Zwischenbericht: WIEN MODERN im Zeichen von „Voice“

Die letzte WIEN MODERN-Saison von Matthias Lošek – dem künstlerischen Leiter von Österreichs größtem Festival für zeitgenössische Musik – geht in die Zielgerade. Die Trilogie Tanz, Film/TV und Pop.Song.Voice wird damit abgeschlossen. Nachfolger ist ab nächster Saison Bernhard Günther, Interessenten der Neuen Musik seit seiner Funktion bei mica – music austria als Referent für Neue Musik und Herausgeber des mittlerweile epochal gewordenen Lexikons zeitgenössischer Musik aus Österreich sicher kein Unbekannter. Lošek wird künftig Opernintendant in Bozen und Trient sein, wo er auch viele Möglichkeiten für Aufführungen aktuellen Musiktheaters erhält – so wird er dort die Wien Modern-Produktion der netzzeit-Oper „Whatever Works“ von Manuela Kerer und Arturo Fuentes zeigen können.

Die beiden ersten Wochen des Festivals wurden vom ORF Radio-Symphonieorchester unter Cornelius Meister mit der Sopransolistin Marisol Montalvo im Großen  Konzerthaussaal eröffnet, die, so viel muss gesagt werden, mit ihrer stimmlichen Ausdruckskunst und ihrer Erscheinung die Aufführung von Pierre Boulez’ „Pli selon pli“ entscheidend prägte. Nicht minder eindrucksvoll geriet aber auch tags darauf die Aufführung von Salvatore Sciarrinos Madrigalstück „Carnaval“ durch das Klangforum Wien, das durch die Stimmen der Neuen Vocalsolisten Stuttgart wesentlich ergänzt wurde. „Voice“(s) – das stand also wirklich schon am Beginn von Wien Modern im Mittelpunkt.

Über „Whatever Works“ am 7., 8. und 10.12. im Rabenhof haben wir bereits in Form eines mica-Interviews mit Manuela Kerer und Michael Scheidl Bericht erstattet. Die Aufführungen wurden von Publikum und Medienkritik nicht nur gelobt. Bei den nur zwei Mal miteinander verschränkten Handlungsebenen punktete Arturo Fuentes in den Rave-artigen und daher eingängigen Songs (oder „Arien“) der beiden Politikerinnen, die sehr gut sangen und spielten, gegenüber der subtileren Musik von Manuela Kerer, die sich aber etwa in den Chören und den Szenen mit Piraten und Chauffeuren nicht recht zwischen Satire und witzigem Humor entscheiden wollte.

Der Bariton Georg Nigl, der am Sonntag, den 8.11. den Zyklus „O Mensch!“ von Pascal Dusapin im Ankersaal der ehemaligen Brotfabrik präsentierte, überzeugte natürlich als Sänger, nicht aber durch die über eine Stunde dauernden Vertonungen teils fragwürdig pathetischer Texte von Friedrich Nietzsche. Auf eine sichere Bank konnte dagegen Stimmkünstlerin Angelika Luz mit berühmten Solostücken von Luciano Berio, John Cage oder Georges Aperghis setzen, die auch eine Komposition der in Wien lebenden HuiHui Cheng („La MaTa MaYaBaLa“ für Stimme und Objekte) zur Uraufführung brachte. Beeindruckend dann noch der Vokalartist David Moss mit „Vox Spectrál“.

Sehr gut gelungen ist Hannes Löschel der Gefühlsparcours von Songs eines technikgläubigen Teenagers, der ohne diese Hilfsmittel als „Robinson“ auf einer Insel im Dschungel Wien strandet. Es geht um Zorn, Sehnsucht, Einsamkeit, Angst, aber auch um Lust, Liebe und Glück. Ein Chorensemble und drei Schauspieler verleihen als Bewohner und „Fürsorger“ der Insel diesen Gefühlen in den Texten von Peter Ahorner unterschiedliche Stimmen: Chöre, Soli, Duos, Call-Response-Songs fesseln das Interesse zumindest erwachsener Hörender, ob das für Kinder schwieriger sein mag, sei dahingestellt.

Apropos Zorn: Im bedenklich schlecht besuchten Konzert des Arditti Quartet (der Mozart-Saal war bei ihrem bereits traditionell-ehrwürdigen Wien Modern-Auftritt halb voll) punktete das einleitende Streichquartett „The Remedy of Fortune“ von John Zorn, das seine Erfahrungen mit Jazz und experimenteller Musik unbekümmert assoziativ mit Dissonanzen, Geräuschen und Zitaten Neuer Musik kombiniert, ohne plakativ zu werden. Spannend geriet auch „The Weaver’s Knot“ von Liza Lim, das den Webknoten sich verschlingender Linien verfolgt. Neben Miniaturen von Lina Tonia und Hilda Paredes gab es auch ein „Streichquartett mit Live-Elektronik“ von Thomas Kessler, das den Instrumentalklang mit Samples symphonischer Musik konterkariert.

Der Erste Bank-Kompositionspreis an Peter Jakober

Bevor wir auf die Uraufführung des diesjährigen Kompositionspreisträgers Peter Jakober am 13. November zu sprechen kommen, muss noch auf das vorher stattgefundene „Wien Modern-Gespräch“ hingewiesen werden. Lothar Knessl beendete damit seine langjährige Kuratorentätigkeit für den Erste Bank-Kompositionspreis, indem er Rückschau hielt, und nicht unberechtigt darauf hinweisen konnte, wie aus diesen teils noch nicht am Beginn internationaler Karrieren stehenden Preisgekrönten eine ganze Reihe bedeutender und die Szene der Neuen Musik oft auf der ganzen Welt prägende Persönlichkeiten hervorgegangen sind. Die Faustregel, dass es pro einer Million Einwohner jeweils einen bedeutenden internationalen Komponisten gäbe, treffe jedenfalls auf Österreich nicht zu, so Knessl lachend. Man braucht nur die achtzehn Porträtskizzen der Preisträger und mit Kompositionsaufträgen Bedachten von Daniel Ender den Namen nach zu überfliegen die bereits 2007 im Sonderzahl-Verlag erschienen sind, darunter Gerhard E. Winkler, Gerd Kühr, Georg Friedrich Haas, Jorge Lopez, Olga Neuwirth, Johannes Maria Staud,  Klaus und Bernhard Lang, Wolfgang Mitterer, Bernhard Gander, Joanna Wozny, Gerald Resch, Beat Furrer, Bernd Richard Deutsch, Reinhard Fuchs … Das neue Kuratorium wird aus Ruth Goubran von der Erste Bank, dem Komponisten und in Graz Lehrenden Gerd Kühr, Sven Hartberger für das Klangforum Wien (die auf dem Podium versammelt waren), und Christian Scheib für den ORF bestehen. Und: Es gibt für das Jahr 2016 bereits eine Preisträgerin, nämlich Eva Reiter.

Beim Konzert des Klangforum Wien, das mit der Preisverleihung und einem folgenden Umtrunk im Berio-Saal verbunden war (leider gibt es dort keine Schinkenfleckerl mehr), sprang die ausgezeichnete polnische Sängerin und Komponistin Agata Zubel für die verhinderte Marisol Montalvo ein und brachte den Gesangspart in Bernhard Langs „Songbook“ DW 16 zu Gehör, das unter anderem Texte und Musik von Bob Dylan, Peter Hammill und Amon Düül II enthält. Stefan Prins bezieht sich in „Fremdkörper #3“ auf Michael Jackson, den Schluss des Abends markierte Jorge-Sánchez-Chiongs „Final Girl“. Durchaus von diesen Stücken abgesetzt erwies sich die preisgekrönte Komposition „Substantie“ von Peter Jakober, die die über Lautsprecher wiedergegebenen aufgezeichneten Multiphonics, sowie den Streichern über Kopfhörer zugespielten Click-Tracks und die eingesetzte Elektronik vergessen machen lassen. Bewundernswert sind der ruhige, fast melancholische Fluss der Musik und Jakobers exzellente Instrumentierungskünste.

Das Symphoniker-Konzert am 15. November gehörte dem Schlagzeugkonzert „into the open…“ von HK Gruber und dessen Percussionisten Colin Currie. Johannes Maria Staud steuerte nach der Pause das sehr gut komponierte Diptychon für Bruno Schulz „Zimt“ aus 2008-10 bei.

Pop, Tanz  und Forschung in der dritten Festivalwoche

Tanz, Symposion, Orchester- und Ensemblekonzerte: die dritte Festivalwoche präsentiert sich vielfältig und reichhaltig. Den Auftakt macht Monadology XVIII «Moving Architecture» im Tanzquartier Wien mit Musik von Bernhard Lang, einem jener Komponisten, denen eine Affinität zu Elektronik und avancierter Popmusik nie fern war. Bereits 2013 lieferte er mit seiner Monadologie XXIII „…for Stanley K.“ im Rahmen des RSO-Wien Modern-Tanzabends einen wesentlichen Beitrag für die Wien Modern Triologie “Tanz, Film/TV und Pop.Song.Voice”.

10 Uraufführungen und zahlreiche Erstaufführungen stehen auf dem Programm der Konzerte von ORF Radio-Symphonieorchester Wien, PHACE und subshrubs, Ensemble Kontrapunkte und in der Alten Schmiede. Im Mittelpunkt stehen heuer Komponistinnen,  allein in dieser Woche sind Werke von elf Komponistinnen zu hören. Wissenschaftliche Auseinandersetzung mit “Pop.Song.Voice” bietet das Symposion WIEN MODERN. Am 22. November findet im mica die Präsentation der Resultate der Publikumsbefragungen statt, die im Herbst 2014 bei drei großen Neue-Musik-Festivals in europäischen Metropolen durchgeführt wurden.

Heinz Rögl

 

Wiener Symphoniker (c) Stefan Olah
Whatever Works – Stefan Bleiberschnig, Shira Karmon, Michael Scheidl (c) Nurith Wagner-Strauss
Hannes Löschel (c) Mario Lang
Peter Jakober (c) Franz Reiterer
subshrubs (c) Rania Moslam

http://www.wienmodern.at