„ES WIRD MANCHMAL WIRKLICH ÜBERMENSCHLICH” – KONSTANTIN MUES-BOEF UND ANA-MARIA HERZOG (JULIA EFFEKT) IM MICA INTERVIEW

Es wabert irgendwo zwischen Aufbruch und Ermüdung, zwischen Zerbrechen und Euphorie: der Sound von JULIA EFFEKT. Kein Post‑Punk, keine Retro-Replikation, kein Versuch, etwas zu wiederholen, sondern das eigenwillige, flackernde Echo einer Generation, die sich ihre Subkultur selbst wieder erschaffen muss. KONSTANTIN MUES‑BOEUF, ANA‑MARIA HERZOG, JACOB RAPHAEL DÖRR, OSCAR BÖHM und MAXIMILIAN EBERHART nennen das, was sie tun, mit Recht die letzte deutsche Welle: Musik zwischen Nachbeben und Neuanfang, post‑apokalyptisch und zugleich tief menschlich. Auf ihrem Debütalbum „Nachtparkett“ (VÖ: 17. Oktober bei Phat Penguin) verdichten sie diese Energie zu Songs, die gleichzeitig brennen und frieren. Es ist Musik, die atmet, stolpert, taumelt und genau darin ihre Schönheit findet: Zwischen Dringlichkeit und Verletzlichkeit stellen sich einem dabei wärmend die Haare auf. Im Gespräch mit Ania Gleich erzählen KONSTANTIN MUES‑BOEUF und ANA‑MARIA HERZOG, warum alles bei ihnen organisch passiert, wie aus Streit Magie werden kann, was es heißt, als Kollektiv zu funktionieren, und warum sich in ihrer Wut auch immer Zärtlichkeit verbirgt.

War das eure erste Tour im Oktober, zusammen mit Anda Morts?

Ana-Maria Herzog: Ja. Wir haben auch noch nicht so oft live gespielt. Wir haben vier-, fünfmal gespielt und dann zack: Tour! Bam, bum, bamm. 

Konstantin Mues-Boeuf: Unser erstes Konzert war letzten Sommer im B72. Vorher haben wir die Musik eher still im Kämmerchen gemacht. Und dann dachten wir: Probieren wir die Songs mal live aus. Ich kenne Leonid (Anm. Sushon) von den Leftovers sehr gut, wir haben zusammen studiert. Die ganze Mannschaft kam dann zu unserem ersten Gig. Das war richtig schön und es waren mehr Leute da, als wir dachten. So 150. Hochsommer. Und das, obwohl wir kaum Werbung gemacht haben.

Ana-Maria Herzog: Naja, wir haben schon die Stadt plakatiert mit einem selbst gemachten Plakat. Ein bisschen kleistern waren wir schon.

Konstantin Mues-Boeuf: Jedenfalls war es ein schöner Abend und dann haben die Leftovers uns direkt versucht, das Label schmackhaft zu machen. So kam der Kontakt mit Phat Penguin zustande. Die waren dann einmal bei uns im Proberaum und dann war es klar. Aber das Album war zu dem Zeitpunkt eigentlich schon fertig. Wir haben alles selbst aufgenommen – bei Oskar (Anm. Böhm), unserem Rhythmusgitarristen, im Studio. Das Label hat dann nur noch den Master bezahlt. Sonst alles DIY. Wir machen einfach unser Ding und wenn jemand helfen will: gerne. Aber wir bleiben unabhängig.

Bild der Band Julia Effekt
Julia Effekt © Elias Partoll

Wann kam bei euch der Moment, wo ihr gemerkt habt: Da passiert gerade mehr als nur eine Bandprobe?

Ana-Maria Herzog: Die Jungs hatten sich schon gefunden, suchten aber noch eine Bassistin. Ich bin da irgendwie reingerutscht. Jakob (Anm. Dörr), unser Schlagzeuger, ist mein bester Freund – wir sind zusammen nach Wien gezogen, haben zusammen studiert. Den Konsti kannte ich noch aus Karlsruhe. Es war direkt so: „Okay, ich komm mal vorbei. Ich kann zwar keinen Bass spielen, aber let’s go.“ Ich hatte vorher nur Gitarre gespielt. Und schon bei der ersten Probe mit allen fünf war klar: Das ist mehr. Es war direkt magisch. Nächste Probe – zack, zack – Song fertig. Zwei Monate später: ganzes Album. Bam.

Konstantin Mues-Boeuf: Max (Anm. Eberhart) und Oskar hatten vorher schon eine Band, aber das war kompliziert. Der Sänger ist gegangen oder wurde gegangen. Ich kannte Oskar (Anm. Böhm) aus der Schauspielbubble. Dann haben wir langsam angefangen zu proben. Das erste Jahr war eher holprig – der Bassist und der Schlagzeuger passten nicht. Jakob war dann der Freund meiner Mitbewohnerin und so kam das alles zusammen. Ich hatte irgendwann angefangen, so eine mentale Map zu zeichnen, mit Themen und Musikrichtungen, die uns interessieren. Jede:r hat dann etwas eingebracht. Und daraus ist dieses Sound-Puzzle entstanden.

Was passiert bei euch im Proberaum, wenn dieser Moment entsteht, wo es klickt?

Ana-Maria Herzog: Ich glaube, jede:r konnte sich genug Raum nehmen. Es gab kein Gefühl von „zu viel“ oder „zu wenig“. Kein falscher Ton war zu groß. Man konnte einfach Musik machen und rauslassen, was man kann. Und es wurde alles wertgeschätzt. Auch wenn man gerade erst lernt – wie ich mit dem Bass – oder Jakob mit dem Schlagzeug, oder du mit dem Gesang, Konsti. Alle haben einfach gemacht. Und es hat Klick gemacht.

Wie sehr beeinflussen eure Hintergründe und Lebensrealitäten, was Julia Effekt heute ist?

Ana-Maria Herzog: Ich glaube, Musik hat uns allen auf eine eigene Weise Halt gegeben. Ich glaube, jede:r … Mach den Satz fertig!

Konstantin Mues-Boeuf: … jede:r hat sein Päckchen zu tragen! Ich komme zum Beispiel aus dem klassischen Bereich – Kinderchor, Kirchenchor, Opernchor. Und dann kam Metal als extremes Gegenstück. Das war mein Ausbruch. Trotzdem liebe ich klassische Musik bis heute. Max ist ein unglaublicher Gitarrist und Songwriter. Er hatte es nicht leicht, hat aber immer über die Gitarre einen Weg gefunden, das zu verarbeiten. Musik war für uns alle irgendwie ein Zufluchtsort, aber auch ein Antrieb. Wir wollten uns eine eigene Welt bauen. Einen Ort, wo wir uns wohlfühlen ohne äußere Einflüsse. Subkultur war von Anfang an ein wichtiger Begriff, weil wir das Gefühl hatten, dass es das kaum noch gibt. In meiner Schulzeit gab es noch Skater, Punks, Szenen – das ist heute viel seltener. Darüber haben wir uns deswegen auch gefunden: über Styling, gemeinsame Themen, Musik. Und weil es im deutschsprachigen Raum kaum Bands gibt, die so klingen wie wir, dachten wir: Wir machen’s einfach anders. Wir haben versucht, möglichst alles analog zu halten. Keine Synths auf der Bühne – Effekte klar, aber live.

Ana-Maria Herzog: Wobei – so ganz analog sind wir natürlich auch nicht! Aber unser Ansatz ist: Wir schreiben die Musik fürs Live-Spielen und versuchen, das dann im Studio festzuhalten – nicht umgekehrt.

Mir fällt auf, dass bei vielen Acts diese perfekte Studioästhetik im Vordergrund steht. Das nimmt, finde ich, viel von der Kultur, die Musik eigentlich mitbringt.

Ana-Maria Herzog: Ja, total. Ich glaube, da schließt sich der Kreis ganz gut. Bei uns ist es nämlich genau das: Alles, was wir rausbringen – vom Artwork über die Schrift bis zur aufgenommenen Musik und den Instrumenten – machen wir komplett selbst. Jakob und ich haben Architektur studiert, wir sind beide Handwerker:innen. Er ist Zimmermann, ich bin Tischlerin. Konstantin ist Schauspieler, Max lebt eigentlich für die Gitarre, und Oskar hatte einfach das Glück, ein eigenes Tonstudio aufbauen zu können. Ich glaube, das ist auch so ein Ding bei uns: Alles, was wir im Leben bisher gelernt haben, fließt jetzt in Julia Effekt ein. 

Konstantin Mues-Boeuf: Und viele Leute sind uns einfach begegnet, weil wir so gelebt haben, wie wir leben. Da war nichts strategisch, nicht geplant. Die Musik hat uns da hingeführt.

Ana-Maria Herzog: Wir haben halt auch alle immer Musik gemacht. Ich habe früher im Orchester gespielt, komme auch eher aus dem Klassikbereich. Ich bin aber auch voll die Popmaus. Und Jakob hat mit 13 auf irgendwelchen Volksfesten gespielt. 

„ALLE WOLLEN BESONDERS SEIN, ABER NICHT MEHR GEMEINSAM”

Ich glaube, man kann Menschen auch wieder mehr Kontrastreichtum zutrauen.

Ana-Maria Herzog: Auch unsere Dynamik als Band lebt davon. Wir haben uns gestritten. Oh Gott, wie wir uns gestritten haben … 

Konstantin Mues-Boeuf: Aber das ist wichtig. Gerade auf Tour haben wir gemerkt: Eine Band funktioniert am besten, wenn sie auch als Menschen funktioniert und die Musik erzählt dann unsere Beziehungen.

Ich würde gern nochmal auf das Stichwort Subkultur zurückkommen. Warum, glaubt ihr, sind Subkulturen so stark zurückgegangen? Was fehlt heute?

Ana-Maria Herzog: Ich glaube, dieser extreme Individualismus ist ein Grund. Alle wollen besonders sein, aber nicht mehr gemeinsam. Eine Subkultur entsteht ja nicht durch fünf Leute, sondern durch viele, die sich zeigen, sich hinlegen können, sich verletzlich machen. Wenn alle nur „ich, ich, ich“ machen, funktioniert das nicht. 

Konstantin Mues-Boeuf: Es geht ja darum, Räume zu schaffen, wo das Gemeinsame im Vordergrund steht. Und es hängt auch mit dem System zusammen. Stichwort: Spätkapitalismus. Alles ist Wettbewerb. Alle müssen sich behaupten und werden zu Einzelbrödlern im Wirtschaftscheißdreck. Aber wir glauben, das ändert sich wieder. Politische Bewegungen bringen Leute näher zusammen. Menschen schaffen Orte, an denen sie ohne Druck Gemeinschaft erleben können – ohne Ausschlusskriterien. Ich habe das bei einem Konzert von Verlierer richtig gespürt. Da schreien alle „Fick diese Stadt!“ und man merkt: Alle sind jetzt da. Im Moment. Nicht im Internet. Nicht in der Blase. Sondern echt. Das Internet hat einen riesigen Einfluss auf Subkultur. Sie findet oft nur noch dort statt, aber wir brauchen sie auch im echten Leben. Mir hat das immer gefehlt. Jetzt bauen wir sie uns langsam selbst auf. Letzten Samstag haben wir im 15. Bezirk in Wien gespielt – im Keller vom Radau-Kollektiv. Alles selbst organisiert. Viel zu laut aber niemand hat sich beschwert. Der Typ an der Bar war so: „Man kann nichts mehr bestellen“, und der andere: „Ja, aber es muss so laut sein.“ Dann war es halt so. Der Laden war voll bis unter die Decke. Feuchtfröhlich. Ausgerastet. Alle nass gemacht. Reingesprungen. Zu viel Rauch. Ich hatte so Kopfschmerzen.

Ana-Maria Herzog: Und trotzdem: Es war alles da. Frauen, Männer, alles dazwischen. Alle waren am Start. Es hat einfach gut getan, von der Bühne runterzuschauen und zu sehen: Die Leute sind eingecheckt, mit ihren Friends da, alles okay.

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Viele wissen gar nicht mehr, dass es solche Räume gibt. Es gibt so eine Grundängstlichkeit.

Ana-Maria Herzog: Genau. Ich war da wirklich gerührt. Kleine, große, dicke, dünne Menschen – alle einfach da, haben aufeinander aufgepasst. Ich liebe das. 

Konstantin Mues-Boeuf: Dieses Gefühl hatte ich auch auf Tour: Dass die Leute, die unsere Musik hören, zusammenkommen und einen geilen Abend haben. Es geht gar nicht darum, sich komplett die Kante zu geben, sondern einfach diesen Zusammenhalt zu spüren. Das ist, was Subkultur ausmacht. 

Ana-Maria Herzog: Hemmungslos sein, aber gleichzeitig aufeinander achten.

Ich habe beim Hören eurer Musik oft das Gefühl, sie schwebt zwischen Aufbruch und Erschöpfung, zwischen Zerbrechen und Euphorie. Diese Ambivalenz ist sehr präsent. Wie entsteht so ein Gefühl bei euch? Wie entsteht eine Geschichte?

Ana-Maria Herzog: Ich glaube, sie beginnt tatsächlich meistens instrumental: mit einem Riff, einer Melodie, einem Drumbeat. Dann kommt Konsti oft mit einem Text, den er im Handy hat oder aus einem Erlebnis zieht. Und er schafft es dann sehr gut, das Gefühl, das wir zu viert schon irgendwie angespielt haben, textlich einzufangen. Oder wie würdest du es beschreiben, Konsti? 

Konstantin Mues-Boeuf: Ich mache mir schon viele Gedanken, manchmal vielleicht zu viele. Aber für mich beginnt jede Geschichte mit einem Konflikt. Oft ist es so: Max bringt ein Riff, ich hab eine Assoziation dazu oder erzähle eine Geschichte, wir jammen gemeinsam, und ich schreibe währenddessen den Text. Oder ich habe schon einen Text, ein Gefühl, das ich ausformulieren will, und wir schauen dann gemeinsam, wie wir das instrumental übersetzen können. Mir ist dabei wichtig, dass der Text immer offen bleibt; dass es mindestens zwei oder drei Lesarten gibt. Dass sich jede:r einfühlen kann, aber wir selbst auch entscheiden können, welche Interpretation wir zulassen wollen.

Ja, das ging mir beim Hören auch so – ich war manchmal nicht sicher: Ist das ein Break-up? Oder geht es um Familie?

Konstantin Mues-Boeuf: Genau. Vielleicht ist es alles. Oft sind die Erlebnisse, die ich beschreibe, eher Stellvertreter für ein übergeordnetes Gefühl – sowas wie ein archetypischer Konflikt. Ich übersetze das dann in meine Bilder, aber das Gefühl ist universell.

„ES IST WICHTIG, WUT RAUM ZU GEBEN UND ZU LERNEN, WIE MAN MIT IHR UMGEHT”

Ich glaube, genau deswegen löst eure Musik bei mir auch so Teenager-Gefühle aus. Vielleicht, weil man da zum ersten Mal merkt, dass in jeder Geschichte auch etwas Verletzliches steckt. 

Ana-Maria Herzog: Total. Wir arbeiten alle noch viel auf – jede:r von uns. Wir alle haben unsere Päckchen. Und dann sitzen wir da zu fünft – weinen, lachen, schreien einander an. Manchmal verstehen wir Konstis Texte nicht sofort, sind unsicher – „Kannst du das wirklich so sagen?“ Und dann erklärt er uns das Gefühl dahinter, und plötzlich sind wir alle: „Ja, klar kannst du das sagen.“ Und wir fangen einander auf.

Konstantin Mues-Boeuf: Ich mag es auch, wenn ein Text falsch verstanden werden kann. 

Ana-Maria Herzog: Das haben wir irgendwie alle lieben gelernt. 

Konstantin Mues-Boeuf: Es erlaubt einem, das Publikum ein bisschen hinters Licht zu führen. Und ich glaube, genau dieses Album ist für mich auch ein Moment von Emanzipation. Eine erste wirkliche. Deswegen sind Kinder auch ein zentrales Motiv – in den Texten, in den Single-Covers, im Album-Artwork. Vielleicht wollen wir unseren früheren Ichs sagen: „Es ist okay.“ Oder ihren Gefühlen Raum geben. Ich glaube sowieso, in jedem Menschen lebt ein Kind – auch wenn es 90 ist.

Es gibt ja nicht umsonst diesen Begriff der jugendlichen Wut. Diese rohe, stumme Kraft, die rausdrängt. Ich glaube, Wut hat heute ein anderes Gesicht bekommen. Sie wirkt oft gefährlich – besonders bei Männern.

Konstantin Mues-Boeuf: Ja, Wut ist sehr negativ konnotiert. Dabei ist jeder Mensch wütend. Aber trotzdem: wütende Männer sind gefährlich, das darf man auch nicht runterspielen. Gleichzeitig ist es wichtig, Wut Raum zu geben und zu lernen, wie man mit ihr umgeht. 

Ana-Maria Herzog: Gezielt eingesetzt, kann Wut Berge verschieben. Im Negativen, klar – aber auch im Positiven. 

Viele Kulturen oder Szenen sind ja aus einer Art Wut entstanden. Aber heute ist das schwieriger – es gibt keinen klaren Mainstream mehr, gegen den man sich stellt. 

Ana-Maria Herzog: Die Schnittstellen haben sich verschoben.

Wenn wir schon bei den großen Themen sind: Habt ihr beim Spielen oder Musikmachen manchmal das Gefühl, dass das, was ihr tut, größer ist als ihr selbst? Dass es euch irgendwie übersteigt?

Ana-Maria Herzog: Ich teare ein bisschen up, wenn ich daran denke. Das kann ich kaum beschreiben. Wenn Max dieses eine Solo spielt, am Ende. Ich fühle mich da oft komplett ohnmächtig, selbst zu spielen. Dann sind plötzlich alle so klein. Manchmal höre ich einfach nur, wie Jakob… wie er so … 

… schreit? 

Ana-Maria Herzog: Schreit! Literally – wie er in die Drums haut. Und dann passiert so eine Art Symbiose. Wir schießen uns gegenseitig Gefühle zu. Man fühlt sich dabei aber nie allein. Und dann hat man plötzlich das andere Gefühl: „Okay, das ergibt alles wieder Sinn.“ Wir sind am richtigen Ort. Es ist gut. We’re doing this together. It’s not against us. Wir sind schon alle ein bisschen anxious. Aber wenn wir einander nicht hätten, würden viele dieser Gefühle vielleicht gar nicht rauskommen.   

Bild der Band Julia Effekt
Julia Effekt © Luca Wellensohn

Kann das, was ihr beschrieben habt – dieses Aufgefüllltwerden, dieses Über-sich-Hinauswachsen – nicht auch total anstrengend sein?

Ana-Maria Herzog: Es ist uranstrengend. Bei einem unserer letzten Konzerte erst – da waren wir nach dem Gig komplett fertig. Leer. Keine Ahnung. Es ist halt so intensiv. 

Konstantin Mues-Boeuf: Wenn auf der Bühne wirklich alles stimmt, dann ist das für mich so groß, dass ich fast denke: Das Publikum? Vielleicht blende ich es sogar ein bisschen aus in dem Moment. Das klingt größenwahnsinnig, aber manchmal fühlt es sich echt so an. Wie in einem antiken Bild – du stehst da, riesige Crowd, politische Ansprache, alles brennt. Wir sind da auch nicht wir selbst auf der Bühne. Es ist wie ein Moment, in dem man komplett aus sich rausgeht. Selbst Leute, die mir sehr nahestehen, sagen danach: „Ich hab dich nicht wiedererkannt.“ Es wird manchmal wirklich übermenschlich. Gerade bei großen Bühnen. Wir arbeiten auch bewusst theatral. Ich komme ja selbst vom Theater. Der erste Song dauert acht Minuten, wir öffnen mit Licht, Nebel, Atmosphäre. Ich merke dabei, wie ich richtig aus mir rauskomme. Da ist sehr viel Zappeln in mir. Aber danach? Danach ist es hart. Ich halte es manchmal gar nicht aus. Ich denke mir dann: „Was hab ich da gemacht?“ Es ist fast nicht aushaltbar für mich. Deshalb sind Afterpartys für mich wichtig. Diese Energie muss irgendwie raus. Ja, sonst geht’s gar nicht. Wenn die Show einfach endet – das halte ich nicht aus. Ich kann mich dann auch nicht einfach hinlegen. Ich bin noch auf 1080.

„WIR ORIENTIEREN UNS NICHT DARAN, WAS GERADE GEHT, SONDERN WORAUF WIR BOCK HABEN.”

Wie verarbeitet ihr diese Spannung weiter? Wird das zu neuer Musik oder fließt das in andere Dinge?

Konstantin Mues-Boeuf: Wir hatten noch nicht viel Konzerterfahrung, aber nach der ersten Tour war es so: einen Tag runterkommen, dann wollte ich gleich wieder los. Es macht süchtig, dieses Zusammensein. Die Zeit ist so egal – nichts zählt mehr. Sorgen sind weg. Alles ist egal. Du weißt: Abends Konzert, fertig. 

Ana-Maria Herzog: Und dann diese Rückmeldungen. Die sind so stark. Diese Menschen, die da stehen, mit strahlenden Augen. Und wir genauso. Wir fühlen das. Vielleicht sprechen wir es noch nicht so laut aus wie sie, aber es ist da. Das gibt einem total viel Rückhalt, weiterzumachen. Wir sind in einem Jahr total gewachsen, auch als Menschen. Wenn man sich alte Fotos anschaut: Wir waren so scheu. So baby-baby. 

Konstantin Mues-Boeuf: Wir haben uns von Anfang an extrem gehypt, intern. Wir meinten so: „Wir sind die beste Band der Welt!“ Vielleicht braucht man das, um auf Flughöhe zu kommen. Früher hatte ich viele Probleme mit Konkurrenzdenken. Heute denke ich: Scheißegal. Wir machen das, was uns gefällt und das kann niemand nachmachen. Wir orientieren uns nicht daran, was gerade geht, sondern worauf wir Bock haben.

Ana-Maria Herzog: Das ist wirklich ein großes Learning

Konstantin Mues-Boeuf: Kunst darf in erster Linie nur einen selbst interessieren. Es ist wurscht, wer das hört – solange es aus dir kommt. Sonst ist es nicht berührend.

Eure Songtitel haben oft etwas Lyrisches, Entrücktes. Allein der Titel des Albums hat etwas Traumartiges. Wollt ihr darüber noch etwas sagen?

Konstantin Mues-Boeuf: Ich liebe Neologismen. Ich versuche, möglichst viele einzubauen. Ich habe mich immer literarisch orientiert – an Wortwahl, an klassischen Bildern. Ich würde nie behaupten, dass meine Texte literarisch sind, aber mich interessiert Lyrik sehr.

Ana-Maria Herzog: Große Worte. Große Themen. Übermenschliche Themen. Ein bisschen drüber: Das gefällt uns.

Konstantin Mues-Boeuf: Ja, alles darf groß sein. Völlig drüber. Ich liebe das.

Gibt es etwas, das ihr mit dem Album abgeschlossen habt? Oder beginnt damit vielleicht sogar ein neuer Abschnitt?

Ana-Maria Herzog: Ich glaube, die Kindheit ist jetzt abgeschlossen. 

Jetzt kommt Adoleszenz?

Konstantin Mues-Boeuf: Wahrscheinlich. Ganz viel davon. Ich denke auch dramaturgisch. Das Album beginnt mit dem Anfang des Menschseins. 

Ana-Maria Herzog: Die neuen Songs, an denen wir gerade arbeiten, sind emotional genauso aufgeladen, aber komplexer. Man spürt total, wie wir uns weiterentwickelt haben. Aber jetzt freuen wir uns erstmal auf heute Nacht und auf morgen, wenn das Album erscheint. Dann ist es draußen. Und jede:r kann für sich entscheiden, wie es ins eigene Leben passt oder nicht.

Das stimmt. Schöne Abschlussworte. Danke euch!

Konstantin Mues-Boeuf und Ana-Maria Herzog: Danke dir!

Die Album-Release-Show findet am 2.12. In der Arena Wien statt. 

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Ania Gleich 

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