30 over 30: Teil 2

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von mica – music austria haben wir 30 Künstler:innen über 30 gefragt, wie sich ihre Musik, ihre Sichtweise und die Musikindustrie im Laufe der Jahre und mit dem Wandel der Zeit entwickelt haben (oder auch nicht). In einer Kultur und Branche, die oft von Neuheiten getrieben wird, wollten wir diese Gelegenheit nutzen, um uns auf ebenso wichtige Aspekte der Musikszene zu konzentrieren: etwa Wissen, Erfahrung und hart erarbeitete Weisheit. Für den zweiten Teil der Serie haben wir VIOLETTA PARISINI, FRANZ HAUTZINGER, BERNHARD HAMMER aka Buenoventura (Electro Guzzi), GOLNAR SHAHYAR und DANIEL RIEGLER (Studio Dan) zu ihrer Arbeit und ihrem Leben als Musiker:in, ihren Ansichten über die Branche und die Kultur sowie zu den Ratschlägen, die sie der jüngeren Generation geben, befragt.

Wie haben sich deine Erfahrungen in der Musikbranche mit zunehmendem Alter verändert? / How has your experience in the music industry evolved as you’ve aged?

Violetta Parisini: Ich weiß jetzt besser, wer ich bin und sein will, das fühlt sich frei an. Freiheit besteht angeblich darin, sich innerhalb klarer Grenzen beliebig bewegen zu können. Ich glaube, ich habe für mich einige dieser Grenzen schon gefunden, und das befreit mich davon, überall anders weitersuchen zu müssen. 

Franz Hautzinger: 40 Jahren bin ich nun in und mit dem Musikbusiness … ja, die Bedingungen haben sich stark verändert. Großartige Veränderungen in technischer Hinsicht: Digitales Zeitalter, Social Media, Medien im Allgemeinen. All das gab es früher so nicht. Ich mochte diesen technischen Fortschritt und Innovation immer. Dass man sich immer wieder an die Zeit anpassen muss (wenn man kann und will), fand ich immer aufregend.

Bernhard Hammer: Persönlich merke ich, dass ich mit zunehmendem Alter Stück für Stück entspannter und cooler mit der teilweise oft prekären Arbeitssituation als Musiker:in umgehen kann. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es mir immer leichter fällt, nicht alle Jobangebote anzunehmen und selektiver mit meiner Lebenszeit umzugehen.

Violetta Parisini (c) Hanna Fasching_1
Violetta Parisini (c) Hanna Fasching_1

Golnar Shahyar: I am 39 years old and started both my music education and career when I was 24. Since I had no prior experience in music-making, I have spent the past 15 years learning and improving both as a musician and a band leader. Now, I feel more mature in both roles compared to 15 years ago, which gives me a greater sense of safety and self-esteem. I believe this is because I know more about my abilities, limitations, priorities, and values, and I understand how to respect and pursue them. However, I am aware that I am at an age where I am considered neither too young nor too old in the industry. I do expect things to change as I get older.

Älter geworden zu sein ist ein Vorteil, wenn es darum geht, etwas zu erzählen zu haben.“ – Violetta Parisini

Hast du beobachtet/wahrgenommen, dass die Musikbranche Künstler:innen auf Grund ihres Alters unterschiedlich behandelt? / Have you observed changes in the way the industry treats artists based on their age?

Bernhard Hammer: Natürlich habe ich das wahrgenommen. Das trifft aber leider hauptsächlich weibliche Musikerinnen. Wenn Iggy Pop (nichts gegen Iggy Pop) mit nacktem Oberkörper auftritt, ist das ganz normal, bei Frauen, die im selben Alter zu viel Haut zeigen, ist das meistens ein großes Thema.

Daniel Riegler: Ich denke schon, dass es über alle Genres hinweg eine Art Jugendkult gibt. Das ist nachvollziehbar, weil ja unsere aller Neugier nur durch Neues gestillt werden kann – nur nachkommende Künstler:innen können das leisten. Auch ist der Reiz der Jugend wahrscheinlich nicht zu leugnen: Junge Leute erinnern uns an eine spezielle Zeit im Leben, oft führen sie uns ihre Unbeschwertheit vor und blöd gesagt sind sie halt meistens auch schöner …

Andererseits wird man als Junge:r mit Sicherheit nicht so ernst genommen wie in höherem Alter. Das habe ich jedenfalls selbst schon stark wahrgenommen. Man muss sich erst beweisen, oder schlimmer noch: gewisse Dinge durchleiden, um für voll genommen zu werden.

Beides finde ich ein bisschen doof, aber so ist das eben …

Violetta Parisini: Jung zu sein bzw. vor allem: eine Neuigkeit zu sein, öffnet dir viele Türen, die später dann knirschen und quietschen, wenn du sie selbst wieder öffnen willst. Vielleicht, weil die Menschen ihre eigenen Träume am liebsten auf das projizieren, was noch unbeschrieben ist, oder weil jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Oder, weil Jung-Sein per se ein gesellschaftliches Ideal ist. Sich von diesem Ideal freizumachen, gelingt dem Publikum selbst übrigens deutlich besser als den Entscheider:innen in der Musikindustrie. Ich habe nicht das Gefühl, schlechter behandelt zu werden, ich spüre viel Respekt für das, was ich tue und wer ich bin, aber im Kontakt mit Musikarbeiter:innen schwingt nicht mehr diese Hoffnung mit, dass sich mit mir vielleicht viel Geld verdienen lässt. Ich finde das ganz gut, denn es macht mich frei, künstlerisch und persönlich. Und es gibt mir die Sicherheit, dass die Leute, dir mit mir arbeiten, wegen meiner Musik und meiner Inhalte dabei sind und nicht wegen einer diffusen Hoffnung auf Status und Geld.

Franz Hautzinger: Ja, sehr. Seit ein paar Jahren (ich bin gerade 61) werde ich als „alter Mann“ wahrgenommen. Ich habe einige Jahre in Frankreich gelebt und bei meiner Wiederkehr konnte ich das spüren. Ich musste mich an die neue Wahrnehmung meiner Umwelt erst langsam gewöhnen. Ich denke das gehört zum Leben.

Golnar Shahyar: It is inevitable that as we get older, we have less energy to invest in constant self-improvement and in being available all the time under all circumstances. This might affect the opportunities that come our way as freelancers. For those who have children, the situation becomes even more complicated. Nevertheless, I believe the question of age is genre-specific. In the music scenes where I am active, I do not feel that aging has created a barrier. On the contrary, I receive more acknowledgment and respect for my work compared to the past 10 years.

Glaubst du, dass sich die Wahrnehmung der Fans mit zunehmendem Alter der Künstler:innen ändert?/ Do you think fans’ perceptions of musicians change as the artist ages?

Golnar Shahyar: My fans mostly range from 35 to 55, and I have a feeling we are growing together. Additionally, as a performer and composer, I am not limited to one genre or industry. This exposes me to a fan base with a wider age range and diverse backgrounds.

“Die [Musik-]Wirtschaft legt seit vielen Jahren den Fokus auf junge Leute. Aber das stört mich nicht. Ich war ja auch mal jung und habe von dieser Konzeption profitiert.” – Franz Hautzinger

Franz Hautzinger (c) Johannes Simon
Franz Hautzinger (c) Johannes Simon

Bernhard Hammer: Für Musiker:innen, die im Mainstream tätig sind, kann ich mir vorstellen, dass es irgendwann einmal den Punkt geben kann, wo es nicht mehr ganz stimmig ist, wenn der Altersunterschied zwischen den Personen auf der Bühne und des Publikums immer größer wird. Bei Elektro Guzzi fällt mir auf, dass unsere Fans mit uns „mitaltern“. Das gefällt mir eigentlich.

Hast du das Gefühl, dass dein Alter die Möglichkeiten, die dir in der Musikbranche zur Verfügung stehen, verändert hat? / Do you feel that your age has impacted the opportunities available to you in the music industry?

Franz Hautzinger: Natürlich! Die [Musik-]Wirtschaft legt seit vielen Jahren den Fokus auf junge Leute. Aber das stört mich nicht. Ich war ja auch mal jung und habe von dieser Konzeption profitiert.

Mich hat das aber nie besonders interessiert. Ich habe immer ein individuelles Business-Model verfolgt, habe meine CDs selber produziert, aber mit Labels und Agenturen zusammengearbeitet, etc. Da ich gerne alles selber entscheide, war es schon immer am einfachsten, wenn ich auch alles selber organisiere.

Bernhard Hammer: Ich würde sagen ja, mit steigendem Alter (und Erfahrung), weiß ich immer besser über den Musikmarkt sowie den Förder-Jungle Bescheid und kann auf ein immer größeres Netzwerk zurückgreifen. Das macht das Leben als Musiker:in einfacher. Allerdings merke ich auch, dass gewisse Anstrengungen, die einem der Musikmarkt abverlangt, nicht mehr so einfach möglich sind: schlecht bezahlte Touren und Konzerte, Auftritte für Mini-Gagen auf Showcase-Festivals, 4-Bett-Zimmer, usw. Mit höherem Alter möchte man darauf verzichten, das Management besteht aber dann oftmals drauf… 

Fühlst du dich unter Druck gesetzt, sich den aktuellen Musik- oder Marketingtrends anzupassen? Glaubst du, dass sich dieser Druck mit dem Alter verändert? / Do you feel pressure to conform to current music or marketing trends? Do you feel this pressure changes with age?

Golnar Shahyar: I used to be bothered by the industry’s expectations for me to represent myself in a certain way (exotic, sexualized, etc.). However, I have maintained my integrity and continued doing what I do without compromising my values and priorities. Currently, I feel my work has gained respect and attention in the surrounding communities for what it is, not for what the industry expects it to be. Yet, I sense that when I step out of these nearby communities into other music territories where I am less known, things change. I must be very careful about how I move and make decisions to protect myself and my work.

Bernhard Hammer: Im Großen und Ganzen fühle ich mich nicht mehr unter Druck gesetzt als am Anfang meiner Karriere. Ich habe die Hoffnung, dass ich mich mit zunehmendem Alter immer mehr von irgendwelchen Trends lösen kann.

Violetta Parisini: Den Versuch, mich an den Markt anzupassen, habe ich aufgegeben. Inzwischen verlasse ich mich auf meine Community, die verlässlich, weil organisch, wächst. Mein bestes Marketing sind Konzerte, deswegen beschäftige ich mich in den letzten Jahren mehr mit der Frage, wie ich meine Musik auf die Bühne bringe, als ins Radio. Gutes Booking hat sich als wertvoller erwiesen als alles Geld, das ich in irgendwelche Beratungen gesteckt habe. Das liegt aber sicher auch an meiner Musik, die sich verlässlich gegen ungefähr alle Trends sträubt, ich kann sie und mich auch wirklich von nichts anderem überzeugen.

Nutzt du soziale Medien oder digitale Medienplattformen? Wie nimmst du die sich ständig verändernden und neu aufkommenden Plattformen oder Technologien wahr oder wie gehst du damit um? / Do you use social media or digital media platforms? How do you perceive or deal with ever-changing, ever-emerging platforms or technology?

Franz Hautzinger: Ja, ich interessiere mich sehr für die Zukunft und für die Technologien, die uns zur Verfügung stehen. Ich finde die Möglichkeiten, die ich heute von meinem Schreibtisch aus habe – wo immer der sich auf der Welt befindet –, unglaublich gut. Ich bin ortsungebunden. Das ist großartig. (Kann mich erinnern, wie man 1990 ein Konzert in New York organisiert hat.)

Bernhard Hammer: Ich nutze soziale Medien, bin aber nicht überall am neuesten Stand. Mich stresst das auch nicht besonders. Wenn man nicht den Anspruch hat, Millionen Follower zu bekommen, kann man ganz cool damit umgehen, denke ich.

Hat sich dein kreativer Prozess oder haben sich die Themen deiner Musik mit zunehmendem Alter verändert? / Has your creative process or the themes of your music changed as you’ve grown older?

Golnar Shahyar: Yes and no. I feel I am becoming more mature as a musician, lyricist, and composer, and I believe this maturity is reflected in my work. Nevertheless, I still sing for empowerment, solidarity, healing, and dreaming. One major change is that social engagement and advocacy have consciously become integral parts of my practice. If I did not know much about how the industries of culture and music education work initially, many years of experience have given me valuable insights in this regard. Nowadays, I do not treat art and culture as separate entities from our contemporary economic and political realities. I use my platform to amplify humanitarian values wherever I can within the context of my expertise.

Bernhard Hammer: Irgendwie eigentlich nicht. Wenn ich Musik mache, fühle ich mich im Idealfall immer noch wie ganz am Anfang.

Violetta Parisini: Der Prozess ist immer noch völlig chaotisch. Aber die Themen meiner Lieder ändern sich mit dem, was ich erlebe und miterlebe. Am Anfang meines Musik-Machens ging es wohl viel um Suche, Sehnsucht und Sinnsuche. Inzwischen sind meine Themen einerseits spezifischer, andererseits auch gesellschaftspolitisch relevanter. Älter geworden zu sein ist ein Vorteil, wenn es darum geht, etwas zu erzählen zu haben.

first and foremost, we are human beings, members of our families, and parts of society. Leading a healthy life requires other skills and competencies beyond music. True empowerment is a collective reality, not an individual one.” – Golnar Shahyar

Portrait (c) Nicolas Weber
Portrait (c) Nicolas Weber

Hat sich deine Einstellung zu Tourneen und Reisen mit zunehmendem Alter verändert? / Has your approach to or position on touring and traveling changed as you have become older?

Franz Hautzinger: Ja, sehr! Ich hatte mehrere Krisen, in denen ich nicht mehr in ein Flugzeug oder einen Zug steigen wollte. Nach einigen Überlegungen habe ich wieder angefangen zu reisen. Wenn man im internationalen Musik-Zirkus mitmachen will, muss man reisen und präsent sein. Das ist nun mal so. Letztendlich versuche ich immer, die Balance zwischen Reisen und Ruhen zu finden. Ganz ohne Reisen geht es sicher nicht.

Daniel Riegler: Na sicher geht Reisen als Junge:r ohne Familie leichter. Und doch ist es einer der schönsten Nebeneffekte unseres Berufs.

Violetta Parisini: Ich toure so gut wie immer mit dem Zug, was mir unterwegs viel Zeit zum Denken und Arbeiten gibt, und ich liebe es, live zu spielen, es macht mich, solange die Bedingungen gut sind, sehr glücklich. Also bin ich auch sehr gerne unterwegs. Es gibt aber auch eine andere Seite: Ich habe Kinder, und das ändert alles. Natürlich gibt es mit Betreuungspflichten zusätzlichen Organisationsbedarf, aber in erster Linie geht es um Zeit. Zeit ist immer auch Potenzial für eine gute Beziehung zu den Personen, die man liebt, und vor allem Kinder brauchen sehr, sehr viel davon. Sie brauchen Alltags-Zeit. Mir ist das dieses Frühjahr – da war alles sehr dicht mit Proben, Konzerten und einem Performance-Projekt – wieder sehr bewusst geworden: Ich muss wählerisch sein mit meinen Zusagen. In den ersten Jahren meiner Mutterschaft ging es darum, mich neu zu ordnen, mir Freiräume und -zeiten zu erkämpfen, und dann, nach jahrelanger Pause, wieder in die Musik einzusteigen, und jetzt, wo es gut läuft, merke ich, dass ich wieder ein neues Gleichgewicht finden muss zwischen Zeit für meine Musik, Zeit fürs Alleine-Sein, und Zeit für die Menschen, die mir wichtig sind / für die ich wichtig bin.

Golnar Shahyar: Absolutely! Touring and traveling long-term under the conditions freelance musicians face do not support a healthy and sustainable lifestyle. I am at a stage where I appreciate staying in one place longer and having more routines. I am more interested in being involved in projects that do not require me to travel extensively.

Bernhard Hammer: Die Belastbarkeit nimmt natürlich ab. Tausende Kilometer im vollgestopften Van, Bettenlager in Squats, Scheiß-mit-Reis im Backstage usw. finde ich nicht bei den Gesundheitstipps im SVS-Magazin. 🙂 Im Idealfall werden es weniger Konzerte, die besser bezahlt sind. Leider leben wir nicht in einer idealen Welt.

Gibt es als langjährige/r Künstler:in in Bezug auf deine Gesundheit besondere Beeinträchtigungen, Verletzungen oder andere musikspezifische Leiden, die du oder deine Kolleg:innen erlitten haben und die nicht genügend Anerkennung, Unterstützung oder Entschädigung erhalten? / As a long-time performing artist, are there any specific health issues, injuries or other music-specific ailments that you or your peers have endured that don’t get enough recognition, support or compensation?

Daniel Riegler: Am ehesten scheint es mir eine Herausforderung, psychisch gesund zu bleiben. Schaut man sich über Jahrzehnte hinweg durchgehend als Musiker:in arbeitende Menschen an, wirken sie von einem sehr hohen Leistungs- und oftmals Existenzdruck recht mitgenommen. Manche Bands, Ensembles und Orchester mit höherem Altersdurchschnitt schauen uns da schon recht traurig von der Bühne aus an. Und psychische Leiden wirken ja wechselwirkend mit körperlichen. Ich glaube da wird uns zu Beginn unserer Karrieren nicht sehr viel mitgegeben. Vergleicht man uns mit Sportler:innen – und ich denke, der Vergleich ist oft nicht unangebracht –, sind wir sehr weit davon entfernt, medizinisch engmaschig betreut zu sein. Auch ist es nicht üblich einfach aufzuhören, wenn es nicht mehr so geht wie als Junge:r. Musiker:innen spielen ja oft, bis sie umfallen …

Golnar Shahyar: Freelance musicians are among the most underrepresented social groups, with almost no protective laws safeguarding their work, integrity, and livelihood. Nowadays, to survive as a musician, you have to take on the roles of a team—composer, promoter, agent, driver, producer, sound engineer, tour manager, band leader, accountant, coach, and more—while still functioning perfectly as a musician on stage. The community of musicians is full of overworked, exhausted, and burnt-out individuals. Anxiety, depression, chronic stress, and other psychological disorders are common in the music sector. Since musicians depend on their bodies, emotions, and minds to make a living, any damage to these can severely affect their ability to continue working. The older you get, the more stress you feel in this regard, as you realize that your energies and resources are limited.

“Themen wie Arbeitsunfähigkeit, finanzielle Absicherungen und Altersvorsorge in der Musikbranche irgendwie Tabuthemen sind und zu wenig besprochen werden.” – Bernhard Hammer

Buenoventura_Press_3_by_Wolfgang_Bohusch
Buenoventura (c) Wolfgang Bohusch

Bernhard Hammer: Als ich letzten Jänner an der Schulter operiert werden musste und mehrere Monate meinen Beruf nicht ausüben konnte, hätte ich mir auf jeden Fall mehr Unterstützung vor allem von der SVS gewünscht. Zu meinem Glück bekam ich sehr rasch finanzielle Unterstützung vom AQUAS. Ohne diese, wäre ich in große finanzielle Nöte gekommen.

Violetta Parisini: Ich glaube, für die meisten selbstständige Musiker:innen ist das größte Risiko ein psychisches: finanzielle Unsicherheit gepaart mit dem Stress, ständig produktiv sein zu müssen, um regelmäßig zu veröffentlichen und in Folge wieder eine Tour buchen zu können. Man spürt da viel Druck. Zu lernen, zwischendurch Pausen einzulegen und Zeit einzuplanen, um zur Ruhe zu kommen, ist meine größte Herausforderung. Natürlich ist das alles nochmal zugespitzt, wenn man Kinder oder andere Pflege-Verpflichtungen oder Verantwortungen für andere Personen hat.

Bist du der Meinung, dass es genügend finanzielle Absicherungen, Altersvorsorge und andere Einrichtungen gibt, die vor finanziellen Krisen, finanziellen Engpässen oder Existenzangst, insbesondere im Alter, schützen können? / Do you think there are enough pensions and other services or systems in place to help safeguard against financial difficulties, poverty, and existential concerns, especially as one ages?

Violetta Parisini: Nein. Es sollte eine Art Grundeinkommen für künstlerisch Tätige geben. Es ist in unser aller Interesse, dass die große Community jener Künstler:innen, die nicht gut bzw. verlässlich verdienen, weiterarbeiten können, nicht zuletzt, weil sie ja auch Impuls- und Ideengeber:innen und ein wesentlicher Teil einer kritischen und kritikfähigen Öffentlichkeit sind. Übergeordnet bin ich sowieso für das bedingungslose Grundeinkommen für alle, es würde sehr viel Bürokratie einsparen und unsere Gesellschaft gerechter / chancengerechter und sozial stabiler machen.

Daniel Riegler: Ich bin mir sicher, dass es hier noch nicht genug Systeme gibt, um unsere eher prekär existierende Kaste gut abzusichern. Das ist eine Frage des Lebenseinkommens. Die langsam aufkommenden Fair-Pay-Bestrebungen sind eben auch aus dem Grund besonders wichtig.

Bernhard Hammer: Die Erfahrung meiner Schulteroperation hat mir ganz klar gezeigt, dass Themen wie Arbeitsunfähigkeit, finanzielle Absicherungen und Altersvorsorge in der Musikbranche irgendwie Tabuthemen sind und zu wenig besprochen werden. Ich denke, dass hier noch viel mehr getan werden muss (Informationskampagnen, Diskussionen, usw.) und auch von kulturpolitischer Seite Maßnahmen gesetzt werden müssen, um Altersarmut bei Künstler:innen zu verhindern. Ich kann jetzt schon sagen, dass ich es wahrscheinlich niemals schaffen werde, mehr als die Mindestpension zu erhalten.

Golnar Shahyar: Absolutely not! In Austria, we receive a small percentage of our pension from the government, but it’s certainly not enough to live on in old age. Musicians are left to provide for their retirement despite working as hard as anyone else in society. It takes many years for musicians to generate income from their musical activities, if they achieve that stage at all. This means musicians often start contributing to their pension later in life, which is another disadvantage.

Hast du Vorbilder in der Branche, die die Herausforderungen des Älterwerdens erfolgreich gemeistert haben? Was kann man deiner Meinung nach von ihnen lernen? / Do you have any role models  in the industry who have successfully navigated the challenges of aging? What do you think can be learned from them?

Bernhard Hammer: Ich bewundere Swamp Dogg. Er ist mittlerweile 82 Jahre alt, ist selbstironisch, scheißt sich nichts, bringt eine Platte nach der anderen heraus und die Musik ist immer zu 100 % authentisch.

Golnar Shahyar: One could say that some older musicians may have misused their position to assert dominance, likely influenced by the norms and systems they were educated in. Additionally, aging can bring insecurities due to reduced energy and resources to keep up with new developments in music and society.

Despite these challenges, the older generation still holds significant influence in shaping the community’s mindset. If they prioritize values such as self-care, community building, integrity, and fairness, it sets a positive example for younger generations to follow and build upon. Creating a more supportive system for older musicians could indeed assist them in embodying these values more effectively.

Auf welche Weise überschneiden sich Altersdiskriminierung und andere Formen der Diskriminierung in der Musikbranche aus deinen eigenen Erfahrungen oder denen anderer, die du kennst? / In what ways does ageism intersect with other forms of discrimination in the experiences of artists in the music industry, from your own experiences or those of others you know of?

Violetta Parisini: Einfach mal einen Tag lang zählen, wie viele Männer über 50 man in den Medien zu sehen und hören bekommt, und wie viele FLINTA*s über 50. Ähnliches gilt, denke ich, auch für andere diskriminierte Gruppen, der Sexismus ist einfach das offensichtlichste Beispiel, eine einfache Rechnung, die nicht aufgeht.

Glaubst du, dass die Musikbranche ihre Unterstützung für Künstler:innen aller Altersgruppen verbessern muss? Welche Veränderungen erhoffst du dir für die Zukunft in der Musikbranche in Bezug auf die Integration von Menschen jeden Alters? / Do you believe the industry needs improvement in its support for artists of all ages?  What changes do you hope to see in the music industry in the future regarding age inclusivity?

Golnar Shahyar: Absolutely! Building a supportive structure for aging musicians is crucial to ensure they can sustain themselves financially and lead healthy lives within the industry. The current model often forces musicians to choose between barely surviving and suffering or leaving the industry altogether, which is unsustainable and detrimental to both individuals and the community.

“Psychische Leiden wirken ja wechselwirkend mit körperlichen. Ich glaube da wird uns zu Beginn unserer Karrieren nicht sehr viel mitgegeben.” – Daniel Riegler

Daniel Riegler (c) Ditz Fejer
Daniel Riegler (c) Ditz Fejer

Franz Hautzinger: Auf jeden Fall sollte man sich das Pensionssytem für Künstler:innen anschauen. Ich kenne viele Kolleg:innen, die eine Pension zwischen 200 und 400 Euro pro Monat bekommen. Sie hatten weniger finanziellen Erfolg, zum Beispiel weil ihr Musikstil nicht so populär und lukrativ ist, haben aber die gleiche Arbeit geleistet wie jemand, der eine andere Musik spielte und jetzt viel mehr Pension bekommt.

Welchen Rat würdest du jüngeren Musiker:innen geben, um eine nachhaltige und erfüllende Musikkarriere aufzubauen? / What advice would you give to younger musicians about building a sustainable and fulfilling career in music?

Bernhard Hammer: Macht die Musik, die euch am meisten Spaß macht, und nicht die, die am erfolgversprechendsten wirkt.

Golnar Shahyar: Being a musician isn’t just about playing your instrument and earning a few bucks with your peers. Don’t confine your identity solely to being a musician. Remember, first and foremost, we are human beings, members of our families, and parts of society. Leading a healthy life requires other skills and competencies beyond music. True empowerment is a collective reality, not an individual one. Instead of acting on jealousy, channel that energy into self-improvement. Practice gratitude and respect for the efforts you and fellow musicians make to survive.

Educate yourself in politics, philosophy, and critical thinking. Learn how to foster flourishing and healthy communities. Invest in multiple communities, not just one. Learn the art of negotiating and effectively communicating both your needs and those of your communities. Understand the distinction between pushing yourself hard toward your goals and self-abuse. Learn to rest and find joy in simple pleasures. Cultivate friendships that aren’t solely based on business interests. The list of skills and practices to embrace is extensive, but each contributes to a fulfilling life beyond music.

Daniel Riegler: Je früher man akzeptiert und annimmt, wer man ist, umso leichter geht’s wahrscheinlich. Aber nachdem ich das selbst noch immer nicht kann, weiß ich nicht, ob es stimmt. ;-))

Franz Hautzinger: Weitermachen, egal was kommt! Entwicklung braucht Zeit! Alles ist möglich! Und es macht riesig Spaß und beschert ein glückliches Leben.


Featured Artists

Bernhard Hammer aka Buenoventura ist Musiker, Komponist, Produzent sowie Gründungsmitglied des international renommierten Techno-Trios Elektro Guzzi. Er beschäftigt sich mit elektroakustischen und abstrakten Klangwelten sowie mit klassischen Kompositionen, die sich in ihrer Bandbreite zwischen ritueller Club-Musik und Soundtracks für Theater- und Filmproduktionen bewegen.

Franz Hautzinger: “Mein Ansatz zur Musik ist ein experimenteller, der die Grenzen traditioneller Trompetentechniken bewußt überschreitet und neue Klangwelten erkundet. Zwischen neuer Musik und vielen anderen Stilen angesiedelt ist mein Aktionsbereich zwischen den fronten und zwischen den Systemen.”

Die Musikerin Violetta Parisini begann ihre künstlerische Karriere während eines Philosophie-Studiums als singende DJ, wandte sich aber bald dem Songwriting zu. Seitdem hat sie vier Alben veröffentlicht, spielt regelmäßig Konzerte in verschiedenen Konstellationen, schreibt Lieder auch mit und für andere Musiker*innen, unterrichtet Songwriting und schreibt nicht nur Songs sondern auch längere Texte für ihren Blog oder keynotes, zB zum Thema Mutterschaft und Kunst. Ihr nächstes Album wird im Frühjahr 2025 veröffentlicht.

Daniel Riegler ist Posaunist, Komponist, Ensembleleiter und Produzent von improvisierter, zeitgenössischer und jazzbezogener Musik und Gründer des Ensembles Studio Dan.

Golnar Shahyar is an Iranian-born singer, composer, and multi-instrumentalist known for her unique ability to blend various contemporary musical genres from the MENA region, as well as Europe and America. Her work includes collaborations as a performer and composer in opera, theater, and dance productions. She is also recognized for her socially conscious activism, often addressing themes of migration, identity, and human rights.

up next: TEIL 3…

Im nächsten „30 over 30“-Artikel werden Viola Falb, Katharina Klement, Omid Darvish, Dorian Concept und Pamelia Stickney interviewt.

Hinweis: Die hier vorgestellten Künstler:innen haben nicht gemeinsam an dem Interview teilgenommen. Die Redaktion hat die einzelnen Antworten zu einem gemeinsamen Artikel zusammengefasst.

Alle „30 über 30“-Artikel findet man hier.

Arianna Alfreds