25 Jahre Wien Modern – die Jubiläumssaison von Österreichs größtem Festival für Neue Musik, zugleich die dritte unter der künstlerischen Leitung von Matthias Lošek, stellt mit Olga Neuwirths Werk ganz das Schaffen einer herausragenden heimischen Komponistin in den Mittelpunkt. Dieses wird in insgesamt acht Konzerten, einer Filmschau und einer Ausstellung so umfassend gewürdigt wie hierzulande nie zuvor. Bereits beim Eröffnungskonzert, heuer erstmals im Theater an der Wien, zeichneten sich in gebündelter Form jene Themenkreise ab, die für Olga Newirths Arbeit insgesamt prägend sind: der Rückgriff auf die Musikgeschichte ebenso wie Anspielungen auf populäre Kulturformen, das theatrale Element wie die Faszination für das Mechanische. Letztere kennzeichnete etwa das Eröffnungswerk „Kloing!“, in welchem die Komponistin den Pianisten Marino Formenti in einem aussichtslosen Kampf gegen ein computergesteuertes Klavier antreten ließ. Im Anschluss wurde Neuwirths „Hommage à Klaus Nomi“, von Elfriede Jelinek mit neuen Texten versehen, von Andrew Watts und dem Klangforum Wien (Leitung: Clement Power) hinreißend in Szene gesetzt – die Verpflanzung von Popsongs in den Rahmen der E-Musik als fruchtbaren Irritation der Wahrnehmung.
Doch auch über die Schwerpunktkomponistin hinaus arbeitete die aktuelle Festivalausgabe der fehlenden Repräsentation von Komponistinnen im Konzertbetrieb entgegen. Bei „Wie Wir Wollen – all night long“ wurde das übliche Geschlechterverhältnis unter den Musikschaffenden eine Nacht lang in sein Gegenteil verkehrt: Im Palais Kabelwerk stand nahezu ausschließlich Musik von Frauen auf dem Programm. Untypisch war diese Koproduktion mit dem Festival e_may noch in anderer Hinsicht, kamen doch viele der aufgeführten Stücke ohne Notenmaterial aus: Musik, die sich weniger an festgelegten Strukturen als am Prozess der Klangerzeugung selbst orientierte. Unter den vielen Uraufführungen des langen Abends war auch eine posthume: Die österreichische Komponistin Luna Alcalay verstarb kurz vor Festivalbeginn im 84. Lebensjahr. Ihr gerade noch vollendetes Streichquintett besteht aus fragmentierten Gesten, die immer wieder in weit gespannten Oktavklängen verebben. Ein Vermächtnis, ebenso unprätentiös wie beeindruckend.
Brachte „Wie wir wollen“ nicht zuletzt ein Infragestellen der Grenze zwischen komponierter und improvisierter Musik mit sich (wie mit jeder Genre-Unterscheidung geht auch mit dieser eine soziologische Trennlinie einher), so überschritt ein Konzert im Berio-Saal eine andere Grenze, nämlich die zur elektronischen Clubkultur: In ihrer Huldigung an John Cage übertrugen die heimischen Elektronik-Granden Christian Fennesz und Patrick Pulsinger Cages „String Quartet in Four Parts“ aus dem Jahr 1950 auf ihr jeweiliges Instrumentarium, also elektronisch bearbeitete Gitarre und Synthesizer. Dabei entstand ein durchaus ansprechender Sound, der tatsächlich etwas von der meditativen Grundstimmung des Originals enthielt. Dass die Zugabe wesentlich packender geriet als der eigentliche Programmpunkt, könnte jedoch ein Indikator dafür sein, dass die beiden Elektroniker einer Inspiration durch John Cage nicht wirklich bedürfen.
Von der Verschmelzung verschiedener Genres ist es nur ein kleiner Schritt zur Synthese unterschiedlicher Kunstsparten, wie sie der Choreograf Chris Haring, der Komponist Arturo Fuentes und Aktionskünstler Günter Brus mit „grace note“ in Angriff nahmen. Als Grundlage dienten Essays von Italo Calvino, worin dieser „Leichtigkeit“, „Schnelligkeit“, „Genauigkeit“, „Anschaulichkeit“ und „Vielschichtigkeit“ als Kardinaltugenden „für das nächste Jahrtausend“ definiert. Wie lassen sich diese Eigenschaften auf einer Bühne realisieren? In der Halle G des Museumsquartiers herrschte zunächst Chaos: Musikinstrumente, Notenständer und Menschen lagen verstreut am Boden herum. Während sich eine schrittweise Entwicklung vom ungerichteten Ausprobieren hin zur koordinierten Bewegung vollzog, wurden von vier Musikern des Ensembles PHACE und drei TänzerInnen systematisch verschiedene Arten der Beziehung Körper-Klang durchgespielt. Am Schluss ertönte die Stimme von Günter Brus aus dem Off: „Die Zeit gehört vor ihrem Ende totgeschlagen.“
Neben vielen genre- und spartenübergreifenden Ansätzen hatte auch der traditionelle Konzertsaal Bemerkenswertes zu bieten. So im Porträtkonzert, welches das Klangforum Wien seinem Gründer Beat Furrer widmete. Im Zentrum stand die Uraufführung von „ira – arca“ für Bassflöte und Kontrabass, das mit dem diesjährigen Erste Bank Kompositionspreis prämiert wurde. Aus punktuellen Ansatzgeräuschen –so verhalten, dass das Knacksen der Scheinwerfer als (unbeabsichtigter) Kontrapunkt wahrnehmbar wurde – entwickelte sich ein Werk von großer Intensität, das von heftigen Gesten und starker Körperlichkeit geprägt war. Der Komponist wie die SolistInnen Eva Furrer und Uli Fussenegger ernteten Jubel. (Lena Dražić)
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