Bernhard Lang & Bernhard Gál in Donaueschingen

Bernhard Lang & Bernhard Gál in Donaueschingen

Alljährlich am dritten Wochenende im Oktober findet sie statt, die “große Neue-Musik-Messe” in Deutschland”, offiziell bekannt unter dem Namen “Donaueschinger Musiktage”. Seit 1921. Hier wurden Werke aus der Taufe gehoben, die die Musikgeschichte geprägt haben, hier prallen immer wieder konträre ästhetische Positionen aufeinander und lösen fruchtbare Debatten aus. Die Tradition der Uraufführungskonzerte ist dabei ebenso fix wie die akustisch zum Teil eher problematischen Konzertsäle – vor allem diverse Schulsporthallen.

Seit 1954 gibt es neben den Konzerten, die der “traditionellen” zeitgenössischen komponierten Musik gewidmet sind, Jazzkonzerte, genannt NOWJazz Session. Eingeführt hat sie der langjährige SWR (damals noch SWF)-Jazzredakteur Joachim-Ernst Berendt. Hier konnte man über viele Jahre hinweg Jazz-Avantgarde hören. Seit 2002 leitet Reinhard Kager die SWR-Jazzredaktion. Und seit dieser Zeit präsentieren auch die Donaueschinger NOWJazz Sessions wieder aktuelle Entwicklungen aus dem Bereich des Jazz und der improvisierten Musik und wagen auch den Schritt weit hinaus aus dem heute oft zu eng wirkenden Jazzumfeld.

 

Langs Paranoia

 

In diesem Jahr waren unter anderem der New Yorker Komponist, Improvisator und Gitarrist Elliot Sharp und der österreichische Komponist und Improvisator Bernhard Lang zu Gast. Lang ist in Donaueschingen kein Unbekannter – allerdings als Komponist. Seine Komposition Differenz / Wiederholung17: Doubles/Schatten II für E-Viola, E-Violoncello, und Surroundorchester war ein Kompositionsauftrag des SWR für die Donaueschinger Musiktage 2005. Für die diesjährige zweite NOWJazz Session am Samstag hatten Elliot Sharp und Bernhard Lang ähnliche Grundideen, nämlich Szenarien der Angst zu thematisieren. Bernhard Lang brachte ein Konzept mit zu den viertägigen Proben nach Baden-Baden, komponierte Module und Zuspielungen. In intensiver Probenarbeit entstand in äußerst kooperativer und fruchtbarer Zusammenarbeit der Musiker das fertige Stück “Paranoia”. Ausgangsmaterial für die strukturierte, fast eine dreiviertel Stunde dauernde Improvisation waren drei Textgruppen: Ergebnisse einer Internet-Recherche zum Thema “Paranoia als politische Funktion”, “CIA-Protocols Of Political Assassination”, eine Sammlung von verschiedenen Strategien für politische Morde, sowie Inhaltsangaben des amerikanischen Magazins “Paranoia”. Rezitiert, gesprochen, skandiert, fast gesungen wurden Textpassagen von zwei hervorragenden Rappern: mixmastertodd und seiner zwischen Rap und Slam Poetry switchenden Kollegin LaTasha N. Nevada Diggs.

 

Mit mixmastertodd hat Bernhard Lang schon einmal zusammen gearbeitet. Er übertrug ihm den Stimmpart in Differenz/Wiederholung 2. Auch der Turntablist Philip Jeck ist ein alter Bekannter Bernhard Langs. Jeck, der mit zwei “historischen” Kofferschallplattenspielern und ein wenig Elektronik arbeitet und als einer der Pioniere der aktuellen Loopästhetik gilt, zählt zu Langs Inspirationsgebern für seine intensive Beschäftigung mit Loops. In seinen Loops vereinte Jeck das Kratzen von Plattenendrillen mit gescratchten Geräuschen und lässt immer wieder Erinnerungen an konkrete Songs aufscheinen. Auch die einzelnen Module, die improvisatorisch ausgearbeitet und meist im organisch fließenden Übergang, gelegentlich auch in harten Schnitten von den Musikerinnen und Musikern zusammengefügt wurden, vereinten musikalische Gegensätze von geräuschbetontem, flächigen Spiel und Momenten harter Schlagzeugbeats, von solistisch-poetischem “Erzählen”, Klagen bis hin zu wütendem Skandieren. Geschickt ließ Lang die einzelnen Musiker in verschiedenen Besetzungen spielen, spielte mit Hinter- und Vordergrund, mit Passagen, in denen sich Solisten und Begleiter fanden ebenso wie mit gut ausgehörten Tuttis. Einbrüche harter Beats, vorangetrieben durch den Schlagzeuger Fredy Studer, waren bewusst plakativ-kontrastierend gesetzt, ohne jedoch klischeehaft zu wirken.

 

Wenn man diese Musik mit emotionalen Begriffen beschreiben möchte, so war musikalisch alles da, was die Thematik und die Texte vermittelten: Die Wut über diese Situation, über den Wahnsinn zerstörerischer Ausformungen politischer Herrschaft – wie auch versteckte Ratlosigkeit und Angst, die eine solche Situation hervorrufen mag.

 

Gáls Klangbojen
Die erste SWR2 NOWJazz Session fand am Freitag Abend unter dem Motto “Berlin an der Brigach” statt. Als zweiter Österreicher war Bernhard Gál als in Berlin lebender Komponist und Klangkünstler eingeladen. Das Konzert war dem Berliner Festival “house music” nachempfunden. Inspiriert durch die Situation der Berliner Improvisationsszene, deren Musikerinnen und Musiker zwar international auch in großen Konzerthäusern konzertieren (sei es das Wiener Konzerthaus oder die New Yorker Carnegie Hall), die in Berlin jedoch meist auf kleine Clubs der Szenegegend Prenzlauer Berg angewiesen sind, finden dort auch Hauskonzerte im wahrsten Sinne des Wortes gelegentlich statt. Dass die Örtlichkeiten in Donaueschingen nun zum Teil doch größer waren als ursprünglich geplant, lag an einer kurzfristigen Absage eines schon zugesagten Spielortes. Dem Flair des Wanderkonzertes konnten jedoch weder der Sitzungssaal des Finanzamtes noch die mittels Mauern aus Bierkästen entstandene “Wohnzimmeratmosphäre” der Lagerhalle der Fürstenbergbrauerei etwas anhaben. Es hätte wärmer sein können, doch zumindest regnete es nicht mehr, als die Klanginstallation von Bernhard Gál zu leuchten und klingen begann – und gelegentlich gar Assoziationen an entfernte laue Sommerabende wecken konnte. Auf dem kleinen Flüsschen Brigach, das sich wenig später mit der Breg zur Donau vereint, setzte Bernhard Gál halbrunde “Klangbojen”, die in verschiedenen Farben leuchteten. Aus diesen Bojen tönte eine ca. vierzigminütige Komposition, in die diverse Umgebungsklänge, nicht nur die Kirchenglocken der Christuskirche, des dritten Konzertraumes, integriert waren.

Im Gegensatz gerade zu manch anderer visuell beeindruckenden Klanginstallationen in Donaueschingen sucht Bernhard Gál eine Synthese von Visuellem und Akustischem, komponiert und strukturiert Klänge, die auch als eigenständige Tonspur fungieren können – und die nicht nur Ergebnis oder gar akustischer Zusatz sind von aufwendigen, womöglich auch höchst faszinierenden, visuell-sinnlichen, quasi-technischen Klangapparaten (in Donaueschingen etwa diejenigen von Trimpin).
Schade, dass es recht kalt war, dass insgesamt zu wenig Zeit war, um bei Dunkelheit längere Zeit zu verweilen und die Klang-Licht-Dramaturgie zu verfolgen. Bei der NEWJazz Session waren die Klangbojen quasi Wegweiser von einem zum nächsten Veranstaltungsort der dreimal wiederholten Simultankonzerte und auch der folgende Abend war mit Konzerten gut ausgefüllt. Dennoch schaffte diese solche Klanginstallation auch in der gegebenen Kürze, in der sie zu hören und sehen war etwas, das traditionellen Konzerten schwerlich gelingen kann: dass auch zahlreiche vorbeigehende Einheimische, ob vierzehnjährige Mädchen oder alte Damen fasziniert und begeistert stehen blieben, schauten und lauschten.
Nina Polaschegg

 

Sowohl Bernhard Langs Stück “Paranoia” als auch einen Ausschnitt aus Bernhard Gals “Klangbojen” können Sie voraussichtlich im Dezember oder Jänner in Ö1 / Zeitton hören.

 

Foto Bernard Lang: Katharina Gossow
Foto Gáls Klangbojen: SWR
Foto Bernhard Gál: Christian Prasser