„Der, der glücklich war in seinen Zwanzigern, trägt kein Potenzial der Irritation in sich.“ Die 1976 in Wien geborene Medienkünstlerin Lale Rodgarkia-Dara weiß, wovon sie spricht. Aufgewachsen in der Wiener Peripherie konzentrieren sich ihre Erfahrungen deutlich auf Fragen von Bewusstsein, Zugehörigkeit und Partizipation. Sie beschreibt die Zwanziger Jahre eines Menschenlebens als die Zeit, in der man sich im bestehenden System etabliert oder Alternativen sucht. Ihre Alternative: Freies Radio.

Sound-director and composition Lale Rodgarkia-Dara, Text Maria C. Hilber, Voice Nicole Sabella
Direction and production of the stage-drama Franziska Guggenbichler
© Günter Haller
Hier verhandelt sie Partizipation als einen Ort von Konflikten und Ambivalenzen, übt Intersektionalität und aktive Inklusion, bündelt verschiedene Bildungsbiografien, Interessen, Geschlechter. Als strategische Geschäftsführerin des Grazer Radio Helsinki seit 2019 praktiziert sie positive Diskriminierung, indem sie Menschen unterschiedlicher Klassen, Herkünfte, internationaler Geschichte bevorzugt und probiert, so echte strukturelle Veränderung in Organisationen zu realisieren. In dieser Rolle gestaltete sie etwa 2021 mit Betina Aumair von den Wiener Volkshochschulen auch die Vortrags- und Diskussionsreihe „Salonfähig und normal? Über Radikalisierung reden“ und daran anschließend gemeinsam mit Manfred Kinzer und Daniela Oberndorfer die internationale Medientagung „Salonfähig und normal? Rechte und autoritäre Verschiebungen als Herausforderung für Journalismus und Medienfreiheit“. Neben soziopolitischen Inhalten kommt aber auch die Musik nicht zu kurz. 2019 initiierte sie ebenfalls das Radio Ironie Orchester von Radio Helsinki.
Freies Radio funktioniert üblicherweise selbstorganisiert, initiativ und sehr basisdemokratisch. Lale Rodgarkia-Daras kritischer Blick seziert auch hier die ausschließenden Mechanismen dieser Strukturen und stellt Fragen: Wie inklusiv ist das eigene Verhalten eigentlich? Selbstorganisation produziere ihrer Beobachtung gemäß große Ausschlussmechanismen, sozioökonomische und existenzielle Probleme werden auch bei denjenigen, die Diversität preisen, gern ausgeklammert und Bewusstsein ist nicht gleichbedeutend mit wirklichem Handeln und Umsetzen.

Eine literarisch-akustische Auseinandersetzung mit Sound und dem sonischen Spektrum von Gewalt und Krieg, in Form von (fiktionalisierten) Interviews mit in Wien lebenden Personen unterschiedlicher Herkunft und Aufenthalten zwischen Griechenland, Armenien, Ex-Jugoslawien und Wien.
Live-Radio-Performance an der Kaisermühlenbucht (Neue Donau) im Rahmen von “Aramesh”, v.l.n.r: Wolfgang Fuchs, JUUN, Asifeh, Lale Rodgarkia-Dara, Angelika Schausberger, Mohadese Siasar. Das Hörspiel wurde zudem in einer gekürzten Variante auf Radia.fm ausgestrahlt.
© Mataz
KOLLABORATION
Kollaboratives Arbeiten mit möglichst niederschwelliger Zugänglichkeit ist eine konstituierende Säule in Lale Rodgarkia-Daras Schaffen. Ob als Teil des Mz* Baltazar’s Laboratory Collective, das einen feministischen Kunst-Hacker-Raum in Wien betreibt, oder als Mitglied des Wiener Radia Kollektivs, welches wiederum Teil von radia.fm, dem internationalen Art-Radio Network ist, das sie mitbegründet hat. Seit 2003 hält sie Radio-Workshops mit Jugendlichen und Erwachsenen und gibt Lectures in formellen und informellen Bildungseinrichtungen und Universitäten. Sie war beispielsweise künstlerische Lektorin beim SKUOR an der TU Wien, Lektorin am Institut für Elektronische Musik und Akustik in Graz und Tutorin am Institut für künstlerisches Lehramt der Akademie der bildenden Künste Wien im Bereich Akustik. Seit 2024 unterrichtet sie als Kollektiv Mz* Baltzar’s Laboratory an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Ihre Projekte rangieren poetisch mit Literatur, Sound und partizipativer Kunst meist in transitorischen oder öffentlichen Räumen, bauen wie einst mit Soho in Ottakring, bis 2017 mit Feldversuch in der Stubenbastei 12 und mit Was wir leben nennen derzeit in Macondo, Wien Simmering bis 2020 immer wieder Spielorte soziokultureller Begegnung. Zuletzt hat sie 2023 im Wiener Palais Rössl eine generationenübergreifende, polydisziplinäre, queere, zunehmend symbiotische Verbindung von Künstler:innen, Musiker:innen, Designer:innen und Kulturschaffenden initiiert und mitgegründet. Auf 700 Quadratmetern entstanden und entstehen selbstorganisiert Ateliers, Studios, Proberäume, Werkstätten, Ausstellungsräume, Gemeinschaftsräume und ein Transscientistisches Labor aka Fischgarten. Sie ist auch eine der ca. 25 Künstler:innen aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich selbstorganisiert und auf Community-Arbeit basierend um die Wiederbelebung, Renovierung und Verwaltung der ehemaligen Räume der mdw–Universität für Musik und darstellende Kunst Wien in der Rienösslgasse kümmern.
Lale Rodgarkia-Dara entwickelt elektroakustische Literatur und ermöglicht es Autor:innen beispielsweise, in der von ihr gegründeten Elektronik Teatime, die bis 2015 in Wien existierte, kollektiv und individuell Text, Stimme und Sound transmissiv improvisatorisch zu performen. Es entstanden langjährige Zusammenarbeiten mit Caroline Profanter, Veronika Mayer, Christine Schörkhuber, Wolfgang Fuchs, Anto Manhartsberger, Nicola Sabella u.a.
Mit der Komponistin und Pianistin Judith Unterpertinger aka JUUN arbeitete sie als Duo under the given circumstances zusammen. Aufnahmen gibt es bei Fraufeld, einer Vernetzungsplattform, Veranstaltungsreihe, Label und Tonträger-Serie, die weibliche Protagonistinnen in den Feldern progressiver Komposition und Improvisation strukturell sichtbar macht.

Text, Musik und Produktion: Lale Rodgarkia-Dara
Textbeiträge: Sahf Abdulrehman // Sound: JUUN, Wolfgang Fuchs, Lale Rodgarkia-Dara und Ingrid Schmoliner
Sound Clips mit Interviews mit Sahf Abdulrehmann und Delagha Miakhel //Vocals: Peter Wetzelsberger, Nicole Sabella, JUUN, Lale Rodgarkia-Dara // Weitere Vocals und Sounds: Marko Markovic und Eirini Tiniakou // Mastering: Martin Leitner
© Lale Rodgarkia-Dara
KONVERSION
Immer wieder untersucht die Künstlerin die Konversion und Transformation der digitalen Sphären in die analoge Rezeption menschlicher Individuen, wenn sie mittlerweile veraltete Medien in die Auseinandersetzung mit der Gegenwart einschreibt („STILLE BILDER LAUT“, 2015 oder „THIS STRANGE FEELING OF A CORRECTED UNCERTAINTY MARGIN“, 2016). So entstehen Hörspiele wie etwa „Westfalenfallen – the german lines are broken“, ein Hörspiel im öffentlichen Raum Dortmunds (2010) und „gefallene worte. Reden von zukünftigen DiktatorInnen“ (2010-2014) neben Hörspielinstallationen, Soundinstallationen („Fluid“, 2017) und Soundperformances.
Zur Frage, wie Gemeinschaften sich organisieren, gehört bei ihr neben einem soziokritischen, feministischen, postkolonialen Blick auch ein organischer. Vom Digitalen in die Biologie des Organismus und wieder zurück, transformiert durch und auf dessen Weg. Dafür erforscht die Künstlerin in den letzten Jahren zunehmend die Schnittmenge zwischen Kunst und Wissenschaft, unter anderem bewegt sie die Frage: Warum sich Mehrzeller gebildet haben, wenn doch Einzeller viel überlebensfähiger sind? („Die Einsamkeit der Mehrzeller“, 2021)
Den Schwamm als ersten Multizeller, ersten Mehrzeller stellt sie im Sprachspiel dem Schwarm gegenüber, gründelt in Schwarmmodellen, womit in der Wissenschaft der letzten beiden Jahrzehnte das Schwarmverhalten von Tieren und Teilchen beschrieben und genutzt wurde, um Analogien zu menschlichem Verhalten zu beschreiben. Ihr Vorgehen hier kann exemplarisch für ihr Schaffen gesehen werden. Sie zerlegt, analysiert unter ihrem künstlerischen Mikroskop: So können Schwämme auch als Einzeller existieren, sich mittels Morphogenese aber mit anderen Einzellern zu Mehrzellern zusammentun. Sie rekonstruieren ihre Strukturen und reaggregieren nach Trennung auch wieder. Diese Strukturen bildeten die Grundlagen sowohl für die literarische als auch die musikalische Entwicklung, finden Niederkunft beispielsweise in den „Stellvertreterkriegssonaten“ (2020). Lale Rodgarkia-Dara arbeitet diese Themen unentwegt fort, findet Zusammenhänge, fragmentiert, unterwandert, überschreibt, amalgamiert, aktiviert und reaktiviert sie wieder. Sie holt das internationale Ausmaß nationaler Gesellschaftspolitik unter die Lupe, hievt das Gemeinsame in das Politische und nimmt die Verantwortung in die Pflicht.
Links:
speis.net
Lale Rodgarkia-Dara (music austria Musikdatenbank)
