mica-Interview mit Bernhard Gál

“Am Klang sein” – Bernhard Gál hat sich ganz der Klangkunst verschrieben. Mit dem mica sprach der Komponist, Installationskünstler und Musikwissenschaftler über Klangkunst, avantgardistische U-Bahn-Sounds und produktive Irritationen zwischen Auge und Ohr. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Was hat dich nach Salzburg verschlagen?
Im Herbst 2009 habe ich beschlossen, doch noch meine musikwissenschaftliche Dissertation zu vollenden, nach zwölfjähriger Pause. Dafür konnte ich Wolfgang Gratzer als Betreuer am Mozarteum Salzburg gewinnen. Das habe ich dann ein Jahr lang von Wien aus betrieben. Doch dann wurde eine Stelle an einem interdisziplinären Doktoratskolleg ausgeschrieben, was für mein Thema einfach sehr passend ist…

Wie lautet das Thema Deiner Dissertation?
Es lautet „Der Raumbegriff in der Klanginstallation“ und geht über die Musik hinaus. Ja, und jetzt sitzen wir zu fünft in einem dreijährigen Kolleg und unterstützen uns gegenseitig. Ich bin dabei der einzige Musikwissenschaftler, die anderen vier kommen aus völlig anderen Disziplinen. Der Überbegriff ist „Kunst und Öffentlichkeit“. Und da dieses Kolleg als fixe Anstellung an der Universität Salzburg organisiert ist, gab es eigentlich, falls ich die Stelle bekomme, nur die Möglichkeit, auch hierher zu ziehen. Und da ich sie bekommen habe, worüber ich sehr glücklich bin, bin ich jetzt auch mit meiner Familie hier.

Und wie fühlt es sich an?
Es beginnt jetzt erst – viel lässt sich also noch nicht sagen. Wie alles, was zum ersten Mal vom Stapel geht, gab es am Anfang einige Probleme, jetzt aber geht es richtig los.

Diese Anstellung lässt sich wahrscheinlich schwer mit Deiner Auftrittstätigkeit vereinbaren, oder?
Ja. Das bedeutet ganz klar, dass ich viel weniger reisen kann und mehr an einen Ort gebunden bin. Ein Grund für die Entscheidung war aber auch meine derzeitige familiäre Situation: Meine Frau und ich haben ein kleines Baby und erwarten gerade das zweite. Daher habe ich auch großes Interesse, eine Zeit lang kürzer zu treten. Es ist jetzt einfach der beste Moment, die Dissertation fertig zu stellen. Wenn nicht jetzt, dann gar nicht mehr.

Das Wort „interdisziplinär“ wird heute geradezu inflationär verwendet, auf Dich und Deine Arbeit trifft es jedoch wirklich zu, und nicht aus einer Mode heraus, sondern aus einer inneren Überzeugung.
Das hat sich bei mir sehr natürlich entwickelt. Dass ich nun mit meinen Projekten sowohl im Bereich der Medienkunst, der Bildenden Kunst wie der zeitgenössischen Musik zuhause bin, hätte ich mir aber vor ein paar Jahren nicht gedacht. Ich bin ja über große Umwege zur Musik gekommen. Aktiv habe ich zwar schon immer Musik gemacht, Klavier gelernt, leider irgendwann abgebrochen und begonnen mich mehr für Rockmusik zu interessieren, eine E-Gitarre angeschafft, später kamen Sequenzer… Und dann stellte sich irgendwann die Frage, was ich studieren sollte. Und da bin ich bei der Ausbildung zum Tonmeister an der Musikhochschule gelandet. Mein Hauptinteresse war es, am Klang zu sein und am Klang zu arbeiten und das hat sich eigentlich auch bis heute nicht geändert. Deshalb dachte ich, mit dem Tonmeister würde ich die Voraussetzungen dafür lernen: wie man richtig aufnimmt, wie man Klang entwickelt. Parallel zu diesem Lehrgang hab ich dann gleichzeitig begonnen Musikwissenschaft zu studieren, mich dabei auf Psychoakustik spezialisiert und meine Diplomarbeit über „Walking Bass“ geschrieben – eine Analyse, wie verschiedene Bassisten die gleiche Passage spielen und worin letztlich der Swing liegt. Nebenbei habe ich als Tontechniker für Theaterproduktionen gearbeitet und dabei gelernt, wie man mit wenigen Mitteln viel erreichen kann. Indem ich lernte, wie sich durch Licht, Musik und Klang Räume entwickeln lassen, habe ich meine Faszination für Räume entwickelt.

Nach dem Studium bekam ich im Zuge des Zivildienstes eine wunderbare Stelle am Leo Baeck Institute in New York. Dieses Jahr in New York 97/98 war eine Schwelle für mich, weil ich einerseits überlegen musste, was ich weiter mache, und andererseits diese klischeebeladene Atmosphäre New Yorks für mich entdeckte. Das hat sehr viel bei mir bewirkt: Ich besuchte viele Konzerte und Ausstellungen und begann in meiner Freizeit, eigene Experimente durchzuführen. Erste Aufführungen und Installationen folgten. Als ich zurückkam, war die Entscheidung, als aktiver Komponist zu arbeiten und zu schauen, ob es sich ausgeht, eigentlich längst gefallen.

Und dann ging es, ohne dass ich Atem holen konnte, wahnsinnig schnell. Schlag auf Schlag: ich lernte bereits in New York Yumi Kori kennen, eine japanische Architektin, mit der ich zusammenzuarbeiten begann. Sie interessierte sich, von der Architektur kommend, sehr für Installation. Und ich interessierte mich sehr für raumbezogenes musikalisches Arbeiten, noch ohne zu wissen, dass dies sehr viel mit Installation zu tun hatte. Das alles fiel in eine Zeit, als ich dachte, dass es noch etwas anderes als Konzerte geben und auch etwas anderes als die herkömmliche Musikerfahrung in Stereo geben müsse, und mich sehr stark mit der Frage beschäftigte, wie man die Klänge, die unser Leben bestimmen, künstlerisch besser verarbeiten könnte.

New York war also eine große Inspiration für Dich?
In einer fremden Stadt erlebt man vieles frischer: Die unterschiedlichen Kulturen und Klänge zogen mich in ihren Bann. Die ersten Monate bin ich einfach viel rum gelaufen mit meinem Dat-Recorder und Mikro und habe vieles aufgenommen, ohne eigentlich zu wissen, was genau daraus entstehen soll. Aber bereits vor dem New York-Jahr gab ich noch in Wien einige kleine Konzerte, etwa im dietheater Künstlerhaus, wo ich einen Sampler einsetzte und eigene Klänge verwendete. In New York sammelte ich viele Stunden an Audiomaterial, und gemeinsam mit Yumi Kori habe ich dann überlegt, wie eine Verwertung dieser Aufnahmen in unserem Sinne aussehen könnte. Und so entstanden die ersten gemeinsamen Installationsprojekte.

Du hast jetzt sehr viel von Klangkunst gesprochen, da drängt sich die Frage auf, ob eine Trennung zwischen Musik und Klangkunst überhaupt existiert? Oder anders gefragt: Ist der Übergang von Musik zur Installation fließend oder gibt es gar keinen? Existiert eine etwaige Trennung zwischen Musik und Klangkunst nur im Kopf des Rezipienten? Ist sie genauso dumm oder überflüssig wie die Trennung zwischen E und U?
Wenn ich bei der nächsten AKM-Abrechnung wieder zu Unrecht runtergestuft werde, bin ich geneigt, die Grenze zwischen E und U als vielleicht gar nicht so sinnlos anzuerkennen, nur dass ich für mich genauso in Anspruch nehme, als E-Musik eingestuft zu werden, und zwar mit allen meinen Werken. Grundsätzlich bin ich also der Ansicht, dass jede Ausformung der zeitgenössischen Musik gleichberechtigt behandelt werden sollte, denn wenn meine Musik etwa auf Ö1 in Zeit-Ton gespielt wird, dann möchte ich dafür auch genau so viel bekommen, wie der liebe Herr Professor und seinesgleichen. Dies sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein!

Aber zu deiner Frage: Für mich gibt es keinen Unterschied. Natürlich spielen in der Klangkunst andere, außermusikalische Ebenen eine Rolle, das aber gibt es auch in der Musik, etwa in der Oper oder im Musiktheater. Für mich ist Klangkunst ein Teil der neuen Musikpraxis. Aber ich weiß auch, dass mir da viele Kollegen vehement widersprechen würden.

Wie kann man sich den Einsatz von Field Recordings bei der Entstehung Deiner Stücke genau vorstellen? Passiert er streng kompositorisch oder gibt es dabei auch improvisatorische Elemente?
Das hängt sehr stark vom Projekt ab. Am Anfang nahm ich auf und wollte damit eine bestimmte Hörsituation klanglich abbilden, sie förmlich aus dem ursprünglichen Kontext heraus schälen. Oder anders gesagt: Ein bestimmtes Klangphänomen wie mit dem Mikroskop verdeutlichen. Eine meiner ersten Arbeiten hieß 68th Street und war nichts anderes als die Aufnahme aus einer U-Bahnstation, an der ich täglich, als ich in New York lebte, ein- und ausstieg. Da nämlich merkte ich, dass die Metro-Cards, wenn sie in der Rush Hour massenhaft durch den dafür vorgesehenen Schlitz gezogen werden, zu einem kontinuierlichen Drone verschmelzen, d.h. die in etwa zwei bis dreisekündigen Töne werden in Summe zu einer kontinuierlichen Schwebung, die zu hören ist, aber tatsächlich nicht gehört wird, weil die Leute diesen Klang entweder ausblenden oder Kopfhörer tragen. Dieses Phänomen nahm ich so lange auf, bis ich eine Passage erhielt, bei der meines Erachtens der beschriebene Effekt besonders gut zum Vorschein kam. Daraus entstand dann das Stück.

Das heißt aber auch, es geht nicht um Originaltreue, sondern um die Repräsentation einer gewissen Stimmung, die wenn nötig auch manipuliert wird?

Sie muss nicht einmal unbedingt verändert werden. Für mich beginnt die Musik beim Hören. Jedes Objekt kann Kunst sein, wenn es so wahrgenommen wird. Diese gesteigerte Wahrnehmung kommt von meinen Tonmeisterohren: Alles, was auf dem Band ist, muss auch als Teil der Aufnahme bewertet werden, ob es nun dazu gehört oder nicht und nur Störgeräusch ist, was wiederum die Frage aufwirft, ab wann etwas überhaupt ein Störgeräusch ist. Das ist eine ästhetische Entscheidung.

Wie kann man sich Deine Live-Auftritte vorstellen?
Live gilt es das zu verarbeiten, was ich im Archiv habe oder an bestehenden Stücken erarbeitet habe.

Bei Dir steht einer Fülle an Werken eine noch viel größere Fülle an Auftritten und Ausstellungen gegenüber. Spiegelt diese unterschiedliche Gewichtung wider, dass sich das Intermediale und Interdisziplinäre auf Tonträger eigentlich wenig bis kaum verwirklichen lässt?  Oder anders gefragt: Für jemanden wie Dich, der der Räumlichkeit von Klang einen so hohen Stellenwert beimisst, muss die CD, die einen räumliche Klang auf ein bestimmtes Format, auf eine genau festgelegte Wahrnehmung komprimiert, doch so etwas wie ein notwendiges Übel sein, dem man sich hin und wieder beugt. Ist das so?
Gute Frage. Manchmal habe ich beim Aufnehmen schon im Kopf, es so aufzunehmen, dass es dann in Stereo auch funktioniert. Wie bei einem Foto, bei dessen Aufnahme man schon den Rahmen mitdenkt. Sehr problematisch aber ist die Dokumentation einer Installation, die sich erst durch die körperliche Bewegung durch den Raum inszeniert, erst durch die Interaktion zum Leben erweckt wird. Das in einer Stereo-Aufnahme zu transportieren, ist schwierig bis unmöglich. Manchmal geht es, wenn es das Material zulässt, weil es musikalisch genug ist. Manchmal geht dies  allerdings nicht, weil die Kombination aus Licht, Video und Sound zu komplex und so wichtig ist, dass, blendet man die anderen Einflüsse aus, der Klang alleine nicht mehr nachvollziehbar oder schlichtweg auch nicht mehr interessant genug ist.

Bei der CD „Installations“ war genau das das Problem, weil es galt, Ausschnitte aus einer Installation herauszulösen, und somit zu entscheiden, welche Ausschnitte für das Medium CD relevant sind. Ich entschied dann, ein Hörbuch draus zu machen, wo die einzelnen Tracks ineinander übergehen, sodass man im besten Fall gar nicht weiß, wann genau das eine Stück endet und das andere anfängt.

Was sich durch alle Deine Arbeiten zieht, ist die langsame Metamorphose, die allmähliche Entwicklung eines bestimmten Klanges. Ganz selten, dass Stakkatos Platz greifen, und wenn dann nur, um die Dynamik von Nähe und Ferne eines bestimmten Klanges abzubilden, nicht aber als Ausdruckselement. Kann man das so sagen?
Ja. Mich interessieren Klangflächen, Texturen und langsame, feine Entwicklungen. Ich glaube nicht, dass ich ein expressiver Musiker bin, der mit eruptiven Ausbrüchen arbeitet. Ich versuche eher lange Räume zu schaffen, die mutieren.

Und wann kam die Faszination für die fernöstliche Kultur ins Spiel?
Das ist eine recht persönliche Sache. Ich war sehr lange mit einer Frau mit taiwanesischen Wurzeln liiert. Durch sie habe ich sehr viel über chinesische und taiwanesische Kultur kennen gelernt. Sie begann auch, über die Plattform Asian Culture Link selbst interkulturelle Projekte zu organisieren, Und ich war von Anfang an mit involviert und habe oft aus Interesse mitgemacht und auch Stücke für chinesische Instrumente geschrieben…

… von denen einige auf deinem aktuellen Album Verwendung fanden.
Richtig. Manche von ihnen blieben lange liegen. Mein allererstes Instrumentalstück, das ich in Form von schwarzen Punkten auf  weißem Papier schrieb, war für chinesische Instrumente und wurde dann auch gleich beim Festival „Hörgänge“ im ehrwürdigen Mozartsaal aufgeführt. Ein Sprung ins kalte Wasser sozusagen – auch weil wohl manche Kollegen nicht erwartet hatten, dass ich „komponieren“ kann. Für mich aber macht es keinen Unterschied, ob man über Noten Musik macht oder einen anderen Zugang sucht, etwa eng mit Musikern und ihren individuellen Instrumentalklängen arbeitet und versucht, von da aus seine Schlüsse bzw. Klänge zu ziehen. Letztlich kommt es drauf an, was man im Kopf und in den Ohren hat.

Der fernöstliche Einfluss erschöpft sich bei Dir nicht nur in der Wahl der eingesetzten Instrumente und der Instrumentalisten.
Genau, es ist die gesamte philosophische Annäherung an Klang und an die eigene Wahrnehmung, die mir liegt. Dennoch ist die aktuelle CD aber eine Mischung aus verschiedenen Ansätzen, weil diese unterschiedlichen Herangehensweisen mich alle gleichberechtigt interessieren.

Die gesprochenen Texte finden sich nicht abgedruckt im Booklet. Warum?
Ganz bewusst deshalb, weil sich sonst jeder Hörer auf die Message der gesprochenen Texte stürzen würde. Es soll jedoch aber der Klang im Vordergrund stehen. Jeder der chinesisch spricht, kann den gesprochenen Text verstehen, weil nichts daran manipuliert wurde, er wurde auch sehr direkt und möglichst ohne Störgeräusche aufgenommen.

Aber wenn man einen speziellen Text auswählt, dann will man doch auch, dass dieser Text wahrgenommen wird, oder nicht?
Ursprünglich ging es bei diesen Sprachaufnahmen, die schon länger zurückliegen und bereits 1998 für meine erste CD „bestimmung new york“ aufgenommen wurden, nicht um die Bedeutung, sondern darum, Begriffe und Phrasen zu finden, die leicht verstanden werden und sehr essenziell sind wie etwa Musik, Klang, Rhythmus, Leben, Zeit, Ich liebe dich… Oder auch: Tausend Mal und immer wieder und niemals das Selbe… Das musikalische Konzept, wonach sich durch die ewige Wiederholung immer wieder etwas Neues ergibt. Wenngleich ich mich nicht als Minimalist bezeichnen würde, ist das doch ein interessantes Konzept der Minimal Music, dass sich nämlich durch die Reduktion immer wieder neue Nuancen ergeben. Die ausgewählten Passagen passten einfach gut zu Titel und Konzept von „Same Difference“. Insgesamt ging es mir aber, insbesondere auf meiner ersten CD, um den spezifischen Klang der genannten großen Begriffe. Jeder hat ein bestimmtes Repertoire an Sprachen, die er versteht. Den Satz „Ich liebe dich“ oder die Zahlen von eins bis fünf versteht man in vielen Sprachen. Es ging mir darum, sich an der Schwelle zwischen Narration und abstraktem Klang zu bewegen.

In Deiner Musik gibt es auch Motive, die immer wieder kehren, eine U-Bahn etwa, die sich nähert und dann wieder entfernt.
Wenn sie gut klingt, dann nehme ich auch die U-Bahn. Die Wiener U-Bahn zum Beispiel finde ich nicht interessant, die in Berlin schon. Die Aussage ist jetzt vielleicht zu stark generalisierend, weil es auch in Wien einzelne Passagen gibt, die interessant sind. Aber generell lässt sich schon sagen, dass mich das Quietschen alter New Yorker U-Bahn-Waggons deutlich mehr interessiert as das weitgehend geräuschlose Dahingleiten der Wiener Waggons. Bei etwas so Brachialem denkt man unweigerlich an die New Yorker Avantgarde und an John Zorn. Tatsächlich sind das ganz ähnliche klangliche Erlebnisse. In Berlin wiederum fuhr ich ziemlich viel mit der dortigen U2 und kam deshalb bald darauf, dass da viele interessante Klänge drin lagen. Die habe ich im Stück „UTOO“ verwendet und Musiker zu dieser Soundscape nach bestimmten Vorgaben improvisieren lassen. Aber dass es eine U-Bahn ist, muss man gar nicht wissen. Für mich ist das nur abstrakt klanglich interessant.

Du hast vorher reuevoll davon gesprochen, frühzeitig die Klavierausbildung abgebrochen zu haben. Eine gewisse Faszination für den Klang des Klaviers ist aber ungebrochen und kehrt auch in Deinen Arbeiten immer wieder.
Ja, das erste Stück auf meiner vorletzten CD „relive“ etwa weist unbearbeitetes Klavier auf, und zwar handelt es um einen Ausschnitt aus meiner Klavierkomposition „88“. Rezensenten, die sich dieses Album nicht wirklich anhörten, schrieben da auch schon, dass ich mit einem Pianisten im Duett improvisieren würde. Das ist deshalb interessant, weil man ja heute auch nicht wissen kann, wie der Klang wirklich erzeugt wird. Tatsächlich ist es eine Solo-Performance von mir am Laptop, die zum Teil aus vorher aufgenommenen Klavierklängen besteht.

Wie genau sieht Dein Plan bei einem Live-Auftritt aus?
Ich habe keinen. Ich gehe ohne Struktur in eine Live-Performance. Das heißt, ich habe meine Klänge, die ich sehr gut kenne, und ich weiß, was sie können und was sie nicht können und welche interessanten Verbindungen und Überlappungen entstehen können. Es entstehen dann aber auch oft genug ungeplant neue Verbindungen und Überlappungen.

Das heißt, Du spielst nicht drei Stücke deiner aktuellen CD, zwei deiner vorherigen und so weiter…

Nein. Bei dem neuen Album ist es so, dass die meisten Stücke auch aufgrund der Instrumentierung sehr schwierig zu realisieren sind. Da müsste ich die taiwanesischen Musiker extra einfliegen lassen. Meines Wissens nach gibt es in Europa auch nur einen guten Mundorgelspieler für zeitgenössische Musik und der ist auch nicht oft verfügbar. Ein Ausweg aus der Misere, diese CD niemals live umsetzen zu können, ist, die Klänge als Ausgangsmaterial für etwas Neues zu nutzen. Bei manchen Stücken geht das besser, bei manchen schlechter, da kann ich die entstandenen Kompositionen nur als Fragmente verwenden. Synthetisch erzeugte Klänge kann ich im Moment nicht mehr hören und will sie deshalb auch nicht verwenden.

Deine letzte Arbeit sei, so habe ich gelesen, „die gelungene Verschmelzung fernöstlicher Einflüsse mit Konzepten zeitgenössischer Musik“. Kann man das überhaut so sagen und wenn ja welche Konzepte wären das?
Das sind große Worte, und ja auch nicht meine. Die Arbeit mit chinesischen Musikern ist tatsächlich – aus der westlichen Perspektive – immer noch Neuland. Asian Culture Link nahm da wirklich eine Vorreiterrolle ein, indem etwa versucht wurde, chinesische Musiker nach Österreich zu bringen, die mit österreichischen Musikern zusammen spielen.
Die Musik, die wir kennen, kann jedenfalls nicht Voraussetzung sein für den Umgang dieser Musiker mit Musik. Gerade in China wird auch zunehmend die eigene musikalische Tradition wiederentdeckt. Das ist ein großes Thema und passiert gerade die letzten zwanzig, dreißig Jahre wieder.

Wie genau funktioniert so eine Zusammenarbeit? Man kommt mit einer klanglichen Vorstellung, trifft auf die Musiker, die aus einem anderen Kulturkreis kommen und eine völlig andere Auffassung haben. Kommt da der Punkt, an dem man vom ursprünglichen Konzept loslassen muss, weil sich durch die Zusammenarbeit eine Eigendynamik entwickelt?
Das war in jedem meiner bisherigen Projekte anders. Das taiwanesische Ensemble China Found Music Workshop etwa begann sich erst durch das bereits beschriebene Austauschprojekt ab 1999 verstärkt für zeitgenössische westliche Musik zu öffnen. Daraufhin haben sie immer mehr gelernt, wie wir Europäer über Musik denken. Auf der anderen Seite kann zum Beispiel der Mundorgelspieler Wu Wei, der schon seit langem in Berlin lebt, praktisch alles spielen, er ist im klassischen Kontext genauso zuhause wie im Jazz oder in der World Music. Das heißt also, man hat jedes Mal ein ganz anderes Gegenüber vor sich, im Guten wie im Schlechten. An einem bestimmten Konzept starr festzuhalten, wäre mir aber ganz grundsätzlich zu kulturimperialistisch, jeder hat seinen persönlichen Hintergrund, kommt aus einem  anderen, sehr individuell durchmischten Kontext. Ich bin immer bemüht, über die ursprünglichen, von Veranstaltern und Kuratoren vorgegebenen Konzeptionen hinauszugehen und nach für mich interessanten Wendungen zu suchen.

Spannend war es auch, etwa in der Komposition „uh-jeh-gal“ chinesische Musiker in einer Live-Situation mit sich selbst zu konfrontieren. Das heißt, sie reagierten im Konzert auf ihre eigenen Klänge, die ich bereits in der Probenphase aufgenommen hatte, und welche ich im Konzert nach bestimmten Vorgaben der Partitur live abrief. Dadurch war das Publikum verwirrt und wusste nicht mehr, was nun live gespielt wurde und was von Band kam. Ich fand das sehr spannend, auf CD aber geht vieles davon verloren, weil es nicht adäquat abgebildet werden kann.

Genau wie bei den Klanginstallationen, wo es immer eine Übersetzungsproblematik gibt, genauso schwierig ist die Vermittlung mittlerweile auch bei vielen meiner Instrumentalkompositionen, weil ich verstärkt versuche, die Kompositionen räumlich zu denken, die Musiker an bestimmten Orten zu platzieren, damit sich klanglich bestimmte Wechselwirkungen ergeben. Es gibt auch einige Instrumentalwerke wie etwa „beshadowed“ von 2002 oder „belit“ von 2004, bei welchen die Musiker hinter Paravents sitzen und man nicht genau weiß, ob ihre Schatten jetzt zum gerade Gespielten passen oder nicht, wo sich also produktive Irritationen zwischen Auge und Ohr ergeben. Auch eine Oper lässt sich selbstverständlich nicht eins zu eins auf CD bannen.

Im Raum zu denken ist visionär noch ausbaufähig, wenn ich dich jetzt richtig verstehe.
Räume waren von Anfang an eine Triebfeder, die CD ein Weg der Vermittlung, für mich aber bei weitem nicht der spannendste. Bei einer DVD ist es ähnlich: Da weiß man ja im vorhinein auch nicht, ob etwa eine quadrophone Aufnahme im jeweiligen Wohnzimmer des Hörers so ankommt wie man sich das wünscht.

Woran arbeitest Du jetzt gerade?
An einer raumbezogenen audiovisuellen Installation für das Planetarium in Judenburg. Es geht darum, die Bewegungen der Planeten akustisch zu verräumlichen, sodass die Planetenbahnen auch klanglich erfahrbar werden. Der Himmel gibt sozusagen die Partitur vor. Der Vorteil einer solchen Installation gegenüber Live-Konzerten ist auch ein ganz pragmatischer: Ich kann mehrere Tage an einem Ort bleiben, lerne die Menschen besser kennen, bekomme Feedback, aus dem sich unter Umständen wieder etwas Neues ergibt. Wirkliches Touren, d.h. jeden Tag an einem anderen Ort zu sein, ist nichts für mich. Außerdem arbeite ich derzeit an der Dokumentation meiner jüngsten Installationsprojekte. Diese soll etwa zwanzig intermediale Werke der letzten sechs Jahre umfassen und in Form eines Katalogbuches, eventuell samt DVD, veröffentlicht werden.

Braucht man eigentlich Vorwissen, um deine Musik zu begreifen?

Hoffentlich nicht. Die Musik sollte im Idealfall einen Sog entwickeln, der den Hörer anspricht, ohne dass dafür irgendeine Art von Vorwissen nötig wäre. Für mich geht es ganz klar darum, dass man kein Manual lesen muss, um mit meiner Musik etwas anfangen zu können.

Und warum dann Vorträge an Universitäten, bevor Du Deine Musik spielst? Widerspricht sich das nicht?
Nein, gar nicht. Diese Vorträge hängen auch nicht unbedingt mit meinen Konzerten zusammen. Da geht es wiederum eher um die dokumentarische Übersetzung einer Installation, die bereits passiert ist, indem ich versuche, ihre Komplexität durch Fotos und einen kurzen, prägnanten Klangauschnitt zu vermitteln.

Siehst Du Dich bei solchen Vorträgen auch ein wenig als Botschafter der Klangkunst?
Auf jeden Fall. Manchmal sind die Institutionen, an denen ich spreche, ja auch ein wenig verkorkst. In Sao Paulo etwa fragte mich einmal ein Professor am Ende meines Vortrages, wer meine Lieblingskomponisten seien. Er wollte natürlich Stockhausen und Boulez hören, vor allem weil dies, wie mir bekannt war, seine eigenen Favoriten waren. Ich gab aber die Beatles und Sonic Youth zur Antwort, was ihn sehr verärgerte, und ihn in gewisser Hinsicht auch vor seinen Studenten bloß stellte. Ich habe diese Antwort dort auch gerade deshalb gegeben, um die bestehenden starren Krusten aufzubrechen. Die Beatles sind für mich ja auch tatsächlich interessanter als Stockhausen, und ich habe von ihnen auch mehr für meine Arbeit gelernt als von Karlheinz.

Vielen Dank für das Gespräch.

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