tanzmaschinen – Die Musik spielt zum Tanz der Landmaschinen

Groß angelegte Laienspiele und Musiktheater in Ruinen, Steinbrüchen oder an landschaftlich exponierten Orten nehmen im Gesamtschaffen des Vorarlberger Komponisten einen wichtigen Stellenwert ein. Sein neuestes Projekt nennt sich “tanzmaschinen” und bringt Landmaschinen und Blasmusik in einen nicht alltäglichen künstlerischen Dialog zueinander.

Den Alltag in künstlerischen Ideen fassen

 

Große Erfolge feierte Gerold Amann in den vergangenen Jahrzehnten mit Musiktheaterproduktionen wie “Goggalori”, “Spektakel”, “Apokalypse” und zuletzt “Formicula” in der Burgruine Jagdberg bei Schlins in Vorarlberg. “Irgendwie wollte ich nie Neue Musik machen, sondern Volksmusik anders definieren”, lautet ein Grundsatz des Komponisten. Diesem bleibt er in allen seinen Kompositionen treu, denn er setzt mit Vorliebe jene Dinge in Musik, die uns im alltäglichen Leben umgeben und von der Natur gegeben sind. Gerold Amanns Aufmerksamkeit und Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, egal ob im “Malta-Kista-Marsch” oder dem Rosenkranzbeten im “Goggalori”, in musikalischen Vorgängen, die für die “Apokalypse” aus Proportionen entwickelt worden sind, oder in vielen musikalisch gestalteten Bewegungsvorgängen in “Formicula”. Im Dornbirner Steinbruch bot er in “Triungulus” den Baggern einen Balzplatz.

“tanzmaschinen”

 

Derzeit läuft eine Produktion in Bezau im Bregenzerwald, wo Traktoren und vielerlei Landmaschinen zu Amanns Musik, die von drei Blasmusikkapellen gespielt wird, tanzen. Anlass für dieses außergewöhnliche Spektakel ist die 180-Jahr Feier der Bürgermusik Bezau, bei der auch die Vereine der Nachbargemeinden Bizau und Reuthe mitwirken.
Gerold Amann geht in seinem Konzept, das er speziell für das Musikjubiläum erarbeitet hat, von den vier allseits bekannten Märschen “Military Escort”, “Kaiserjägermarsch”, dem “Simson-Marsch” und dem “Deutschmeister Regimentsmarsch” aus und bezieht auch den Prozessionsmarsch “Gottesfrieden” mit ein. Teile aus diesen Musikstücken hat er neu kombiniert und angeordnet, Stimmen sortiert und in andere Lagen transponiert. Damit wurden musikalische Veränderungen geschaffen, die als Freiluftmusik unterschiedliche atmosphärische Stimmungen erzeugen. “Märsche sind Freiluftmusiken und beziehen die Bewegung mit ein”, erklärt der Komponist.

Die ungewöhnlichen und originellen Kombinationen einzelner Abschnitte oder Stimmen, die Gerold Amann mit dem für ihn so typischen Humor verarbeitet hat, ergeben eine neue Sichtweise auf eine altbekannte Musik und ermöglichen gleichzeitig einige Anspielungen und Querverweise. Auf die Frage, was ihn an der Collagetechnik reizt, antwortet der Komponist mit einem Augenzwinkern. “Das liegt wohl an der Eigenart der Persiflage, die hier mitspielt. Außerdem ist es üblich geworden, sich bei allen Stilen effekthascherisch zu bedienen.”

 

Die Tänzerin Ursula Sabatin erarbeitet eine Choreografie für die Aktionen der landwirtschaftlichen Maschinen. Neben den etwa hundertzwanzig MusikantInnen wirken als Protagonisten fünfundzwanzig Landwirte mit ihren Geräten, Maschinen und Fahrzeugen mit. Auftreten werden neue und alte Traktoren, Kreisler, Transportmaschinen, Jauchekarren und viele andere. Die Maschinen sind so individuell und vielseitig wie die mitwirkenden Menschen selbst.

 

Landschaft als Kulisse

 

Der Jolerbühel, ein Parkplatz sowie die umliegenden Wege dienen als Kulisse für die Performance. “Wir haben zuerst versucht, Verbindungslinien zwischen den Orten zu finden. Die Wege werden so gut wie möglich genutzt, denn die Maschinen stehen nicht an einem bestimmten Ort, das Herkommen und Wegfahren ist wichtig. Die Bewegungsverläufe sind über die Wege deutlich vorgegeben”, erläutert die Ursula Sabatin ihre Ausgangsgedanken und Gerold Amann präzisiert: “Die Musik ist so konzipiert, dass möglichst viele Orte als Klangquelle ausgenutzt werden. Die verschiedenen Möglichkeiten der Schallquellen, beispielsweise fern und nah, dumpf und hell, große und kleine Gruppen, werden berücksichtigt. In dieser Art sind die einzelnen Musikstücke angelegt.”

 

Marschmusik beinhaltet Pomp und Trauer

 

Norbert Mayer hat einen amüsanten Text verfasst, doch die Handlung der Performance “tanzmaschinen” folgt nicht einem konkreten Inhalt. Vielmehr werden in verschiedenen Abschnitten atmosphärische Stimmungen erzeugt. “Die Charaktere der einzelnen Stücke pendeln zwischen gespenstisch und maschinell. Ich wollte nicht aus allem eine Blödelei machen, deshalb kommen auch Hinweise vor, die ernst gemeint sind. Beispielsweise klingt ein Marsch mit dem Lied ,Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod, bald wird die Trompete blasen, dann muss ich mein Leben lassen und so mancher Kamerad’ aus. In einer anderen Passage marschieren ,Kaiserjägerzombies’ hinter einer Böschung den Weg entlang. Hier kommt uns die Landschaft als einzigartiges Bühnenbild sehr entgegen. Auch die Aktionen vom Jolerbühel herunter haben eine eigene bühnenbildnerische Qualität”, so der Komponist.

 

Spielwiese für Maschinen und ihre Fahrer

 

Bereits Ende April hat ein Casting der teilnehmenden landwirtschaftlichen Maschinen stattgefunden. Fünfundzwanzig Landwirte haben ihre Maschinen vorgeführt. Allein der Unterhaltungswert dieses Teils war sehr groß, denn die ausgewachsenen Männer wurden durch ihre Maschinen zu Kindern. Kreativ und mit allergrößter Einsatzfreude holten sie außergewöhnliche Bewegungen aus den Maschinen und vollführten wahre Kunststücke. Aus einem angefertigten Video dieser Vorführung haben Gerold Amann und Ursula Sabatin die Bewegungsabläufe für die “tanzmaschinen” zusammen gestellt. “Die Fantasie spielt dort mit, wo es um die Art und Weise geht, wie die Maschinen eingesetzt werden”, betont die Choreografin. “Die Maschinen haben für sich ein Eigenleben, das muss man nicht erst erzeugen. Das Spektakuläre ist schon von vornherein da. Ob das spielerisch ist oder kämpferisch, entwickelt sich aus den Möglichkeiten. Die Vorgabe ist das, was die Maschinen und die Fahrer machen können. Wir wollen nichts darüber stülpen, teilweise wirken die Maschinen filigran und tänzerisch. Gleichzeitig sind sie aber auch wilde Tiere, die etwas transportieren oder durch die Gegend rauschen.”

 

Maschinen und Musikanten sind gleichberechtigte Partner

 

Die Maschinen und die Musik sind bei diesem Projekt gleichberechtigte Partner. Maschinengeräusche bergen große musikalische Qualitäten in sich, die gerade in “tanzmaschinen” hervor gekehrt werden. Gerold Amann führt Beispiele an. “Wir fangen nicht mit einer Fanfare, sondern selbstverständlich mit einem Hupkonzert an”, erklärt er. Dann kommen weitere spezielle Sachen dazu, wie z.B. Motorsägen beim ,Military Escort’. Beim Aufmarsch spielen drei Schlagzeugergruppen ihre eigenen Parts, gefolgt von den Maschinen. Da ist einkalkuliert, dass das Maschinenbrummen und die Rhythmen zusammen wachsen.”

 

Musikalischer Tanzmaschinenbauer

 

Einzelne Märsche nehmen Bezug auf Maschinen. Das ist kein Zufall, denn Gerold Amann wollte damit auch zum Ausdruck bringen, dass er die Märsche quasi wie ein Handwerker auseinander montiert und wieder zusammen gebaut hat, nur eben teilweise nicht in der überlieferten Art, sondern absichtlich auch in ungewöhnlichen Kombinationen oder wie zum Fleckerlteppich arrangiert. Das Ergebnis birgt mitunter überraschend moderne Klangqualitäten in sich.
Der einfache Aufbau des Marsches “Military Escort” legte eine Bearbeitung für alte landwirtschaftliche Geräte und Milchbehälter nahe. So musizieren zum Stück “Milky Mary” die Musikanten auf Milchbutten und Käseharfe, rhythmisch unterstützt vom Wetzen der Sensen.
Norbert Mayer ergänzt mit seinem Text das Geschehen am Boden ideal, denn er liest von der Gondel der Seilbahn aus, quasi als “Deus ex machina”.

 

Etwas Originäres schaffen

 

Im Zentrum aller Produktionen, die Gerold Amann in dieser Art konzipiert hat, steht der Leitgedanke, dass Laien unter professioneller Anleitung zu einem gemeinsamen künstlerischen Projekt zusammen geführt werden. Überzeugt davon, dass Laien vor allem gute Gruppenleistungen bringen können, stellt der Komponist dem Profitheater eine alternative Spielart zur Seite. Gruppen – und nicht Einzelpersonen und Hauptdarsteller – sind in allen Produktionen die Hauptakteure. “Laientheater, das nach den gleichen Regeln wie Profitheater funktioniert, ist das schlechtere Profitheater. Ich möchte aber ein anderes Theater schaffen und nicht ,nur’ ein schlechteres Profitheater.” Aus diesem Gedanken heraus entwickelte Gerold Amann bislang stets maßgeschneiderte Werke und kreierte sowohl in künstlerischer als auch in soziokultureller Hinsicht etwas Originäres. Die zu einem wesentlichen Teil aus der Bevölkerung heraus entwickelten und von unzähligen Beteiligten getragenen Aufführungen, noch dazu auf einem derart hohen künstlerischen Niveau, sind einzigartig.

 

Silvia Thurner

 

Factbox:
Samstag, 25. Juli “tanzmaschinen”. Bezau, Jolerbühel, Talstation der Bergbahnen Bezau, Vorarlberg  21:30 Uhr.
In: Kultur. Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft. Dornbirn, Ausgaben April sowie Juli/August 2009.