Der Oktober 2025 gestaltet sich für die Wiener Musikerin und Theaterregisseurin Anna Mabo besonders ereignisreich: Am 3. Oktober erscheint ihr viertes Album „Mittelschwere Ekstase“ (bader molden recordings) gefolgt von einer Release-Tour durch Österreich beginnend am 15. Oktober im Wiener Porgy & Bess. Und am 7. Oktober feiert außerdem ihr neues Theaterstück „FERDINAND RAIMUND – DER GANZE! Das Musical, eine Liebesgeschichte vielleicht“ im Wiener Rabenhof Premiere. Während sie auf der Bühne mit literarischer Fantasie spielt, zeigt sich auf dem Album ihre musikalische Vielseitigkeit. Die Songs bewegen sich zwischen zarter Intimität und wilder Energie, zwischen Heiterkeit und Melancholie. Gemeinsam mit Clemens Sainitzer und Alexander Yannilos erschafft sie Klangräume, die poetisch und ungestüm zugleich sind – Musik, die von Aufbruch und Ankommen erzählt, Gegensätze vereint und dabei berührt, irritiert und tröstet. Im Interview mit Michael Ternai spricht sie über das Selbstvertrauen, das sie sich als Musikerin über die Jahre erarbeitet hat, darüber, warum Humor in der Musik nicht immer im Vordergrund stehen muss, und was das Publikum von ihrem neuen Theaterstück erwarten darf.
Mit „Mittelschwere Ekstase“ erscheint nun dein neues Album. Es ist dein mittlerweile viertes. Was ist an diesem für dich anders? Ich höre am neuen Album doch einige Unterschiede zu den früheren.
Anna Mabo: Es wäre natürlich interessant zu hören, was sich verändert hat – oder wie du das selbst wahrnimmst. Über sich selbst zu sprechen ist ja immer schwer, und die eigenen Sachen hört man sich auch selten noch einmal an. Ich glaube, dass ich mich auf dem ersten Album vor allem selbst überrascht habe. Musik hat mir schon immer Spaß gemacht; sie war eine Art Fluchtpunkt, eine Insel, auf der alles gut ist. Gleichzeitig habe ich mich sehr auf den Text konzentriert – ich komme ja eigentlich von der Sprache und vom Dichten. Die Musik war für mich ein Vehikel, um die Texte zu kommunizieren, aber ein Vehikel, das mir Freude bereitet.
Ich brauchte lange, um mich selbst als Musikerin zu bezeichnen. Ich hatte großen Respekt vor Musikerinnen und Musikern und deren Fähigkeiten und fand es anmaßend, mich selbst so zu sehen. Dieser Respekt ist nicht kleiner geworden, aber ich traue mich jetzt mehr.
Am zweiten Album konnte man schon Veränderungen hören. Das erste Album war musikalisch noch eher vorgetragen und erzählerisch strukturiert – mit Anfang, Höhepunkt, Ende und Pointe. Ab dem zweiten Album wurde es abstrakter: Zustände wurden bildhafter, nicht nur in Geschichten erzählt. Ich habe mich mehr getraut und je öfter ich live spielte, desto mehr Freude hatte ich am Rumschreien. Es klang vielleicht manchmal nicht schön, aber ich habe mich mehr aus dem Fenster gelehnt und angreifbarer gemacht.
Humor ist mir sehr wichtig – ebenso wie Musik – weil beides direkte Wege ins Herz der Menschen sind. Gleichzeitig kann man sich hinter Ironie gut verstecken. Ich glaube, dass ich mich dadurch mehr getraut habe, angreifbar zu sein – sowohl textlich, indem ich nicht immer konkret bleibe, als auch musikalisch.
Mit dem vierten Album und der Zusammenarbeit mit Clemens Sainitzer und Alexander Yannilos ist mein Selbstbewusstsein, denke ich, noch gewachsen. Clemens und Alex sind großartige Musiker, zu denen ich aufschaue und von denen ich viel lernen kann. Zudem sage ich mir: Wenn die beiden dieses Projekt mit mir machen, kann es ja nicht so schlecht sein.
Ich würde sagen, dass ich mich bei diesem Album einerseits verletzlicher gemacht habe, andererseits aber auch das Selbstvertrauen da ist, genau das zu tun.
Das ist eigentlich auch genau das, was ich mir beim Durchhören von den neuen Liedern gedacht habe. Das Album zeigt dein Selbstbewusstsein, es zeigt, dass da du dich mehr und mehr traust, über den eigenen Horizont hinauszugehen und neue Dinge zu probieren. Es darf alles ausprobiert werden. Und es scheinen auch ein wenig der Humor und der Witz nicht mehr ganz so vordergründig zu sein, sondern viel mehr Persönliches.
Anna Mabo: Es gibt ja einen riesigen Unterschied zwischen Humor und Witz. Ich finde, auch sehr traurige Lieder können Humor haben. Oder auch Theaterstücke – solche können, selbst wenn in ihnen kein Witz vorkommt, dennoch humorvoll sein. Daher denke ich nicht, dass auf dem neuen Album der Humor verloren gegangen ist, nur hatte der Witz diesmal einfach keine Notwendigkeit. Und ich glaube, das ist auch ein Unterschied zu den vorangegangenen Alben.
Ich war vor zwei Jahren, während der Produktion des dritten Albums, bei einem Bright-Eyes-Konzert und war damals sehr berührt davon, wie ungefiltert und unironisch traurig ihre Lieder sind – und auch davon, wie kaputt dieser Conor Oberst ist und wie ehrlich das alles auf eine bestimmte Art wirkt. Nach diesem Konzert habe ich dann auch das Lied „Pyrenäentourist“ geschrieben, weil ich mir dachte: Was ist, wenn man in einem Lied einfach einmal auf eine humorvolle Wendung verzichtet?Vielleicht ist ein wenig Mut dazugekommen, auch zu sagen: Es geht manchmal ohne Witz – verliert dabei aber dennoch nicht den Humor.
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Dennoch hat man beim Durchhören deiner Lieder immer das Gefühl, dass unter dem Humor noch eine zweite, ernstere Ebene mitschwingt. Auf den ersten Blick vermittelt die Musik einen vermeintlich positiven Vibe, gleichzeitig ist aber stets auch eine melancholische Note spürbar.
Anna Mabo: Da stellt sich halt immer die Frage, was im Vordergrund steht. Es kann durchaus sein, dass bei fröhlichen Liedern Melancholie mitschwingt, aber ebenso kann in melancholischen Liedern ein Funke Hoffnung oder Fröhlichkeit stecken. Ich habe das Gefühl, das geht in beide Richtungen.
Und ich finde, der Titel des Albums „Mittelschwere Ekstase“ beschreibt das sehr gut. Es geht nicht darum zu sagen: In allem Glück steckt immer auch ein bisschen Traurigkeit“, sondern vielmehr darum, dass alles gleichzeitig passiert – dass es keine widersprüchlichen Gefühle gibt, die bloß nebeneinander existieren, sondern dass sie sich zu etwas Neuem verbinden.
Das ist für mich dieses Gefühl der mittelschweren Ekstase: ein ganz eigener Zustand, kein Nebeneinander zweier Gegensätze, die sich im Weg stehen, sondern ein Verschmelzen, bei dem sich die Farben zu einer neuen Farbe mischen.
Und ich finde, das ist ein witziges, ambivalentes Gefühl. Man weiß oft nicht genau, wo man im Moment steht. Und das beschreibt meine derzeitige Gegenwart ziemlich gut: da ist so ein Grundgefühl von einer Gleichzeitigkeit von allen Dingen.
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Der Song „Alles ist anders“ ist ein gutes Beispiel dafür. Er wirkt zunächst wie ein Partylied, zu dem man gut tanzen kann – der Text geht jedoch in eine andere Richtung.
„Anders“ ist ja wertfrei: Es bedeutet, dass etwas weggefallen ist, das einmal da war, oder dass etwas Neues hinzugekommen ist – oder beides. Gleichzeitig bleibt etwas vom Alten bestehen. Im Song geht es darum, jemandem, der die ausgestreckte Hand gerade nicht ergreifen will, die Hand trotzdem zu reichen und zu sagen: „Auch wenn es dich gerade nicht freut, bleibe ich heute da.“ Manchmal wollen Menschen Hilfe oder Liebe im Moment nicht, weil sie gedanklich oder emotional woanders sind – aber das bedeutet nicht, dass man sich deshalb abwenden muss. Es ist zwar jetzt anders, aber es wird wieder anders, und darauf kann man sich verlassen.
Ein Lied, welches doch mehr in Richtung Humor geht, ist „Zwanzig mehr“. Oder täuscht das und du hast Angst das Partyzeit im Leben ist vorbei?
Anna Mabo: Es ist natürlich witzig gemeint, weil ich ja noch nicht alt bin. Es ist ironisch, wenn man mit 29 sagt: „Ich bin halt keine 20 mehr“, obwohl man auch noch nicht 50 ist und noch einiges vor einem liegt. Trotzdem finde ich es amüsant, dass ich mich als 29-Jährige ein wenig wie eine 60-Jährige inszeniere.
Sibylle Berg hat einmal in einem Interview gesagt, dass sie zwar schon früh Bücher geschrieben hat, ihr aber irgendwann aufgefallen sei, dass man bis etwa 30 fast immer über sich selbst schreibt. Und das sei auch gut und wichtig, weil man sich zunächst selbst in der Welt verorten muss, bevor man die Welt wirklich betrachten kann.
Wenn ich weiter zurückdenke, an die Zeit mit 16, erinnere ich mich, wie überwältigend alles damals wirkte: Man hatte gerade erst gelernt zu gehen, alleine zu essen, und plötzlich wird man in die Welt geworfen und erkennt, dass man noch gar nicht lange ein denkender Mensch ist. Nach und nach merkt man, wie viel es eigentlich zu fühlen und zu begreifen gibt. Rückblickend entdeckt man, dass die Probleme, die man damals hatte, aus heutiger Sicht vielleicht klein wirken – zu dem Zeitpunkt waren sie aber groß. Ich glaube, dieses Erkennen hört auch mit 20 noch nicht ganz auf.
Sibylle Berg meinte, dass man erst ab etwa 30 anfängt, sich mit anderen Dingen auseinanderzusetzen, und dass die Auseinandersetzung mit sich selbst davor wichtig ist und keineswegs klein geredet werden sollte. Darum finde ich alle Probleme, Sorgen, Gedanken und auch Lieben, die man in jedem Lebensstadium hat, wertvoll. Gleichzeitig ist es witzig zu merken, dass sich irgendwann eine positive Gelassenheit gegenüber vielen Dingen einstellt, weil nicht mehr alles ständig so arg wirkt.
Ich kann aber nicht behaupten, dass ich diesen Punkt schon erreicht habe – ich habe nur die Hoffnung, dass er sich vielleicht irgendwann einstellt.

Das Album ist, was das Musikalische betrifft, unglaublich vielseitig – es reicht von den traurigsten Melodien auf Clemens’ Cello bis hin zu räudigem Punk. Der Bogen ist wirklich sehr weit gespannt. Haben sich deine Ansprüche an die Musik im Laufe der Zeit nicht genauso verändert wie die an deine Texte?
Anna Mabo: Anspruch? Ich weiß gar nicht, ob ich diesen habe. Ich glaube, dass ich mir inzwischen mehr zutraue und die Suche dadurch ergebnisoffener geworden ist. Eine große Rolle hat aber auch gespielt, dass das Album in einer umfassenden Zusammenarbeit entstanden ist. Alex und Clemens kommen ja aus ganz unterschiedlichen Welten und haben einen immens breiten musikalischen Hintergrund. Sie bringen Impulse und Einflüsse ein, die ich selbst gar nicht habe, weil mir auch die Fähigkeit fehlt, die Dinge auf diese Weise zu spielen. Schön ist auch, dass wir uns mittlerweile so gut kennen, dass es sich fast wie ein gemeinsames Gehirn anfühlt, das in eine Richtung steuert – ohne, dass ich als Chefin sagen muss: „So, jetzt machen wir hier diese traurigen Streicher.“ Darum geht es, glaube ich, auch gar nicht in erster Linie um den musikalischen Anspruch, sondern vielmehr darum, dass ich jetzt das Gefühl habe, wir haben eine gemeinsame Sprache für dieses Projekt gefunden.
Und es ist auch die Art, wie Clemens Cello spielt und Alex Schlagzeug – beide sind so eigenständig. Clemens bekommt von Leuten ja oft zu hören, dass sie gar nicht wussten, was man mit einem Cello so alles machen kann. Das finde ich total cool, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass ich Texte auf eine ähnliche Weise schreibe, wie die beiden ihre Instrumente spielen – man wird immer wieder überrascht, in welche Richtung es plötzlich gehen kann. Am Ende wirkt es fast so, als gäbe es verschiedene Instrumente – die Sprache, das Cello und das Schlagzeug –, die aber alle dieselbe Sprache sprechen. Das ist für mich total faszinierend.
Zudem hat sich über die Jahre auch unsere Freundschaft gefestigt – wir kommen ohne viele Erklärungen miteinander aus. Dadurch passiert beim Schreiben der Lieder alles relativ organisch. Es geht uns nicht darum, möglichst viele verschiedene Genres abzudecken. Wir schreiben einfach Lieder, und weil der Prozess so ergebnisoffen ist, bekommen sie genau das Universum, das sie brauchen. Und da die Lieder so unterschiedlich sind, ist letztlich auch die Musik insgesamt sehr vielseitig.
Ich würde nach wie vor sagen, dass der Text im Vordergrund steht und die Welt erschafft, in der die Musik stattfindet. Aber die Musik ist das Raumschiff, das es ermöglicht, in alle möglichen Universen aufzubrechen. Und das ist irgendwie ganz cool, weil ich dadurch, glaube ich, auch im Schreiben freier werde.
Wie ist das eigentlich bei dir, wenn du die Texte schreibst. Brauchst du eine ganz bestimmte Stimmung, nimmst du dir viel Zeit dafür, oder geht es dir leicht von der Hand?

Anna Mabo: Das ist sehr unterschiedlich. Ein Album ist für mich eher eine Sammlung von Eindrücken, Erlebnissen und Beobachtungen. Im Laufe von ein bis zwei Jahren passieren genug Dinge, die für sich genommen erst einmal keinen Sinn ergeben. Ich habe das Gefühl, dass ich am besten schreibe, wenn ich versuche, Antworten auf diese Dinge zu finden. Dabei entstehen Lieder, die diese Fragen formulieren – und das lässt mich vielleicht manchmal weiser wirken, als ich tatsächlich bin, weil die Songs den Anschein erwecken, als hätten sie schon Antworten gefunden. Aber in Wahrheit gibt es auf jede Frage viele mögliche Antworten, und jedes Lied ist ein Versuch, eine davon sichtbar zu machen. In ein, zwei Jahren sammelt sich relativ viel an, das rückblickend eigentlich ganz interessant ist. Es ist, als würde man ein altes Tagebuch lesen und erst im Nachhinein verstehen, wo man damals stand und was man sich gedacht hat.
Das ist eigentlich eher meine Arbeitsweise. Wie die Lieder entstehen, ist dann immer unterschiedlich, weil es auch ein Stück davon abhängt, wo man sich gerade im Leben befindet. Dadurch, dass ich im Theater arbeite, gibt es keine klar abgegrenzten Zeiträume zum Schreiben. Manche Ideen hängen deshalb monatelang in meinem Kopf herum, bis ich irgendwann endlich die Zeit finde, sie fertigzuschreiben.
Wie sehr spielt das Politische in deinen Liedern eine Rolle?
Anna Mabo: Das ist es eine schwierige Frage, weil man ja auch sagt, alles ist politisch. Ich frage mich da immer, ist nicht auch die Art, wie man auftritt oder auch die Art, wie man innerhalb einer Band miteinander umgeht, auf gewisse Weise auch schon ein politischer Akt. Begegnet man sich auf Augenhöhe, wie sanft geht man miteinander um oder wie steil sind die Hierarchien. Es gibt eine Art, politische Kunst zu machen, die man nicht sieht, aber, so glaube ich, dennoch spürt. Und ich glaube, dass das schon indie Texte einfließt, der Wunsch nach einer Welt, in der die Leute sanft sind, auf Augenhöhe miteinander umgehen, tolerant sind, Schwächen zulassen, und nicht der Stärkere gewinnt, sondern es eine Gemeinschaft gibt, in der man sich gegenseitig unterstützt.
Ich glaube, dass das zum Beispiel im Song „Optimist“ ganz gut herauskommt. Es geht darum, dass man nicht immer alleine am stärksten ist, sondern dass man auch zu zweit die Welt betrachten kann – und wenn eine Person einmal schläft, passt die andere auf. Das sind Weltbilder, die sich zwar nicht tagespolitisch positionieren, die aber trotzdem eine Welt herbeisehnen, in der man sich umeinander kümmert und nicht gegeneinander kämpft. So ein Song lässt sich mit einer rechten Weltanschauung nicht ernsthaft vereinbaren.
In „Wut zurück“ geht es eigentlich darum, wie man Protest und politische Themen in Musik einbringen kann. Ich bewundere Protestlieder, wie die von Bob Dylan, die sich klar positionieren, und ich habe neulich auch Monobrother gehört – ich fand, dass er es extrem gut schafft, die politische Lage klar zu benennen. Gleichzeitig muss die Musik dazu passen. Es ist gar nicht so leicht, über große Krisen oder systemische Probleme wie das Patriarchat, den Kapitalismus, Krieg oder die Klimakrise zu singen, die uns alle täglich erschüttern, weil ich dann fast das Gefühl habe, dass die Art, wie ich sie besingen kann, fast verharmlosend wirkt.
Drum gibt es im Lied „Wut zurück“ die Übersetzung dahingehend, wie all das auf einen Menschen wirkt, wie ein einzelner Mensch mit dem Ballast dieser Gegenwart umgeht und wie er selbst ein Spiegel der großen Krisen ist. Gleichzeitig finde ich, dass man bestimmte Dinge auch konkret ansprechen muss. Gerade in „Wut zurück“ fand ich spannend, dass man sich damit auseinandersetzt, worüber man sich eigentlich ärgert, und dann erkennt, dass man sich oft viel zu wenig ärgert – weil man es sich irgendwie abtrainiert hat. Daraus entsteht die Frage: Wo kann Wut konstruktiv sein, und wo kann sie als Antrieb dienen?
Gerade als Frau hat man oft gelernt, den Fehler bei sich selbst zu suchen und in eine Art Passivität zu verfallen – eher traurig zu werden, statt wütend. Traurigkeit ist jedoch lähmend, während Wut etwas Aktives ist. Der Song ist kein Aufruf, hinauszugehen und jemandem auf den Kopf zu hauen, aber es geht darum, Ärger zuzulassen, um sich eine gewisse Handlungsfähigkeit zu bewahren.
Du bist ja auch erfolgreiche Theaterregisseurin. Am 7. Oktober feiert im Wiener Rabenhoftheater ja dein neues Stück „FERDINAND RAIMUND – DER GANZE“ Premiere. Welchen Stellenwert hat Musik für dich neben deiner Theaterarbeit. Ist Musik Ablenkung vom Theater?

Anna Mabo: Wichtig ist mir immer das, was ich gerade mache – das andere ist dann so etwas wie der Urlaub davon. Dadurch ändert sich die Wertigkeit regelmäßig. Was ich aber von Anfang an ganz toll fand, als ich begonnen habe, beides zu machen, war das Gefühl, dass die zwei Disziplinen unglaublich viel voneinander lernen können. Musik habe ich ja zuerst ganz alleine gemacht. Am Theater war es dagegen angenehm, dass dort so viel kommuniziert wird. Es sind immer viele Leute involviert – es ist sozial, aber auch sehr fordernd. Gerade in der Regie geht es ganz stark ums Kommunizieren, Verhandeln und Zuhören. Wenn du dagegen alleine Musik machst, brauchst du eigentlich nichts: Du hast eine Gitarre, steckst sie an, machst, was du willst – und wenn es schlecht ist, dann ist es halt schlecht. Aber du bist die Einzige, die da auf der Bühne steht, und hast für niemand anderen Verantwortung.
Das war für mich am Anfang sehr erholsam. Jetzt, wo ich auch in der Musik mit einer Band arbeite, habe ich das Gefühl, dass ich diese Dynamik voll aufs Theater übertragen konnte. Denn im Theater gibt es immer noch stark den Glauben an Hierarchien: dass die Regie alles vorgibt und die Schauspielerinnen und Schauspieler nur ausführen. Mich hat es anfangs irritiert, warum in einem künstlerischen Beruf eine Stimme so viel stärker sein sollte als alle anderen. In der Band war es genau andersherum: Klar, ich schreibe die Lieder, aber wir sind eine Band – und nur weil jeder ein anderes Instrument spielt, bedeutet das nicht, dass einer wichtiger ist als der andere.
Da habe ich gesehen: Unterschiedliche Aufgabenbereiche bedeuten nicht automatisch Hierarchie, sondern einfach, dass jeder etwas anderes gut kann – und zusammen entsteht dann etwas, das größer ist als die Summe der Teile. Dieses Bandgefühl konnte ich voll in meine Theaterarbeit mitnehmen. Ein Theaterensemble ist auch wie eine Band: Verschiedene Leute machen Verschiedenes, und ich bin halt die Regie-Person, die draußen sitzt und zuschaut, statt selbst auf der Bühne zu stehen. Ich bin sozusagen nur ein Instrument unter vielen.
Und ich glaube, als ich angefangen habe, Musik zu machen, hat mir dadurch auch das Theater wieder viel mehr Spaß gemacht, weil ich diese Haltung in beide Richtungen mitnehmen konnte. Gleichzeitig konnte ich auch vom Theater etwas in die Musik übertragen: dieses Miteinanderreden und Zuhören.
Im Stück „FERDINAND RAIMUND – DER GANZE“ kommt ja beides zusammen: Theater und Musik.
Anna Mabo: Ja, das mache ich ja auch nur sehr selten – jetzt erst zum zweiten Mal. Und auch nur, weil der Rabenhof uns dieses Vertrauen entgegenbringt. Normalerweise sind Theater und Musik zwei ganz verschiedene Bereiche. Bei diesem Stück war es aber naheliegend, weil dieser Crossover etwas ist, das ich mich schon lange einmal trauen wollte. Ich glaube auch, dass gerade Clemens und Alex durch ihre Vielfältigkeit im Theater viel einbringen können – und nicht nur künstlerisch, sondern auch einfach als die Menschen, die sie sind, weil sie einer Gruppe sehr guttun.
Und das Stück heißt „FERDINAND RAIMUND – DER GANZE: Das Musical, eine Liebesgeschichte vielleicht“. Ich habe es gemeinsam mit Vincent Sauer geschrieben – er ist ebenfalls Autor und steht auch mit auf der Bühne. Außerdem spielt die Schauspielerin Isabella Knöll mit.
Das Stück ist eigentlich ein bisschen aus einem Witz heraus entstanden. Wir haben mit dem Rabenhof überlegt, was wir machen könnten – die Vorgabe war, dass es ein Stück sein sollte, das man kennt. Da habe ich halb im Scherz gesagt: Ferdinand Raimund, aber mit nur zwei Personen. Lustig ist das vor allem deshalb, weil Raimund sonst Stücke mit bis zu 180 Rollen geschrieben hat.
Aus diesem Scherz ist dann die Idee gewachsen, eine Liebesgeschichte zu erzählen, die in einem Universum spielt, in dem die fiktive Figur Ferdinand Raimund und die fiktive Figur Anna Mabo aufeinandertreffen. Beide dichten, beide arbeiten im Theater, beide leben in Wien – eigentlich das perfekte Paar. Nur der Altersunterschied von 206 Jahren ist ein kleines Problem. Aber wenn man ein bisschen zaubern kann, lässt sich auch das lösen.
So entwickelt sich eine Liebesgeschichte, in der alle Stücke von Ferdinand Raimund vorkommen. Ob das Ganze gut ausgeht oder nicht, erfährt man im Rabenhof. Im Grunde behandelt das Theaterstück viele Themen, die auch auf dem Album vorkommen.
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Anna Mabo & die Buben live
15.10.2025 – Porgy & Bess, Wien / / Albumpräsentation
18.10.2025 – Posthof, Linz
19.10.2025 – Treibhaus, Innsbruck
23.10.2025 – Altes Kino, Rankweil
25.10.2025 – Nexus, Saalfelden
Termine:
FERDINAND RAIMUND – DER GANZE!
Das Musical, eine Liebesgeschichte vielleicht
07.10.2025 – Rabenhof, Wien
09.10.2025 – Rabenhof, Wien
10.10.2025 – Rabenhof, Wien
21.10.2025 – Schauspielhaus, Salzburg
22.10.2025 – Schauspielhaus, Salzburg
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