„DAS MITEINANDER IST DER GRÖSSTE ERFOLGSGARANT UND DAS FUNKTIONIERT GERADE BEI UNS“ – MAJOR SHRIMP IM MICA-INTERVIEW

Die Wurzeln dieser Band reichen mehrere Jahre zurück: nach einigen Umbesetzungen und Umbenennungen haben Major Shrimp seit rund 2 Jahren ein funktionierendes Bandgefüge gefunden. Im Interview mit Jürgen Plank erzählen die Musiker:innen von den Besonderheiten einer Flinta*-Band, das Akronym steht für „Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen“. So vielfältig wie diese Beschreibung ist auch die Musik von Major Shrimp, Einflüsse von Rap bis Swing werden vereint. Welche Verbindungen zum Gypsy-Jazz-Gitarristen Django Reinhardt bestehen und bei welcher besonderen Show die Band demnächst mitspielt, ist ebenfalls Thema des Interviews.

Wie habt ihr euch als Band gefunden?

Miro Steinkellner: Die Ursprünge dieser Band reichen rund 7 bis 8 Jahren zurück. Mit jedem Schlagzeuger-Wechsel gab es einen neuen Namen, bis Maria am Schlagzeug eingestiegen ist. Die aktuelle Besetzung hat sich in den letzten 2 Jahren gefunden. Zuletzt ist dann noch Maria am Kontrabass dringlichst gesucht worden, es war ein recht kleinteiliger Findungsprozess.

Welche Bandnamen gab es denn bereits?

Miro Steinkellner: Die erste Besetzung hieß Labonca. Die war noch gesangslastiger. Dann sind der Schlagzeuger und die Sängerin ausgestiegen und wir haben als instrumentales Trio mit dem Namen Rea Raguna weitergemacht. Wir haben die Songs zwar umgeschrieben, aber dennoch mit dem selben Material weitergearbeitet. Das waren Marie Pfeiffer am Bass, die gerade mit der Psychedelic-Rockband Lurch recht viel unterwegs ist, Wolfgang Gross an der Gitarre und ich am Akkordeon. Nachdem uns der später hinzugekommene Schlagzeuger wieder verlassen hat, kam Amir Badawi als Schlagzeuger dazu. Der hat am Setlist-Zettel statt „Minor Swing“, das ist ein Stück, das wir von Django Reinhardt gecovert haben, so etwas wie Major Shrimp gelesen. Das fanden wir witzig und haben uns ab diesem Moment so genannt. Das war vor zirka 6 Jahren. Seitdem ist viel passiert. Covid, Lockdowns, andere Bandprojekte und „das Leben“ eben haben, abseits von mir, zu einer komplett neuen Besetzung geführt. Ich glaube, dass Bands dann Erfolg haben, wenn es Beständigkeit gibt und ein cooles Miteinander. Das Miteinander ist der größte Erfolgsgarant und das funktioniert gerade bei uns.

Dann frage ich jetzt nicht, wann die nächste Umbenennung bevorsteht?

Miro Steinkellner: Es gibt keine Umbenennungen mehr und wir bleiben bis wir sterben in dieser Besetzung.

Auf bandcamp findet man zu eurer Musik unter anderem diese Tags: Jazz, Rap, Klezmer, Manouche, Swing. Wer kann mir diese Fülle erklären?

Maria Leubolt: Ich glaube da gibt es unterschiedliche Interpretationen. Mehrere Tags entstehen, wenn man den Stil nicht wirklich benennen kann. Dann benutzt man eben fünf verschiedene Begriffe, die ein bisschen passen und in der Mitte befinden wir uns dann. Ich denke, wir haben einen individuellen Sound und der ist schwer zu beschreiben.

Entweder findet man einen neuen Begriff oder mehrere Begriffe.

Maria Leubolt: Das kommt dann mit steigendem Bekanntheitsgrad, dann sind wir der Musikstil.

Und ihr verknüpft mit eurer Musik auch ethno-musikalische Einflüsse, die mit der Gruppe der „Manouche“ verbunden werden. Die „Manouche“ gehören zu den Sinti, auf sie geht der so genannte Gypsy-Jazz zurück, der auch Jazz Manouche genannt wird. Wie kam es zu diesem Einfluss?

Miro Steinkellner: Wir spielen viele verschiedene Richtungen, aber der rote Faden ist Swing bzw. in unseren Ursprüngen Jazz-Manouche. Wir haben ja auch schon Stücke von Django Reinhardt gespielt. Selbst wenn Einflüsse wie Hip-Hop dazu gekommen sind, der Swing ist geblieben und das zeigt sich zum Beispiel an der Rhythmus-Gitarre.

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Was macht diesen Stil aus?

Miro Steinkellner: Ich würde sagen: das ist auch eine analoge Geschichte. Ein gewisses Gefühl, das transportiert wird: beschwingt und leicht. Wir sind ziemlich analog unterwegs: wir habe einen Kontrabass, ein Akkordeon und zwei Gitarren, wobei die Gitarren elektrisch sind. Viele Manouche-Bands haben ein Akkordeon dabei. Ino spielt bei uns Geige und Geige ist auch ganz klassisch im Jazz-Manouche. Der Violinist Stephane Grappelli hat ja mit Django Reinhardtgespielt, das haben wir uns musikalisch herausgepickt.

Wie war das als du als Schlagzeugerin dazu gekommen bist? Gerade am Schlagzeug hat es davor einige Wechsel in der Besetzung gegeben, bist du mit einem etwas mulmigen Gefühl eingestiegen?

Maria Marginter: Nein, im Nachhinein war es ganz anders als mein erster Eindruck. Als ich eingestiegen bin, gab es noch einen Schlagzeuger und mir wurde gesagt, dass ich Perkussion spielen soll. Mir wurde gesagt, dass die Band Tanzmusik spielt und ich habe mir vorgestellt, dass wir zum Beispiel auf Schulbällen Latin-Tänze und Walzer spielen und ich konnte mir gut vorstellen, dazu Latin-Perkussion zu spielen. Die Musik war aber extrem gefinkelt, mit vielen Rhythmuswechseln. Alles war auskomponiert, ich habe mich sofort in die Musik verliebt und es war ein viel spannenderes Projekt als ich erwartet hatte. Ich habe davor viel Jazz gespielt und viel mit Improvisation zu tun gehabt.

Wer bringt wie den Klezmer-Anteil ein?

Miro Steinkellner: Das Album auf bandcamp repräsentiert uns zurzeit nicht mehr, denn es ist in einer ganz anderen Besetzung entstanden. Damals haben wir neben Eigenkompositionen auch Stücke wie „Hava Nagila“ gespielt.

Im Juni 2024 habt ihr eure erste Nummer auf den Streaming-Plattformen veröffentlicht, im Song „Lied in 4 Akten“ wird in verschiedenen Sprachen gesungen bzw. gerappt.

Maria Marginter: Wir haben zwei Songs mit Rap-Teilen. Die gehören beide zu unseren komplexeren Nummern, in denen viel passiert und in der Mitte ist jeweils ein Hip-Hop-Teil zu finden. Beim „Lied in 4 Akten“ gibt es Raps in drei Sprachen, auf Deutsch, Türkisch und Französisch.

Du bist die Gitarristin, Sylvia, welche musikalische Färbung bringst du bei Major Shrimp ein?

Sylvia Deixler: Ich bringe die bluesige und rockige Note ein. Die vorhin angesprochenen, unterschiedlichen Tags ergeben sich aus den Elementen, die in dieser Band zusammenkommen. Es war für mich reizvoll, weil hier eine Offenheit gegenüber Stilen und musikalischen Eigenheiten der Bandmitglieder herrscht. Es ist eine gemeinsame Reise und ich finde, dass sich der Sound permanent verändert und weiterwächst.

„ICH WÜRDE DEN BANDSTIL ALS WORK IN PROGRESS BEZEICHNEN“

Wie entwickelt ihr den Sound weiter?

Sylvia Deixler: Es kommen die einzelnen Mitglieder mit Ideen, es wird darüber gejammt und die Stücke werden auskomponiert und sie nehmen mit der Zeit eine Form an bzw. sind permanent Metamorphosen unterworfen. Ich würde den Bandstil als work in progress bezeichnen.

Ihr habt Flinta* als Bezeichnung mit im Pressetext, das ist ein Akronym für: „Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen“ und das Sternchen umfasst alle Menschen, die sich wegen ihrer geschlechtlichen Identität an den Rand gedrängt fühlen. Wie wirkt sich diese Zuschreibung auf das Musikmachen aus?

Bild Major Shrimp
Major Shrimp (c) Nefes Zorlu

Miro Steinkellner: Auf das „inhaltliche“ Musikmachen hat es keinen Einfluss. Wir erzeugen mit unseren Instrumenten einfach gemeinsam Musik. Aber aus einer sozial-emotionalen Perspektive betrachtet hat es Einfluss, weil es einfach sehr angenehm ist miteinander Musik zu machen. Einige von uns haben schon in anderen Formationen gespielt, teilweise auch als einzige Frau in von Männern dominierten Bands. Dabei gab es teilweise auch blöde Erfahrungen, etwa sexualisiert zu werden. In welche Richtung es auch immer geht: es war eine bewusste Entscheidung zu sagen, dass wir nur mehr nach Flinta-Personen suchen, weil wir eine Flinta-Band sein wollen. Natürlich gibt es auch coole männliche Musiker in der Szene, aber was an Dynamik in einer Gruppe entsteht, wenn sich Männlichkeit gegenseitig anspricht, ist einfach unangenehm. Unser Umgang ist einfach total wertschätzend, es geht wenig um dominantes Verhalten.

Kannst du dafür ein Beispiel nennen?

Miro Steinkellner: Vorgestern hatten wir eine Generalprobe, es gab zwei Soundtechniker:innen und wir waren auf der Bühne. Sylvia Deixlers Gitarre war beim Solo zu leise und es war dann so, dass von allen Seiten gesagt wurde: das war mein Fehler. Nein, es war mein Fehler! Man musste nicht die anderen heruntermachen, um selbst groß zu sein, sondern man kann ganz wertschätzend über Fehler sprechen. Das ist ein Aspekt von vielen, warum ich gerne in einer Flinta-Band spiele.

Sylvia Deixler: Keine Wadelbeisserei und kein Hahnenkampf. Ich habe folgende Erfahrung gehabt: ich habe in einer Rockband gespielt und der Schlagzeuger ist zu mir gekommen und hat gesagt: Wow, toll dass eine Frau so eine heiße, rockige Saite zupfen kann. Meine Antwort war: Glaubst du, dass Frauen nicht Gitarre spielen können?

Solche Geschichten habe ich auch schon von anderen Gitarristinnen gehört.

Miro Steinkellner: Ich sehe noch einen Widerspruch, denn einerseits will man ja nicht eine Flinta-Person an einem Musikinstrument sein, man will nur eine Person sein, die Musik macht. Trotzdem ist man irgendwie dazu gezwungen sich in einer Flinta-Formation zu finden, solange die Musikszene so männlich dominiert ist, wie sie ist, sodass man dann halt die Frau an der Gitarre ist.

War es vielleicht der entscheidende Schritt für euch, Major Shrimp sozusagen sozial neu aufzustellen und dadurch mehr Konstanz haben?

Miro Steinkellner: Ja, dass die Band erfolgreich ist und etwas weiter geht, liegt schon auch daran, dass das Miteinander gerade voll angenehm ist. Ich möchte das nicht nur geschlechtlich auflösen, aber es ist gerade schön miteinander und das hat damit zu tun, dass nette und reflektierte Personen in dieser Band spielen.

Sylvia Deixler: Es ist meiner Meinung auch ein politisches Statement dabei: wir sagen eindeutig, dass wir gewissen politisch bedenklichen Ideologien gegenüber zu 100 Prozent antagonistisch sind.

„QUEERNESS UND BUNTE LEBENSWELTEN STEHEN AUF DER BÜHNE UND WERDEN SICHTBAR GEMACHT“

Maria Leubolt: Es ist ein politisches Statement, auch für die Flinta-Community. Queerness und bunte Lebenswelten stehen auf der Bühne und werden sichtbar gemacht. Dieses Sichtbarmachen ist gerade wichtiger denn je.

Ihr habt im Oktober 2024 eine besondere Konzertserie im Prater. In welchem Rahmen werdet ihr zu hören sein?

Maria Marginter: Wir wurden für eine Burlesque-Show engagiert und machen die Live-Musik für die Tänzer:innen. Dieses Bild von uns auf der Bühne war ein Grund, warum wir engagiert worden sind.

Bild Major Shrimp
Major Shrimp (c) Mark Volker

Maria Leubolt: Das findet im Mirage im Prater statt. Ich finde, wir passen da gut hin. Die Atmosphäre ist toll. Ich habe noch nie so eine wertschätzende Produktion erlebt. Oft sind Produktionen sehr stressig und der Tonfall ist rau, so kenne ich das. Das war in diesem Fall ein positives Erlebnis.

Sylvia Deixler: Für die Show adaptieren wir unsere eigenen Stücke, manche Teile werden gekürzt, andere verlängert. Für dieses Projekt im Mirage haben wir im September intensiv geprobt.

Ihr seid eine international aufgestellte Band und singt in verschiedenen Sprachen. Was wären Ziele für euch? Vielleicht eine Tour in Frankreich?

Sylvia Deixler: Die verschiedenen Sprachen ergeben sich durch die Muttersprachen der Bandmitglieder. Die andere Gitarristin, Servet, spricht Türkisch und schreibt Lieder in ihrer Sprache und die Posaunistin, Zina, stammt aus Paris. Wir würden gerne die ganze Welt bereisen.

Gesellschaftspolitisch könnte ich mir vorstellen, dass eine Tour in der Türkei z.B. eher schwierig zu organisieren ist.

Maria Marginter: Es kommt – auch bei der Türkei – immer darauf an, in welche Kreise und welche venues man kommt. Auch dort gibt es viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen. In Bezug auf Istanbul haben wir schon Gespräche geführt, weil eben Servet, die türkische Wurzeln hat, connections dorthin hat. Heuer ist sich für den Sommer keine Tour nach Istanbul ausgegangen, aber ich glaube, dass es auch in vielen anderen Ländern, von denen man es nicht glaubt, venues gibt, die man bespielen kann.

Inwiefern bekommt ihr nach Konzerten etwa Rückmeldungen, dass dem Publikum nicht nur die Musik, sondern auch eure Haltung gefällt?

Maria Leubolt: Wir kriegen eher Feedback über unser Miteinander, weil man auf der Bühne merkt, dass wir gut eingespielt sind und jede Person gleichberechtigt ist. Das ist wahrscheinlich mit ein Grund, wenn uns Leute sagen, dass wir eine sympathische Band sind.

Sylvia Deixler: Die Band wird als Gute-Laune-Spender gesehen. Leute sagen, dass wir zwar erkennbare Individuen sind, aber miteinander ein Ganzes ergeben, das toll funktioniert.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Live:
ab 18.10.2024: Mirage, Prater: Burlesque Spectacular Dinnershow

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