mica-Interview mit Andreas Moritz, Geschäftsführer der Camerata Salzburg

“Grenzüberschreitungen? Jederzeit!” Seit 1. Mai letzten Jahres ist er im Amt. Mit Leonidas Kavakos wurde ihm ein hochkarätiger künstlerischer Leiter zur Seite gestellt und der Verein Camerata hat eine neue Präsidentin. Höchste Zeit für ein Gespräch. Ein sichtlich motivierter Andreas Moritz stand dem mica Rede und Antwort über die zukünftige Positionierung des Orchesters, asiatische Märkte und den Spagat zwischen Mozart und der Moderne. Nebenbei verriet er, weshalb er gegen Pop-Ausflüge ist und wieso Selbstlosigkeit die erste Grundvoraussetzung jedes Kulturmanagers sein sollte.

Sie sind ein gutes halbes Jahr im Amt. Wie sieht Ihre erste Bilanz aus?
Für eine erste Bilanz ist es deutlich zu früh, da die Planungszeiten für solch ein Orchester langfristig sind. Die Sondierungsphase aber, das heißt jene Phase, die es braucht, sich in die Projekte einzuarbeiten und zu wissen, wer mit wem wo was plant, ist jetzt abgeschlossen. Wenn man so will, habe ich nun die Füße auf den Boden bekommen. Ab sofort kann ich nach vorne arbeiten.

Sie waren unlängst mit der Camerata auf Asientour?
Ja, wir haben mit Julian Rachlin in Hong Kong, Seoul und Peking, Violinkonzerte gespielt. Und darüber hinaus gab es die Camerata alleine pur mit Mozart zu erleben, von Kleine Nachmusik bis zur großen G-Moll-Symphonie. Mozart, Mozart, und noch einmal Mozart. Das ist natürlich das Format, an das man denkt, wenn man im asiatischen Ausland ein österreichisches Orchester bucht. Es wäre auch kein geschicktes Unterfangen zu probieren, dort mit nicht klassisch österreichischen Komponisten aufzutreten. Natürlich ist es immer gut und wichtig, etwas anderes einzubauen – ich denke da an Bartóks Divertimento – aber das Programm für den ausländischen Markt sollte dann doch dafür stehen, was man im Mozartjahr vermuten durfte: Mozart nämlich.

Wie war die Resonanz?
Sehr, sehr gut. Ich bin überzeugt, dass wir in einigen Jahren wieder dort spielen werden. Mit nur drei Konzerten war diese Tournee einmal der erste Schritt in Richtung einer größeren Präsenz dort.

Ist der asiatische Markt generell ein erschließenswerter?
Teilweise ist er ja schon erschlossen. Den eigentlich weiteren Schritt nach Japan haben wir ja schon getan. Dort sind wir bereits präsent. Aber obschon man immer über Märkte spricht, möchte ich hierbei in erster Linie gar nicht ans Materielle denken. In Asien ist man ganz einfach sehr interessiert an westlicher Orchesterkultur. Für uns wiederum ist es sehr interessant, alte östliche Kultur kennen zu lernen. So entstehen Synergien, die nur Gutes mit sich bringen.

Wenn Sie die zukünftige Positionierung der Camerata vor Augen haben, wie sieht in etwa die Gewichtung zwischen In- und Auslandspräsenz aus? Wird es gezielte Impulse im In- wie im Ausland geben und wenn ja welche?
Die derzeitige Gewichtung – in etwa eine Parität zwischen In- und Auslandskonzerten – wird beibehalten. Wichtig ist mir aber, die Camerata breiter aufzustellen, was musikalische Formate anbelangt. Die Camerata soll nicht nur ein reines Konzertorchester sein. So unternahm man schon vor einigen Jahren den äußerst erfolgreichen Versuch, die Opernpräsenz zu steigern. Ein weiteres Vorhaben ist, wieder verstärkt in den Oratorienbereich vorzudringen. Mir geht es darum, Formen wieder aufzugreifen, die für die Camarata sinnvoll sind, aber aus verschiedenen Gründen in Vergessenheit gerieten. Gerade in jenen Epochen, mit deren Musik die Camerata als Kammerorchester hauptsächlich auftritt, findet sich eine Unmenge an Opern- und Oratorienliteratur.

Wird es die “Begegnung” weiter geben?
Natürlich, sie ist ja unser eigenes kleines Festival.

Wird auch Barock weiter eine Rolle spielen?
Es war kein Zufall, im letzten Jahr die “Begegnung” mit Purcell zu haben, wie es aber vorher auch die Begegnungen mit Beethoven und vielen anderen Komponisten gab. Die Idee war, sich durch verschiedene Komponisten hindurch zu begegnen… Wir werden die Begegnung auf jeden Fall weiter laufen lassen, aber schauen, mit welchem konzeptionellen Hintergrund wir das in Zukunft tun.

Begegnung mit … Fragezeichen?
Für dieses Jahr steht schon fest, dass wir Sándor Végh, dessen Todestag sich heuer zum zehnten Mal jährt, begegnen werden. Das aufzugreifen, ist sozusagen ein Solitaire, die nächsten Jahre wird es dann ein anderes Konzept geben. Gemeinsam mit Leonidas Kavakos, unserem künftigen künstlerischen Leiter, werden wir schauen, wie es weiter geht.

Wird es auch Ausflüge in den Pop geben?
Das denke ich nicht. Ganz einfach deshalb, weil die Camerata in ihren Bereichen so stark und unverwechselbar ist. Es ist nicht nötig, eine Nische, die von vielen anderen Orchestern bereits besetzt wird, auch noch besetzen zu wollen. Es gibt phantastische Orchester, die einfach nicht das Glück haben, wie die Camerata für etwas ganz Bestimmtes zu stehen, nämlich das erste wichtige, seit langer, langer Zeit bestehende Kammerorchester weltweit zu sein. Das ist eine Entscheidung, die nichts mit Qualität zu tun hat. Ich, denke einfach, wir sollten das nicht tun, weil wir es ganz einfach nicht tun müssen. Wir bleiben bei dem Format, für das wir stehen. Never change a winning team.

Die Vermarktungsstrategien des Pop spielen aber doch eine zunehmend große Rolle in der Welt der klassischen Musik. Man denke nur an Anna Netrebko, die drei Tenöre oder Lang Lang, die uns mit all den Promotion-Kniffen der MTV-Welt als Celebreties näher gebracht werden. Und gab es bei den letztjährigen Mozart Loops mit Christian Muthspiel nicht schon so etwas wie eine Annäherung?
Da muss man unterscheiden: Grenzüberschreitungen jederzeit und unbedingt gerne. Schon alleine, um uns selbst vor musischer Betriebsblindheit zu schützen. Für Musiker ist es extrem wichtig, andere Bereiche zu beleuchten, um den angestammten Bereich auch aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Deshalb müssen wir uns aber nicht mit den Scorpions im Stadion wieder finden. Pop-Projekte im Sinne von “London Pops” oder “Camerata goes Pop” wird es sicher nicht geben. Die Mozart Loops haben sich außerdem von dem, was andere Orchester im Pop-Bereich veranstalten, schon sehr deutlich abgehoben. Aber grundsätzlich gilt: Klassische Musik hat von sich aus nicht mehr Daseinsberechtigung als etwa gut gespielte Rockmusik. Alle Stilrichtungen sind dafür da, gut wiedergegeben zu werden, um ihr Publikum und damit ihre Daseinsberechtigung zu finden. Es gibt keine Musik zufällig auf der Welt, sondern in allen Genres eine emotionale Notwendigkeit. Das, was hervorkommt ist wie eine Pflanze, die nicht zufällig wächst. Es hat also alles seine Berechtigung und muss entsprechend gepflegt werden. Wir pflegen das, wofür wir uns verpflichtet fühlen.

Aber Sie hätten nichts dagegen, wenn Leonidas Kavakos als Popstar vermarktet wird?
Wenn Sie Pop nicht auf das Genre an sich beschränken, sondern als im weitesten Sinne populär verstehen, nicht das Geringste, denn: die Multiplikation dessen, was wir tun, ist immer gut.

Leonidas Kavakos als künstlerischer Leiter der Camerata – war das auch ihre Wunschkonstellation?
Ja. Der Beweis dafür, dass diese Konstellation eine wunderbare ist, findet auf der Bühne statt.

Wo eine besondere Interaktion zwischen Dirigent und Orchester bemerkbar ist, die man sonst nur selten erlebt?
So ist es. Ich bin leider in der unglücklichen Situation, nicht die große Zeit Sándor Véghs erlebt haben zu dürfen. Leonidas Kavakos’ erstes Konzert bei der Camerata war übrigens Sándor Véghs letztes. Was ich sehr schön finde, ist, dass man wieder den Weg einschlug, an die Tradition des Primus inter Pares anzuschließen. Dies war auch Sándor Véghs Credo: die Idee eines Solisten, mit dem Orchester gemeinsam zu spielen und es gleichzeitig zu leiten.

Im Sport nennt man diese Doppelfunktion “Spielertrainer!”
Eins schöne Beschreibung.

Soeben ist die erste CD erschienen, auf der die Camerata unter der Leitung von Leonidas Kavako

 

Daraus werden sich doch sicher Impulse ableiten lassen.
Das glaube ich doch auch. Insofern schon, als die nächste Produktion zeigen wird, dass die Camerata nicht nur einen fantastischen Solisten als künstlerischen Leiter hat, sondern auch einen Rising Star am Dirigentenhimmel, der aus dem Fach des Musikers kommt.

Sie waren ja selbst Musiker…
Ja, aber kein Dirigent. Aber sie haben recht, ich war über zehn Jahre lang Orchestermusiker.

Was brachte Sie letztlich zur Entscheidung, ins Management zu wechseln?
Ganz einfach die Unzufriedenheit als Musiker. Ich hatte andere Vorstellungen davon, wie man ein Orchester managen kann. Der Trieb, es besser zu tun, ein Orchester besser zu präsentieren und zu verkaufen, entkeimte der Frustration. Zur Illustration dieser Motivation sei auch gesagt, dass das Orchester, in welchem dieser Wunsch in mir keimte, mittlerweile nicht mehr existiert. Es wurde schlicht an die Wand gefahren.

Ein solch bedeutender Wechsel wird aber doch nicht im jähen Bruch, sondern in einer länger dauernden fließenden Entwicklung vollzogen?
Ganz recht. Dieser Prozess dauerte Jahre. Es ging damit los, dass die Berliner Symphoniker dem insgesamt dritten Abwicklungsversuch entgegen steuerten. Die ersten zwei hatte man gerade so überstanden, konzeptionell aber nichts geändert. Ich habe mich dann in den Orchestervorstand wählen lassen. Als der Kampf immer enger und dichter wurde, habe ich nicht mehr gespielt, sondern mich frei stellen lassen, um mich ganz auf den politischen Kampf konzentrieren zu können. Eine Phase, in der ich wohl mehr Zeit im Abgeordnetenhaus als im Probengebäude verbracht habe. Durch mediale Präsenz und durch harten, aber offen geführten Kampf habe ich damals versucht zu zeigen, dass es nicht leicht ist, ein von der Wichtigkeit seines Tuns überzeugtes Orchester zu schließen. Dass es ungleich schwieriger ist, ein Orchester zu schließen als etwa eine Stadtgärtnerei, hat bei den Politikern zunächst für große Verwunderung gesorgt. Und obwohl die Berliner Symphoniker abgewickelt wurden, sie als Institution somit nicht mehr existieren und mein Forderungskatalog nicht umgesetzt wurde, haben wir mit unserem Kampf einiges erreicht: nämlich, dass man auf Seiten der Politik gemerkt hat, wie sehr man sich doch die Finger bei einem solchen Unterfangen verbrennen kann. Zumindest die erste Euphorie der Politik, einfach schließen zu können, konnte demnach abgewendet werden. Es freut mich, dass uns zumindest dies gelungen ist. Dennoch habe ich große Sorge, was die Berliner Opernstiftung anbelangt. Ich bin mir fast sicher: Da kommt noch etwas.

Nun leben wir in Österreich nicht unbedingt in einem Land, das frei von politischer Einflussnahme auf die Kunst ist. Wie lebt man hier mit dieser Wechselwirkung zwischen Kunst und Polititk?
Eigentlich ist das eine ganz einfache Frage, die sich die Politik stellen muss: Will sie die Kultur oder will sie sie nicht. Fatal ist, wenn die Politik keine Sensibilität für die Kunst hat. Ich habe den Eindruck, dass in Österreich und ganz speziell in Salzburg die Verantwortung und der Bildungsauftrag aber erkannt und wahrgenommen werden. Kultur stellt in Salzburg schon lange keinen weichen Standortfaktor mehr dar. Im internationalen Vergleich lebt man hier also in einem Land der Glückseeligen. Für Kulturmanager geht es darum, dafür zu werben, dass Kultur wichtig ist, um Weichenstellungen zu verhindern, die bewirken, dass die Köpfe und Herzen der Kinder und Jugendlichen leer bleiben. Wenn man wie in Berlin in Gebieten, von deren Besuch man bereits WM-Besuchern abgeraten hat, auch noch die Kulturarbeit beschneidet, dann ist dies kurzfristig gedacht, denn eine solche Strategie wird mittel- und längerfristig großen Schaden bewirken. Wenn das Grundverständnis vorhanden ist, kann man mit den Politikern leichter über’s Geld streiten.

Sie haben das Extrem in Berlin angesprochen. Kann nun die entgegengesetzte Situation, die Sie als glücksseelig bezeichneten, nicht auch zu einer gewissen Trägheit führen, die es mit sich bringt, dass man sich die Herausforderung anders vergegenwärtigen muss, um noch Großes zu leisten?
Die Gefahr ist dann gegeben, wenn eine Kulturinstitution zur Behörde wird. Dagegen haben wir bei der Camerata einen unfreiwilligen, aber wunderbaren Schutzmechanismus, der darin besteht, dass sich unser Orchester zu fast 95% aus privaten Mitteln finanziert. Das ist für österreichische Verhältnisse ziemlich unüblich. Dadurch ist mehr als anderswo sicher gestellt, dass die Motivation, an sich zu arbeiten, erhalten bleibt.

Die Camerata hat mit Ihnen nicht nur einen Geschäftsführer und mit Leonidas Kavakos einen neuen Künstlerischen Leiter, sondern auch eine neue Präsidentin.
Ja. Frau Dr. Annemarie Sigmund war bis vor kurzem Präsidentin des europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und Vertreterin der freien Berufe in Brüssel. Nach ihrem Jus-Studium hat sie erfolgreich ihre eigene Werbeagentur aufgebaut. Ich bin sehr froh darüber, dass wir eine Präsidentin haben, die nie mit der Bequemlichkeit des Versorgtseins umgeben war, sondern sich stets selbst dafür einsetzen musste, weiterzukommen. Es tut uns gut, jemanden wie sie zu haben, der uns dabei hilft, kreativ nach vorne zu denken und nicht in einer Anspruchshaltung zu erstarren.

Können Sie schon Programmatisches zu den Festspielen mitteilen?
Es wird drei Konzerte geben, Ingo Metzmacher wird erstmals die Camerata Salzburg dirigieren. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Intendanten, Professor Flimm, und Markus Hinterhäuser…

Der ja aus dem modernen Bereich kommt…
.der aber auch weiß, dass die Camerata, wie etwa bei der letztjährigen Operntrilogie gezeigt, auch für Dinge abseits der breiten Pfade offen ist.

Könnte sich daraus ein Gegensatz zwischen modernem nationalem und eher klassisch orientiertem internationalem Programm ergeben?
Wir werden unsere Wünsche äußern, und vertrauen darauf, dass die Salzburger Festspiele wie bisher auch interessante Programme anbieten werden. Ich persönlich wäre aber sehr glücklich damit, falls es zu einer Situation kommen sollte, durch die wir einerseits für Mozart stehen und andererseits bei den Festspielen auch verrückte Dinge tun. Das fände ich sehr, sehr wünschenswert.

Ist Salzburg-spezifisch noch Anderes vorgesehen?
Es gibt Pläne, die Präsenz in Salzburg in absehbarer Zeit weiter zu erhöhen. Noch aber ist es zu früh, um das zu besprechen.

Empfindet man das als negativ, wenn während der Mozartwoche plötzlich auch andere Kammerorchester auftreten, die Camerata also nicht mehr der Platzhirsch ist?
Nicht im Geringsten. Erstens ist es eminent wichtig, dem Publikum hier vor Ort zu zeigen, dass die Camerata in der ersten Liga spielt.

.zu zeigen, dass man wettbewerbsfähig ist?
Ich will das einmal anders formulieren: Wenn jemand vor einem solchen direkten Vergleich Angst hätte, hätte das Orchester ein ernsthaftes Qualitätsproblem. Zweitens ist es aber auch wichtig, selbst Einflüsse zu generieren. Es gibt keine Stadt dieser Größe auf der ganzen Welt mit einer vergleichbaren Dichte im Bereich der klassischen Musik wie Salzburg. Und drittens sitzen alle, die Kultur machen in einem Boot. Ich würde mich freuen, wenn alle Kulturschaffenden das verstehen würden. Diese Selbstlosigkeit sollte jeder mitbringen.

Interview: Markus Deisenberger

Fotos Andreas Moritz: Christian Ospald

 

 

 

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