Bei der Expo 2010 in Shanghai spielt Christof Dienz mit seinem Ensemble Quadrat:sch, das nur von seiner Besetzung her (Zither, Hackbrett, Kontra-Bass und Gitarre) an die Tiroler Stubenmusik erinnert. Musikalisch agiert man im unendlich weiten Raum zwischen strenger Komposition und völlig freier Improvisation. Ein Porträt.
Christof Dienz ist wohl einer der umtriebigsten Musiker der Wiener Jazz-, Impro- oder welcher Szene auch immer. Die beiden vor etwa einem Jahr gleichzeitig erschienenen Alben „Dienztag“ und „Mon Afrique“ etwa sind – jedes auf seine Weise – ungewöhnlich und anders als alles, was wir von Christof Dienz bisher kannten. Ging es bei seinem Solo-Album „Zithered“ noch darum, sich den Mustern elektronischer Musik mit einem akustischen Instrument, der Zither nämlich, anzunähern, geht es bei „Dienztag“ um „Kammermusik für Fortgeschrittene“ und ja: Jazz. Insofern war Hoanzls bzw. Christoph Mosers Idee, beide CDs – also „Dienztag“ und „Mon Afrique“ – gleichzeitig erscheinen zu lassen, goldrichtig. Denn auch wenn beide Werke grundverschieden sind – hier das offene „Dienztag“, da das programmatische „Mon Afrique“ – liegt beiden doch erkennbar das gleiche Ansinnen zu Grunde: Der Versuch nämlich, die „Stücke kompositorisch interessant zu gestalten, gleichzeitig den Musikern aber viel Freiraum für Improvisation zu lassen.“
„Je weniger Vorgabe, desto intensiver wird es“
Gerade bei „Dienztag“ gleicht jede einzelne Nummer einem „Gerüst, unter dem man viel Platz hat.“ Manchmal ist das klar erkennbar wie bei dem ganz auf Lorenz Raab zugeschnittenen „How long takes time?“, dann wieder – etwa bei „Pieceful Piece“ – eben gerade nicht. Dass hier tatsächlich nur eine viertaktige Melodie und Harmonien gegeben waren und alles andere aus dem Moment entstand, ist geradezu unvorstellbar. Aufgrund seiner Stringenz wirkt das Stück vielmehr von Anfang bis Ende durchkomponiert. Meine Verwirrung erklärt sich Dienz durch das Spiel mit der Intonation. Das Stück sei nicht rein intoniert. Dadurch beginne es zu schweben. Was er Schwebungen nennt, wirkt schlicht bedrohlich, undurchschaubar und genial. Dass die Bedrohung unbeabsichtigt und also kein gewollter Gegensatz zum Titel „Pieceful Piece“ ist: Wen kümmerts.
„Das ist ja das Tolle am Jazz“, meint Dienz. „Je weniger Vorgabe, desto intensiver wird es, desto mehr können sich die Musiker der Musik hingeben und nicht auf Formen und Regeln achten.“
Insofern liebe er den Jazz, wenngleich er selbst gar kein Jazzer sei und es wohl auch nicht mehr werde. Erst seit er viel mit Lorenz Raab spiele, habe es ihn, den aus der Klassik kommenden Komponisten und Fagottisten, in diese Richtung verschlagen, und er genieße es in vollen Zügen, weil im Jazzfaktor für ihn der Spaßfaktor ganz einfach mit inbegriffen sei.
„Die klassische Musik ist größtenteils angstbesetzt. Über Jahre hinweg habe ich gelernt, alles möglichst präzise auszuführen. Nur nicht zu laut spielen, ja nicht verspielen!“ Dadurch entstehe Angst und das sei die eigentliche Katastrophe, weil sie vieles verhindere. Im Jazz hingegen sei das ganz anders. Dienz: „Jeder, der spielt, wird gefeatured. Das kommt mir entgegen, weil auch ich spielgeil bin.“
„Spaß, Austausch, Kommunikation…“
War es auf seinem Album »Zithered« also noch die Herangehensweise eines Hobby-Zither-Spieler, der sich dem Instrument mit naiver Neugier nähert, ist es jetzt pures Profitum.
Was auch besser zu einem Profi-Musiker passt. Denn eigentlich ist Christof Dienz ja Pianist und Fagottist Auf die Zither stieß er eher per Zufall. „Mein erster Kontakt geht auf einen Kompositionsauftrag der Klangspuren Schwarz für ein Zither-Stück zurück. Als es der eigentliche Zither-Profi nicht fertig brachte, seinen Part so zu spielen, wie ich mir das vorgestellt hatte, beschloss ich kurzerhand, es einfach selbst zu machen. So kam eins zum anderen: Konzerte, Aufnahmen, Remixes.“
Einige Jahre später und um vieles an Erfahrung reicher fühlt sich Christof Dienz im Bereich der frei improvisierten Musik wohler. „Spaß, Austausch, Kommunikation – alles Feelings, die ich in der Klassik so nie kennen gelernt habe.“ Doch auch wenn es ihm lieber wäre, er könnte im Musikverein gemütlich eine rauchen, ganz hat er die Klassik noch nicht hinter sich gelassen. Immer wieder versieht er Orchesterdienste und letzten Sommer spielte er in Japan mit dem Strauss-Orchester Strauss-Walzer. Den Einwand, Strauss sei in unseren Breitengraden aufgrund des vermehrten Perücken und Apfelstrudel-Aufkommens eigentlich kaum noch erträglich, will er nicht gelten lassen. „Das ist Unterhaltungsmusik erster Güte. Die Religion kann ja auch nichts für ihre Pfarrer.“
Hommage an den schwarzen Kontinent
Doch wechseln wir vom Herzen Wiens zum Herzen Afrikas. Das als Auftragsarbeit für den von Ö1 und jeunesse kuratierten Zyklus „Fast Forward“ eingespielte „Mon Afrique de L´Ouest“ geriet zur Hommage an den schwarzen Kontinent. Der Hintergrund: 2002 war Dienz lange im Senegal und in Dakar und nahm dort im Wege des Field Recordings zahllose Ambient-Sounds auf, die ihn letztlich zu dieser Arbeit inspirierten.
Einen am Ast hängenden wilden Bienenschwarm etwa, den er durch den senegalesischen Dschungel spazierend entdeckte. Drei Mal musste er davon laufen, weil ihn Teile des Schwarmes angriffen. Er hatte das auf einen Stock montierte Mikrophon wohl zu nahe hingehalten.
Von Bienenschwarm bis Hotelventilator: Die einzelnen Nummern beruhen allesamt auf konkreten Bildern, die mit konkreten Erlebnissen korrelieren. In der groovigen Eröffnungsnummer „Bana Bana“, was so viel wie „Schwarzarbeit“ heißt, flossen Samples von Handwerkern und Marktfrauen ein und auch „Conversation“ besteht aus angeregten Unterhaltungen von Leuten auf der Straße. „Monk´s Music“ wiederum ist entgegen erster Vermutung keine Verneigung vor dem Altmeister, sondern basiert auf den Gesängen von Bettelmönchen auf Dakar. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, erzählt Dienz, dass es sich bei ihrem Mantra um das muslimisches Glaubensbekenntnis handelt. Der Umstand, dass es sich unbemerkt als pars pro toto für seinen Wunsch nach einem entspannteren Umgang mit dieser Glaubensrichtung eingeschlichen hatte, gefällt ihm sichtlich noch heute.
Von „Knödel“ bis „Quadrat:sch“
Eine Reunion mit seiner legendären Band „Knödel“, deren erste CD neu bei Hoanzl aufgelegt wurde, schließt er dann aber aus. „Logistisch zu aufwendig.“ Alle hätten sie Kinder, würden in verschiedenen Städten leben und hätten sich auch musikalisch auseinander entwickelt. „Damals waren wir jung, unsere Beziehung war sehr intim und wir haben den Erfolg voll ausgelebt. Jetzt sind wir gute Freunde und haben eine tolle Erinnerung“, ergänzt er.
Dafür gibt es jede Menge neuer Projekte, die Christof Dienz einerseits als Komponisten präsentieren, ihn andererseits aber auch abseits seiner etablierten Solo-Zither-Shows in anderen, neuen Formationen zeigen.
Als Komponist etwa hat er für das Sirenen Operntheater eine an Leo Perutz´ Novellenroman “Nachts unter der steinernen Brücke“ angelehnte zeitgenössische Kammeroper für acht Instrumente, fünf Stimmen, E-Gitarre und Kontrabass komponiert, die den Akteuren in längeren Zwischenspielen jede Menge Platz zur Improvisation ließ und in der Expedithalle der Anker-Brotfabrik uraufgeführt wurde. Eine Location, von der Dienz heute noch schwärmt: „Zu ihrer Zeit war das die größte säulenfreie Halle Europas. Ein monumentales Bauwerk, in dem man so manches Konzert bestreiten sollte.“
Ein weiteres Stück steuerte er dem fünfundzwanzigsten Jubiläum des Klangforums Wien bei. Als Ausgangspunkt wählte er dafür die erste Kammersymphonie Schönbergs, die für ein Kammerensemble, ähnlich dem Klangforum also für ein Solisten-Ensemble, komponiert worden war. Und noch ein weitere Stück steht zu Buche: Für die Tiroler Festspiele in Erl komponierte er ein Streichtrio. Jede Menge Auftragarbeiten also.
Abseits seiner Solo-Pfade als Komponist oder Zither-Entertainer ist Christof Dienz derzeit auch in einem neuen Ensemble, seinem derzeit vielleicht erfolgreichsten Projekt, umtriebig. Bei Quadrat:sch greift er erstmals zur akustischen Zither. „Das macht mir sehr großen Spaß, weil es mir im Vergleich zur E-Zither neue, ungeahnte Klangmöglichkeiten eröffnet.“
Obwohl man sich musikalisch erst vor noch nicht allzu langer Zeit gefunden hat, agiert man mittlerweile untereinander mit blindem Verständnis, erzählt Dienz. Vielleicht ist gerade das auch der Geheimnis des plötzlichen Erfolges der Formation, die schon auf diversen nationalen wie internationalen Festivals spielte und sich ständig steigender Beliebtheit erfreut.
Grundidee bei Quadrat:sch ist es, die traditionelle Besetzung der Tiroler Stubenmusik aus Hackbrett, Zither, Kontrabass und Gitarre als Ausgangsbasis zu nehmen und ihre klanglichen Möglichkeiten für Komposition und Improvisation zu nutzen. Mal geht es mehr in die eine, dann wieder mehr in die andere Richtung. „Je nachdem auch, in welchem Rahmen wir spielen. Insgesamt hat Quadrat:sch sehr viel mit Improvisation und Klangkomposition zu tun, ist aber – und das war und ist uns allen sehr wichtig – immer offen. Nach allen Seiten“, so der Tiroler.
Manche Stücke sind daher streng komponiert, andere haben ein vorgegebenes Thema, andere sind völlig improvisiert. „Es kam aber auch schon vor, dass wir 100%ig improvisiert spielten.“ So etwa beim Komponistenforum in Mittersil. Im Repertoire findet sich dann auch da eine oder andere Stück des „Dienztag“-Albums wieder; einmal relativ originalgetreu, dann wieder bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Die Besetzung, so Dienz, berge natürlich vor allem auch wegen des Hackbretts und seines charakteristischen Klans, der ja unweigerlich an Esoterik und Andreas Vollenweider erinnere, ein riesiges Kitschpotential in sich, das es aufzugreifen und in verschiedene Richtungen zu nutzen gelte.
„Die Musik an sich hat nichts, das Instrumentarium sehr viel mit Volksmusik zu zun. So kann man es kurz auf den Punkt bringen“, so der Musiker. „Oder man könnte auch sagen es ist ein Instrumentarium aus Tirol und mehr nicht.“ Oft wirken die Stücke daher, als steige man in einer Tiroler Stube ein, plötzlich aber öffnet sich der Horizont, wird langsam und allmählich ganz weit, sodass man irgendwann nicht mehr sagen kann, wo man eigentlich gerade ist. Weltmusik im besten Sinne des Wortes also und daher ein idealer Beitrag zur Expo.
Christof Dienz ist Fagottist, Komponist und seit einigen Jahren auch Zither-Spieler. Er war Fagottist an der Wiener Staatsoper und komponierte für sein Ensemble “Die Knödel”, das Bruckner-Orchester Linz, Ernst Kovacic u.a. Vor einigen Jahren entdeckte er ein neues altes Instrument – die Zither. Mit neuen Spieltechniken schritt er in eine neue musikalische Dimension und entlockt dem Instrument ungeahnte Sounds. Zuerst solo, dann in unterschiedlichen Ensembles. Bei der Expo 2010 wird er mit seinem Ensemble Quadrat:sch mit Barbara Romen (Hackbrett), Christof Dienz (Zither), Alexandra Dienz (Kontrabass) und Gunter Schneider (Gitarre) auftreten.
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Christof Dienz