Bregenz–Köln, einfache Fahrt: Sängerin FILIPPA GOJO im mica-Interview

In der Bodenseeregion ist sie schon lange bekannt, in Deutschland wird sie es gerade. FILIPPA GOJO (Jahrgang 1988) studierte in Köln und lebt und schafft ebendort als gefragte Sängerin. Gerade wurde ihr erstes Soloalbum fertig, das es mit dem Begriff „solo“ ernst meint. Peter Mußler sprach mit ihr über Namensgebung, Geld und den Vorarlberger Dialekt.

Zuallererst: Wie kommt man zu so einem schönen, aber für Österreich doch recht exotischen Namen?

Filippa Gojo: Der Nachname kommt aus Südtirol und wurde deshalb auch italienisch geschrieben, also mit i: Goio. Als mein Großvater dann nach Vorarlberg kam, ließ er ihn ändern. Den Vornamen habe ich einem brasilianischen Mädchen zu verdanken, deren Namen meine Mutter aufschnappt hat. Die Tochter sollte dann auch so heißen!

Auf Ihrer Website beschreiben Sie sich als „Sängerin/Komponistin/Gesangspädagogin“. Was steht ganz vorne?

Filippa Gojo: Das kann man so nicht sagen. Für mich hängt eines mit dem anderen zusammen, die Tätigkeiten befruchten sich gegenseitig. Will ich erklären, muss ich verstehen, wissen, wie etwas funktioniert. Dadurch bin ich gezwungen, mich mit der eigenen Musik und Technik mehr auseinanderzusetzen. Ich muss mich außerdem auf jemanden anderen konzentrieren und zur Abwechslung einmal nicht auf mich. Das ist schön. Auf der anderen Seite profitiert die Lehre von der Gesangserfahrung. Ich schreibe aber auch viel – Musik und Text.

Sie kommen aus Bregenz und sind dort aufgewachsen, mit 19 aber nach Deutschland gegangen, um zu studieren. Warum Köln oder Berlin und nicht Graz oder Wien?

Filippa Gojo: Ich liebe Wien, mein Bruder lebt dort, aber ich glaube, dass die für mich interessante Szene in Köln größer ist. Hier gibt es sehr viele Bands und Musikerinnen und Musiker, die ihren sehr eigenen Weg gehen. Letztendlich war es aber einfach ein Bauchgefühl.

Sie sind zufrieden mit der Wahl?

Filippa Gojo: Absolut! Ich habe ein Diplom und einen Mastertitel in Jazzgesang. Für uns Österreicherinnen und Österreicher ist es schwer zu glauben, doch keinen davon bräuchte ich für meinen Beruf. Ich wollte einfach von interessanten Leuten lernen. Während des ersten Studiums waren das Annette von Eichel und Susanne Schneider. Den Master habe ich eigentlich nur gemacht, um mich bei Roger Hanschel weiterzubilden, der sich auf Solo-Performances spezialisiert hat. Dann habe ich halt auch gleich abgeschlossen!

Ist deshalb Ihr neues Album „vertraum“ auch ein Soloalbum im buchstäblichen Sinne? Es gibt keine Band. Nur Sie sind zu hören.

Filippa Gojo: Auch, aber nicht nur. Eigentlich keimte in mir der Wunsch, ganz alleine zu musizieren, oder der Gedanke, das überhaupt zu können, als ich 2008, zu Beginn meines Studiums, Sidsel Endresen hörte. Das ist eine norwegische Sängerin, die ganz alleine ein Programm bestreitet und einen ganzen Saal füllen kann. Unglaublich! Roger Hanschel brachte mich dann auch dazu, Instrumente zu benutzen, die ich selbst spiele.

Welche sind das?

Filippa Gojo: Neben meiner Stimme Kalimba, Shrutibox und – eine Janosch-Spieluhr! Ich spiele diese Instrumente nicht virtuos, aber ich musste doch lernen, dass die Hände selbstständig funktionieren und ich nebenbei noch etwas anderes mache.

Hände und Bewegungen sind für Sängerinnen und Sänger sehr wichtig, oder?

Filippa Gojo: Mit Sicherheit, obwohl ich immer recht ruhig stehe, geerdet bin. Komischerweise nur beim Moderieren bewegte ich mich früher stets ein bisschen hibbelig. Seit ich mir vorgenommen habe, dabei bewusst innezuhalten, rede ich auch ruhiger. Ich bin deshalb der festen Meinung, dass nicht nur die Stimmung die Körpersprache beeinflusst, sondern auch andersherum, der Körper das Gemüt.

„Ich will die Musik sprechen lassen, nicht mein Ego.“

Neben den Instrumenten und der Gesangsstimme setzen Sie auf „vertraum“ die Stimmbänder als Klangwerkzeuge ein. Sie schreien, machen Geräusche. Ist das anstrengend? Und wie schauen Kompositionen aus, die dieses Werkzeug miteinbeziehen?

Filippa Gojo: Für mich ist Schreien nicht anstrengender als ein hoher lauter Ton. Ich setze es auch eher dann ein, wenn mir danach ist. Es gibt also schon Stücke, die an einem anderen Tag aufgenommen anders klingen würden. Die Intensität variiert, es wird eben auch improvisiert. Grundsätzlich gibt es kein rigides Notenbild, das zum Beispiel einen Zischlaut zu genau einer Sekunde vorsieht. All diese Geräusche baue ich nicht ein, um mich interessant zu machen. Ich will die Musik sprechen lassen, nicht mein Ego.

Sie haben Lob für Ihre Lieder auf Englisch erhalten, singen aber auch in anderen Sprachen, wie Portugiesisch, und sogar in Ihrem Vorarlberger Heimatdialekt. Wie kam es dazu? Verstehen wird ihn nur ein Teil des Publikums.


Filippa Gojo:
Es war zuerst ein Experiment, bei dem ich merkte, dass ich eine andere Verbindung zur Musik oder einem Lied herstellen kann, ich bin ganz im Text drin. Es stehen mir auch mehr Laute zur Verfügung. Ich mache auch Stücke mit wenig Textsinn, die aber einfach lautlich interessant sind. Zum Verständnis: Lustigerweise kommt mein Dialekt hier in Köln gut an, obwohl ihn keiner versteht. Aber ich bin sicher, dass es in erster Linie nicht um Textverständnis geht. Eher um Klänge. Jede Sprache hat einen eigenen Lautschatz. Eine spanische Sängerin klingt anders als eine tschechische, auch wenn beide Englisch singen. Sie produzieren die Laute an verschiedenen Punkten im Rachen.

Vielleicht klingen Sie deshalb oft ein sehr nordisch. Immerhin ist Ihre alemannische Muttersprache ein Rudiment einer älteren germanischen Sprache, den skandinavischen Sprachen ähnlich.


Filippa Gojo:
Ja, das kann gut sein.

„Freiheit ist immer auch eine Bürde.“

Am 27. März 2015 kommt „vertraum“ auf den Markt. Wie viel Arbeit steckt in einem Album mit nur einer Musikerin?

Filippa Gojo: Auch hier gilt, es ist ein Soloprojekt. Ich hatte alle Freiheit, musste mich aber auch um alles kümmern. Die Produktionskosten waren vielleicht geringer, was aber anfällt, muss man alleine tragen. In meinem Fall hat mich jedoch das Land Vorarlberg mit einem kleinen Zuschuss unterstützt. Grundsätzlich gilt, wie auch bei der Genrefrage: Freiheit ist immer auch eine Bürde. Ich hatte aber stets Vertrauen, dass am Ende alles gut geht. Deshalb auch der Albumtitel.

Und das m in „vertraum“ kommt vom Traum?

Filippa Gojo: Ja. Für ein gewagtes Projekt braucht es zwar Mut, aber auch die Fähigkeit, sich etwas Neues auszudenken. Das geschieht bei mir in einem träumerischen, filterlosen Zustand.

Sie haben den Begriff „Genre“ erwähnt. Wie würden Sie Ihre eigene Musik beschreiben? Jazz ist zu groß, um aussagekräftig zu sein, Weltmusik vielleicht auch. Experimentell klingt auch abgelutscht.

Filippa Gojo:
Davor habe ich mich gefürchtet! Ich will klare, ehrliche Musik machen, die berührt. Improvisation spielt eine Rolle, Traditionelles, Volksmusiken, aber auch Modernes. Es ist eine Mischung und jedes Stück ist anders.

Für das Finale des Neuen Deutschen Jazzpreises nominiert

Wie wird diese Musik aufgenommen?

Filippa Gojo: Aktuell sehr gut. Mit dem Filippa-Gojo-Quartett sind wir für das Finale des Neuen Deutschen Jazzpreises nominiert, verkaufen einige CDs bei unseren Konzerten, sodass die Produktionskosten bereits wieder eingespielt sind …

Das heißt, Sie müssen in Vorleistung gehen?

Filippa Gojo: Ja, wie die meisten. Allerdings kommt unser Label für einige Leistungen auf.

Zurück zum Repertoire: Haben Sie den klassischen Jazz-Standards für immer abgeschworen?


Filippa Gojo:
Nein, natürlich nicht. Die erste Quartett-CD beinhaltete noch einige Standards, ich singe sie nach wie vor live, will aber auch neue Musik schaffen, mit neuen Texten, was im Kölner Umfeld eben recht gut möglich ist. Ich höre aber zu Hause auch Ella Fitzgerald oder Kurt Elling und singe die großen Nummern nach wie vor zum Lernen oder nur zum Spaß.

Was sind die nächsten Projekte?

Filippa Gojo:
Im Sommer nehmen wir das zweite Quartett-Album auf, ansonsten gibt es mit anderen Formationen viel zu tun!

Steht auch die Heimat einmal wieder auf dem Programm? Vielleicht sogar für länger?

Filippa Gojo: In Bregenz ist kulturell extrem viel los. Ich vermisse in Köln auch den Bodensee und die Berge sehr. Aber ich bin hier eingebettet in ein gutes Netzwerk, kenne viele Musikerinnen und Musiker, habe ein Publikum, darum bleibe ich erst einmal, wo ich bin. Wir spielen aber am 1. August mit dem Quartett in erweiterter Besetzung in Lindau. Nicht Vorarlberg, aber fast.

Peter Mußler

http://www.filippagojo.de