Neben unzähligen Konzerten mit vielen Highlights und Neuentdeckungen fanden beim diesjährigen Popfest auch wieder die Popfest-Sessions im neuen Wien Museum statt. Am Freitag, den 26.07.2024, versammelten sich Peter Hein (FEHLFARBEN), Leni Ulrich (BIPOLAR FEMININ), Anda Morts sowie Andrea Sailer (LEBER) rund um die Moderatorin Alexandra Augustin (RADIO Ö1) zum Talk „Punk. Nichts gelernt“.
Jeder kennt sie sicher noch aus der Schulzeit: die Typen, die völlig unvorbereitet und blank vor der Klasse stehen müssen und befragt werden. Doch anstatt mit gesenktem Kopf und voller Scham ihre Niederlage einzugestehen, nutzen sie den Moment – zur Belustigung der ganzen Klasse –, um eine dumme Antwort nach der anderen zu geben und am Ende als Sieger der Herzen hervorzugehen. Manchmal ist es genau dieses Ereignis, das noch lange in Erinnerung bleibt und bei späteren Klassentreffen auch Jahre später wieder aufgewärmt wird.Und genau dieses „aus (fast) nichts etwas machen“ ist es, was Punk zu einem großen Teil ausmacht. In einer Gesellschaft, die ständig im Überfluss lebt und stark materiell orientiert ist, ist es nicht verwunderlich, dass Punkmusik als Form einer Gegenkultur so gut wie nie „out“ ist und gerade wieder eine neue Blüte erlebt (Salò, Leftovers, Anda Morts …).
Und so beziehen sich auch die Antworten auf die Frage, was Punk für die Anwesenden individuell bedeutet, eher auf ein Lebensgefühl, eine Haltung, als darauf, wie Musik klingen muss, um Punk zu sein. Andrea Sailer (Leber) ist selbst Lehrerin, hat ihre Band aber erst im vergangenen November mit Freund gegründet, um die herbstliche Unzufriedenheit zu vertreiben. Ihre Instrumente spielen alle erst seit wenigen Monaten, aber schon in diesem Jahr spielen und brüllen sie sich die negativen Erfahrungen ihrer patriarchalisch geprägten Jugendjahre frei von der Leber weg. Und das bemerkenswerterweise auf zahlreichen bekannten Festivals. Punk sei ein Motivator, etwas zu tun, wenn sonst nichts da ist, sagt der Linzer Punkmusiker Anda Morts, der standesgemäß noch etwas lädiert vom vorabendlichen Konzert auf der Popfest Hauptbühne zum Talk gekommen ist.
Was Punk für Peter Hein bedeutet, das habe er leider vergessen. Es sei zu lange her. Eine authentische Antwort des Düsseldorfer Punk-Pioniers, der mit seiner Band Fehlfarben seit Ende der 70er-Jahre den deutschen Punk entscheidend mitgeprägt hat. Auf die anschließende Frage, was er denn im Laufe seiner Karriere alles gelernt habe, erwiderte er, dass er mittlerweile beim Soundcheck nicht mehr so viel brülle und auch nur noch alle paar Jahre so viel trinke, dass er das anschließende Konzert nicht abbrechen muss. „… weil mich die Band nach Hause schickt …“ (lacht).
„Gestern – goa nix gmacht! Nur dahoam, den ganzen Tag – an einem Donnerstag…”
Und so berichteten die Teilnehmer:innen nach einer kurzen Vorstellungsrunde von ihrem nicht immer geradlinig verlaufenden Bildungsweg, um nach einigen Jahren des Ausprobierens und Abbrechens zu der Erkenntnis zu gelangen, dass eine mangelnde bzw. unfertige Ausbildung zwangsläufig zu sehr viel und meist schlecht bezahlter Lohnarbeit führt.
So scheint einzig und allein die Musikbranche ein mögliches Arbeitsfeld zu sein, in dem der Müßiggang, insofern er authentisch dargestellt wird, zu etwas Ruhm und vielleicht sogar zu etwas Geld führen kann. Das bestätigte Leni Ulrich damit, dass sie „zum Beispiel gestern – goa nix gmacht [hat]. Nur dahoam – den ganzen Tag – an einem Donnerstag“. Dies sei nach Jahren der anstrengenden Lohnarbeit in unterschiedlichen Ausbildungsberufen ein sichtlich genossener Luxus.
Schlussendlich sei hier noch die Künstlerabteilung des AMS mit dem Namen „Team 4“ empfohlen. So könne man, sagt Leni Ulrich, mal eine Zeit lang an der künstlerischen Karriere basteln – ohne sich nebenbei für Jobs bewerben zu müssen, die man eh nicht machen möchte. Ja, so eine Einrichtung sollte es auch mal außerhalb von Wien geben, sagt die Sängerin und Songschreiberin aus Ebensee. Also doch noch was gelernt. Vielen Dank, Leni Ulrich – Siegerin der Herzen.
Dominik Beyer