„Zusammenarbeit mit einem, der nicht mehr lebt“ – mica-Interview mit Michael Mautner

Mit der szenischen Uraufführung der „Staatsoperette“ durch die Neue Oper Wien am 2. August bei den BREGENZER FESTSPIELEN wird ein Werk der Praxistauglichkeit unterzogen, das in fragmentarischer Form 1977 in Österreich einen kleinen Skandal auslöste. Christian Heindl im Gespräch mit Michael Mautner, der Otto M. Zykans Werk aktuell musikalisch adaptierte.

Michael Mautner, Sie haben die „Staatsoperette“ Ihres vor zehn Jahren verstorbenen Kollegen Otto M. Zykan in eine bühnentaugliche Form gebracht. Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe?

Michael Mautner: Erstmals hat mich 2010 Karl Welunschek angesprochen, aus dem vorhandenen Fragment des Werks eine Oper zu machen. Er ist dann aus dem Projekt ausgeschieden, aber immerhin haben Irene Suchy und ich damals schon das Archiv Zykans durchstöbert und etliches gefunden, das für die Oper gedacht war. Einige Momente musste ich mir von der DVD der Fernsehfassung von 1977 abschreiben, weil davon kein schriftliches Material existiert hat.

Gab es auch sozusagen „Entdeckungen“ im Archiv, also musikalische Schätze, die in der TV-Fassung nicht vorkamen?

Michael Mautner: Was wir zusätzlich fanden, sind die „Räsonierer“-Szenen, die sich Otto Zykan als „Vox populi“ selbst auf den Leib geschrieben hat. Davon war nur eine fertiggeschrieben, der „überschüssige Auszählreim“.

Wie war die technische Herangehensweise, wieweit konnten Sie Zykans eigenes Vorhaben des letztlich von ihm nie realisierten abendfüllenden Bühnenwerks nachvollziehen und -rekonstruieren?

Michael Mautner: Zuerst einmal haben wir den Musikstatus ermittelt, dann den vorhandenen Textstatus. Es hat sich herausgestellt, dass das Werk schon 1973 als ein Kommentar zum Pfrimer-Putsch von 1931 geplant war. Erst 1974/75 hat sich daraus dann der Gedanke einer TV-Oper entwickelt. Dieses frühe Material war also die Basis für die Textfassung. Ein Problem dabei war, dass es darin keine tragende Frauenrolle gab.

Walter Kobéra, der musikalische Leiter der aktuellen Produktion hat mir erzählt, dass in der Urversion die tatsächlichen historischen Figuren namentlich unkenntlich waren?

Michael Mautner: Ja, obwohl natürlich klar war, wer gemeint ist. 1977 gab es noch viele Zeitzeugen zur 1. Republik und ich denke, da ist einfach im Lauf der Arbeit das Original „entschärft“ worden. So hieß Otto Bauer bei Novotny/Zykan Griffel, Ignaz Seipel hieß Schwarz – eine Anspielung auf den Soutanenträger, von dem ja die ÖVP ihre Parteifarbe hat –, Dollfuß wurde zu Hackl, Koloman Wallisch zu Rötel, Mussolini zu Muffo und Kurt Schuschnigg, wenn er vorgekommen wäre, hätte Grau geheißen.

Wir haben uns letztlich entschlossen, das Stück im zeitlichen Rahmen 1927–1938 (von den Ereignissen von Schattendorf bis zum „Anschluss“) anzusiedeln. Neu sind in unserer Version zwei Conférenciers, und das sind unsere zentralen Frauenrollen. Eine ist im linken, eine im rechten Lager angesiedelt. Die bekommen auch die „Räsonierer“-Szenen.

Zykans Musik aus anderer Hand

Ist die Musik nun zur Gänze Zykan oder kommt darin auch „originaler“ Mautner vor?

Michael Mautner: Ungefähr ein Drittel des Stücks ist neu komponiert, aber auf Basis von Stücken von Otto. Diese wurden zum Textgeschehen adaptiert. Ich habe mich gut angepasst, weil ich gut mit seiner Tonalität umgehen kann. Man könnte es also so definieren: Es ist durchwegs Zykan, aber ein Drittel ist so nicht von seiner Hand.

Wie lässt sich die Gefahr umgehen, dass die Ereignisse der Zwischenkriegszeit – von den Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts über den Austrofaschismus bis zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich – einem heutigen Publikum kaum vertraut sind?

Michael Mautner: Es gibt zusätzliche historische Kommentatoren, wobei wir aber aufgepasst haben, kein Lehrstück daraus zu machen. Einiges haben wir aus Verständnisgründen vereinfacht – z. B. drei Polizeipräsidenten auf einen zusammengezogen.

Sind Sie im Lauf der Arbeit auch einer bestimmten Zykan-„Philosophie“ nahegekommen?

Michael Mautner: Otto Zykan hat keine Musik für das Morgen, sondern für das Heute komponiert. Interessant ist, dass er gesagt hat, er musste für „Staatsoperette“ einen neuen Stil erfinden – zum Teil stimmt das, zum Teil nicht.

Die größten Hürden, unerwartete Probleme?

Michael Mautner: Bei anderen Zykan-Stücken gibt es zwischen der ursprünglichen Textfassung und der gültigen Partitur oft Riesenlücken. Hier gab es nun drei doch sehr wichtige Szenen, zu denen aber keine Musik da war. Das waren die Schattendorf-Szene mit dem Marsch auf Wien, der Bürgerkrieg an sich und eine Obersalzberg-Szene. Die ist als Sprechszene angelegt. Er hatte an ein Hitler-Lied gedacht, aber ich bin froh, dass er’s nicht gemacht hat, denn wie schon der Karl Kraus gesagt hat: „Zu Hitler fällt mir nichts ein.“ – Für diese Szenen habe ich Tonbandstücke von ihm genommen mittels Pasticcio-Technik erweitert, ergänzt und überlagert. Vieles musste bühnentauglich gemacht werden, vor allem habe ich auch Gesangspartien auf „normal“ singbares Niveau umgeschrieben. In der TV-Version gab es die „unmöglichen“ Stimmen von Otti und Nali [Otto M. Zykan und Heinz Karl Gruber, Anm.] – keiner singt so hoch hinauf und so tief hinunter.

Distanz zum Alter Ego wahren

Wenn man so lange am Werk eines Kollegen arbeitet, wird man dann selbst zu dessen Alter Ego oder bleibt doch eine Distanz?

Michael Mautner: Ich hatte durchaus auch eine kritische Herangehensweise. Einiges habe ich verändert. Teils musste das aus ganz praktischen Gründen sein, so wurde das 80-Mann-Orchester auf 23 reduziert. Manchmal habe ich mir auch gedacht: Da irrt er sich und habe es dann anders gemacht. Generell ist mir sein Material sehr entgegengekommen. Ich habe ja auch viel eigene Theatermusik geschrieben, z. B. zur „Göttlichen Komödie“, und da kommt auch stilistisch viel vor, weil in der Hölle eben alles möglich ist. Ich würde die Position hier so zusammenfassen: Es ist die intensive Zusammenarbeit mit einem, der nicht mehr lebt.

Gibt es einen wesentlichen Kern, den man als Bearbeiter des Werkes eines anderen benötigt?

Michael Mautner: Viel habe ich in meiner Arbeit als Herausgeber, z. B. bei Werken Puccinis gelernt – sich zu denken: Warum hat er das so gemacht?

In Ihrem Katalog nehmen Bearbeitungen einen doch hohen Anteil ein. Kommt da nicht das Ureigenste zu kurz?

Michael Mautner: Stimmt, ich habe immer schon Bearbeitungen gemacht. Beethoven, Ich habe die Oper von Alexander Mullenbach instrumentiert. So etwas geht aber nur, wenn man einander gut kennt. Schostakowitsch hat gesagt: Wenn ich als Komponist nicht weiterkomme, mache ich eine Bearbeitung! Ein bisschen undankbar ist es natürlich: Man ist der Süßmayr, der Alfano – wenn man nicht gerade der Schostakowitsch ist. Aber man bekommt bei dieser Arbeit sehr viele Impulse. Wenn ich bearbeite, ist es trotzdem immer „meine“ Musik. Ich bin kein Imitator.

Wie steht es mit der Lust auf eine eigene Oper?

Michael Mautner: Ich kann keine Oper schreiben. Da geht es mir wie dem Otti. Ich würde entweder eine Operette oder ein multimediales Musiktheater schreiben. Im Moment ist ein Stück für den Rabenhof für 2017 in Arbeit. Der Arbeitstitel lautet „Zeit der Wölfe – die Gauneroper“. Und ich hoffe natürlich auf weitere eigene Musiktheatergeschichten. Ein Paradestück wäre: Wie entsteht Faschismus!

Vielen Dank für das Gespräch!

Christian Heindl

 

Die Staatsoperette bei den Bregenzer Festspielen (ausverkauft!): 02. und 04.08.2016 jeweils um 20 Uhr

Die Staatsoperette im Theater Akzent, Wien: 13., 16., 17. und 18.09., jeweils um 19 Uhr

Links:

www.neueoperwien.at

https://bregenzerfestspiele.com

www.akzent.at

Das Interview von Christian Heindl zur „Staatsoperette“ mit Walter Kobéra:

www.musicaustria.at/der-skandal-faellt-aus-mica-interview-mit-walter-kobera-zur-produktion-von-otto-m-zykans-staatsoperette-in-bregenz-und-wien