Im Jahr 2024 hat die aus Litauen stammende Komponistin Juta Pranulytė ihren Lebensmittelpunkt nach Vorarlberg verlegt. Zwar gibt es hier nur wenige Gelegenheiten zum direkten Austausch mit Kolleg:innen, doch das Internet und soziale Medien überbrücken diese Distanzen. Die Künstlerin schätzt die hohe Lebensqualität im Land und die zentrale Lage mit kurzen Wegen nach Deutschland und nach Frankreich.
Spannende aktuelle Projekte in Feldkirch, Berlin und Athen
Die international erfolgreiche Komponistin genießt die enge Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen, Theatermacher:innen oder Musiker:innen. Derzeit ist Juta Pranulytė Stipendiatin bei der „Jungen Akademie der Künste Berlin“. Dies bietet ihr eine willkommene Gelegenheit, Netzwerke zu knüpfen und Kooperationen mit Künstlerinnen aus der ganzen Welt zu initiieren. Im Rahmen ihrer Residenz soll ein Werk für Bassklarinette und Elektronik entstehen.
Im Dezember realisiert die Grazer Cellistin Anna Grenzner im alten Hallenbad in Feldkirch die Performance „A Body to the World“, die akustisch die Verbindungen zwischen dem menschlichen Körper und seiner Umgebung durch Klänge und Worte erforscht. Im Mittelpunkt steht dabei Juta Pranulytės neuestes Werk „Schrei in 15 Szenen“. Es spiegelt unter anderem die Lebenswirklichkeit der jungen Mutter wider, die im Schreien ihres Sohnes, neben all dem Stress, auch ein künstlerisches Interesse an den akustischen Qualitäten des Weinens entdeckt. „Dieses Schreien hat mich sehr, sehr stark bewegt, aber auch beeindruckt. Was für Klänge, Farben, Gesten und Vokaltechniken …“, erzählt Juta Pranulytė.
Für das Schallwende Festival im Herbst 2026 komponiert sie ein Werk für Englischhorn solo. Ein GO-Stipendium des Landes ermöglicht ihr Ende des Jahres eine Residenz beim griechischen Ensemble àktapha. In Zusammenarbeit mit drei weiteren Komponistinnen wird Juta Pranulytė in Athen mit den Ensemblemusiker:innen arbeiten und die Ergebnisse in einem Konzert präsentieren.
Viel Gesang und eine befreiende Aufbruchsstimmung
Juta Pranulytė ist 32 Jahre alt und wuchs in Litauen in einer von Musik, Gesang politischer Spannung geprägten Umgebung auf. Ihre Mutter sei auch Komponistin, erzählt sie, und habe ihre fortschrittliche künstlerische Haltung an sie weitergegeben. Als Kind sei sie auch sehr an den Ideen der Freiheit interessiert gewesen, erzählt sie. Diese Themen seien „in Litauen nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1990 sehr stark geworden und es ist sehr viel interessante Kunst entstanden: Free Jazz, Fluxus, Noise-Art, Aktions-Theater. Meine Mutter war Teil dieser Bewegungen. Es war wie eine große Befreiung nach einer langen künstlerischen Durststrecke.“
Juta Pranulytė ergänzt die Schilderungen mit einer weiteren, persönlichen Erfahrung. Nachdem sie jahrelang eine Gesangsschule für Mädchen besucht habe, die sehr diszipliniert geführt wurde, gab ihr der künstlerische Ausdruck genau jenen Raum, um sich frei zu fühlen, den sie damals dringend benötigte.
Vom Klang ausgehend
Der Klang und die Klangqualitäten stehen im Zentrum ihres Schaffens. „Meine Ideen entstehen in Farben, Texturen und musikalischen Gesten“, erklärt die Komponistin. Beeinflusst wurde sie einerseits durch die litauische Moderne, die stark von der polnischen geprägt war. „Mehr oder weniger sind mir diese Erfahrungen geblieben, auch während meines Studiums in Glasgow. Sie wurden weiter verstärkt, als ich bei meinem Kompositionsprofessor in Graz, dem französischen Komponisten Franck Bedrossian, studierte. Wir haben viel über Klang und Farben besprochen, und das hat mein Interesse dafür noch verstärkt und mein Verständnis vertieft.“
Außerdem vertieften Studien am Institut für Elektronische Musik und Akustik in Graz das Wissen. Sie halfen der Künstlerin, Schallereignisse im akustischen Sinne zu verstehen und rückten die Faszination für die Dekonstruktion von Klängen in den Fokus. Das habe ihre Musik stark beeinflusst und zu einigen Kompositionen motiviert, wie „Harmonic Island“, „Still“ oder „Meow-mouth“, so die Komponistin. „Meow-mouth“ wurde im Rahmen des Festivals Texte & Töne 2024 in Dornbirn uraufgeführt.
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Die Körperlichkeit der Musik
Wenn Juta Pranulytė von ihrer Musik spricht, vermittelt sie eine fast greifbare Körperlichkeit. Die Art, wie sie persönlich diese empfindet, beschreibt die Künstlerin aus mehreren Perspektiven: „Die Körperlichkeit eines Klanges beschreibt eine physische Aktion und den Aufwand, der hinter der Tonerzeugung steht. Aber auch die akustischen Eigenschaften, die die Klangfarbe ausmachen, werden damit angesprochen. Und weiters der Raum, in dem der Klang entsteht, das Instrument selbst, wie der Klang erzeugt wird, und wie er resoniert. Zudem beinhaltet diese auch den Raum, in den ein Klang projiziert wird, etwa ein trockenes Studio oder eine kompliziert gebaute Architektur. Spannend ist auch, wie der Klang mit dem Raum interagiert. Wird er verstärkt, versteckt oder zerbrochen?“
Die Innensicht nach außen tragen
Weil Juta Pranulytė mit Gesang aufgewachsen ist, spielt die menschliche Stimme in zahlreichen ihrer Werke eine bedeutende Rolle. Immer wieder versucht sie, neue Inspirationen und Aspekte der Stimme zu finden, um die Stimme als akustisches Phänomen in ungewohnte Kontexte zu stellen. Hierzu arbeitete sie beispielsweise für das Werk „still“ mit elektroakustischen Mitteln und unterzog Lautäußerungen einer Formantanalyse, um daraus neue Tonmaterialien zu generieren. „Für jedes Stück muss ich, wie alle anderen Komponistinnen nach dem Fall der Tonalität, eine eigene harmonische Sprache erfinden. In letzter Zeit lasse ich mich oft von akustischen Phänomenen inspirieren“, erklärt sie ihre Intentionen.
Offene Ohren für Gesellschaftskritik
Zahlreiche ihrer Werke beinhalten auch gesellschaftliche und gesellschaftskritische Aspekte. In der Kammeroper „Physical Education“ etwa thematisiert sie die Körperkultur. 2017 arbeitete sie im Rahmen eines Community-Art-Projects mit Obdachlosen in Vilnius, hat Workshops geleitet, Aufnahmen gemacht und die Komposition daraus geschaffen.
Ende Oktober brachte das Ensemble Modern in Frankfurt Juta Pranulytės Kammeroper „Schwarzes Licht“ zur Uraufführung. Sie basiert auf Interviews mit Menschen, die mehrfach umgezogen sind, und erzählt von ihren Gefühlen während der Migration und der Suche nach einem neuen Zuhause. Auch sie selbst sei schon oft umgezogen. „Immer wieder neue Orte, Menschen, Sprache, Kultur, Infrastruktur, Werte, Kultur. Alles beginnt ständig von Neuem.“
Silvia Thurner
Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im Dezember 2025 erschienen.
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Termin:
Mittwoch, 10. Dezember 2025, 19:30 Uhr
Altes Hallenbad Feldkirch
„a body to the world“ Konzert für Violoncello und Live Elektronik
Werke von Juty Pranulytė, Wolfram Schurig, Henry Ajax und Gerard Erruz
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Link
Juta Pranulytė
Juta Pranulytė (music austria Musikdatenbank)
