„ZWISCHEN KEINER PARTY UND DER BESTEN IST VIEL MÖGLICH“ – GERALD VDH IM MICA-INTERVIEW

GERALD WENSCHITZ aka GERALD VDH ist Produzent, DJ und Veranstalter. Seit zwölf Jahren organisiert er die Eventreihe MEAT MARKET in Wien, spielt regelmäßig im Ausland und führt mit MEAT RECORDINGS ein eigenes Plattenlabel. Während der letzten Monate trat WENSCHITZ als einer der gewichtigsten Stimmen für „save raves“ und „vernünftiges Feiern“ auf und veranstaltete im August eine Party mit 200 Leuten in der GRELLEN FORELLE – unter strenger Einhaltung der gesetzlichen Regelungen, wie er betont. Was Techno mit Konzerten zu tun hat, warum eine „Clubkultur“-Förderung zu wenig ist und wann Kleingartenbesitzer mit ihren Zwergerln einen Aufstand planen, hat GERALD WENSCHITZ im Gespräch mit Christoph Benkeser erklärt. 

„Ich möchte zeigen, dass es möglich ist, auch während einer Pandemie im Club zu feiern“, hast du zuletzt in einem Interview mit Die Zeit gesagt. Möglich ist es, du hast im August veranstaltet. Welche Gründe gibt es, während einer Pandemie Partys zu feiern?

Gerald VDH: Feiern ist ein Bedürfnis, das zeigt die Geschichte des Menschen. Sogar in Kriegssituationen haben Menschen gefeiert, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Wenn es notwendig ist, kann man darauf verzichten. Aber man hält es nicht ewig durch. Social Distancing hat Grenzen. In unserem Fall geht es auch um andere Dinge. Wir brauchen einen sicheren Platz, wo wir „wir selber“ sein können. LGBTQ+ Personen können auf der Straße nicht zu 100% sie selbst sein. Bei unseren Feiern können sie eine Normalität spüren, die sie in einer Gesellschaft, in der sie ständig diskriminiert werden, nicht haben. Mir macht es Sorgen, wenn das wegfällt.

In Wien sieht man, wie Menschen sich den öffentlichen Raum zurückerobern und dort feiern.  

Gerald VDH: Dass sich Menschen am Donaukanal oder am Karlsplatz ihre spaces schaffen, um Mensch sein zu können, kann ich nicht verurteilen,

Du betonst und befürwortest vernünftiges Feiern mit Covid-Prävention. Gehört zum Feiern nicht das temporäre Loslassen von der Vernunft, ein kurzes Ausbrechen aus dem Alltag? 

Gerald VDH: Die Qualität verändert sich, wenn man sich an die Grenze herantastet, was derzeit verantwortbar ist. Aber: Zwischen keiner Party und der besten ist viel möglich. Bei unserem Event im August waren nur 200 Leute, es gab verpflichtenden Mund-Nasen-Schutz, bei der Bar war die Musik leiser. Es gab all diese Spielregeln, aber die Leute waren froh, weil sie das Erlebnis wieder in ihrem Leben hatten. Ich kann es kaum in Worte fassen, wie wichtig mir das war. Dass es inzwischen wieder unmöglich ist, ist für mich kaum auszuhalten.

„WENN DAS LICHT AUSGEHT UND DIE BASS-DRUM MARSCHIERT, VERLIEREN SICH ALLE SCHNELL IN DER MUSIK – AUCH MIT ABSTANDSPFLICHT.“

Gestaffelte Einlasszeiten, teilweiser Mundschutz-Pflicht, Abstandpflicht, E-Mail-Adressen hinterlegen, Fieber messen – als Auszug aus dem Regelwerk deiner Veranstaltungsbeschreibung. Das erinnert mehr an eine Operation am offenen Herzen als an eine Party in der Forelle. 

Gerald VDH: In der Aufbereitung klingt das härter, als es ist. Unser Publikum ist konditioniert. Wenn das Licht ausgeht und die Bass-Drum marschiert, verlieren sich alle schnell in der Musik –, auch mit Abstandspflicht. Es ist keine vollwertige Fish Market-Party, aber auch weit von einer halbherzigen Sache entfernt.

Ein Event im Club ist für dich – mit Temperaturprüfung an der Tür und Hinterlegung der persönlichen Daten – kein unnötiges Risiko?

Bild Gerald VDH
Gerald VDH (c) Anna Breit

Gerald VDH: Die Leute wären noch sicherer, wenn wir keine Party veranstalten würden. Sie sind aber nicht sicher, wenn sie stattdessen zu einem illegalen Rave unter die Nordbahnbrücke gehen und danach zu privaten Afterhours fahren. Wir tragen alle Maßnahmen mit, weil wir eine sichere Umgebung schaffen wollen. Der sichere Rahmen ist mit der Sperrstunde um 1 Uhr früh allerdings hinfällig, weil die Leute weiterziehen. Das liegt nicht in meiner Hand, wäre mit einer Ausweitung der Sperrstunde auf 6 Uhr aber entspannter, weil die Meisten nach Hause gingen.

Ein 23-seitiges Sicherheitskonzept hast du bereits im Juni mit der Grellen Forelle ausgearbeitet.

Gerald VDH: Um das Lamento zu beenden. Wir waren damit in einigen Medien, gebracht hat es nichts.

Es war effektive Öffentlichkeitsarbeit. 

Gerald VDH: Viele Leute haben mich gelesen, gehört und gesehen. Mein Profil und meine Bekanntheit sind dadurch gestiegen. Trotzdem hätte ich gerne darauf verzichtet.

„ES GIBT KEIN ENTGEGENKOMMEN AUF VERANSTALTER*INNEN.“

Mit der Club Commission gibt es in Wien eine „Service- und Vermittlungsstelle“. Die IG Kultur hat eine eigene Stelle für Clubkultur initiiert. Du machst selbst Lobbyarbeit. Zuletzt hat sich die Stadt Wien – auf Druck der Genannten – auf drei Millionen Euro für die Clubkultur geeinigt. Was bedeutet das für dich? 

Gerald VDH: Der angekündigten Förderung für die Wiener Clubkultur stehe ich kritisch gegenüber. Ich glaube nicht, dass die Leute, die wirklich Clubkultur machen, etwas von dieser Summe sehen werden. Die Stadt Wien hat viel zu lange nichts getan. Es gibt kein Entgegenkommen auf Veranstalterinnen und Veranstalter. Man glaubt, mit Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss ist es getan. Aber man versteht nicht, dass es manchen Leuten nicht nur um das Geld geht.

Um was geht es? 

Gerald VDH: Mir ist es nie ums Geld gegangen. Es sichert das Überleben und die Fixkosten von Meat Market. Uns geht es aber um das Cluberlebnis. Deshalb haben wir Möglichkeiten aufgezeigt, wie dieses Erlebnis unter Einschränkungen funktionieren könnte. Niemand hat auf uns gehört. 

Die Kriterien für die Förderung beziehen sich auf Clubs. Veranstalter*innen haben keinen Anspruch. 

Bild Gerald VDH
Gerald VDH (c) Anna Breit

Gerald VDH: Genau Kriterien gibt es noch nicht. Es schaut aus, als ob es eine Gastroförderung wird, bei der sich Lokale, die nichts mit Clubkultur zu tun haben, eine Förderung abholen. Das ist der zweite Schnitzel-Gutschein, ein Wahlzuckerl. Es ist nicht einzusehen, dass Veranstalterinnen und Veranstalter, Agenturen und Büros, die die Clubkultur in die Clubs bringen, nichts davon haben sollen. Viele Clubs sind oft reine Betriebsstätten, die sich um das Betriebswirtschaftliche kümmern. Die Kultur kommt von anderen Leuten, man müsste sie miteinbeziehen.

Du meinst eine eigene Förderung für Veranstalterinnen und Veranstalter? 

Gerald VDH: Die Bezeichnung „Clubkulturförderung“ ist problematisch, weil es derzeit ein Rettungspaket für Clubs ist, das auch so zu benennen wäre. Bei Clubkultur muss es um Inhalte gehen. Wir wollen nicht nur überleben, sondern leben, weil wir Ideen haben und diese fördern müssten.

Warum steht das nicht in der geplanten Förderung?

Gerald VDH: Dass man sich für eine eigene Förderung für Veranstalterinnen und Veranstalter einsetzt, wurde mir zwar versprochen. Aber mir fehlt der Glaube. Wenn ich Meat Market nicht mehr mache, hinterließe es in Wien eine Lücke. Als Ein-Personen-Unternehmen hat man aber keine Schlagkraft, um das zu kommunizieren, weil keine unmittelbaren Arbeitsplätze dranhängen. Ich könnte mein Studio zusperren, das interessiert niemanden.

Fehlt eine gemeinsame Stimme, die offensiv Druck für „Clubkultur“ macht? 

Gerald VDH: Ich habe mich schon vor Jahren beklagt, dass sich keine Tageszeitung für Clubkultur interessiert. Meat Market gibt es so lange, wir haben diese Stadt mitgeprägt, wieso hat niemand darüber geredet? Deshalb bin ich von dem Druck, der momentan medial und politisch aufgebaut wird, positiv überrascht. Ich hoffe, dass dieses Interesse nicht wieder abflaut.

Der Begriff „Clubkultur“ wird aktuell gerne verwendet – egal ob für seichte Stadlfeiern oder qualitative Technopartys. Was hat Anspruch auf Förderung?

Gerald VDH: Es ist wichtiger zu treffen, was zu fördern ist, als nicht zu treffen, was keinen Anspruch hat. Sind wir uns ehrlich, wie Kurt Ostbahn sagt: Wenn man einen Kriterienkatalog für die Förderung aufstellt, kommt es zu einer österreichischen Lösung. Es steht dann eine weibliche Security beim Eingang, über dem eine Regenbogenfahne hängt, auf einmal haben alle Veranstaltungen einen weiblichen DJ und an jeder Bar gibt es Codewort, wenn dich jemand belästigt. Alle würden einen Weg „drumherum“ finden, es wäre Wischi-Waschi, weil ich nicht glaube, dass alle über Nacht superoffen und divers werden.

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Du hast die Veranstaltung im August als „Techno-Konzert“ bezeichnet. Sind das nicht zwei Dinge, die sich widersprechen?

Gerald VDH: Den Begriff habe ich gewählt, um den Rahmen vorzugeben. Es geht in Richtung der Veranstaltungen ohne fix zugewiesenen Sitzplätzen. Wir haben es so ausgelegt, dass man für spontane Begeisterungsbekundungen – wie bei einem normalen Konzert – aufstehen kann. Man weiß dadurch, dass es keine normale Party ist.

„DIE LEUTE, DIE ES NICHT BRAUCHEN, VERSTEHEN DAS NICHT.“

In Ankündigungen zur Veranstaltung und Postings auf Facebook beziehst du dich auf „unsere Kultur“. Wie passt ein „Techno-Konzert“ in diese Ideologie?

Gerald VDH: Nur zur Hälfte. Der Kompromiss wäre, gar nichts zu machen. Das fände ich nicht gut, weil das Bedürfnis bei vielen Leute da ist. Die Leute, die es nicht brauchen, können das nicht verstehen.

„Partys während der Coronakrise sind wie Sex mit Kondom – ohne ist es zwar besser, aber es macht auch mit Kondom Spaß“, hast du in einem Interview auf die Frage geantwortet, ob unter den momentanen Bedingungen Clubkultur möglich sei. Bei aller Liebe, was ist das für eine Aussage? 

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Gerald VDH (c) Anna Breit

Gerald VDH: Daran kann ich mich nicht erinnern. Was schockiert dich daran?

Es suggeriert, dass homosexuelle Männer nur ohne Sex Kondom hätten. Und es vergleicht eine Pandemie mit ungeschütztem Sex.  

Gerald VDH: Ich stehe zu dem, was ich sage. Aber ich muss darüber nachdenken.

Du veranstaltest seit über zehn Jahren Meat Market-Partys, bist nicht nur in Wien gefragter DJ und Produzent – in welcher Verantwortung siehst du dich, wenn du solche Vergleiche machst?

Gerald VDH: Ich kann die Bedenken nachvollziehen, weil sich die Aussage ein bisschen so anfühlt, als ob man aus dem Mund stinkt. Ich muss aber zuerst darüber nachdenken.

Seit 14. September 2020 gelten neue Regelungen im Veranstaltungsbereich: ohne zugewiesene Sitzplätze ist indoor bei 50 und outdoor bei 100 Personen Schluss. Was bedeuten diese Einschränkungen für dich? 

Gerald VDH: Bei mir ist Lockdown-Stimmung. Es werden einige Monate keine Veranstaltungen stattfinden. Ich hoffe, dass die Zahl [der Infektionen, Anm.] fällt. Und dass es bald Tests gibt, die schnellere Ergebnisse zu einem billigeren Preis liefern. Meine Hoffnung liegt in den Covid-Schnelltests, die man zuletzt an der Wirtschaftsuniversität verwendet hat. Sollten die Preise dafür weiter sinken, wäre das mit unseren Time-Slots kein Problem mehr.

Aus Berlin hört man, dass Open-Air-Events auch im Winter stattfinden werden –, weil die Leute auch bei 5 Grad im Freien feiern wollen. Wie schaut es in Wien aus? 

Gerald VDH: Das funktioniert in Berlin besser als bei uns. In Wien ist es unmöglich, Open-Air zu veranstalten, ohne dass ein Kleingartenbesitzer mit seinen Zwergerln einen Aufstand plant. Und ohne Anmeldung mache ich sowieso nichts mehr.

Vielen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser

 

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