Ein Spruch von Erik Satie. BLEIBEN SIE HEITER «Je n’ai plus la notion du temps, ni cette de l’espace; et même, il m’arrive parfois de ne pas savoir, de ne pas savoir que je dis. * Sorgfältig vertont am 25. Juni `85.“ Kurt Schwertsik komponierte also auch sorgfältig etwas Gutes, zum Beispiel als er 50 Jahre alt geworden ist. Für das mica und für alle, die ihn und seine Musik mögen, dürfen wir ihm zum 75. Geburtstag herzlich gratulieren. Zwecks allgemeiner Verständlichkeit: „Zeit- & Raumbegriff habe ich verloren; & zuweilen geschieht es mir, daß ich nicht weiß was ich sage.“
Eine Karte mit dieser vervielfältigten eigenhändig geschriebenen Komposition erhielt der Schreiber dieses Geburtsgrußes nach Veröffentlichung des mica-Interviews im Frühling 2008, auf der Kurt Schwertsik sich auch launig bedankte: „Vielen Dank für die Kopien (SN & Internet), die Transkription ist ja eine furchtbare Arbeit! Komischer Weise kam ich mir beim Lesen lange nicht so klug vor, wie beim Reden. Die Selbstüberschätzung ist eine Sucht.“ – Na ja, da wird er wohl einen schwachen Interviewer gehabt haben, der die falschen Fragen gestellt hat … Die Karte hat bei mir seither im Wohnzimmer jedenfalls einen Ehrenplatz auf der Weinglas-Vitrine.
Über Vita und Werke von Kurt Schwertsik können Sie sich auf der mica-Musikdatenbank informieren, vielleicht auch im Interview. Damit ich nicht etwas schreibe, wo ich mir dann anschließend blöd vorkomme, „raubere“ ich nunmehr lieber ein kürzlich in der Wiener Zeitung erschienenes Interview mit Schwertsik aus. Das macht nämlich gar nicht viel Arbeit. Im Zeitungsinterview wird eingangs die intelligente Frage gestellt „Wie sind Sie zur Musik gekommen?“, allerdings – das ist wirklich ein guter Aufhänger – mit Bezugnahme auf eine Abbildung, auf der der dreijährige Kurt mit einer Trompete abgebildet ist:
„Das Schöne war, dass es bei meinem Großvater in der Slowakei ‚hiniche’ Instrumente gegeben hat, wie große und kleine Trommel oder Bassgeige. Außerdem war dort damals noch der Ausrufer tätig, der mit der Trommel durch das Dorf zog, um Neuigkeiten zu verkünden. Meine eigentliche Beziehung zur Musik wurde dann durch meine Mutter gefördert, die mir Puccini-Arien vorgesungen und mich zum sechsten Geburtstag in die Volksoper geführt hat, wo ich vor der Pause ein Ballett gesehen habe, das mich aber nicht sonderlich beeindruckt hat, dann aber, im zweiten Teil, den ‚Bajazzo’. Ich weiß nicht, ob es die Musik selbst war, aber von dem Zeitpunkt an wollte ich selbst Musik machen. Wir sind bald danach, um der Bombardierung auszuweichen, nach Retz gezogen, wo ich (…) Klavier gelernt habe; das Üben aber war mir zu mühsam, und so ging nicht viel weiter.“
Aha, die Oper? – „1947 bin ich einmal in die ‚Walküre’ gegangen, und von da an habe ich dreimal pro Woche die Oper im Theater an der Wien besucht. Die Wagner-Begeisterung von damals ist in der Versuchung gemündet, selbst Opern zu verfassen. Mein Schulfreund Franz Eugen Dostal kam 1949 auf die Musik-Akademie. Nachdem ich meine Mutter ausreichend gequält hatte, folgte ich ihm ein halbes Jahr später.“ [Dostal wurde u. a. Böhm-Assistent, war Dramaturg an der Staatsoper und komponiert auch heute noch, siehe Musikdatenbank]. „Ich kam ebenfalls zu Joseph Marx, der mir besonders empfohlen wurde. Dort habe ich versucht, mich durch die etwas spröde Harmonielehre durchzuarbeiten, den Kontrapunkt habe ich immer bevorzugt. Einmal habe ich Marx eine Komposition vorgespielt, die ich für die österreichische Jugendkulturwoche geschrieben hatte und die in Innsbruck uraufgeführt wurde. (…)
Marx ging in Pension, und ich wechselte zu Karl Schiske. Der Verein ‚Junge Komponisten’ hat mich dann eingeladen, bei einer Aufführung mitzuwirken, wo ich meine eigene Hornsonatine op.1 gespielt habe. Marx hat mich in einer Kritik in der Wiener Zeitung als ‚Fröhlichen Freizeichner im Fünfliniensystem’ bezeichnet. Mir war das Stück im Ganzen viel zu anstrengend, nervös war ich auch, und so musste ich einiges tiefer spielen; eine wichtige Erfahrung für meine spätere Berufspraxis. Ich habe dann Teile dieses Stückes um eine Terz herunter gesetzt.“
Die Musik, Darmstadt und das Lachen
Schwertsik hörte Strawinskys „Le sacre du printemps“ zwei Mal hintereinander (beim ersten Mal „haben die Leute im Publikum um mich herum gelacht“) und begann den vierhändigen Klavierauszug des „Sacre“ zu studieren. „Das bedeutet nicht, dass Lachen immer geringschätzig gemeint sein muss: Am 1. Juni 1955 wurden in Darmstadt Stockhausens „Klavierstücke VI – VIII” gespielt; die Atmosphäre war bereits aufs Äußerste gespannt, als die Pianistin Marcelle Mercennier einen hohen Ton spielte und durch die offenen Türen aus dem Garten eine Grille zu hören war, die fast auf dem selben Ton zirpte: Das Publikum begann haltlos zu lachen, und Stockhausen verließ fluchtartig den Saal.
Bei der dortigen Aufführung meiner „Liebesträume” haben die Leute mit Papierkugeln auf mich geschossen, da ich partiell Dreiklänge verwendet hatte. Doch auch bei Stockhausen haben die Leute gelacht, kaum dass er bei seinen Kursen eine Oktave angeschlagen hatte, worauf er versuchte, den Anwesenden klarzumachen, dass diese ein Intervall sei wie jedes andere. Die ‚Liebesträume’ waren aber ein Riesenerfolg: Stockhausen hat mir während des Applauses ein Stück Zucker zugeworfen, auf dem stand ‚bitte beehren sie uns bald wieder’ – eines der schönsten Komplimente das ich je bekommen hatte!
Gleichzeitig aber war ich ratlos, weil ich nicht wusste, wie ich meinen Weg weiter gehen sollte. Ich bin dann als Hornist zum NÖ-Tonkünstlerorchester gegangen, weil ich Geld verdienen musste. Von einigen Kollegen, die sich 1963 zum Eichendorff-Quintett formiert haben, bin ich um ein Werk für eine geplante Kanada-Tournee gefragt worden, und so habe ich das Eichendorff-Quintett komponiert, das auf Sätze des Dichters Bezug nimmt. Dabei habe ich zum ersten Mal versucht, streng tonal zu schreiben. (…) Als Orchester-Musiker habe ich die Praxis und die damit zusammenhängenden Klischees kennen gelernt, denen ich unbedingt ausweichen wollte, auch am Sektor der Avantgarde. Mein großes Vorbild war John Cage, dessen zen-buddhistisches Lachen jeden Ernst hinter sich lassen konnte.“
[1965 begründete Kurt Schwertsik gemeinsam mit Otto M. Zykan die „Salonkonzerte“]. „Ich war damals gegen den Begriff der Tiefe. Was da ist, sind die Noten und mehr nicht, und wem das Stück nicht gefällt, der bekommt sein Geld zurück. Das hat in die vorhin erwähnten ‚Liebesträume’ gemündet.Wenn ich ein Stück schreibe, überlege ich mir vor allem, wie ich es machen muss, dass das Publikum nicht einschläft. Mein größter Stolz ist, dass ich sagen kann, es war den Zuhörern meiner Konzerte kaum langweilig. Ich habe es jetzt in Manchester wieder erlebt, wo bei einem Orchesterkonzert im Februar 2010 die ‚Irdischen Klänge” und das Trompetenkonzert aufgeführt wurden: fast eineinhalb Stunden Schwertsik, und nicht einmal mir war fad!
[Kurt Schwertsik über seine „Werkeinführungen“, vgl. dessen Einführung zur „Möbelmusik – klassisch“ op.68, nachzulesen im mica-Artikel über die Festwochenkonzerte vom 23.06.]: „Ich wollte H.C. Artmann nacheifern, der bei seinen Handwerkerportraits in ‚Fleiß und Industrie’ eine gewisse ‚falsche’ Einfachheit so wunderbar produzieren konnte, die mir sehr nachahmenswert erschien, und so habe ich Werkeinführungen geschrieben, die eigentlich nur poetische Paraphrasen waren und überhaupt nichts mit der Musik zu tun hatten. Wer die Ästhetik Artmanns nicht kennt, versteht auch meine Einführungen nicht, was manchmal zu Missverständnissen führt.[Neues von Kurt Schwertsik]:
In England, wo ich einen gewissen Stellenwert habe, hat das Chamber-Orchestra heuer wieder ‚Adieu Satie’ für Bandoneon und Streichorchester gespielt. Im Oktober habe ich mit Jochen Ulrich in Linz meine Ballettfassung des Kafka-Romanfragments ‚Amerika’ gemacht, wo ich zwei Stunden Musik geliefert habe, was für mich sehr viel ist. Für den Solo-Flötisten und das Orchester von Liverpool schreibe ich ein Flötenkonzert, und Klaus-Peter Kehr hat mich in Mannheim wieder mit einem Auftrag bedacht, mit einer Jugendoper nach F. K. Wächters „Eisprinzessin”. Die Premiere ist für April 2011 geplant, da heißt es anpacken!“
Heinz Rögl bedankt sich bei Markus Vorzellner für das gute Interview in der Wiener Zeitung, Printausgabe vom Samstag, 19. Juni 2010, online seit: Freitag, 18. Juni 2010; Vorzellner lebt als Pianist, (Schwerpunkt Liedbegleitung) Musikpublizist und Pädagoge in Wien. Und natürlich auch bei Kurt Schwertsik.
Orchesterminiaturen für das RSO Wien. Ein Geschenk auch von Kurt Schwertsik, des heutigen Geburtstagskinds, zum 40. Geburtstag. – Musik als Tanz mit der Seele. In den verordneten Tanzpausen geht es um Einkommensbeschaffung: Das kennt Schwertsik aus seinem eigenen Leben: Orchestermusiker – Hornist – bei den Niederösterreichischen Tonkünstlern, bei den Wiener Symphonikern, Professur am Konservatorium und an der Musikuni Wien. Das schafft die nötige Unabhängigkeit, das bringt die Schäfchen ins Trockene. In der Sendung Ö1-Klassiknacht, heute, Freitag, 25, April ab 22.50 wird Kurt Schwertsik zum Geburtstag ein Schwerpunkt in der „Langen Nacht” mit Neuer Musik aus Österreich gewidmet wird (Gestaltung: Ursula Strubinsky).
Zum Abschluss noch eine Kritik der Uraufführung von Schwertsiks Musik zu Kafkas „Amerika“ im Oktober 2009 in Linz: „Ein bejubelter Abend mit wundersamer Musik von Kurt Schwertsik … Die abgrundtiefe Unsicherheit, die in sich kreisende Fatalität, die rabenschwarz spröde Poesie von Kafkas Welt lotet diese fast zweistündige, farbig instrumentierte Partitur mit unglaublich viel Feingefühl aus, mit minimalistischer Unerbittlichkeit, die aber immer noch rechtzeitig in zupackende Dramatik mündet. Dazu kontrastieren die wirkungsvollen Lieder von Karls alter ego, manch Tanzrhythmus zwischen Walzer und Swing und eine virtuose Barpiano-Einlage. Schwertsiks Kunst ist es auch, Beziehungen auf die Klangwelt eines Mahler oder Zemlinsky nie eklektisch, sondern immer anregend neu zu formen. Im Finale findet der Komponist zu einem Tableau voll berückend melodischer Kraft, einer unwiderstehlichen Traum-Musik, wie sie die oft von des Gedankens Blässe angekränkelte Musik der Gegenwart bitter nötig hat. Nach der Uraufführung von Friedrich Cerhas famosem Schlagzeugkonzert in Salzburg ist dies der zweite Beweis in kurzer Zeit, wie schön und dabei gar nicht altmodisch, ja wie wegweisend und aufregend auf der Tradition aufbauende Musik heutzutage sein kann … Und Dennis Russell Davies musiziert mit dem bestens motivierten Bruckner-Orchester nicht nur im besten Bühnenkontakt, sondern so nuancenreich und liebevoll, wie man es sich nur wünschen kann. Hingehen, anschauen, anhören!“(Gottfried Franz Kasparek, DrehPunktKultur Salzburg, 12.10.2009)
Und hier noch eine (gekürzte) Auflistung von Aufführungen von Musik von Schwertsik allein zwischen Juli und November 2009. Kurt Schwertsik gehört zu den renommiertesten Komponisten aus Österreich – auch international! „Next year brings a new BBC commission for an orchestral work to precede Mahler’s Symphony No.1 to be premiered in January in Manchester, and a Schwertsik Resonances focus in February by the Royal Northern College of Music and BBC Philharmonic.” (Boosey&Hawkes-Webseite) (hr)
18.07.2010
Schwertsik, Kurt: Macbeth
Dennis Russell Davies & Maki Namekawa
Stadttheater, Gmunden, Austria
6 pieces
28.08.2010
Schwertsik, Kurt: Mond-Lichtung
Camerata der Sommerakademie Allegro Vivo Kammermusik Festival / Emanuel Schulz
Stift Altenburg, Austria
29.08.2010
Schwertsik, Kurt: Schrumpf-Symphonie
Jugendsinfonieorchester Niederösterreich / Ernst Kovacic
Wieselburg, Austria
[Folgeaufführungen]
27.09.2010
Schwertsik, Kurt: Schrumpf-Symphonie
Radio-Symphonieorchester Wien / Wayne Marshall
musikverein, Graz, Austria
[Folgeaufführungen]
02.10.2010
Schwertsik, Kurt: Now you hear me, now you don’t
Colin Currie, percussion / Sinfonia Viva / Benedict Holland
Djangoly Recital Hall, Nottingham, United Kingdom
[Folgeaufführungen]
06.10.2010
Schwertsik, Kurt: Now you hear me, now you don’t
Colin Currie, percussion / Sinfonia Viva / Benedict Holland
Drill Hall, Lincoln, United Kingdom
[Folgeaufführungen]
07.10.2010
“Die Welt – nur eine Laute?
Kurt Schwertsik im Gespräch mit Markus Vorzellner” Haus Hofmannsthal, Beginn 19:30.
15.11.2010
Schwertsik, Kurt: Schrumpf-Symphonie
Jugendsinfonieorchester Niederösterreich / Ernst Kovacic
Grafenegg, Austria
[Folgeaufführungen]
20.11.2010
Schwertsik, Kurt: Fantasia & Fuga (World Premiere)
Angela Hewitt, piano
Wigmore Hall, London, United Kingdom
25.11.2010
Schwertsik, Kurt: Now you hear me, now you don’t (Scandinavian premiere)
Colin Currie, percussion / Norrlands Opera Symphony Orchestra / Eva Ollikainen
Konserthuset, Umea, Sweden
[Folgeaufführungen]
26.11.2010
Schwertsik, Kurt: Now you hear me, now you don’t
Colin Currie, percussion / Norrlands Opera Symphony Orchestra / Eva Ollikainen
Konserthuset, Umea, Sweden
[Folgeaufführungen].
Link:
Boosey & Hawkes