Vorgestern in Wien, gestern noch in Berlin und heute schon in Göteborg. EDNA MILLION ist schwer greifbar und Reisen ihre Passion. Aber auch ihre Musik, scheint es, ist für Musikjournalist:innen schwer in Worte zu fassen. Was ist es, das die 22-jährige mit dem tiefen Timbre in der Stimme und der räudig angeschlagenen Gitarre da macht? Folk? Oder doch Punk? Der Tom Waits-Vergleich ließ nicht lange auf sich warten, und tatsächlich sind ihre Texte ähnlich bildhaft schräg wie die des Altmeisters, sie handeln von bellenden Hunden und Männer, die sich in U-Bahn-Stationen rasieren, aber auch vom Reisen und von den Idolen, die einem den Weg weisen. Markus Deisenberger erwischte EDNA MILLION in Göteborg, um mit ihr über Patti Smith, Susan Sontag und das Schöne im Beiläufigen zu sprechen.
Wo erwische ich dich gerade?
Edna Million: In Göteborg, wo ich ein Erasmus-Jahr absolviere.
Was studierst du?
Edna Million: Historische Linguistik, aber hier mache ich andere Sachen, weil es das nicht gibt. Skandinavischen Film und skandinavisches Design.
Auch nicht schlecht.
Edna Million: Nein, sogar besser.
Ist die historische Linguistik dein Plan A?
Edna Million: Nein, Plan A ist die Musik und eigentlich auch der einzige Plan.
Wieso dann überhaupt studieren?
Edna Million: Aus Interesse und um verschiedene Dinge kennenzulernen und Einflüsse zu haben.
Du reist viel und gerne. Von Wien nach Berlin, von Berlin nach Göteborg. Auch deine Songs sind Reisen, an seltsame Orte mitunter. Würdest du es auch so sehen?
Edna Million: Ja, absolut. Manchmal sind es auch nur gedankliche Reisen, aber das, was ich mache, ist schon auch davon beeinflusst, dass ich selber oft den Ort wechsle.
Beeinflussen die Orte, an denen du bist, auch dein Schreiben?
Edna Million: Ja, sicher, weil es an unterschiedlichen Orten verschiedene Stimmungen und andere, neue Situationen gibt, die festgehalten werden wollen.
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Es gibt im Leben von Künstler:innen immer so ein, zwei Dinge, die dafür verantwortlich waren, dass man es endgültig mit der Kunst versuchen, es wissen will. Ein Live-Konzert, eine Platte, die das Leben verändert. Oder jemand, der etwas in einem gesehen und einen bestärkt hat. Was war es bei dir?
Edna Million: Bei mir war es das Kennenlernen von Patti Smith mit Fünfzehn. Ich habe dann alle ihre Bücher gelesen, alle Platten gehört, und plötzlich gemerkt: Ich will das auch machen. Ich will auch solche Sachen sagen. Die Kraft, die sie ausstrahlt, hat mir die Kraft gegeben, zu sagen: Ich probier´s. Patti Smith war die zentrale Figur, um den Mut aufzubringen, es zu probieren.
Ich fand das Interessante an ihren Büchern diese vermeintliche Beiläufigkeit. Sie schafft es, über das Erlebte mit einer so großen Selbstverständlichkeit zu schreiben, dass es sich anfühlt, als würde sie es einem an der Bar erzählen. Eine Abfolge von Anekdoten wird so zum kunstvollen Ganzen. Dafür braucht es großes Können. Geht es dir da ähnlich?
Edna Million: Auf jeden Fall. Ich mochte “Just Kids”, aber auch die kürzeren Bücher, bei denen man tatsächlich das Gefühl hat, sie wandelt allein durch eine Stadt und lässt dich daran teilhaben. Für mich war das auch deshalb so wichtig, weil es für mich etwas geöffnet hat und den Wunsch in mir reifen ließ: So will ich auch durch die Welt gehen! So will ich sie auch beobachten, um das Schöne im Beiläufigen kennenzulernen!
Bei Patti Smith geht es immer auch um die Kunst anderer Künstler:innen, die sie beeinflusst haben und denen sie huldigt: Bob Dylan, Arthur Rimbaud, Lou Reed. Sie besucht in den Büchern auch so manches Grab ihrer Helden, u.a. das von Rimbaud, wenn ich mich recht erinnere.
Edna Million: Sie besucht grundsätzlich gerne Gräber, auch das von Rimbaud, ja.
Machst du das auch? Gräber besuchen?
Edna Million: Ab und zu, ja. Das Grab von Susan Sonntag habe ich in Paris besucht. Das war sehr schön. Zum Glück leben die meisten meiner Idole aber noch.
Wieso Susan Sontag?
Edna Million: Ich habe ihre Tagebücher gelesen, und das hat mich an Patti Smith erinnert. Das ist zwar auch fragwürdig, weil sie nicht wollte, dass sie veröffentlich werden, aber die Bücher enthalten spannende Abfolgen, Listen und ich hatte dadurch irgendwann das Gefühl, sie gut zu kennen. Dann wollte ich sie einfach besuchen.
Bei mir hat sich beim Hören deiner Musik schon nach ein paar Takten ein tiefes Verständnis dafür eingestellt, was du da machst. Ich habe mich sozusagen gleich zu Hause gefühlt. Nun bin ich aber genau dreißig Jahre älter als du. Was sagt das über dich aus? In welchen alten Schachteln mit sepiafarbenen Fotografien und zerkratzten Platten vergräbst du dich?
Edna Million: Die Musik, an der ich mich orientiere, die ich selber gerne höre, das sind Dinge, die zeitlos sind. Werke, die blieben. Aber natürlich kann man die einordnen, und das alles stammt aus einer Zeit, die man heute als “Damals” bezeichnet. Meine Vorbilder sind Patti Smith, Tom Waits und PJ Harvey. Was mir daran so gut gefällt ist, dass die Musik ein direkter Zugang zum Selbst ist. Unpoliert und ungefiltert, aber irgendwie natürlich teilweise auch konstruiert. D.h. manchmal erzählt die Musik auch keine echten Geschehnisse. Was mich daran anspricht, ist der Mut, dass es nicht perfekt ist. Das hat mir auch den Mut gegeben, selber mit der Musik anzufangen, weil ich plötzlich nicht mehr den Anspruch hatte, etwas zu machen, was perfekt sein muss.
Wie nah ist Edna Million dran an dir? Ist das eine Kunstfigur oder bis das 1:1 du?
Edna Million: Es wechselt sich ab. Es ist schon angenehm, sich hinter der Kunstfigur verstecken zu können und beeinflussen zu können, was diese Kunstfigur ausmacht. Bei sich selbst kann man das nicht so gut. Aber natürlich ist auch sehr viel von mir selbst dabei.

Ende 2022 erschien schon eine EP von dir. Das aktuelle Album enthält nun drei Nummern, die schon auf dieser EP waren. Das Bemerkenswerte daran ist: Sie wurden nicht – wie sonst oft im Pop üblich – fetter produziert bzw. mit Lack zugekleistert und so “kaputtrenoviert”, sondern im Gegenteil noch purer gebracht. War dieses Bekenntnis zum Purismus eine bewusste Entscheidung?
Edna Million: Ja. Von mir war es zu 100% Absicht. Ich wollte die Lieder zwar schon verändern. Außer einem Song sind sie schon stark verändert, aber ich wollte sie in erste Linie anpassen daran, wie ich mich jetzt fühle, weil diese Lieder mich schon so lange begleiten. Sie kamen schon vor einem Jahr raus, geschrieben wurden sie noch früher. Ich wollte sie mehr so machen, wie ich sie jetzt machen würde. Das von dir angesprochene Pure ist etwas, das mir sehr wichtig ist, weil ich will, dass es klingt, wie es gemeint ist. Und ich habe auch das große Glück, von Leuten umgeben zu sein, die auch glauben, dass es so passt.
Du meinst das Team der Medienmanufaktur. Wie kamst du zu ihnen? Haben sie sich nach deinem umjubelten Konzert in der Karlskirche letzten Sommer beim Popfest bei dir gemeldet?
Edna Million: Nein, tatsächlich schon davor. 2022 hat mich Stephanie Krön für “Musik am Fluss” engagiert. Im Anschluss an das Konzert haben wir uns unglaublich gut verstanden und es war schnell klar, dass es über das Konzert hinaus zu einer Zusammenarbeit kommen wird. Uns war beiden einfach schnell bewusst: Das passt.
„Ich habe kein Bedürfnis eine perfekte Band aufzustellen […]“
Wenn wir schon über die bewusste Entscheidung zum Purismus reden: Ist es auch eine bewusste Entscheidung, allein an der Gitarre zu bleiben, d.h. sich keine Backing-Band zu suchen?
Edna Million: Jein. Die bewusste Entscheidung ist eher, dass es sich echt anfühlt. Ich würde nie ausschließen, dass noch andere Instrumente oder Leute dazukommen. Aber ich will sie nicht suchen, sondern finden. Ich habe kein Bedürfnis eine perfekte Band aufzustellen, weil es sein muss. Ich will es dann machen, wenn es sich richtig anfühlt oder reinpasst.
Die Schwelle, die man auf der Bühne überschreiten muss, ist halt allein eine ungleich größere. Eine Band kann einem schon den Rücken stärken.
Edna Million: Sicher, aber ich finde auch spannend und interessant, dass es so intensiv ist und man sich nicht verstecken kann.
Stimmt das, dass du vor noch nicht allzu langer Zeit auf der Hochzeit deiner Eltern gespielt und dabei entdeckt hast, dass es live funktioniert?
Edna Million: Ja, das stimmt. Das war das erste Mal, dass ich vor Leuten gesungen habe, und es war nicht als Spaß gemeint, sondern eher als süße Gesangseinlage. Es hat angeblich allen gefallen.
Deine Musik klingt nach vielem, nur nicht nach süßer Gesangseinlage.
Edna Million: [lacht] Das habe wahrscheinlich auch nur ich so wahrgenommen. Aber ich habe damals keine eigenen Nummern gespielt, sondern Pop-Songs gecovert.
Wie hast du deine Stimme entdeckt?
Edna Million: Ich kann gar nicht sagen, dass ich sie entdeckt hätte. Ich habe immer schon gerne gesungen., Als Jugendliche wurde ich immer drauf angesprochen, dass meine Stimme tief ist. D.h. es war mir schon klar, dass meine Stimme anders klingt als viele andere. Aber es war irgendwann da und es war kein besonderer Moment, an dem das klar wurde.
Würdest du deinen Auftritt im Rahmen des Popfests in der Karlskirche
als Durchbruchs-Moment bezeichnen?
Edna Million: Ja, auf jeden Fall. Ich habe das immer noch nicht ganz verarbeitet. Ich bin in Wien aufgewachsen. Die Karlskirche war für mich immer ein großer, ein besonderer Ort. Dann noch am Popfest, das ich Jahre lang selber besucht habe. Plötzlich engagieren mich die, so viele Leute kommen. Das war schon unglaublich.
Stimmt es, dass du „Actress Out Of Line“ schnell noch fertiggeschrieben hast fürs Vor-dem-Altar-Sitzen?
Edna Million: Eher schnell noch fertiggestellt, geschrieben wars schon Ende April.
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Worum geht es in diesem Song?
Edna Million: Um Vorbilder. Ich halte mich sehr gerne an andere Leute, die ich gut finde. Und es ist ein sehr beruhigendes Gefühl, wenn man sich an Büchern, natürlich aber auch an Musik orientieren kann. Das habe ich auch schon immer gemacht, und ich wollte festhalten, wie sich das anfühlt.
Dein Album ist keine Ansammlung von Songs, sondern – und das ist heute gar nicht mehr so verbreitet – ein funktionierendes Album, das man durchhören und als Gesamtkunstwerk genießen kann. Würdest du dich auch als Album-Menschen bezeichnen?
Edna Million: Auf jeden Fall, ja. Es ist selten, dass ich ein Lied höre und das war´s dann. Wenn ich einen Song finde, der mir gefällt, dann will ich in der Regel auch wissen, was sonst noch dazu gehört.
Viele hören heute anders, nämlich nach Moods, nach Stimmungen also. Wenn man schon nach solchen Moods geht: Wie würdest du denn Mood deines Albums beschreiben?
Edna Million: Es wird immer als düster beschrieben. Ich höre das gar nicht. Intensiv vielleicht, aber das ist auch kein Mood. Selber, d.h. wenn man sie spielt, nimmt man die Musik anders wahr als wenn man sie hört. Wir würdest du die Musik beschreiben?
Gar nicht düster. Sondern als pure Geschichten, die einem ehrlich und direkt erzählt werden. Vielleicht ein bisschen aus der Zeit gefallen, was ich aber als sehr angenehm empfinde. Aber wenn Journalisten ratlos sind, wenn sie dich nicht gleich in eine Schublade stecken können, ist das immer ein gutes Zeichen. Bist du mit dem Album, wie es geworden ist, glücklich?
Edna Million: Extrem. Ich bin sehr stolz drauf, muss ich ehrlich sagen.
Was ist der weitere Plan?
Edna Million: Im April ist das Release-Konzert im Porgy. Im Sommer gibt es einige Konzerte und natürlich weiterschreiben, weiter Lieder machen.
Das Dilemma, wenn man ein Album präsentiert, ist oft, dass man mit dem Kopf eigentlich schon ganz woanders ist, weil sich seit der Finalisierung die Welt weitergedreht hat. Wo bist du mit dem Kopf gerade?
Edna Million: Gute Frage. Nachdem das Album aufgenommen war, war da kurz so eine Angst da, ob ich vielleicht schon alles gesagt habe. D.h. es beschlich mich die Angst, dass alles gesagt sei und unter Umständen nichts mehr kommen würde. Aber es entwickelt sich automatisch, dass du die Gitarre wieder aufnimmst und etwas ganz anderes machst. Ich bin jetzt freier, etwas Neues, ganz anderes anzufangen, weil das Album abgeschlossen ist. Ich kann mich auf neue Stimmungen einlassen und stelle mir die Frage, ob das, was ich jetzt mache, auch zum Rest passt oder anders aufgebaut sein sollte, einfach nicht mehr. Ich habe gerade viele halbe Lieder, die nicht zusammenpassen, im Kopf.
Was macht man dann? Versucht man, die halben miteinander zu verbinden?
Edna Million: Das oder man wartet bis eines ganz wird und hoffentlich geht das irgendwann auf.
Inwiefern ist das, was du jetzt machst, ganz anders als die Songs auf dem Album?
Edna Million: Noch mutiger, weniger angepasst an Hörgewohnheiten, weniger brav auf Strophe, Bridge und Refrain getrimmt. Das ist zwar eh nicht bei allen Liedern so und ich mag das ja auch, aber ich habe gemerkt, dass es mir großen Spaß macht, wenn ich mich nicht an Aufbauregeln halte.
D.h. wenn du das Songformat sprengen kannst.
Edna Million: Genau, ja.
Wie kommen die Geschichten zu dir? Gibt es inspirierende Momente, die dich dazu bewegen zu schreiben?
Edna Million: Es ist schon ein Hinsetzen und Nachdenken bei mir. Das, was viere andere beschreiben: Sie sind in der Straßenbahn und plötzlich kommt ihnen ein Gedanke – das hab´ ich nicht. Ist mir noch nie passiert. Bei mir ist es ein Nachdenken. Oft schnappe ich ein Wort auf und mir gefällt die Stimmung, die es in mir auslöst. Oft beginnt es mit einem Ort, ein Flughafen etwa, und dann ist es wie eine Bühne, auf der Dinge passieren und sich Situationen ergeben…
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
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Edna Million live
4.4. Porgy & Bess, Wien
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Links:
Edna Million (Instagram)
Edna Million (Medienmanufaktur)
