mica-Interview mit Valina

Mit ihrem energetischen, von Hardcore und Bands wie Fugazi beeinflussten Rock haben sich Valina aus Linz international einen guten Namen gemacht. Das neue Album “a tempo! a tempo!” (erschienen bei Trost) haben Anatol Bogendorfer (Gesang, Gitarre), Anselm Dürrschmid (Drums) und Florian Husbert Huber (Bass) wiederum in Chicago bei Steve Albini aufgenommen. Mit Sebastian Fasthuber sprach Bogendorfer über den Antrieb hinter der seit einem guten Dutzend Jahren bestehenden Band, über das Tourleben und die große Freiheit.

“Jenseits der Kommerzscheiße existieren”

Man kann bei Valina inzwischen fast von einer Institution sprechen. Woraus erklärt sich die sture Konstanz, mit der ihr euer Feld bestellt?
Ich glaube nicht, dass man in unserem Falle bereits von einer Institution sprechen kann, da wir nach wie vor allzu neugierig und unsettled den Blick nach vorne richten, neue Felder erobern, nicht verwalten wollen. Wir haben auf unserem Weg stets die Politik der kleinen Schritte gegenüber dem Hinterherhecheln von aktuellen Trends und dem Schielen auf schnelle Verwertbarkeit bevorzugt.

Was wir tun mit dieser Band, lässt uns so viel ernten, so viel Lust erleben und so viele gute Erfahrungen machen, sodass wir sagen: Das ist uns zu wichtig, um es Gesichtspunkten unterzuordnen, die im Vergleich dazu lächerlich aussehen würden. Das hat nichts mit  einer unreflektierten Schwarz/Weiß-Malerei bzw. mit einer unhinterfragten Old-School-Punk-Position zu tun, sondern ist der große Wunsch, tatsächlich manch Dinge im Leben unabhängig und frei gestalten zu können.

Musikalisch geht ihr seit Jahren geradlinig euren Weg. Wodurch unterscheidet sich “a tempo! a tempo!” für euch von den vorigen Alben?
Das Arbeitsprinzip war auch bei diesem dritten Album dasselbe. Ich stelle meinen beiden Bandkollegen bestimmte musikalische Ideen vor, die dann in einem langen Prozess gemeinsam ausgearbeitet werden. Dazwischen liegen unendlich lange Übungs- und Experimentierphasen. Denn wenn sich erst mal aus solch einem Experiment etwas heraushören lässt, was uns kickt, dann beginnt erst die tatsächliche Arbeit; Bruchstücke aus dem Experiment herausschälen, reproduzierbar machen, um sie dann in einem Song zu verarbeiten.

So sehr ich als Fan auch Musik schätze, wo das Experiment im Vordergrund steht bzw. zum Prinzip erkoren wurde, so sehr legen wir bei Valina wert darauf, letztlich Songs zu machen. Dass diese oftmals komplexere Arrangements innehaben und nicht unbedingt einem Popmuster entsprechen, ist ein Randergebnis.

Ohne zu glauben, dass wir da nun ein Ach-so-tolles-blabla-Album aufgenommen haben, weiß ich, dass wir nochmals um eine Portion konsequenter an die Sache rangingen, unser musikalisches Vokabular erweitern konnten. Wir sind sehr happy mit dem Endergebnis.

 

 

Mit welchem Anspruch und Ziel geht ihr in ein Aufnahmestudio?
Ganz einfach: Um die kreative Arbeit an Musik und Text, die sich zuvor über eineinhalb Jahre streckte, zu finalisieren; roh und ohne Schnörkel, technisch gut betreut, die Musik in den Kasten, das Kind nach Hause bringen. Wir überlassen im Studio kaum etwas dem Zufall, dort sind die Experimentierphasen schon längst abgeschlossen. Wir arbeiten dann nur noch daran, jene Version einzufangen, die nach unserem Bemessen die richtige ist, nämlich jene mit Seele.

Neben dem magischen, metaphysischen Wesenszug von Musik ist Musikmachen selbst ja auch Arbeit, das sollte man nicht vergessen. Das zeigt sich in weiterer Folge auch sehr gut im Studio. In diesem Sinne glaube ich übrigens auch nicht ans Genie; das Genie ist bekanntlich eine beschissene Erfindung des romantischen Bürgertums.

Das neue Album wurde, wie auch schon der Vorgänger, von Steve Albini in Chicago aufgenommen. Wie ist es, mit ihm zu arbeiten? Wie habt ihr ihn überhaupt kennengelernt?
Kenengelernt haben wir uns bei einem gemeinsamen Konzert in München. Dann haben wir das Vorgänger-Album mit ihm gemacht und uns recht gut verstanden. Steve ist ein extrem integrer Mensch, sehr intelligent, witzig und eben auch selbst einfach ein Musikfan. Mit ihm zu arbeiten war erneut  wieder sehr einfach und mit einer extrem guten Zeit verbunden. Alle waren sehr konzentriert, wir wussten genau was wir wollten, und alles funktionierte so einfach und unkompliziert, wie sich das ein Aussenstehender wahrscheinlich kaum vorstellen kann. Neben der Arbeit im Studio, die ja auch sehr lustvoll und easy verlief, hatten wir, weil eben alles wie am Schnürchen lief, genug Zeit um miteinander in den Pausen über alles Mögliche zu quatschen: Musik, Essen, Politik.

Die Stimmung im Studio war einmalig gut. Zusammengefasst war dieser Studioaufenthalt wohl ein weiteres großes Highlight im Leben von uns Drei. 14 Tage lang mit Steve ein Team zu bilden, stur und konsequent unsere Ideen umsetzen zu können und dann noch jemanden zu haben, der nicht sich selbst produzieren will, sondern einfach die Band in ihren Ideen unterstützen will, dann ist das einfach großartig und genau der Grund warum wir gerne mit ihm zusammenarbeiten.

Was hat es mit dem Albumtitel auf sich? “a tempo! a tempo!”, warum diese Doppelung?
Dem Album unterliegt ein inhaltliches Konzept. Es geht um Zeit, und zwar werden in jedem einzelnen Song Aspekte dieses großen und uralten  Themenkomplexes unter Berücksichtigung persönlicher Standpunkte,   Geschichten und Erfahrungen abgehandelt. Philosophiegeschichtliches von Kant, Newton, Proust und Einstein spielen dabei eine Rolle, dazu kommen abstrahierte Bilder aus meinem Leben, die mit dem Thema kontextualisiert werden. Aus der Musiksprache bzw. aus dem Italienischen könnte man “A tempo” mit “(zurück) zur Zeit” übersetzen, im Englischen würde es mit dem unbestimmten Artikel auch als “ein Tempo” oder “eine Geschwindigkeit” übersetzt werden können. Der Titel und vor allem dessen Doppelung spielt darauf an, dass Zeit keinen einheitlichen, absoluten Wert besitzt, interpretierbar bleibt bzw. mit verschiedener Bedeutung aufgeladen werden kann. Ein praktisches Beispiel dafür wäre wohl der Satz “Zeit ist Geld”.

Ausgangspunkt für eine tiefer gehende Beschäftigung mit Zeit war letztlich unsere eigene andauernde Auseinandersetzung mit dem Thema  innerhalb unseres Pläneschmiedens. In unserem Fall müssen wir Zeit ja auch stets neu bewerten. Einerseits unterliegen wir einem Zeitmechanismus, der von außen vorgegeben ist, der uns etwa neben der Band arbeiten, studieren, essen und schlafen lässt; hier ist nicht das Diktat der Vernunft gemeint, sondern unser praktischer Umgang mit einer Realität, die wir gerne konfrontieren und die wir nicht hippiesk verleugnen. Andererseits wollen wir uns Zeiträume schaffen, in denen wir tatsächlich frei gestalten können.

 

 

Die CD steckt einem sehr schönen, aufwändig gestalteten Digipak. Wie ist das Artwork entstanden?
Ich habe sehr lange nach Bildern gesucht, die für mich diesen Gedankenblock abstrahiert darstellen können. Ich war mehrmals nahe dran, habe mit verschiedenen Künstlerinnen skizziert, bin aber nie ganz zufrieden gewesen. Bis ich mich mit meiner Schwester, einer Fotografin, zusammensetzte und es mit ihren Modellen versuchte. Dabei gefiel mir eben der Gedanke nochmals sehr gut, dem vermeintlich natürlichen Raum, in dem sich ja auch Zeit abspielt, etwas Modellhaftes, ein gestaltetes Element beizufügen bzw. entgegenzusetzen.

Ihr seid sehr viel unterwegs. Ist das Live-Spielen die Hauptsache?
Auf Tour sein, live zu spielen, dabei auch weltweit neue Leute, andere   Künstler und Freaks kennenzulernen, ist tatsächlich eines der schönsten Dinge in unserem Bandleben. Die Fahrerei ist natürlich manchmal anstrengend, aber es ist auch so, dass wir diese Zeit im Bus nutzen, um das zu tun, was einem zu Hause fast kategorisch verwehrt bleibt und systemimmanent oft zu knapp kommt: nämlich Reden, in die Luft schauen, Träumen.
Dieses Unterwegs sein lässt uns über den berühmten Tellerrand schauen, es lässt uns selbst stets neu verorten und hat wohl essentiell zu zwei wichtigen Sachen  beigetragen: Linz ist uns zum Leben nicht zu klein geworden, weil wir andauernd eine andere, größere Welt draußen sehen dürfen; und dieses “Draußen sein in der Welt” trägt dazu bei, dass man sich selbst nicht allzu wichtig nimmt und gar so super findet. Dass das Live-Erlebnis darüber hinaus die direkteste und somit am meisten befriedigende Form der Zusammenkunft zwischen Erzeuger und Rezipient von Musik bedeutet, macht es umso schöner viel auf Tournee zu sein.

Auf Tour darf es auch lustig zugehen?
Wir machen es uns oft ziemlich lustig auf Tour. Wir stürzen uns gerne ins Abenteuer; mit dem Wissen, dass alles, was wir aufsaugen, nicht nur kreativen Input liefern kann, sondern ganz einfach einen (unbezahlbaren) Mehrwert hinsichtlich der Lebenserfahrung bringt. Ich will kein verkrampfter Künstlertyp sein, der aus fehlender Distanz zum eigenen Tun vergisst, dass man auch präzise arbeiten kann, wenn das Lustvolle und die Freude am Banddasein die Arbeit mitbestimmt.

Zurück zum Start und zum Status von Valina. Warum seid ihr in Österreich eigentlich nicht bekannter? Es scheint, als wäre euch Ruhm in der Heimat herzlich egal.
Ich glaube, dass wir mit unserem Bekanntheitsgrad sehr zufrieden sein können. Vor allem deshalb, weil wir unseren Bandhorizont niemals auf die österreichischen Grenzen beschränkt wissen wollten. Dass wir uns erst gar keiner Marketingstrategie unterwerfen wollen, nicht in solchen Kategorien denken, zu wenig Talent haben, um Musik zum Bekanntwerden zu machen, und uns sehr bewusst sind über die üblichen Verwertungsmechanismen in der kurzlebigen Musikbranche, ist eine andere Sache.

Ich glaube auch, wir entspringen einer Generation von europäischen Bands, die nach dem Einbruch des viel zitierten Hardcore-Netwerkes der  älteren Generation und noch vor dem MySpace-Hype sehr selbstbewusst und ohne musikkultureller Doktrinen eigene Strukturen aufbauten, um jenseits der Kommerzscheiße mitsamt des medialen Durchfalls  existieren zu können. Dass wir dabei mittlerweile im europäischen Underground einen gewissen Status erreicht haben, macht uns natürlich nicht unglücklich.

Aber wie in diesem Interview mittlerweile schon durchgedrungen sein sollte: Ich möchte auch in ein paar Jahren als  Musiker und Künstler ernst genommen werden können und daher bin ich über 100 oder 250 interessierte Konzertbesucher nicht unglücklicher als über 500 oder 1000, jedenfalls aber glücklicher, als in ein paar Jahren lächerlicher Bullshit von gestern gewesen zu sein.

 

 

Valina