Porträt: Matthias Loibner

“I am not a musician, I am an observer of human moods and sentiments. Since I do not trust words and can not paint, I use my music in order to tell my observations.”

Matthias Loibner wurde 1969 in Graz geboren und widmete sich zunächst den Instrumenten Klavier, Gitarre und Posaune. An der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Graz studierte er einige Semester klassische Komposition, Jazzkomposition sowie Chor- und Orchesterleitung. Als er mit 13 Jahren zum ersten Mal bulgarische Volksmusik hört, ist er mit einem Schlag fasziniert und beginnt sich nach und nach analytisch und systematisch mit Volksmusik auseinanderzusetzen. Wie Loibner in einem Interview ausführt, lässt die nach außen hin präzise und perfekt wirkende klassische Musik, vorgegeben durch den Ausbildungskanon der Musikuniversität, die Freude am Spielen und Hören sowie die emotionale Komponente vermissen. Diese findet er voll und ganz in der Volksmusik und insbesondere im Spiel der Drehleier, über die Loibner im Zuge seiner Recherchen stolpert. Er entschließt sich daraufhin das starre Hochschulkorsett abzulegen, um die Volksmusikgruppe „Wullaza“ – steiermärkisch für Jodler – zu gründen.

Hurdy Gurdy, unter diesem witzig anmutenden englischen Begriff versteht man im Deutschen die heutzutage eher selten anzutreffende Drehleier oder auch Radleier. Bei dem zur Gruppe der Borduninstrumente gehörende Streichinstrument werden die Melodiesaiten mittels eines Rades angestrichen, das wiederum mit einer Kurbel angetrieben wird. Je nachdem wie abrupt das Rad in Drehung versetzt wird, können als zusätzliche Nuance rhythmische Schnarrlaute mittels eines Schnarrsteges erzeugt werden. Zusätzlich produzieren die so genannten Bordunsaiten einen mitklingenden Halteton ähnlich dem bei einer Sackpfeife. Die Melodiesaiten werden über Schiebestangen mechanisch verkürzt, die üblicher Weise mit der linken Hand bedient werden. Die Drehleier  ist in historischen Texten ab dem zehnten Jahrhundert belegt, erfährt jedoch erst im 18. Jahrhundert in Frankreich besonderen Aufschwung, als innerhalb kürzester Zeit vergleichsweise viele kammermusikalische Werke für Drehleier komponiert wurden. Außerdem findet das Instrument Einzug in die höfische Musik und durchläuft zahlreiche technische Neuerungen, die bis heute Bestand haben. Paradoxer Weise ist die Drehleier durch die Wiederentdeckung im Zuge der Folk-Renaissance in den 1970er Jahren vermutlich zu einer größeren Verbreitung gelangt, als zu deren „Hochblüte“ vor 300 Jahren.

Die ersten Schritte auf dem Weg zu einem Virtuosen Drehleierspieler bestreitet Matthias Loibner zunächst auf autodidaktischem Wege und nimmt später Unterricht bei den wenigen herausragenden Musikern dieses Instruments wie etwa Valentin Clastrier, Riccardo Delfino oder Gilles Chabenat. Seine intensive Lehrzeit macht sich rasch bezahlt, als Loibner 1994 den begehrten 1. Preis beim „Concours des vielles et cornemuses“ in St. Chartier in Frankreich gewinnt. Dieser öffnet ihm Tür und Tor für seine weitere Karriere, die sich seither äußerst mannigfaltig gestaltet.

Zunächst gibt es da den weitläufigen Bereich der klassischen Musik und insbesondere der Interpretation von Originalkompositionen des französischen Barock. Dabei arbeitet Loibner u.a. mit Christophe Coin, dem „Ensemble Baroque de Limoges“, „Le Concert Spirituel“, „Les Eclairs de Musiqe“ oder „Les Musiciens de Saint Julien“ zusammen und erarbeitet im Rahmen des Projekts „La Noblesse Rustique“ u.a. die Werke von Komponisten wie Jean-Baptiste Dupuits, Francois Bouin oder Rhené-Baton. Ein besonderes Anliegen ist ihm außerdem die Wiederaufführung und Erstaufnahme von Werken von Joseph Haydn, Ignaz Pleyel oder Vincenzo Orgitano für die Orgelleier (lira organizzata), die auf Initiative des „Ensembles Baroque de Limoges“ und in Zusammenarbeit mit dem Instrumentenbauer Wolfgang Weichselbaumer eigens anhand Skizzen, Überlieferungen und den raren jedoch nicht mehr spielbaren Museumsexemplaren originalgetreu nachgebaut wurde. Daneben arrangiert Loibner klassische Kompositionen, so geschehen etwa beim gesamten Zyklus von Franz Schuberts „Winterreise“ adaptiert für Gesang und Drehleier.

Nicht minder schwer überschaubar sind die Bereiche der oral tradierten Volks-, World- und Ethnomusik – verbunden mit ausgiebigen Studienreisen nach Südosteuropa, Afrika, Japan, Australien und Amerika – und nicht zu vergessen des Jazz, der Avantgarde, sowie Neuer und elektronischer Musik, im Rahmen derer Matthias Loibner kräftige und erfrischend neue Akzente setzt. KooperationspartnerInnen seiner Wahl sind dabei u.a. die Ensembles „deishovida“, „Sandy Lopicic Orkestar“ oder die „Jazz Bigband Graz“ sowie die Sängerin Natasa Mirkovic – De Ro („Ajvar & Sterz“), der kretenische Lyraspieler Ross Daly, Posaunist Loibner Mütter („DLM“), Schlagzeuger Alex Deutsch, der Vierteltontrompetenspieler Franz Hautzinger („Fidibus“), DJ Shantel oder der norwegische Schauspieler Magne-Håvard Brekke („Ljodahått”). Dabei erweitert Loibner nicht selten die analogen Klänge und teils eingeschränkte Spielweise seiner Drehleier mit elektronischen Hilfsmitteln wie Soundeffekten und Loops zu einem neuen Ganzen.

Der letzte große künstlerische Schaffensbereich des umtriebigen Virtuosen dreht sich um Film- und Theatermusik. Ausgewählte Projekte der jüngsten Vergangenheit sind u.a. „Immer noch Sturm“, ein Schauspiel basierend auf Peter Handkes Texten aufgeführt bei den Salzburger Festspielen, Thalia Theater Hamburg und Burgtheater Wien, „Das Wirtshaus im Spessart“, ein Stück nach Motiven von Wilhelm Hauff präsentiert am Deutschen Nationaltheater Weimar und zuletzt Franz Kafkas „Das Schloss“ gemeinsam mit „Die Strottern“, aufgeführt am Salzburger Landestheater. Musikalischer Partner vieler Projekte im Film- und Theaterbereich aber auch darüber hinaus, ist zumeist Sandy Lopicic.

Daneben gibt Matthias Loibner seit 1994 sein Wissen um Barockmusik, Improvisation und Drehleiertechnik im Rahmen von Workshops und Kursen in Europa, Japan und Australien weiter und verfasste gemeinsam mit Riccardo Delfino das deutschsprachige Standardlehrbuch für Drehleier. Gemeinsam mit dem Instrumentenbauer Wolfgang Weichselbaumer arbeitet Loibner außerdem an der Weiterentwicklung der Alto-Drehleier. Das beachtliche Engagement und die vielfältige Beschäftigung mit der Drehleier brachte Matthias Loibner sowie seinen CD-Produktionen bereits zahlreiche Ehrungen und Preise ein, so etwa den „Austrian World Music Förderpreis“ 2005 gemeinsam mit Natasa Mirkovic – De Ro, den „Choc de Le Monde de la Musique“ gemeinsam mit dem Ensemble „Baroque de Limoges“ für die CD „deLirium“ 2007 oder den „Ö1 Pasticciopreis“ für die CD „Vielle à roue“ 2006.

Der „Jimi Hendrix der Drehleier“, wie Matthias Loibner gerne aufgrund seiner expressiven Spielweise genannt wird, zählt auf seinem Instrument ohne Zweifel zu einem der weltweit herausragendsten Persönlichkeiten dieser Zeit und vermag es wie kaum ein anderer, das ursprünglich in der Volksmusik des 18. Jahrhunderts verortete Instrument einer Reihe von unterschiedlichen Musikstilen derart harmonisch zuzuführen, als wäre es von je her ein fixer Bestandteil derer. Dabei trägt er maßgeblich dazu bei, ein fast in Vergessenheit geratenes Instrument wieder publik zu machen, was ihm nicht hoch genug anzurechnen ist. Wer also Lust und Laune hat seinem auditiven System mal etwas gänzlich Neues zu präsentieren, sollte eines der nächsten Konzerte von Matthias Loibner auf keinen Fall verpassen!
Georg Demcisin

 

http://matthias.loibner.net/