozu brauche ich das?]
Ich nehme mir vor, lokale Netzwerke verstärkt auszubauen; auch internationalen Austausch findet man im Umkreis von etwa fünf bis sieben Bahnstunden genug. Ich überlege, wie und an welchen Spielorten, und mit welchen Partner:innen ich produziere. Im Bereich Musiktheater achte ich bei Inszenierungen auf Nachhaltigkeit und überlege sorgfältig, wie, wo und mit welchen Materialien und technischen Werkzeugen ich arbeite.
Ich setze mich sooft als möglich für ein Umdenken ein und tausche mich weltweit mit Menschen aus, die ähnlich denken und handeln. Ich spreche Veranstalter:innen und Fördergeber:innen auf diese Themen an, schreibe und publiziere dazu, diskutiere die Wende an Universitäten oder im Radio. Manchmal bin ich dabei viel zu emotional, formuliere ätzend und werde missverstanden. Ich lerne dazu und übe, schlüssiger zu argumentieren. Dass zunehmend mehr Menschen aktiv werden stärkt meine Zuversicht. Ja, ich bleibe zuversichtlich. Wir können etwas bewirken. In jedem Fall tut es gut, miteinander ins Gespräch zu kommen [selbst wenn es misslingt: den Versuch war es wert].
„Kultur stärkt die Demokratie und stabilisiert die weltweite Gemeinschaft, das hilft auch dem Ökosystem Erde.”
Wünsche: Reduzieren [Reduce]. Weniger, dafür intensiver. Festivals und Fördergeber haben eine große Chance, etwas zu bewirken, sie sind Multiplikatoren. Es liegt viel an den Intendant:innen. Bescheiden sein. Teilen. Weniger hoch bezahlte Superstars –, oder anders gesagt: finanzielle Ungleichheit in der Musik abbauen. Das betrifft alle Genres. Kultur als zentral wichtiges Gut in der Gesellschaft verankern. Kultur stärkt die Demokratie und stabilisiert die weltweite Gemeinschaft, das hilft auch dem Ökosystem Erde. Weniger weit gereiste Acts im Betrieb. Bei weiteren Reisen Umstellung auf Residenzbetrieb, so können Künstler:innen länger an einem Ort tätig sein. Einbindung der lokalen Bevölkerung und Schulen. Bei einer Änderung der Spielzeiten könnten mehr Leute etwas von den Festivals haben [Reuse]. Alle Generationen einbinden. Mehr Diversität, denn Diversität erhöht die Resilienz, das wissen wir aus der Ökologie. Konzerte öfter spielen, weg vom einmaligen Konzertprogramm [Recycle]. Transdisziplinär denken. Sorgfältige Förderung, Unterstützung, Aufbau und Pflege der lokalen Szene und deren Künstler:innen. Und eine bessere Bezahlung der Künstler:innen. Es muss sich ausgehen innerhalb der neuen Strukturen. Mehr Miteinander besonders bei Fördergeber:innen und Prodzent:innen. Langsamer werden. Sparsame Produktionswege sowie nachhaltige Formate und Plattformen zur Verbreitung, Download statt Streaming in der heute bestehenden Form [Recover]. Raus aus der Blase. Gemeinsam etwas tun.
Pia Palme
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Links:
Pia Palme
Pia Palme (mica-Datenbank)
Fragility of Sounds (PEEK FWF Artistic Research Project)