„ES WAR SEHR SCHNELL KLAR, DASS WIR NICHT DIESE KLASSISCHE STREICHQUAR-TETT-SCHIENE BEDIENEN MÖCHTEN.” – Das Noreia String Quartet IM MICA-INTERVIEW

Das Noreia String Quartet, bestehend aus Absolventinnen* der Gustav-Mahler-Privatuniversität in Klagenfurt, gewann 2022 den ARTEDEA-Kammermusikwettbewerb. Derzeit sind die vier jungen Musikerinnen – Alma Portič (Violine), Lena Kolter (Violine), Anna Bednarchuk (Viola) und Jana Thomaschütz (Violoncello) – mit einem neuen Programm auf Tour. Bei ihrer Programmwahl legen sie den Fokus auf die Interpretation zeitgenössischer Musik sowie auf Werke weniger bekannter Komponist:innen, die sie häufig in ungewöhnlichen Settings präsentieren.

Das Noreia String Quartet bewegt sich mit seinen Programmen etwas neben den ausgetretenen Pfaden des klassischen Main Stream. Geht dem eine aufwändige gemeinsame Recherche voraus?

NSQ: Wir schauen alle, was wir so finden und teilen das dann. Für das Programm mit den Komponistinnen (“Women* composers for string quartet” 2021-22) haben wir sehr viel recherchiert. Es ist auch schwierig, weil online gar nicht so viel zu finden ist. Komitas (armenischer Komponist 1869-1935; Anm.) ist uns zum Beispiel von Prof. Florian Berner (MUK) empfohlen worden, bei dem wir Kammermusik studiert haben.

2022 habt ihr den ARTEDEA-Kammermusikwettbewerb gewonnen, der von der Gustav-Mahler-Privatuniversität (GMPU) zusammen mit dem Lionsclub ARTecon Klagenfurt und der Kronen Zeitung ausgeschrieben wird. Davon gibt es ein tolles Video auf YouTube. Welche Stücke interpretiert ihr da?

NSQ: „Entr’Acte“ (2011) von Caroline Shaw und “Strum for string quartet“ (2006, rev. 2012) von Jessie Montgomery. Das waren unsere ersten zwei Stücke. Caroline Shaw’s Stück war tatsächlich das erste, das wir bei unserer Recherche fanden. Ihr ist neben Debussy auch das aktuelle Programm “I close my eyes” gewidmet, weil uns ihre Klangsprache sehr entgegen kommt.

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„Es ist auch Zeit, dass ein Streichquartett einmal ein bisschen politisch ist.”

Ihr greift politische Themen auf – “Feminismus”, “Verfolgte Kunst”. In der klassischen Musikszene ist es nicht unbedingt Usus, dass ein Ensemble eine politische Ausrichtung hat.

NSQ: Es sind gesellschaftspolitische Themen. Wir finden es auch schwierig, sich als nicht politisch zu bezeichnen, denn das Private ist politisch und das Politische ist privat. Es ist auch Zeit, dass einmal ein Streichquartett ein bisschen politisch ist.

Auf eurer Website ist zu lesen: “They share an interest in unearthing hidden treasures and bringing them to the stage.” Die Göttin Isis Noreia war ja auch Patronin des Bergbaus – ich finde das eine schöne Parallele. War das beabsichtigt?

NSQ: Nein, ganz so ausgeklügelt war das nicht. Im Ernst, wir haben lange nach einem Namen gesucht. An unserem ersten Probenwochenende in der Nähe von St. Veit fanden wir heraus, dass es gleich ums Eck antike Ausgrabungen mit Widmungen an Isis Noreia gibt. Das passte dann auch wunderbar zu unserem ersten Programm “Women* composers for string quartet.“

Unlängst habt ihr in Antwerpen gespielt, im Jahr 2023 in Brüssel. Hat das einen bestimmten Grund, dass es Belgien ist?

NSQ: Wir haben 2023 mehrere österreichische Kulturforen angeschrieben, und vom Kulturforum in Brüssel haben wir Rückmeldung bekommen. Mit ihnen hat es dann auch wirklich gut funktioniert. Außerdem hat unsere zweite Geigerin in Belgien Erasmus gemacht.

Reisen kostet auch Geld, abgesehen von der Zeit, die in die Planung und Organisation geht. Üben muss man ja auch irgendwann. Wie macht ihr das?

NSQ: Im Jahr 2022 haben wir vom Land Kärnten ein Arbeitsstipendium für freischaffende Künstler:innen zur Unterstützung der „Konzertreihe Komponistinnen*“ erhalten und 2023 übernahm das österreichische Kulturforum in Brüssel die Reisekosten für die dortigen Konzerte. In diesem Jahr fördert das Land Kärnten die Reisekosten für unsere Tour mit dem Programm “I close my eyes in Österreich und Belgien.

Es ist allerdings schwierig, wenn man – so wie wir – keine Jahresförderung und kein Booking hat. Wir machen ja alles selbst, die Ausarbeitung der Konzepte, Korrespondenz, Recherche, Förderanträge. Dabei geht viel Zeit drauf. Wir sind eigentlich an einem Punkt, wo wir uns wünschen, dass das eine andere Person für uns macht, und wir uns ausschließlich der künstlerischen Arbeit widmen können.

Bild des Noreia String Quartets
Noreia String Quartet © Ira & John

Bei euerem Konzert vergangenen Februar in der Villa for Forest in Klagenfurt habt ihr das Publikum animiert, aktiv diesen speziellen Raum zu erkunden, um sich besser auf das Konzert einzustimmen, noch bevor ihr den ersten Ton gespielt habt. Ist euch diese Art der Kunstvermittlung ein besonderes Anliegen?

NSQ: Wir arbeiten nach Konzepten. Als wir uns kennengelernt haben war sehr schnell klar, dass wir nicht diese klassische Streichquartett-Schiene gehen möchten. Wir entschieden uns damals, dass wir für unser erstes Programm ausschließlich Komponistinnen spielen, die für Streichquartett komponiert haben. Beim Konzert haben wir dann zu allen Komponistinnen und deren Stücken etwas erzählt, weil es für uns auch wichtig war, Hintergründe zu vermitteln, und dem Publikum die Möglichkeit zu geben, diese Musik und diese Persönlichkeiten kennen zu lernen.

Das zweite Programm nannte sich “Verfolgte Kunst“. Wir spielten Komponisten und Komponistinnen, die zensuriert oder verfolgt wurden. Jedes Konzept steht ein bisschen für sich und hat dann etwas Eigenes, das es ausmacht. Beim aktuellen Programm “I close my eyes”sind es zum Beispiel diese “Übungen”. Wir nennen sie zwar jetzt nicht mehr so, damit das nicht zu pädagogisch klingt; aber wir geben Impulse und laden die Leute ein, sich darauf einzulassen, anzukommen. Natürlich kann jede Person das auf ihre eigene Art und Weise machen.

„Wir haben nie explizit gesagt, wir wollen keinen Schönberg spielen. Es hat sich einfach nie ergeben.”

Ihr spielt vorzugsweise an Orten wo nicht typischerweise klassisches Streichquartett zu erwarten wäre – Galerien, Jazz-Venues, im Freien. Das erinnert ein bisschen an die frühe New Yorker Minimal-MusicSzene. Sind das immer bewusste Entscheidungen?

NSQ: Jein. Das ergibt sich einerseits oft einfach zufällig bei der Recherche. Andererseits hatten wir von Anfang den Wunsch nach etwas unkonventionelleren Settings, damit sich das klassische Musik-Erleben ein bisschen lebendiger anfühlt. In Graz (Galerie Mori, Anm.) und in Linz (Raumschiff, Anm.) haben wir in der Mitte des Raumes gespielt um verschiedene Konzertsettings auszuprobieren und mit dem Publikum zu experimentieren. Dafür sind eben die in der Frage genannten Orte gut, weil die unterschiedlichen Räumlichkeiten mehr Möglichkeiten geben, das klassische Konzertsetting aufzubrechen.

Eure Programme bestehen aus Klassikern der Moderne oder Vormoderne, wie Debussy oder Schostakowitsch und Spielarten folkloristischer Musik bzw. Neoklassik. Die serielle Musik oder die Nachkriegsavantgarde sind in euren Programmen seltener vertreten. Täuscht der Eindruck oder ist die so ganz strenge zeitgenössische Musik nicht euer Ding?

NSQ: Wir haben nie explizit gesagt, wir wollen keinen Schönberg spielen. Es hat sich einfach nie ergeben, außer im Studium. Wir sind nicht per se dagegen. Das schöne ist ja, dass wir die Freiheit haben, selbst auszuwählen, was wir spielen möchten, und wir schränken uns da auch nicht ein. Momentan ist es zufällig diese Richtung, vielleicht verschlägt es uns einmal irgendwo anders hin.

Es ist schon vorgekommen, dass die Veranstalter:innen Zweifel hatten, ob das gut ankommt, wenn man sagt, man spielt zeitgenössische Musik. Das schreckt ab. Wir haben uns gedacht: „Glaubt uns doch, es ist nicht so schlimm.” Auch das Publikum ist oft überrascht, denn viele erwarten keine tonale zeitgenössische Musik.

Sich hier zu explizit zu positionieren wäre aber auch branding und das war nie unser Zugang. Sagen wir so: Wir werden zwar als zeitgenössisches Quartett bezeichnet, aber unsere Vorliebe ist zumindest im Moment nicht bei der atonalen Musik.

Bild des Noreia String Quartets
Noreia String Quartet © Ira & John

Ist es schon vorgekommen, dass Komponisten für euch schreiben?

NSQ: Im Moment sind wir noch mit “Ausgrabungen” beschäftigt, aber das wäre eine gute Idee für die Zukunft.

Habt ihr schon Ideen für das neue Programm?

NSQ: Wir sind noch bei der Recherche. Aber Minimal Music wäre tatsächlich eine Möglichkeit; auch etwas in Kombination mit Tanz wäre schön.

Ihr sammelt derzeit auf go.fund.me für eure erste CD. Was soll denn auf dem Album drauf sein?

NSQ: Wir haben ja bereits eine EP im Tonstudio Radio Maribor aufgenommen, die auf Spotify und anderen Streaming-Plattformen zu hören ist. Auf der CD würden wir gerne Originalstücke für Streichquartett von Komponistinnen aufnehmen, weil das unser erstes Programm war und weil es dazu nicht viel gibt.

Eure nächsten Auftritte?

NSQ: Unser aktuelles Programm “I close my eyes” mit Werken von Claude Debussy und Caroline Shaw spielen wir am 24. 5. im Schloss Lind/Steiermark und 11. 10. im Amthof Feldkirchen/Kärnten. Mit der slowenischen dark/folk/feministischen Band 3:rma treten wir am 29. 7. in der Villa For Forest in Klagenfurt und am 31. 7. in Maribor auf. Für den Sommer sind wir noch für Konzerte zu haben, also bei Interesse bitte melden.

Wir danken herzlich für das interessante Gespräch.

Philipp Tröstl

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