„Es geht darum, sich vollständig zu öffnen und den Gefühlen beim Spielen freien Lauf zu lassen.“ – KURT HAIDER und ROLAND HANSLMEIER (HIDDEN POCKETS) im mica-Interview

Die Sprache des Jazz, die das steirische Trio HIDDEN POCKETS pflegt, ist eine, die vor allem eine ausgesprochen große musikalische Vielfalt vermittelt und eine und in einem sehr eleganten und bunten Gesamtklang glänzt. Kurt Haider (Gitarre), Roland Hanslmeier (Schlagzeug) und Tobias Steinrück (Bass) – die drei Köpfe hinter der Band – verstehen es auf wirklich eindrucksvolle Art, ihre eher komplex komponierten Stücke in etwas wirklich Zugängliches und Schwingendes zu verwandeln. Ihre Musik groovt in unterschiedlichsten Intensitäten, schafft viel Atmosphäre und lässt auch das Gefühl nicht zu kurz kommen. Im Interview mit Michael Ternai erzählen Kurt Haider und Roland Hanslmeier von ihrer Grundintention, den Gruppenklang in den Vordergrund zu rücken, der Offenheit, mit der sie an die Sache herangehen, und der Rolle, die Improvisation in ihrer Musik spielt.

Lauscht man eurer Musik, so gewinnt man den Eindruck, dass ihr vor allem den Gruppenklang in den Vordergrund rücken wollt. War das eure musikalische Grundintention?

Kurt Haider: Eigentlich schon. Unsere Grundintention war es von Anfang an, eine echte Band zu gründen und nicht beispielsweise ein Trio, bei dem einer im Vordergrund steht, wie es im Jazz so oft üblich ist. Vor fast genau einem Jahr, nach einer Session im Grazer Stockwerk, gingen Roli und ich nach Hause und sprachen bei einem Bier darüber, gemeinsam eine echte Band zu gründen – und zwar eine, in der es keinen Hauptprotagonisten gibt, der den anderen einfach Leadsheets auf den Notenständer legt und erwartet, dass das gespielt wird, und bei der schon beim zweiten Konzert Substitute ins Spiel kommen. Wir wollten ein echtes Kollektiv sein, und es freut uns natürlich, wenn das auch hörbar ist.

Roland Hanslmeier: Bei mir war es so, dass mir, nachdem die Idee für das Jam-Trio geboren war und wir zwei- bis dreimal geprobt hatten, sofort klar wurde, dass dieses Trio eine extrem spannende Geschichte werden kann. Wir kennen uns alle schon sehr lange aus dem Studium, haben uns jedoch nach dem Abschluss, wie es oft der Fall ist, ein wenig aus den Augen verloren bzw. unsere eigenen Projekte verfolgt. Auch während des Studiums haben wir nicht wirklich oft gemeinsam gespielt. Deshalb glaube ich, dass es einfach unvermeidlich war, dass es irgendwann doch dazu kommen musste.

Kurt Haider: Wir sind hier und da in verschiedenen Projekten aufeinandergetroffen, aber es hat sich daraus nie etwas wirklich Konkretes ergeben. Ich spiele schon lange in einer Band mit unserem Bassisten Tobias Steinrück, und zwischendurch habe ich auch im Orgeltrio mit Roland gespielt. Wir hatten uns also schon gegenseitig auf dem Radar, aber es war tatsächlich erst die Gründung dieses Trios vor einem Jahr, die uns wirklich zusammengeführt hat.

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Ihr deckt in euren Stücken eine wirklich große musikalische und stilistische Breite ab. Inwieweit spiegelt sich in dieser euer unterschiedlicher Backround wider?

Roland Hanslmeier: Ich glaube, dass wir uns im jeweiligen Moment eigentlich nicht wirklich viele Gedanken darüber machen. Wir sagen nicht, dass wir jetzt Latin spielen oder bewusst in eine bestimmte stilistische Richtung gehen wollen. Es passiert einfach. Natürlich gibt es bei einem Stück gewisse Vorgaben, in welche Richtung es gehen kann, aber das Gute ist, dass jeder von uns schon so viele verschiedene Sachen gemacht hat, dass jeder sein eigenes Ding einbringen kann, ohne vorher groß darüber nachzudenken.

Kurt Haider: Das stimmt. Bei uns geht es vor allem um Offenheit, und damit beginnt alles. Jeder von uns hat die Möglichkeit, seine eigene Stimmung einzubringen. Wir drei sind, was die Stilistik betrifft, sehr offen, aber es gibt sicher Überschneidungen bei den Dingen, die wir hören. Jeder von uns hat sich vermutlich schon einmal mit dem John Scofield Trio, Bill Frisell oder ähnlichen Gruppen beschäftigt. Diese Leute sind wahrscheinlich auch die stilistisch offensten Gitarristen, die ich kenne. Daher zählen sie zu unseren Haupteinflüssen.

Beim Schreiben der Stücke seid ihr also alle geleichberechtigt. Oder gibt es bei euch einen, der da den Lead übernimmt.

Kurt Haider: Auf dem erstenAlbum sind schon die meisten Kompositionen von mir, wobei wir es in Zukunft schon etablieren wollen, dass ein jeder Stücke beiträgt und Ideen einfließen lässt, was bei den Proben ja sowieso schon passiert. Grad in der kleinen Besetzung kann man es toll umsetzen, dass vom Musikalischen her wirklich jeder Verantwortung trägt und aktiv mitgestaltet. Es war halt jetzt einfach so, dass es vor allem Lieder auf das Album geschafft haben, die ich geschrieben habe. Aber Roland schreibt ja auch, wie es sich auf dem nächsten Album zeigen wird. Ich würde sagen, dass auch wenn jetzt die Stücke aus meiner Feder stammten, der kreative Prozess sehr ausgewogen abläuft und wir gemeinsam an den Sachen herumbasteln.

Roland Hanslmeier: Es ist meistens so, dass Kurt bei der Probe einfach einen Zettel mit Noten hinlegt und wir losspielen. Oder es passiert ganz ohne irgendwelche Noten …  

Kurt Haider: Wir haben bei dem Album tatsächlich fast alles ohne Noten gelernt. Meistens habe ich eine Melodie vorgespielt und den Jungs gesagt: „Schaut her, das ist meine Idee. Welcher Groove fällt euch dazu ein?“ Und dann hat sich meistens etwas ergeben.

Wie sehr kann sich so eine Grundidee, eine Grundintention in Folge dann verändern. Kommt manchmal etwas ganz anderes heraus, als man es sich davor vielleicht gedacht hat?

Roland Hanslmeier: Ich würde sogar sagen, dass sich ein Stück, wenn man es spielt, immer ein bissl verändert. Es hängt dann davon ab, wie offen man wirklich ist. Wenn man sich ein Stück des Albums jetzt anhört, klingt es live vielleicht etwas anders, es hat live vielleicht ein etwas anderen Vibe. Die Grundstruktur aber ist, würde ich sagen, durch die Melodie aber schon vorgegeben.

Kurt Haider: Ich bin immer wieder erstaunt, welche Grooves letztlich zu meinen Kompositionen und Melodien entstehen. Ich gebe Roland und Tobias bezüglich Bass / Drum – Part eigentlich nichts vor, weil die beiden an ihrem Instrument ohnehin viel bessere Ideen haben als ich. Es ist wirklich spannend zu sehen, was ihnen dazu einfällt. Durch ihre Ideen können natürlich immer wieder auch neue Wege entstehen.

Bild Hidden Pockets
Hidden Pockets (c) Jan Dostal

Ein ganz essentieller Teil eurer Musik ist auch, dass ihr Improvisationen doch einigen Raum bietet. Inwieweit formt Improvisation eure Musik.

Kurt Haider: Bei uns stehen die Songs im Vordergrund. Wir versuchen jedoch, sie auf eine improvisatorische und verspielte Weise zu interpretieren. Das kann sich schon im Thema des Songs zeigen, indem wir versuchen, einen etwas anderen Vibe oder andere Fills hineinzubringen. Solche Elemente können sich durch das gesamte Stück ziehen. Es kann passieren, dass daraus eine lange Improvisation entsteht, die uns am Ende völlig woanders landen lässt. Aber es kann auch sein, dass es bei einem Stück besser passt, den Solo-Anteil eher kompakt zu halten und sich auf den Song zu konzentrieren. Ich finde generell die Sichtweise, die Stücke als Songs zu begreifen und das Solothema, das im Jazz oft vorherrscht, aufzubrechen, einfach cool. Jeder Song steht für sich; er bildet eine Klangerzählung, die man einfach fertig erzählt. Je mehr man sich dem Ganzen hingibt, im Moment lebt und es verspielt interpretiert, desto improvisatorischer wird es wahrscheinlich, und desto mehr erhält die Musik eine Art meditativen Charakter. Man kann sich dann der Sache wirklich hingeben.

Du hast gerade das Wort “Klangerzählung” verwendet. Dieses Wort beschreibt eure Musik wirklich sehr treffend. Ihr erzählt eure musikalischen Geschichten stilistisch sehr vielfältig, in unterschiedlichsten Intensitäten, von Balladen bis hin zu extrem groovigen Stücken. Die Musik entfaltet sich durch ein spannungsgeladenes Wechselspiel. War diese Breite an musikalischem Ausdruck eine bewusste Entscheidung.

Kurt Haider: Von meiner Seite aus schon. Auf jeden Fall.

Roland Hanslmeier: So sehe ich das auch. Wir haben uns wirklich in keinem Moment irgendwelche Grenzen gesetzt. Bei uns kann einfach alles passieren. Auf dem Album ist jetzt zwar nicht alles passiert, was passieren könnte, aber vieles. Was das Experimentelle angeht, ist bei uns noch viel Luft nach oben. Aber wir arbeiten schon an unserem nächsten Album, und da werden diese Dinge vermutlich mehr Raum einnehmen.

Wie sehr lebt ihr die musikalische Offenheit letztlich tatsächlich aus. Oder gibt es bei euch dennoch manch definitorische Grenze, wie weit ihr geht?

Roland Hanslmeier: Die Grenzen stecken wir uns im Kopf ein bisschen ab, weil wir letztlich dem Stil des Songs treu bleiben wollen. Es wäre ja komisch, wenn in einer wunderschönen Ballade plötzlich ein Metal-Lick oder ein Double-Bass-Part auftaucht. Wir haben ja Musik studiert und hören auch extrem viel Jazz, daher ist es klar, dass wir im Stil bleiben und nicht komplett davon abweichen. Aber ich finde es cool, dass unser Zugang trotzdem ermöglicht, dass solche Überraschungen da und dort passieren können.

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Was sind, unabhängig von euren musikalischen Vorbildern, eure Inspirationsquellen. Wie uns wann kommt eine Idee zu euch?

Kurt Haider: Das lässt sich wahrscheinlich am besten anhand konkreter Beispiele erklären. Die Idee kann nämlich auf ganz unterschiedliche Weise entstehen. Ein Song kann blitzschnell fertig sein oder seine Entstehung kann einfach dauern. Es gibt auf dem Album zwei Stücke von mir, auf die ich ganz besonders stolz bin und die mir sehr am Herzen liegen. Zum einen wäre das das Eröffnungsstück „K’s Walk!“. Der K, der in diesem Song spaziert, ist mein Sohn Konstantin. Ich hatte immer die Grundidee im Kopf, ihm einen Song widmen zu wollen. Ich wollte diese beschwingte, manchmal auch torkelnde Leichtigkeit in seinem Gang ein wenig widerspiegeln. Es ist ein optimistisches Lied mit ein paar Ecken und Kanten und ist tatsächlich innerhalb von einer halben Stunde kurz vor einer Bandprobe entstanden. Auf dem Weg zur Probe hatte ich im Auto coole Musik laufen, unter anderem von Julian Lage. Manchmal bringt das Musikhören genau den letzten Funken, den man braucht und der die Brücke zwischen dem, was aus der Seele raus muss, und dem Instrument herstellt.
Das Stück „Changes“ dagegen hat ewig gedauert. An dem habe ich lange herumgefeilt, Motive verschoben und die Teile immer wieder neu arrangiert. Als nach ein paar Wochen alles stand, habe ich begonnen, alles wieder umzuwerfen und neue Teile zu komponieren. Das war, auf gut Deutsch, eine zähe Angelegenheit. Aber ich bin froh, dass es doch noch auf dem Album gelandet ist.

Seid ihr beim Schreiben und Erschaffen eurer Stücke mehr vom Gefühl geleitet oder spielt bei euch auch Perfektionismus eine gewisse Rolle?

Roland Hanslmeier: Ich glaube, der Perfektionismus im Jazz ist vor allem dahingehend interessant, wie man ein Thema spielt, aber ansonsten spielt er eine eher geringere Rolle. Zumindest teile ich diesen Ansatz nicht unbedingt. Ich finde, es muss nicht immer perfekt sein. Die Musik muss einfach einen super Vibe und Groove haben und in sich stimmig sein.

Kurt Haider: Ich würde sogar sagen, dass Musik für mich dann perfekt ist, wenn die Gefühle im Vordergrund stehen. Perfektion und Gefühl schließen sich für mich nicht aus, sondern bedingen einander. Es geht darum, sich vollständig zu öffnen und den Gefühlen beim Spielen freien Lauf zu lassen. Das ist die Voraussetzung dafür, sich perfekt ausdrücken zu können. Aber dafür muss natürlich alles rundherum stimmen, und man muss sich von vielen mentalen Filtern lösen, und gedanklich frei an die Sache herangehen.

Ihr seid in der der Vergangenheit an vielen verschiedenen Projekten beteiligt gewesen. Inwieweit nimmt Hidden Pockets unter diesen eine besondere Stellung ein?

Roland Hanslmeier: Für mich ist die Band ein Herzensprojekt. Ich wollte immer schon in einem kleinen Jazztrio spielen, mit dem man wirklich arbeiten kann. Es ist einfach schön, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die ähnliche Vorstellungen, einen ähnlichen Draht zueinander und die gleichen Ziele haben. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es Hidden Pockets für eine längere Zeit geben wird und nicht nur für ein Album.

Kurt Haider: Das kann ich hundertprozentig unterschreiben. Es ist in der Musikwelt ein echtes Glück, mit Leuten in einer Band zu spielen, mit denen man sich super versteht und bei denen musikalisch alles passt. Für mich als Gitarristen ist zudem die Besetzung des Trios ideal, weil mein Gitarrenspiel und damit meine musikalische Stimme in dieser minimalistischen Konstellation eine exponierte Position einnehmen können. Das ist einfach die Königsdisziplin und macht riesigen Spaß.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Links:
Hidden Pockets (Instagram)
Roland Hanslmeier