Wien Modern – Das Tagebuch 5
Bernhard Langs & Michael Sturmingers Oper I hate Mozart im Theater an der Wien fand schon bei der Premiere ein mehrheitlich positives Echo und hatte auch sehr gute Kritiken. Doch das ist noch nicht alles: Bei der zweiten, vor allem der dritten (ausverkauften!) Vorstellung steigerte sich das durch die Bank wunderbare Ensemble auf der Bühne, das Orchester im Graben (das Klangforum Wien unter Kalitzke) und auch die beiden “Turntablisten” noch einmal in Sachen Lockerheit, Spielfreude, Balance um ein paar Loops. Das auch aus gar nicht so Neue-Musik-affinen Opernfreaks zusammengesetzte Publikum spendete sogar häufig Szenenapplaus und dankte am Ende mit Ovationen.
Diese Oper gehört wiederaufgenommenNach drei Vorstellungen ist die rundum geglückte Produktion nun leider vom Spielplan. Ein typisches Wiener Schicksal: “So etwas geht nur für drei, vier Aufführungen”. Gerade mit dieser begeisternden Arbeit indes, die – un “dramma giocoso” – Unterhaltung und hohen Anspruch im besten Sinn miteinander verbindet, zudem wirklich avancierte, aktuelle Musik von heute, Tinte noch nass und “at it’s best” bietet, hätte man noch viel weitere Kreise des ohnedies musik- und theaternärrischen Wiener Publikums erreichen können. Schon klar, dass man sich das zunächst nicht träumen ließ, jedenfalls: eine, zwei weitere Vorstellungen hätte man noch locker verkaufen können.
Gegen die Kleinmütigen sei daran erinnert, dass es in der jüngeren Wiener Theatergeschichte die Wiener Volksoper 1999 immerhin schaffte, mit dem Tanzstück Schwanensee remixed (Choreografie: Liz King, Musik: Patrick Pulsinger/Erdem Tunakan) 40.000 Zuschauer anzulocken. Und so ganz unsperrig und easy war diese Produktion doch auch nicht.
Es wäre sehr zu wünschen, dass man – trotz aller damit verbundenen Koordinationsschwierigkeiten – irgendwann doch noch eine Wiederaufnahme mit der Premierenbesetzung und mit dem Klangforum Wien zusammenbringt. Und dann kommen, weil sich herumgesprochen hat, dass man das sehen muss, vielleicht auch wirklich alle Opernfreaks, alle Stehplatzler und alle Theaternarren und -närrinnen Wiens. Und das sind viele. Und die “Musikstadt Wien” wäre die Musikstadt Wien und dürfte auf sich stolz sein, weil es plötzlich heißt “Neues Musiktheater, ja bitte”
Libretto / Inszenierung
Damit kein Missverständnis aufkommt: Diese Oper – und das ist eine Oper – gibt nichts zum herabgesetzten Preis her, sie ist alles andere als auf populistische Wirkungen aus. Sie ist nicht bloß “schräg” und überdreht, sondern einfach – sehr, sehr gut. Das Libretto Michael Sturmingers ist genial gebaut und schafft es, die Gratwanderung zwischen Klischee (klar, Ausgangspunkt sind “Typen”: Italo-Dirigent, Ost-Starlet, amerikanische Diva und so weiter) und dann aber anrührenden menschlichen Schicksalen souverän zu meistern. Alle Protagonisten scheitern, alle haben Schwächen, zutiefst sympathische wie ungustiöse Seiten, aber auch wirkliche Tiefe und Tragik und wir mögen sie auf Anhieb alle dafür und am Ende lieben wir sie. Das ist Theater, wie es Da Ponte und Mozart wollten.
Die inszenatorische Umsetzung seines “Büchls” gelang dem Regisseur Sturminger perfekt, die Bauten und Umbau-Übergänge passten, die Kostüme waren fein und machten was her, aber vor allem: die Darsteller schlüpften lebensecht und überzeugend in ihre Rollen – und sangen dazu auch noch “schön”, zuweilen sogar sehr schön. Es gibt eine Menge zu lachen, die Pointen sitzen, und es gibt auch oft Gelegenheit, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt: wenn etwa der italienische Dirigent mit Muti-Allüren (überragend: Florian Boesch) sich bei der Probe so “impossibile” aufführt, wie Riccardo Muti es vielleicht eh niemals, viele, viele Dirigenten aller Spielklassen jedoch jeden zweiten Tag tun. Wenn die alternde Diva Grace (Dagmar Schellenberger) in ihrer Hotelsuite telefoniert mit Lover und Kindern, die illusionslose Mezzosopranistin (Salome Kammer), die das Business bis auf die Unterhosen von Agenten, Intendanten, Konkurrentinnen und natürlich auch ihres Exfreunds (Johannes Weiner) zu kennen glaubt (bis der sich als Schwuler outet) – einfach einen Anfall von Verzweiflung kriegt.
Eine Komödie in Musik
Bernhard Lang erweist sich – neben den vielen anderen Vorzügen seiner musikalischen Verfahren – als ein Meister des recitativo accompagnato, schlagfertig, witzig und pointenreich, genau dosiert und niemals platt. Wie’s höchsten Anforderungen entspricht. “Maschine”? – Schon (die gibt es bei Mozart auch), aber was wäre eine Maschine ohne geniale Einfälle? Er hat eine Komödie in Musik geliefert. Und das ist das Schwerste.
Lang setzt – pourquoi pas? – am Ende auch noch eine Dosis Sentiment drauf: “Komm lieber Mai und mache .”, unterlegt von einer delikaten Kammermusik, einem Streichquintett Schubertschen Zuschnitts, nicht von diesem gestohlen, sondern – notabene – wunderbar nachempfunden und neu komponiert. Das klingt nach, stärker noch als das “Schlussduett” des verhinderten Liebespaares, dass er dann auch noch bringt.
Langs Loop-Wiederholungstechnik funktioniert dramaturgisch perfekt im Sinne der Wiederholung, wie man sie seit dem Barock im Musiktheater kennt, aber auch zur psychologischen Verdeutlichung dessen, was man bei sich im Kopf wiederholt, weil man es nicht “los” wird, was “hängen” bleibt eben.
Mozart-Allusionen und -zitate liefern beileibe nicht nur die Turntablisten (wie von Lang im Vorfeld angekündigt) sondern nehmen eine zentrale Rolle in der Partitur ein. Vom beklemmten “Ach-ach-ach-ach ich fühl’s” der Pamina beim Vorsingen (Andrea Lauren Brown), über das “Dallasuapace”, das der Agent und verhinderte Tenor David Pittman-Jennings, von Salome Kammer “unterstützt”, so gerne einmal singen würde, das berührt, weil wir das heimlich auch hin- und wieder möchten, bis zum tollen “Soave sia il vento”-Ensemble (Finale I): Der originale Akkord schwebt minutenlang in der Luft und die Bitterkeit, schon dem Original eingeschrieben, stellt sich durch den unterlegten Text ein: “Was machen wir hier? Wir singen die herrlichste Musik der Welt und machen daraus verlogenes Theater .”. Dass auch ein Bernhard Lang Mozart alles andere als hasst, sondern für “unendliche Musik” hält, weiß man spätestens, wenn der herzzerreißende, alle Dimensionen sprengende dissonante Akkord dazu erklingt, der diese Unermesslichkeit per se symbolisiert, aber auch, dass wir damit niemals klarkommen werden.
Souverän und vielfältig auch die Behandlung des Chors (Vokalensemble Nova), saugut, allein für sich hörenswert und anspruchsvoll (daher noch einmal: bitte um Reprise) die instrumentatorischen Raffinessen und strukturell spannenden Binnenstrukturen, die Lang den formidablen Klangforum-Solisten zueignete – das Rückgrat der Partitur, gemeinsam mit der zweiten Ebene der elektronischen Verstärkungen und Bandzuspielungen (Klangregie Peter Böhm). Konstitutiv (und manchmal noch zu zaghaft) die Interventionen und Beiträge der beiden Turntablisten Dieter Kovacic und Wolfgang Fuchs.
Das größte Kompliment, das man Lang & Sturminger und den Sängerdarstellern machen könnte: Sie waren alle irgendwie anwesend – die Gräfin oder Marzellina, dieses unausstehliche, intrigante Weib mit dem liebenden Herzen, auch Dorabella, Fiordiligi, Despina, der unglückliche Don Ottavio (vielleicht war der doch schwul und konnte es nicht leben?) einer, der ein Don Giovanni sein will und es nicht ist, und viele andere Mozart-Charaktere. Nach Hause ging man wie nach einem geglückten, fulminanten Opernabend.
(hr)