„Wunderreise in den digitalen Hasenbau“ – FABIAN LANZMAIER (TREIBGUT) im mica-Interview

TREIBGUT heißt das Soloprojekt von FABIAN LANZMAIER, den man auch aus den Formationen TRAURIGES TROPEN ORCHESTER und FLUKTUATION 8 kennt. Das erste Album „Atlas“ erschien 2016 als HEART-OF-NOISE-Edition. Ada Karlbauer sprach mit dem Künstler über die physikalische Präsenz von Klängen, Spannungen durch Kontraste und Brüche, höfische japanische Musik aus dem 7. Jahrhundert und über ein merkwürdiges Objekt, einen Glitch.

Ihr Debütalbum „Atlas“ erschien 2016 als Heart-of-Noise-Edition. Was ist seitdem auf musikalischer Ebene passiert?

Fabian Lanzmaier: Ich bin von Innsbruck nach Wien gezogen und habe begonnen zu studieren. Mein tägliches Umfeld und die Leute, die mich umgegeben, haben sich geändert, was mich auch in meiner Musik beeinflusst hat. Mein Zugang zur Live-Performance hat sich auch geändert. Ich versuche, meine Live-Sets für mich offener zu halten und weniger die zuvor produzierten Tracks zu rekonstruieren. Es geht mir dann mehr darum, eine Stimmung mit vielleicht einfacheren Mitteln zu reproduzieren, als die komplexen Abläufe eines Stückes so wiederzugeben, wie sie beim Produzieren entstanden sind. Dadurch kann ich live viel mehr mit dem Moment spielen, was mir mehr Freude macht. Ich denke, auch für das Publikum bleibt es dadurch spannender.

Ihre Tracks thematisieren vor allem ein ständiges Wechselspiel von Chaos und Berechnung, Kontrolle und Emotion. Wie verläuft der Produktionsprozess?

Fabian Lanzmaier: Im Grunde bediene ich mich dabei klassischen Kompositionsmitteln, die durch Kontraste, also laut/leise, dicht/offen, harmonisch/disharmonisch etc., Spannung erzeugen. Vielleicht nicht mit den herkömmlichen Mitteln aus der Instrumentalmusik, aber die Idee dahinter ist dieselbe.

Wenn ich mit einem neuen Stück starte, habe ich nicht die Absicht, bestimmte Emotionen zu erzeugen. Ich denke auch, dass meine Musik nicht so eindeutig Emotionen zugeordnet werden kann. Zumindest nicht für mich. Der Start für ein Stück kann alles Mögliche sein. Meistens gibt es da einen bestimmten Sound oder eine Melodie, die mich interessiert. Dann versuche ich, die Grenzen dieses Sounds auszuloten. Sozusagen das Feld abzustecken. Es entstehen Variationen. Meistens sind die Tracks im Anfangsstadion noch sehr voll. Im Laufe des Prozesses kristallisiert sich heraus, in welche Richtung sich ein Stück entwickelt. Dann gibt es die Entscheidung, ob ich daran weiterarbeiten will oder nicht. Durch Reduktion versuche ich dann, das für mich Wesentliche in dem Stück möglichst zugänglich zu machen.

Oft entdecke ich kleine Fragmente aus älteren Files und habe plötzlich einen anderen Blickwinkel darauf und arbeite daran weiter. Melodien, Sounds etc. von alten Stücken tauchen in neuen Zusammenhängen beispielsweise als andere Klänge mit anderem Tempo und veränderter Räumlichkeit wieder auf. Durch ein ständiges Recyclen versuche ich auch, eine gewisse Verwandtschaft zwischen den Tracks zu generieren.

„[…] ein kleines merkwürdiges Objekt, einen Glitch“

Ihre Soundästhetik erinnert entfernt an Kim Cascones Gedanken an postdigitale Tendenzen innerhalb der elektronischen Musik, die „Aesthetic of Failure“. Wie wesentlich sind Brüche, Fehler und Glitches aktuell noch?

Fabian Lanzmaier: Auf meinem Debütalbum habe ich mich sehr stark der Ästhetik von Audio Glitches bedient. Das hatte hat mehrere Ursachen. Ich musste sehr schnell arbeiten und habe das Album in einem Zeitraum von zwei Monaten produziert. Das Arbeiten mit Audio Glitches hat sich damals für mich als sehr vielseitig und inspirierend gezeigt und ich habe damit auch einer Klangästhetik über ein ganzes Album lang treu bleiben können. Außerdem ist auch recht früh im Entstehungsprozess ein kleiner Text von einem Freund entstanden, welcher mir als narratives Gerüst für das ganze Album diente. In dem Text, der auch im Vinyl-Inlay abgedruckt ist, entdeckt ein Kind beim Spielen im Sandkasten ein kleines merkwürdiges Objekt, einen Glitch. Vielleicht eine Wunderreise in den digitalen Hasenbau von Alice im Wunderland.

Stichwort Alice im Wunderland. Wie wichtig sind die großen Themen Utopie, Künstlichkeit, Realität und Fiktion in Ihrer Arbeit?

Fabian Lanzmaier: Momentan interessiere ich mich mehr für das Erstellen von surrealen Räumen, die die Hörerinnen und Hörer vor die Frage stellen, was real ist und was nicht. Sozusagen digitale Pendants von natürlichen Sounds, die zuerst vertraut klingen, dann kippen und nicht mehr so leicht einzuordnen sind. Wie weit kann man einen Sound morphen, bevor dieser wieder zu einem anderen neuen Klang wird? Ein vertrauter Klang wie z. B. Vogelgezwitscher erfährt in einem Club einen Kontextwechsel und wird dadurch anders gelesen. Physical Modeling – eine Art von Klangsynthese, die auf Basis von mathematischen Formeln und Algorithmen physikalische Eigenschaften von Klangerzeugern simuliert – ist auch etwas, was mich zurzeit sehr interessiert. Damit kann ich diese Gedanken von realen bzw. surrealen Räumen und das Morphen von Sounds umsetzen. Ich denke jedoch, jede Hörerin und jeder Hörer öffnet beim Hören einen anderen Raum.

treibgut (c) Christa Pertl

„Klängen eine physikalische Präsenz zu geben […]“

Schon seit Längerem beherrscht das Genre bzw. Label post-club music die zeitgenössischen experimentellen und elektronischen Szenen. Post-club music als Idee reflektiert aber vor allem den Schnittpunkt von musikalischer Eingängigkeit, Direktheit und Dekonstruktion. Was denken Sie darüber?

Fabian Lanzmaier: Ich bin kein großer Fan von Labels bzw. Genres, weiß aber natürlich, dass sie als Mittel zum Kommunizieren sehr hilfreich sind. Ich finde es sehr schwer, meine Musik einem oder mehreren Genres zuzuordnen. Ich spiele durchaus mit dem Gedanken, der Eingängigkeit und Dekonstruktion, wobei ich dem Genre post-club music nicht besonders nahestehe. Natürlich gibt es Acts, die diesem Genre zugeschrieben werden und die mir gefallen, aber die sind weniger relevant für das, was ich mache. In meinen neuesten Tracks verwende ich kaum Beats bzw. keine tanzbaren Beats. Hier und da tauchen Fragmente und Referenzen von Techno und Clubmusik auf, aber generell gibt es vielschichtige Ebenen, die sich vermischen und einander durchdringen. Vieles, was ich mache, könnte man als Dekonstruktion lesen, dieser Effekt entsteht aber eher in meinem Versuchen, Klängen eine physikalische Präsenz zu geben und dann mit ihnen zu spielen, zum Beispiel eben Räumlichkeit, Größe, Konturen, Auflösung oder Blickwinkel ständig zu ändern.

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Sie studieren aktuell am Institut für Elektroakustik und Computermusik ELAK. In welchem Verhältnis stehen diese eher klassischen akademischen Zugänge bzw. Kompositionsmethoden zu Ihrer künstlerischen Arbeit?

Fabian Lanzmaier: Ich habe Spaß daran zu verstehen, welche Kompositionsideen in der frühen elektronischen Musik verfolgt worden sind. Im Grunde sind es heute oft dieselben Ideen, nur mit anderen Mitteln realisiert. Ich bin immer wieder überrascht, wie aktuell bzw. zeitlos Stücke aus der frühen Elektronik klingen können. Das Studium am ELAK ist meiner Meinung nach sehr offen. Man kann mit seinen eigenen Arbeiten und Ideen kommen und im besten Fall gibt es jemanden von den Lehrenden oder den Mitstudierenden, der einem Feedback geben kann oder mit dem man sich austauschen kann. Aber natürlich arbeite ich im universitären Umfeld auch an anderen Sachen als an meinem Soloprojekt. Für mich hat sich ein Zweig in Richtung Installationskunst geöffnet, an den ich ohne dieses Umfeld wahrscheinlich nicht so schnell gekommen wäre.

[…] ein zeitloses Gefühl, eine Art Schwebezustand“

Welche Geschichten wollen Sie durch Ihre Musik erzählen?

Fabian Lanzmaier: Ich würde es mehr als Bilder und kleine Gesten beschreiben als eine ganze Geschichten. Narrative entstehen dann eher erst beim Zusammenstellen eines Albums. Kürzlich habe ich einen Artikel über Gagaku, also höfische japanische Musik, die im 7. Jahrhundert entstand, gelesen, in dem beschrieben wurde, dass der Gagaku kein Fortschreiten in seiner Komposition vollzieht, sondern vielmehr ein zeitloses Gefühl, eine Art Schwebezustand beschreibt. Auffallend ist, dass viel mehr Wert auf das Timbre, den Klang gelegt wird als auf die Beziehungen zwischen größeren musikalischen Formen, wie es in der westlichen Klassik üblich ist. Dieses Denken, in dem kurzweiligere Momente, Klang, Artikulation und feine Variationen mehr im Fokus stehen, entspricht mehr meinen eigenen Gedanken. Stücke, die weniger mit Anfang und einem bestimmten Ziel arbeiten. Manchmal kommt mir beim Hören meiner eigenen Sachen der Gedanke eines akustischen Zooms oder eines Perspektivenwechsels auf ein Objekt.

Trauriges Tropen Orchester (c) Daniel Jarosch

Welchen Bezug haben Sie zu Verschubu Records?

Fabian Lanzmaier: Verschubu Records ist eine Kollektiv von Freunden rund um den Verschub, ehemaliger Raum der Verschubarbeiter der Bahn in Innsbruck, der seit 2008 von uns als Atelier, Studio und Proberaum genutzt wird. Verschubu ist an das Architekturkollektiv columbosnext gekoppelt, welches nebenan im Stellwerkturm ansässig ist. Die Leute des Kollektivs sind ein sehr wichtiger Bestandteil der Innsbrucker Kultur und der lokalen elektronischen Musikszene, die sehr gut aber doch überschaubar ist. Für mich war der Verschub eine meiner ersten Anlaufstellen, als ich begonnen habe elektronische Musik zu machen. Dieses Umfeld prägte mich sehr in meiner Musik und die Freundschaften, die sich dort gebildet haben waren und sind sehr wichtig für mich.

Arbeiten Sie aktuell an einem neuen Release?

Fabian Lanzmaier: Ich bin momentan sehr viel mit anderen Projekten beschäftigt. Ich habe Musik für ein Theaterstück produziert und bin auch mit meinen anderen Musikprojekten, dem Traurigen Tropen Orchester, dem Duo Fluktuation 8 und als Mitglied des Orchesters von „Akhtamr 2“, die dieses Jahr beim Heart of Noise  aufgeführt wird, aktiv. Für mein Soloprojekt habe ich über die Zeit einiges an Material produziert, das einer gemeinsamen Klangästhetik und ähnlichen Ideen folgt. Konkrete Pläne für einen Release gibt es jedoch noch nicht. In nächster Zeit stehen ein paar Live-Gigs, solo und in anderen Formationen, an, auf die ich mich schon sehr freue.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Ada Karlbauer

Termine:
5. April 2019 treibgut – Struma+Iodine I Technoland, rhiz, Wien
15. Mai 2019 fluktuation8 – Maschine / Nieder Freiheit-Köln
17. Mai 2019 trauriges tropen orchester – HSP-Festival / Klösterle St. Florian Neumarkt-Egna (Südtirol)
25.Mai 2019  trauriges tropen orchester – Architekturtage Innsbruck / IVB Remise-Innsbruck
7. Juni 2019 Ahktamarensemble / Ahtamar – die 2000jährige Oper – Heart of Noise Festival-Innsbuck
28. Juni 2019 treibgut – Verschublabelnight / P.M.K-Innsbruck

Links:
Treibgut (Facebook)
Treibgut (Bandcamp)
Treibgut (Soundcloud)
Fluktuation8 (Facebook)
Verschubu Records (Facebook)