WOSISIG – „Wödscheim“

Das im vorigen Herbst erschienene, von Walther Soyka im „Non Food Factory“ Studio produzierte Album „Wödscheim“ von Wosisig ist ein wirklicher Leckerbissen innerhalb der österreichischen Dialektmusik, v.a. durch die freche punkige Mischung gekonnt gespielter Musikstile, die durch ihre sprachliche Unverfrorenheit eine sehr aufregende Geschmacksrichtung dazugewinnen. Die mehrmaligen TeilnehmerInnen des Protestsongcontests geben sich mit nichts Geringerem als politischem Lied in Jugendumgangssprache zufrieden. Die Texte sind genial, die Instrumentierung spannend unkonventionell und auch die Stimme der Frontfrau Sigrid Horn spritzig in allen Höhen und selbstverständlich, ohne „Sängerinnengesangstechnikstress“. „Sigi“, wie sich auch verdreht in “Wosisig“, dem spontan entwickelten Bandnamen, findet, samt dem Sympathiewort „Wos“ (z. dt. „Was“ oder „Wie bitte?“), später passend in „wosisig“ (Was ich sehe) umgedeutet, ist auch für die Texte (bis auf „Goschad“) verantwortlich, hat schon als Kind Protestsongs komponiert und bildet mit Stefanie Kropfreiter (Bratsche) die weibliche Hälfte des Quartetts. Bernhard Affengruber am Bass und Philipp Gollonisch am Schlagzeug sorgen  für einen überzeugenden, zum einen flockig-fetten Sound, für pulsierende Beats und auch für ausgetüftelte Klangbeete unter den ruhigen Nummern.

Nichts an dem Album wirkt thematisch abgelutscht, nicht einmal Thema Nummer eins, die Liebe, die für gehörigen „Schlofmaungl“ sorgt. Direkt sind alle Botschaften gemeint, manche zwischen den Zeilen, aber dennoch eindeutig erkennbar. Andere Lieder sprechen so gerade heraus an, wie es nur geht, weil man meist den Nagel so am besten auf den Kopf trifft. Da die Maskierung von Gesagtem möglicherweise zwar den Ton mildert, nicht aber den Inhalt zu verändern mag, und man heutzutage eher mit „Verpsychologisierungen aus gutgemeinter Rücksicht auf die Empfindlichkeit der Seele des Empfängers“ konfrontiert ist, scheint die Reaktion darauf eine, je nach Angebrachtheit, mehr oder weniger freundliche, interpretationsbefreite Direktheit zu sein. Manch einem geht dieses Album daher „runter wie Öl“.

Ungewöhnliche Metaphern sind ebenso ausdrucksstarker Hingucker wie die intelligenten Zwischenbemerkungen, die die Hauptaussagen unterstreichen. „Du sogst i denk z’vü noch? Leck mi doch am Oasch!“ ist eine Ansage an alle EgoistInnen, deren Blick nur bis zum eigenen Tellerrand reicht und die Menschen, die sich mehr Gedanken machen, als „unlocker“ degradieren. Was gelesen vielleicht den Eindruck erweckt, es handle sich um das „Auskotzen“ von Sprache unter der Gürtellinie, der irrt gewaltig und missversteht, dass Jugendsprache Jugendsprache ist, egal zu welcher Zeit. Die Ausdrucksweisen sind authentisches Mittel zum Zweck und selten hört man so engagierte und ambitionierte Stellungnahmen zu wirklich wichtigen Themen, selten hört man so viel Mut, wer verbrennt sich schon gern die Finger an der Politik…oder riskiert es zumindest?

Gäste wie Makki, Ernst Molden, Martin Blumenau und Mieze Medusa liefern kleine, feine Textzitate zwischendurch, Walther Soyka „schmeißt“ sich lustvoll mit Akkordeon dazu und man gibt sich nicht lang mit leeren Worthüllen und falscher Diplomatie ab, sondern ist halt einfach „goschad“, ganz besonders im gleichnamigen Titel und „Duett“ mit der Hip Hop Formation „A, geh wirklich?“.

Fantastisch erfrischend und ungeschminkt bilden die aufgenommene Musik und Inhalte hier ein sehr herausragendes Stück Tonträger, sodass man sich nicht nur eine Scheibe der „Wöd Wuascht“ abschneiden kann, sondern auch eine von der Reflektiertheit und Glaubwürdigkeit der Band, die sich nicht zu bequem für unbequeme Themen ist. Dieses schräge oder vielleicht gar nicht so schräge Zeug das lässig Aufmerksamkeit anzieht, bedient eine unterbesetzte, wie ich meine, Nische in der aktuellen Dialektmusik und definiert sich auch insofern, als die verschiedenen Ebenen der Werke hohes künstlerisches Niveau verfolgen. (Gesellschafts-)politische Feigheit steht gar nicht zur Debatte wenn man mit seiner Musik etwas verändern will.

Die Fähigkeit, tiefgründige Themenanlässe unanstrengend musikalisch zu verpacken, ist eine große Stärke der Band, wenngleich auch in manchen Songs schlichtweg Verspieltheit und Herumspassen zelebriert werden. „Imma do“ z.B. Es gibt aber auch Kampfansagen gegen das Minus am Konto mit einem Lösungsansatz, der in unserer „heilen“ Welt etwas ernüchterndes hat.

Die NiederösterreicherInnen bzw. WienerInnen singen was sie denken und zwar in der Regel kompromisslos. À pros pros, es bedarf Frauenpower, dass endlich einmal der Launenwahnsinn von körpereigenen Drogen namens „Hormone“ besungen wird, betrifft ja Männer nicht weniger, wenn auch anders. Eine wahre „Oasch pa ti“ sind sie (die Hormone): zuerst Party, dann „scheissns auf di“. „In da U-Bahn kunnt i jedn anspringen. Oba des is hoit dann auf de Überwochungskamaeras“ hat absolutes Lieblingssatzpotential.

Weicheiern, ob Töchter oder Söhne, bzw. Änderungsunwilligen und Suderanten beiderlei Geschlechts wird ebenfalls kräftig in den Allerwertesten getreten ohne Psychofloskeln und Binsenweisheiten-inkontinenz. Schluss mit Samthandschuhen!

Der Versuch, sein Leben auch finanziell auf die Reihe zu kriegen abseits vom „An Mamas und Papas Rockzipfel hängen“ bietet ebenso einen sehr nachvollziehbaren Einblick in die Gefühlswelt vieler junger Menschen. Ihre erwachsene Bereitschaft, etwas zu tun für’s Auf-den-eigenen-Beinen-stehen stößt sich oft zu Grunde an Unvereinbarkeit widersprüchlicher Rahmenbedingungen auf die man wenig Einfluss hat. Die „Wöd is schiach“ wie ein betrunkener, älterer, schnudeliger Herr samt offenem Hosentürl…

Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom „ADS“, ein „Sujet“, das in der Musikgeschichte wahrlich stiefmütterlich behandelt wurde, weil oft praktisch „wegtablettisiert“, macht nicht nur Eltern und Pädakabgängern „Stress“, sondern v.a. den „leidtragenden“ selber weil sie nicht ins Konzept der Gesellschaft passen. Selbstgeständnisreicher Schmäh einer Sängerin, die sich als bühnensüchtige „Rampensau“ erkennt, wird hier als besondere Ausprägung von ADS definiert und die Hintergründe schonungslos offen gelegt.

Storniert wird dann befreundetes Publikum, das zu Konzerten nicht auftaucht. Manche (Mindest-) Erwartung und Freundschaft wird als Konsequenz begraben. „Kopfmist“ ist ein Song über  Gedankenreisen vs. „Hirnwi…“ samt Visionen einer schönen Zukunft in schlichte Momentaufnahmen gekleidet die sehr berühren. Von diesem Song gibt es auf der Scheibe einen Dusty Crates Remix.

Zu guter letzt wird noch der Erwin besungen. „Erwin“ ist ein Typ, dessen Handlungen ein Lied verdient haben. Wosisig hell erkennend, erfüllten diese Notwendigkeit und landeten damit verdiente mediale Aufmerksamkeit und Einiges an Anerkennung.

Diese „Wödscheim“ hat etwas, mindestens Weltklasse. (Alexandra Leitner)

Link:
Wosisig (Instagram)