Mit Parc de Triomphe betritt Ende September eine neue Stimme der Wiener Indie-Szene die Bühne: Das selbstbetitelte Debüt der New-New-Wave-Band erscheint beim Label Voller Sound – auf Vinyl mit grell-pinken Farbtupfern. Hinter dem Projekt stehen Jörn Brien und Florian Knabenschuh, die einst in nord- und ostdeutschen Clubs unterwegs waren und sich nach drei Jahrzehnten in Wien wiederfanden. Ihre Musik verbindet treibende Bässe, kühle Synths und lakonischen Gesang mit Themen wie Wendezeit, Einsamkeit und Neubeginn. Parc de Triomphe liefern damit düsteren Elektro-Pop, der an den New Wave der 1980er anknüpft, aber kompromisslos ins Heute weist – tanzbar, eingängig und voller Energie. Im Interview mit Michael Ternai sprechen Jörn Brien und Florian Knabenschuh über die Anfänge ihres Projekts, darüber, wie und warum sie musikalisch in der New-Wave-Richtung gelandet sind, und über den dunklen Ton ihrer Musik.
Eure Geschichte liest sich eigentlich ganz witzig: Ihr kommt beide aus Deutschland, aus unterschiedlichen Regionen, seid noch zu einer Zeit aufgewachsen, in der das Land geteilt war – was auch das bestimmende Thema eurer Debüt-EP war –, habt euch aber erst hier in Wien kennengelernt …
Jörn Brien: Genau. Wir sind tatsächlich ganz getrennt voneinander aufgewachsen und haben uns erst hier in Wien, im Draschepark im vierten Bezirk, an einem sonnigen Nachmittag bei der Geburtstagsparty eines anderen Kindes kennengelernt. Wir unterhielten uns, und es stellte sich heraus, dass wir beide schon in der Vergangenheit in diversen Bands Musik gemacht hatten. Daraufhin verabredeten wir uns zu einem Termin im Proberaum. Relativ rasch zeigte sich, dass es zwischen uns beiden eigentlich ganz gut passt, und wir beschlossen, eine Zusammenarbeit zu starten.
Nachdem wir die ersten Songs fertig geschrieben hatten, traten wir an Alf Peherstorfer (Kommando Elefant; Anm.) heran, den ich über seine Lebenspartnerin kannte. Ich fragte ihn, ob er sich unsere Sachen nicht einmal anhören könnte. Er tat das und meinte, dass man aus den Geschichten auf jeden Fall etwas machen könnte. Wir entschieden uns, das Ganze im New-Wave-Stil umzusetzen, um diese typische 1980er-Jahre-Stimmung einzufangen. Genau das ist dann auch daraus geworden.
Florian Knabenschuh: Wir hatten uns damals immer Etappen gesetzt. Zuerst sagten wir uns: Lass uns einmal zusammen Musik machen und ein paar Songs schreiben. Danach wollten wir mit Alf an einer EP arbeiten und diese veröffentlichen. Anschließend versuchten wir, irgendwo im Radio gespielt zu werden – was uns auch gelungen ist. Dann machten wir uns auf die Suche nach einem Label, wurden fündig und bringen jetzt unser erstes Album heraus.
Wir setzten uns also immer wieder kleine Etappenziele, die wir zu erreichen versuchten. Ein großes, übergeordnetes Ziel, auf das alles ausgerichtet war, hatten wir nicht. Und wie sich jetzt zeigt, hat alles gut geklappt und wir stehen mit einem Album da, mit dem wir total happy sind. Es ist einfach schön, das eigene Werk in den Händen halten zu können.
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War die musikalische Ausrichtung eures Projekts – New Wave, Postpunk, und stellenweise höre ich auch Trip-Hop heraus – eigentlich von Anfang an klar?
Jörn Brien: Ja, ich mag das Trip Hop gerne. Wenn ich die Songs entwerfe, ist das schon immer irgendwie im Hinterkopf. Bei „Angst“ zum Beispiel, kann man das gut hören.
Der Song könnte auch von Massive Attack stammen.
Jörn Brien: Genau, Massive Attack dürften da schon irgendwie unbewusst im Hinterkopf gewesen sein. Beim Entstehungsprozess selber habe ich jetzt nicht daran gedacht, aber jetzt im Nachhinein beim Hören des Songs merke ich das selber.
Die Idee, in Richtung New Wave zu gehen, haben wir tatsächlich aber erst mit Alf zusammen entwickelt. Es war das, was er aus den Songs herausgehört hat, was für ihn passte, auch wegen der Texte.
Wir beide – vor allem ich – kommen ursprünglich eher aus dieser Tocotronic-Ecke, und natürlich spielte auch Nirvana für uns Anfang der 1990er-Jahre eine Rolle.
Allerdings wollten wir es nicht zu gitarrenlastig anlegen. Es sollte wirklich ein Projekt nur von uns beiden sein – deshalb setzen wir auch Computer ein. Und damit war der Grundsound eigentlich schon definiert. Ich finde, er passt einfach gut. Außerdem höre ich selbst sehr gerne New Wave und Postpunk. Aber in genau diese Richtung zu gehen, war ursprünglich gar nicht die Idee.
Florian Knabenschuh: Die ersten Aufnahmen klangen noch komplett anders als das, was wir jetztgemacht haben. Der New-Wave-Gedanke kam erst mit Alf. Die ersten Songfragmente, die wir ihm zugespielt hatten, wurden mit GarageBand aufgenommen. Er sagte dann: „Gebt mir mal zweieinhalb Minuten Zeit, ich bastle das jetzt um, und ihr sagt mir, ob es euch gefällt.“
Und dann hat er erstmal gebastelt. Im ersten Moment dachten wir: „Okay, das ist ja komplett etwas anderes.“ Aber es war wirklich großartig. Es passte perfekt zu den Texten und zu der Stimmung, die die Songs transportieren sollen. Am Ende waren wir uns alle einig: In diese Richtung wollen wir weitermachen.
Euch war also von Anfang an klar, dass ihr ein Duo bleiben wollt.
Jörn Brien: Ja, das war schon klar. Wir wollten beide die Masterminds des Projekts bleiben. Die einzige Überlegung war, ob wir nicht eine Liveband zusammenstellen sollten. Aber unser Vorbild war die Band Sleaford Mods – zwei ältere Herren, die alleine ohne große Band auf der Bühne stehen. Das ist ein bisschen einzigartig. Daher entschieden wir uns bewusst, auch auf der Bühne zu zweit zu bleiben.

Florian Knabenschuh: Und es hat auch praktische Gründe. Wir planen gerade für das nächste Frühjahr eine kleine Tournee durch Österreich und Deutschland. Da ist ein kleines Setup natürlich von Vorteil: Jörn hat den Laptop dabei, ich meine Gitarre und mein Effektboard. So lässt sich eine Tour gut umsetzen. Außerdem ist die Terminfindung für Bandproben bei zwei Leuten deutlich einfacher als bei einer größeren Band. Zu zweit ist alles sehr unkompliziert.
Beim Durchhören des Albums fällt sofort auf, wie reduziert alles gehalten ist. Es ist an keiner Stelle etwas zu viel; manchmal ist es wirklich nur eine Bassline, die die Geschichte erzählt. Entsprach die vermeintliche Einfachheit euren anfänglichen Vorstellungen?
Florian Knabenschuh: Es war uns schon klar, dass wir etwas wollten, das nicht großartig überproduziert ist. Es wäre auch irgendwie komisch, wenn da zwei Leute auf der Bühne stehen, man aber eine ganze Band hört. Es muss einfach stimmig sein.
Jörn Brien: Diese Art von Sound entspricht einfach uns. Als ich noch Gedichte geschrieben habe, waren diese auch eher lakonisch. Wir sind als Typen auch eher lakonisch – wir versuchen, mit wenig viel abzudecken. Das passt zu unseren Persönlichkeiten.
Tatsächlich hat Alf versucht, diesen reduzierten Sound um uns herum zu gestalten. Hätte er es mit einer sechsköpfigen Band zu tun gehabt, hätte er sich wahrscheinlich etwas anderes überlegt. Ich selber mag diese Reduziertheit. Wenn nur Bass und Stimme zu hören sind, kann das richtig cool sein.
Auf jeden Fall schafft diese Reduziertheit viel Raum für Atmosphäre. Und die schwingt bei euch schon eher dunkel. Ist diese Dunkelheit den Texten geschuldet oder schwingt da auch etwas Persönliches mit.
Jörn Brien: Beides würde ich sagen. Die Texte verhindern es eigentlich schon, dass es zu poppig wird. Außer vielleicht beim Song „stop/weitergehen“, der so einen Versuch darstellt, etwas ins Poppige zu gehen, indem der Refrain mal an den Anfang gestellt wird. Aber selbst da ist es der Text nicht dafür geeignet, dass es plötzlich ein Popsong ist. Ich persönlich mag eher etwas Kantiges, etwas, das nicht so durchrutscht. Das ist im Spotify-Zeitalter natürlich genau das Falsche. Aber wer weiß, vielleicht stechen wir gerade deswegen in Spotify heraus. Weil wir einfach etwas anders klingen.
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Florian Knabenschuh: Der Prozess war so: Jörn hat Songs geschrieben, wir haben sie dann mit GarageBand aufgenommen und die Aufnahmen anschließend Alf zugespielt.
Oft meinte er: „Das ist viel zu glatt, das muss anders.“ Genau dafür hat man ja einen Produzenten – der sorgt noch einmal für den letzten Schliff. Bei einem Song bekamen wir aber etwas von Alf zurück, wo wir selbst sagten: „Das ist uns zu glatt, das muss mehr knarzen und scheppern.“ Das passt einfach besser zu uns und dazu, wie wir auf der Bühne sind. Jörn geht da oft voll nach vorne.
Ich dagegen bin eher der Gitarrist, der in der Ecke steht und ein bisschen mit dem Kopf nickt. Auf der Bühne wirkt das fast widersprüchlich. Aber ich glaube, genau diese Widersprüchlichkeit hört man auch in unserer Musik: sehr melancholische Texte, kombiniert mit knarzigen Sounds, die man bei solchen Texten vielleicht gar nicht erwarten würde.
Jörn Brien: Und ich glaube schon, dass das auch uns als Personen widerspiegelt. Ich war zum Beispiel mega überrascht, als wir unsere allerersten Songs vor zwei, drei Jahren auf meiner Geburtstagsparty gespielt haben. Da waren natürlich auch Kinder anwesend – und eines fing tatsächlich an zu weinen, als es unsere Songs hörte: „Eure Musik ist zwar cool, aber sie ist so traurig.“ In dem Moment wurde mir die Traurigkeit und Düsternis unserer Musik zum ersten Mal richtig bewusst. Vorher hatte ich das gar nicht so gesehen. Ich habe einfach aufgeschrieben, was mir in den Kopf kam.
Auf eurer Debüt-EP war das bestimmende Thema das Leben im geteilten Deutschland, in das ihr hineingeboren wurdet und in dem ihr aufgewachsen seid. Auf dem Album habt ihr euch nun anderen Themen zugewandt. Inwieweit spielen aktuelle Ereignisse in euren neuen Liedern eine Rolle? Könnte man sagen, das Album ist so etwas wie ein Soundtrack für die heutige Zeit?
Jörn Brien: Das wäre natürlich cool, wenn man das so sehen würde. Mit der EP haben wir die konkreten DDR-Geschichten eigentlich abgeschlossen – auch, weil ich das Gefühl hatte, dass das Interesse an diesem Thema nicht so groß war.
Jetzt habe ich versucht, eher die damalige Stimmung einzufangen. Und die ist der heutigen gar nicht so unähnlich. Wir leben aktuell in einer ähnlichen Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit, in der niemand so recht weiß, was passieren oder kommen wird. Was machen die USA? Was macht Russland?

Florian Knabenschuh: Ja, da gibt es sicherlich Parallelen. Wie Jörn es in seinen Texten verarbeitet hat: In Berlin-Marzahn gab es damals eben Punks und Skins, und da kam es schon mal vor, dass man zwischendurch etwas auf die Mütze bekam. Diese Spaltung siehst du heute wieder – durch Corona, die „Schwurbler“ und all das, was sonst noch aufgekommen ist. Eine gesellschaftliche Spaltung existiert heute genauso wie damals.
Jörn schreibt, glaube ich, stark aus seiner eigenen Lebensgeschichte heraus – und ob das nun gut oder schlecht ist: Viele seiner Texte lassen sich auch heute wieder nachvollziehen, weil sich bestimmte Dinge in ähnlicher Form wiederfinden.
Jörn Brien: Ich glaube, dass die Stimmung jetzt wieder hochkommt, liegt daran, dass sich die heutige Zeit ähnlich anfühlt. Der Hintergrund ist aber wahrscheinlich tatsächlich immer noch die Vergangenheitsbewältigung. Die spielt in den Songs eine große Rolle – mit dem Unterschied zu früher, dass ich es diesmal nicht mehr so konkret machen wollte.
Fällt es euch eigentlich leicht, Songs zu schreiben?
Jörn Brien: Ja. Wenn es sprudelt, sprudelt’s. Die eigentliche Arbeit liegt dann im Nachbearbeiten. Da und dort muss immer wieder etwas geändert werden, und natürlich müssen die Texte nachjustiert und überarbeitet werden. Aber zuerst will einfach alles raus – zumindest bei mir.
Es kann dann passieren, dass ich innerhalb einer Woche plötzlich sechs Songs schreibe. Und danach passiert oft wochen- oder monatelang gar nichts. Nach einiger Zeit höre ich sie mir wieder an – und vielleicht sind von den sechs Songs drei wirklich cool. Und so geht es dann dahin.
Ihr habt Alf Peherstorfer jetzt schon viele Mal erwähnt. Kann man sagen, dass er ein inoffizielles drittes Mitglied der Band ist?
Jörn Brien: Ja, das kann man schon sagen.Er hat es wahrscheinlich nicht so gern, wenn man das tut, aber ich glaube, dass er es schon recht mitbeeinflusst, wie der Sound herauskommt.
Florian Knabenschuh: Als wir für das Album zusammensaßen, hatten wir, glaube ich, 17 oder 18 Songs zur Auswahl und mussten überlegen, welche es auf die Platte schaffen. Bei dieser Diskussion war auch Alf dabei und brachte seinen Input ein. Wenn wir beide zum Beispiel für einen Song waren, Alf aber meinte: „Naja, ein anderer transportiert mehr“, dann war das so ein klassisches Kill Your Darlings-Moment – wo man seinen eigenen Lieblingssong eben nicht aufs Album nimmt, sondern einen anderen, der besser ins Gesamte passt. Da hat Alf wirklich viel mitgearbeitet und diesen Prozess entscheidend mitgestaltet.
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Parc de Triomphe live
26.09. rhiz, Wien, Albumrelease
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