Die WIENER MEISTERKURSE feiern 50. Geburtstag. Wie sie sich im internationalen Umfeld positionieren und an welchen Traditionen seit Beginn festgehalten wird, erzählt ihr künstlerischer Leiter JÖRG BIRHANCE im Interview mit Theresa Steininger.
Nun gibt es die Wiener Meisterkurse seit fünf Jahrzehnten. Was hat sich aus den frühen Jahren erhalten und was hat sich gewandelt?
Jörg Birhance: Von Anfang an steht über allem der Bedarf von Studierenden aus der ganzen Welt, außerhalb ihres universitären Rahmens den Rat von wichtigen Pädagogen und Künstlern zu suchen, sich dadurch zu entwickeln und eventuell auch auf ein Probespiel oder einen Wettbewerb vorzubereiten. All das wollen wir mit den Wiener Meisterkursen abdecken. Dazu kommt die Tatsache, dass wir erstklassige Lehrende bieten, die teils auch über viele Jahre hinweg bei uns sind, im Verein mit der Attraktivität von Wien als wichtigster Musikstadt der Welt. Uns ist wichtig, kein Weiterbildungsbüffet zu offerieren, sondern Kontinuität. Natürlich gibt es viele Sommercamps auf hohem Niveau. Aber ich höre immer wieder mit Freude, dass wir auch international unter den zehn begehrtesten Sommerakademien rangieren.
Woher kommen die Studierenden? Und wie viele sind es jährlich?
Jörg Birhance: Es kommen 180 bis 200 Studierende aus der ganzen Welt. Vorrangig stammen sie aus der Europäischen Union, aber sie reisen auch aus Mexiko, Brasilien, Japan, China, Kanada oder Taiwan an. Insgesamt hatten wir zuletzt 34 Nationen vertreten. Wir bieten in fünf Wochen bis zu 23 Kurse, am beliebtesten sind traditionell Klavier, Cello, Geige, Gesang und Dirigieren. Viele kommen auch, weil ihre Lehrer schon hier waren und sie herschicken. Wir haben auch Professoren, die selbst früher als Studierende hier waren. Diese Kontinuität zeichnet uns aus. Natürlich inserieren und plakatieren wir auch in Konservatorien in aller Welt, aber es sind vor allem die mündlichen Empfehlungen, die uns Studierende bringen. Man weiß, dass wir auf Nachhaltigkeit setzen und ein ehrliches Angebot ohne versteckte Kosten bieten. Es ist bekannt, dass wir einen vernünftigen Rahmen für die Studierenden schaffen, also beispielsweise, dass es erstklassige Korrepetitoren gibt, die auch an Volks- und Staatsoper sowie an den Musikunis in Wien arbeiten – und für die Dirigierklassen ein wunderbares kleines Orchester, über dessen Qualität die Leute immer wieder erstaunt sind. Wir bauen auf dem auf, was Wien an musikalischer Potenz und Qualität hat. Unsere Professoren andererseits kommen aus der ganzen Welt. Und wir besinnen uns auch in der Repertoireauswahl gerne Wiens Geschichte.
Inwiefern?
Jörg Birhance: Unsere Studierenden kommen natürlich meist mit einem vorbereiteten Programm zu uns, um dieses zu festigen und zu professionalisieren, beispielsweise für Wettbewerbe oder Probespiele. Gleichzeitig empfehlen wir ihnen, sich an der Wiener Klassik zu orientieren. Das hat nichts mit Konservativismus zu tun, sondern mit dem Prinzip einer klassischen Periode, auf die die gesamte Musikentwicklung hinausläuft und von ihr wiederum ausgeht. Sie ist das Rückgrat der Musik und es ist erfahrungsgemäß sehr fruchtbar, sich mit ihr zu beschäftigen, wenn man sich als Musiker und Musikerin entwickeln möchte. Wir finden also, die Wiener Klassik soll im Zentrum des Studiums stehen, und empfehlen, mindestens ein Werk mitzubringen, das aus dieser Epoche stammt. Auch ich selbst habe für mich gemerkt, dass man an diesem Repertoire einfach am meisten lernen kann. Bevor ich vor 26 Jahren hierherkam, hatte ich viel Romantisches dirigiert. Aber Haydn und Mozart musikalisch zu leiten, wurde für mich ein entscheidender Schlüssel zu allen weiteren Werken.

Wie steht es mit Zeitgenössischem?
Jörg Birhance: Das ist weniger stark repräsentiert, einfach, weil das auch bei Wettbewerben und Probespielen nicht gefragt ist. Aber wir versuchen, Musik unbekannterer Komponisten beispielsweise aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs hinzuzunehmen, auch in Zusammenarbeit mit dem Exilarte Zentrum der mdw–Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien. Es geht uns hier spezifisch darum, Musik, der zu ihrer Zeit eine Zeitgenossenschaft verwehrt wurde, zu einer solchen zu verhelfen.
Wie sind Sie selbst zu den Meisterkursen gekommen?
Jörg Birhance: Ich habe 1999 an der Dirigierklasse teilgenommen und wurde dann von Günther Theuring, der die Wiener Meisterkurse zusammen mit der Stadt Wien gegründet hatte, als Assistent dorthin berufen. So wurden die Kurse ja von der Stadt Wien finanziell lange mitgetragen. Als sich die Stadt vor mehr als 20 Jahren zurückzog, standen wir von einem Tag auf den anderen ohne Mittel da. Eine Zeit lang ist die jetzige Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK) eingesprungen, später eine Sponsorin aus Taiwan. Seit einigen Jahren gelingt es uns aber doch, die gesamten Finanzen rein aus den Kursgebühren zu stemmen. Ab 2006 habe ich die Meisterkurse dann mit Professor Theuring organisatorisch geleitet, seit 2016 dann als künstlerischer Leiter. Professor Theuring hatte mich für seine Nachfolge vorbereitet, bevor er starb. Die Wiener Meisterkurse sind nun für mich zum Lebensprojekt geworden – neben meiner eigenen künstlerischen Tätigkeit als Dirigent. Es ist jedes Jahr eine Herausforderung, ein leeres Gebäude, früher über einige Jahre das Schloss Laudon, nun seit dem Vorjahr einen Pavillon auf dem Otto-Wagner-Areal, in ein Pop-up-Konservatorium zu verwandeln. Doch als Dirigent gehört Organisieren zum Beruf dazu. Und Gott sei Dank habe ich beispielsweise Hilfe von der Firma Bösendorfer, die hier sehr zuvorkommend hervorragende Klaviere zur Verfügung stellt.

Sie veranstalten auch Konzerte, welche Rolle spielen diese im Rahmen der Wiener Meisterkurse?
Jörg Birhance: Uns ist wichtig, den Unterricht in den Mittelpunkt zu stellen. Die Konzerte sind ein Bonbon, aber vorrangig geht es darum, was die Studierenden daraus für sich mitnehmen. Es soll um ihr nachhaltiges Wachstum als Künstler gehen. Die Studierenden versuchen, die Einflüsse der Lehrenden in ihr Tun zu integrieren und dadurch eine Entwicklung zu machen. Die Konzerte sind dann das, worauf das Üben hinausläuft, denn die Bühnenerfahrung gehört natürlich auch zu einem Meisterkurs. Die Studierenden können alles zusammenfassen und hoffentlich verwirklichen, was sie gelernt haben. Es ist schön, dass sich ein Publikumsinteresse für diese Konzerte entwickelt hat. Es stoßen auch Leute zufällig zu uns, weil sie auf dem Areal spazieren gehen, die Musik aus den Fenstern hören und neugierig werden. Und wir können hier ein herrliches Ambiente für Konzerte bieten. Trotzdem stehen die Veranstaltungen selbst für uns nicht im Vordergrund, sondern wie die Studierenden davon profitieren.
Sie haben auch immer wieder schon Lecture-Konzerte oder Symposien veranstaltet, welche Bedeutung haben diese für die Wiener Meisterkurse?
Jörg Birhance: Wir versuchen, jedes Jahr ein Lecture-Konzert zu machen, und verbinden so Wissenschaft, Theorie und Praxis. Viel wichtiger ist aber zum Thema Theorie, was die Studierenden aus den Kursen selbst mitnehmen. Was wir heuer als Lecture-Konzert machen werden, wurde noch nicht fixiert.
Inwiefern stehen die Wiener Meisterkurse auch für lebenslange Weiterbildung?
Jörg Birhance: Unser Teilnehmer-Spektrum ist sehr breit. Das fängt bei sehr jungen Musikerinnen und Musikern an, die als Wunderkinder bezeichnet werden. Der Gros ist zwischen 16 und 25 Jahren alt und gerade mitten in der Ausbildung. Und dann gibt es auch noch eine kleinere, aber stabile Gruppe, die bereits im Beruf steht und sich weiterbildet. Was alle Studierenden eint, ist das professionelle Niveau ihres eigenen Anspruchs. Jenen, die bereits beruflich aktiv sind, geht es meistens darum, sich musikalisch-künstlerische Ratschläge zu holen, weniger um die Technik. Sie wollen sich musikalisch vertiefen. Aber natürlich ist uns allen bewusst, was schon der Pianist Arturo Benedetti Michelangeli sagte: „Ein Leben ist gerade lang genug, um sich einer Sache richtig zu widmen.“ Und es gibt sogar Studierende, die seit zwei Jahrzehnten immer wieder kommen, um sich Tipps zu holen. Letztlich sind die Meisterkurse für alle, egal welchen Alters, immer auch eine Standortbestimmung, denn man lernt auch viel darüber, was man schon erreicht hat, wohin man noch will und was es dazu braucht. Die Studierenden lernen immer auch viel über sich selbst. Manche nehmen sogar eine Kurskorrektur vor. Ich sage gerne: Der wichtigste Tag der Meisterkurse ist der danach, an dem man dann über alles reflektiert und sich entscheidet, wie man weitergehen will.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Theresa Steininger
