Vorschlag zur Verlängerung der Leistungsschutzrechte für Tonträgerhersteller und Interpreten auf 95 Jahre

Am 16. Juli 2008 verabschiedete die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter, verwandter Schutzrechte, worin angeregt wird, die Dauer der Leistungsschutzrechte für Tonträgerhersteller und Interpreten von derzeit 50 auf 95 Jahre zu erhöhen. Eine Realisation dieses Vorschlages würde jedoch erhebliche nachteilige Folgen mit sich bringen.

Innerhalb der Europäischen Union gilt das Leistungsschutzrecht für Tonträgerhersteller und Interpreten nach derzeitiger Regelung für eine Laufzeit von 50 Jahren ab Aufnahme bzw. ab Veröffentlichung des Tondokuments. Den Plattenherstellern wird für diesen Zeitraum das Recht zugestanden, die Kontrolle über Vervielfältigung und Zugänglichmachung dieser Werke auszuüben. Nach Ablauf dieser Frist, so der gesellschaftliche Konsens, werden die betreffenden Tonaufnahmen gemeinfrei und damit Teil des öffentlichen kulturellen Erbes.

 

Der nun eingebrachte Vorschlag, die wirtschaftliche Situation der ausübenden Künstler durch eben eine Verlängerung der Schutzfrist von 50 auf 95 Jahre verbessern zu wollen, würde bei seiner Umsetzung jedoch komplett an dieser Intention vorbei gehen und lediglich die Position der weltweit vier großen Hersteller (Universal, BMG, Warner, EMI) als Quasi-Monopolisten noch weiter stärken – verbunden mit erheblich nachteiligen Folgen für kulturbewahrende Institutionen und den Zugang der Öffentlichkeit zu Kulturgütern. Gerade die Archivierung und Bewahrung des Kulturgutes streicht die Kommission jedoch an anderer Stelle sogar heraus.

 

In ihrer Empfehlung vom 24. August 2006 zur Digitalisierung und Online-Zugänglichmachung kulturellen Materials und dessen digitaler Bewahrung wird etwa die Notwendigkeit betont, das europäische Kulturerbe in umfassender Weise zu digitalisieren, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und eine anschließende Nutzung des gemeinfreien kulturellen Materials sicher zu stellen (Punkt 5). Diejenigen Rechtsvorschriften, die einem solchen Ansinnen entgegen stehen, sollten demnach beseitigt werden (Punkt 6 d), was nun im deutlichen Widerspruch zum eingebrachten Vorschlag auf Verlängerung der Schutzfrist auf 95 Jahre steht.

 

Eine weitere Verschlechterung im Bereich der Rechteklärung für die ohnehin bereits schwierige Situation der kulturbewahrenden Institutionen wäre die Folge. Die, im November 2008 der Öffentlichkeit vorgestellte, Europäische Digitale Bibliothek “Europeana” dürfte beispielsweise nach einer Schutzfristverlängerung lediglich diejenigen Aufnahmen im Digitalen Lesesaal bereitstellen, die vor 1913 entstanden sind, was aus technischen Gründen jedoch nur einen minimalen Anteil des Tonträgerbestands betrifft und somit zu einer Verzerrung des europäischen Kulturerbes im Web führen würde. Zudem müssten wohl bereits online zugänglich gemachte Werke, nach In-Kraft-Treten einer neuen Schutzfristenregelung, wieder vom Netz und damit aus dem Zugänglichkeitsbereich der Öffentlichkeit genommen werden. Das Angebot kulturellen Erbes online zu erweitern – wie von der Kommission empfohlen und gewünscht – wäre dadurch natürlich ebenfalls nicht mehr möglich.

 

Zusätzlich würde eine Verlängerung der Schutzfristen auch für Interpreten eine empfindliche Behinderung hinsichtlich der Arbeit mit audiovisuellen Archiven darstellen, die wegen der Komplikation der notwendigen Rechtseinräumungen, insbesondere, bei nicht in Leistungsschutzgesellschaften organisierten Interpreten, zu einer praktischen Zugangs-Behinderung führt.

 

Zahlreiche europaweite juristische Expertisen, wie etwa vom Max-Plank-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht,  sprechen sich, unabhängig voneinander, explizit gegen eine Verlängerung der Schutzfristen aus, da damit weder den Interpreten, den jungen Kreativen, der Innovation, noch dem öffentlichen Zugang zum Kulturgut gedient wäre. Dieser Ansicht schließt sich auch das mica vollinhaltlich an.(mm)