„Wir wollen nicht die ganze Zeit auf sicherem Terrain sein.“ – Gina Mattiello und Reinhold Schinwald (büro lunaire) im mica-Interview

BÜRO LUNAIRE sucht und entwickelt neue Formen zeitgenössischen Musikschaffens. Der Verein wurde 2018 gegründet, um gewohnte Wahrnehmungsbedingungen von Kunst herauszufordern und neue Diskursebenen zu eröffnen. Aus der Notwendigkeit, auf gegenwärtige Rezeptions- und Produktionsbedingungen zu reagieren, werden Musik, Theater und bildende Kunst miteinander in Verbindung gesetzt. Sylvia Wendrock sprach mit den Initiatoren: Schauspielerin, Vokalistin und Autorin GINA MATTIELLO und der Komponist, Klangregisseur und Musiker REINHOLD SCHINWALD.

Dies ist die Fortsetzung unseres ersten Interviews, bei dem die Aufnahme missglückte. Dieses Gespräch wie einen zweiten Durchlauf zu verstehen, hilft zwar, es in Angriff zu nehmen, trotzdem gruselt mir die Wiederholungstäterschaft, wohlwissend, dass das erste Gespräch in seiner Gesamtheit und Einzigartigkeit für immer verloren ist.

Reinhold Schinwald: Diese Einmaligkeit eines Ereignisses ist ja den darstellenden Künsten inhärent und ermöglicht es uns, Zeitlichkeit in verschiedensten Tiefendimensionen zu empfinden. Es ist für mich immer wieder verblüffend zu sehen, wieviel Zeit und Energie in eine Produktion fließt, doch schon kurz nach einer Aufführung ist „die Bühne“ wieder leer, noch bevor das Publikum den Raum verlassen hat. Und ich nehme es vorweg: Wir sind zuletzt nicht in den digitalen Raum abgewandert. Für die Zuschauenden wie für die Interpretierenden ist dieses Ereignis unwiederbringlich vorbei und hat doch bewusst oder unbewusst Spuren hinterlassen. Diese unmittelbare Erfahrung konfrontiert uns mit Zeitlichkeit, zwangsläufig mit unserer eigenen Endlichkeit. Genau darin liegt doch auch die Kraft einer Aufführung.

Gina Mattiello: Zum zweiten Versuch: Kierkegaard sagt, es gehört Mut dazu, die Wiederholung zu wollen. Beim Einstudieren einer Partitur oder eines Textes wiederhole ich immer wieder gewisse Abschnitte auf unterschiedliche Art und Weise und versuche mich so dem Material anzunähern. Auf der Bühne ist jede Wiederholung ebenso wenig gleich, weil ich in dem einen Moment womöglich etwas anderes betone und auf die mich umgebenden Ereignisse reagiere. In der Wiederholung entstehen minimale Verschiebungen, die neue unvorhergesehene Verknüpfungen entstehen lassen.

„Für manche Sehende war es ein sehr eindrückliches Erlebnis […]“

„Aufzeichnungen einer Blinden“ ist das jüngste Stück, das büro lunaire entwickelt hat.

Reinhold Schinwald: Richtig. Wir bezeichnen diese Arbeit als Live-Hörspiel, bei dem sehende als auch blinde und sehbeeinträchtigte Menschen weitestgehend die gleichen Bedingungen vorfinden sollten. Dafür haben wir den Raum abgedunkelt, das Publikum mit Dunkelbrillen ausgestattet und einzeln an die Plätze geführt. Eine Stunde lang konnte dieser Raum durch den Text, Schlagwerkstücke und Raum-Klang-Kompositionen für Cello und Live-Elektronik vordergründig „akustisch abgetastet“ werden. Für manche Sehende war es ein sehr eindrückliches Erlebnis nach dem Abnehmen der Brille die Differenz zwischen dem rein durch akustische Reize vorgestellten und dem gesamten Raum zu erfahren.

Gina Mattiello: In Kooperation mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich und der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs konnten wir trotz der erschwerten Umstände das Projekt mit Publikum realisieren. In dem schmalen Spalt der Öffnungen konnte die erweiterte Fassung im Künstlerhaus in Wien stattfinden. Die Uraufführung war bereits im November 2019 im Schauspielhaus Graz über die Bühne gegangen.

“Aufzeichnung einer Blinden” (c) Max Wegscheidler

Geht es büro lunaire um Erkundungen im Feld von Musiktheater?

Reinhold Schinwald: Auf jeden Fall. „Aufzeichnungen einer Blinden“ ist ein Beispiel dafür: ein theatraler Prosatext, in dem klangliche Beobachtungen und Beschreibungen aus der Alltagswelt der Figuren eine wesentliche Rolle spielen, war der Ansatz. Gerade für blinde Menschen dient das Hören und Tasten vor allem der Orientierung. Ich habe Stücke für Schlagwerk geschrieben, die sich in einer Nähe zum Text bewegen und weitere Assoziationsräume schaffen sollten. Neben dem Fokus auf die Klangwahrnehmung bildet der Tastsinn als eine Art erweitertes Auge einen zentralen Aspekt des Textes. Um diese Inhalte klanglich zu projizieren, habe ich mit Streich- und Wischgeräuschen auf Fellinstrumenten gearbeitet. Es war der Versuch eine poetische Klangumgebung zu schaffen, die es über Umwegen den blinden Zusehern ermöglichen sollte, bekannte Klänge aus ihrem Alltag von ihrer funktionalen Wahrnehmung zu entbinden. Gemeinsam mit der Inszenierung des Raumes und der Führung des Publikums haben wir ein musiktheatrales Setting erzeugt. Mit dem Konzertformat Live-Hörspiel haben wir bereits beim früher entstandenen Projekt „In Conversation – Voices and Piano“ gearbeitet, das auch musiktheatrale Anteile beinhaltet.

Ein Pendant zu Ablingers „Voices and Piano“?

Reinhold Schinwald: Eine konkrete Referenz. Ausgangspunkt waren die „Radio-Conversations“ zwischen John Cage und Morton Feldman, die in den 1950er-Jahren über mehrere Tage hinweg in einem New Yorker Radiostudio aufgenommen wurden. Darin diskutierten die beiden befreundeten Künstler sehr ungezwungen und kettenrauchend über ihr Welt- und Kunstverständnis. Was wir bei diesem Projekt herausarbeiten wollten, war, inwieweit die Fragestellungen der beiden Künstler in Bezug auf das Verhältnis von Wirklichkeit, Kunst und Alltag für unsere Zeitgenossenschaft sowie für aktuelle Kunstdiskurse Gültigkeit haben. Zu den Radiogesprächen waren die „Nature pieces for Piano“ von Morton Feldman sowie John Cages „Child of Tree“ zu hören, das mit akustisch verstärkten Kakteen und Pflanzenmaterial als Klangerzeuger arbeitet. Dazu haben wir Werke von Peter Ablinger gesetzt. Das Tonbandstück „The Vertical unthought“ mit seinem konkreten Bezug zu Morton Feldmans Werk „Vertical Thoughts“ wurde an diesem Abend uraufgeführt. Besonders gefreut hat uns, dass Peter [Ablinger, Anm.] für dieses Projekt seinem Zyklus „Voices and Piano“ einen „Cage-Feldman“ hinzugefügt hat, der auf dem Textanfang der „Radio-Conversations“ beruht.

Also eine Erweiterung von Ablingers Stück, das ursprünglich nur eine Stimme verarbeitete …

Reinhold Schinwald: Ja, soweit mir bekannt ist, gab es bis zu diesem Zeitpunkt nur Solos.

… und dessen Aufführung im Wiener museum moderner kunst stiftung ludwig wien stattfand.

Reinhold Schinwald: Das mumok war für uns der ideale Ort dafür. Zu diesem Zeitpunkt war gerade die Ausstellung „Malerei mit Kalkül“ zu sehen.

Gina Mattiello: Ein Jahr lang haben wir auf die Eröffnung dieser Ausstellung gewartet. In Absprache mit der Kunstvermittlung des mumok konnten wir unsere Idee realisieren und so eine Wechselwirkung von Bild und Musik möglich machen.

Reinhold Schinwald: Und das Warten hat sich gelohnt: Beispielsweise war ein großformatiges monochromes Bild von Gerhard Richter Teil der Ausstellung. Es hatte eine sehr dichte Textur, vergleichbar mit einer Wand, und war auch noch grau! Vor diesem Werk haben wir „Das Wirkliche als Vorgestelltes“ aufgeführt. Es war für mich beglückend zu erleben, wie zwei meines Erachtens verwandte Werke völlig unterschiedlicher Materialität miteinander im Raum vibrieren. Das Stück arbeitet mit einem live gesprochenen Text, der von unterschiedlichen Rauschklängen überformt wird, die aus dem vorab aufgenommenen Textmaterial hergestellt wurden. Die Stimme befindet sich – bildlich gesprochen – hinter unterschiedlich dichten Vorhängen. Sie vermag nur in Teilen und Momenten durchzudringen und führt so den Hörer an gewisse Wahrnehmbarkeitsgrenzen. Die Beschäftigung mit solchen Phänomenen zeigt sich ja in vielen seiner Stücke und stehen für mich in einem Bezug zu einigen Arbeiten Gerhard Richters.

Gina Mattiello: In mir entstand das Bild von unterschiedlichen Fenstern oder kleinen Öffnungen, durch die die Stimme hindurchdringen konnte.

Hattest du das Bedürfnis, dagegen anzuschreien, die Stimme zu erheben?

Gina Mattiello: Eine physiologische Reaktion wäre sicher ein Dagegen-Angehen. Aber es war wichtig, da einfach zurückzutreten. Dieses Prinzip ist mir von zeitgenössischen Theatertexten vertraut: Heiner Müller und auch Elfriede Jelinek haben an verschiedenen Stellen davon gesprochen, dass die Schauspieler hinter den Text zurücktreten müssen, dass sie einen Text nicht sprechen, sondern dass sie vielmehr das Sprechen selbst sind. Es ging also darum, herauszufinden, was der Komponist und Autor eigentlich intendierte. Im Fall von Peter Ablingers Komposition musste ich mir die Lautstärke und die Sprechtonhöhe meiner Stimme von der Aufnahme memorieren und diesen „Abdruck“ an den Aufführungsort anpassen. Ich war natürlich unverstärkt.

Wie ist das Stück konkret umzusetzen, „verarbeitet“ es doch die Stimme des Interpreten, die in Aufführungen zuvor immer die des Komponisten selbst war?

Reinhold Schinwald: Die Komposition ist nicht an die Stimme eines bestimmten Interpreten gebunden. Peter hat eine sehr exakte Anleitung für die technische und interpretatorische Umsetzung erstellt. Da die zugespielten Rauschklänge zur Gänze aus dem vorab aufgenommen Text erzeugt sind, muss auch für jeden Interpreten ein individuelles Aufführungsmaterial erstellt werden. Wie das konkret zu machen ist, hat Peter, wie ich in eurem Interview gelesen habe, ja sehr ausführlich dargelegt.

Gina Mattiello: Dass „Das Wirkliche als Vorgestelltes“ an den Anfang von „Conversations – Voices and Piano“ gesetzt wurde, sollte als eine Art Statement verstanden werden. Ablingers Arbeiten sind konsequent und radikal, verunsichern Gewohntes und eröffnen einem ein anderes Denken, erst recht, wenn man, wie ich, von einer anderen Sparte, vom Theater kommt.

„Wir bemerkten, dass wir an denselben Dingen leiden.“

Führte euch das gemeinsame Interesse an sprachkritischer Philosophie zu büro lunaire?

Reinhold Schinwald: Das ist auf jeden Fall ein Aspekt. Wir beschäftigen uns intensiv mit sprachkritischer Literatur und Kulturkritik, die daran angrenzt und sich mit Spracherwerb und Machtdiskursen auseinandersetzt. Sichtbar und hörbar wird dies vor allem in unseren musiktheatralen Arbeiten.

Gina Mattiello: Unser erstes gemeinsames Projekt war die Kurzoper „fremd körper“ beim Taschenopernfestival Salzburg. Das war zwar vor der Gründung von büro lunaire, aber die Basis für unsere Zusammenarbeit hat sich daraus ergeben. Wir bemerkten, dass wir an denselben Dingen leiden. Im Laufe der Arbeit stellten wir fest, dass wir uns auf verschiedenen Ebenen treffen: Es ist nicht nur unser gemeinsames Interesse an bestimmten Textsorten, sondern wie wir Musiktheater insgesamt denken. Die prinzipielle Fragestellung, warum, wie und wann auf der Bühne gesungen oder gesprochen wird, ist für uns zentral für die Entwicklung musiktheatraler Formen. Dazu kommt unsere Vorliebe für Inszenierungen und Bühnenbilder, die stark von der bildenden Kunst geprägt sind, wie es beispielsweise bei den Arbeiten von Claudia Doderer der Fall ist. Gemeinsam mit ihr entwickeln wir das Musiktheaterprojekt „RING Modulationen“ bei dem von Beginn an ein kollektiver Prozess unter Einbindung der Möglichkeiten von Musik, Theater und bildender Kunst im Mittelpunkt steht.

Wofür hat es büro lunaire dann gebraucht? Und wie kommt es zu dessen Namen?

Gina Mattiello: Es ist aus der Notwendigkeit entstanden, auf gegenwärtige Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu re-agieren. Die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern aus anderen Bereichen öffnet uns Räume und neue, ungewohnte, manchmal auch ungeahnte Perspektiven.  Wir müssen unsere Hör- und Sehgewohnheiten immer wieder hinterfragen. Wir wollen nicht die ganze Zeit auf sicherem Terrain sein.

Reinhold Schinwald: Was die Namensgebung anbelangt: büro lunaire bezieht sich klarerweise auf Arnold Schönbergs Melodram „Pierrot Lunaire“einem Klassiker der Moderne, bei dem Musik über gesprochenem Text läuft. Darüber hinaus behandelt dieses Werk das Problem des Sprechtons im musikalischen Kontext. Dies war auch Thema des obengenannten Opernprojekts „fremd körper“, bei dem die Klanganalyse eines vorab aufgenommenen dramatischen Textes die Grundlage für die musikalische Struktur bildete. Intention der Klanganalyse war es, eine musikalische Struktur zu gewinnen, die eine Kohärenz zum Textmaterial aufweist und es ermöglicht, die klanglichen Anteile der Stimme wie beispielsweise das permanente Schwanken der Sprechtonhöhe oder die komplexe Rhythmik kompositorisch zu bearbeiten. Die Stimme wurde so zum eigentlichen Protagonisten des Musikdramas.

Gina Mattiello: Als Stimmperformerin interessieren mich gerade solche Zugänge der Sprachbehandlung wie sie auch der Komponist George Aperghis in seinen „Récitations“ verfolgt, in dem Theater aus den musikalischen Anteilen des Sprechens selbst hervorgeht. Diese Schnittmenge bildet die Grundlage unserer musiktheatralen Arbeiten …

Reinhold Schinwald: … die in unserem „büro“– vergleichbar vielleicht mit einem Architekturbüro – von der Idee bis zur Realisierung entwickelt werden.

Ist das räumliche Denken von und in der Musik die Folge vom Einbezug der bildenden Künste?

Reinhold Schinwald: Es gab einige Arbeiten von mir, in denen Konzepte der bildenden Kunst meinen Kompositionen zugrundeliegen.

Bei „Grid for Agnes Martin“ zum Beispiel?

Reinhold Schinwald: Auch, ja. Dieses Stück ist eine Hommage. Was mich interessierte, waren klangliche Entsprechungen zur Luzidität ihrer Farbschichtungen zu finden. Ihre Arbeiten haben etwas sehr Leichtes, …

Gina Mattiello: … Atmendes!

Reinhold Schinwald: … aber auch Strenges. Die Frage der Durchlässigkeit von Klangschichtungen beschäftigt mich aber schon seit Längerem. Schichtmodelle begannen mich während einer Residency in den USA zu interessieren, wo ich die New Yorker bildende Künstlerin Mary McDonnell kennenlernte. Sie steht, wie Agnes Martin, in der Tradition der abstrakten Expressionisten und betreibt in erster Linie Tafelbildmalerei. Sie verwendet für ihre Ölbilder Holzstöcke, Eiskratzer oder Rakeln, mit denen sie unzählige unterschiedlich durchlässige Farb- und Terpentinschichten übereinander lagert, die oftmals auf unvorhersehbare Art miteinander reagieren und so eine spezifische Komplexität hervorbringen. Die Künstlerin sprach in diesem Zusammenhang oftmals von ihren „struggles“. Die Einblicke in ihre Arbeitsweise und die Eindrücke ihrer Arbeiten inspirierten mich einige Zeit später, ein Ensemblestück zu schreiben. Interessant waren für mich die Übergänge dieser Überlagerungen, wo keine Einzelfarben mehr auszumachen sind, wo ein großer Reichtum an Farbabstufungen und Amalgamierungen entsteht. Das erzeugt eine immense Tiefenwirkung. Gleichzeitig sieht man an den Rändern die Einzelbestandteile, sieht, woraus es gemacht ist. Das habe ich versucht in mein Stück zu übertragen.

Gina Mattiello: 2018 haben wir mit der Künstlerin an zwei aufeinanderfolgenden Tagen und an unterschiedlichen Orten in Wien die Projekte „re-lay^1“ und „re-lay^2“ realisiert. Wir haben einige ihrer Arbeiten gezeigt und Kompositionen aufgeführt, in denen bildnerische wie klangliche Konzepte gleichermaßen wirksam sind. Neben einer Auswahl ihrer Ölbilder war eine Arbeit zu sehen, die eigens für dieses Projekt entstanden ist. Es handelte sich dabei um das von der Künstlerin überstickte Manuskript des Ensemblestücks von dem Reinhold eben gesprochen hat.

re-lay^1 (c) Mary McDonnell

Kennst du diese „struggles“ mit dem Material auch?

Reinhold Schinwald: Ja, durchaus. Es erstaunt mich, dass beim Komponieren immer wieder der Eindruck entsteht, bei null anfangen zu müssen, womit zeitweise ein Gefühl von Verzweiflung einhergeht.

Das ist eine buddhistische Manier, sich gefühlt auf null zu setzen, um immer wieder von neuem erfahren zu dürfen, sich immer wieder vor ein leeres Blatt zu setzen. Was lässt euch immer wieder da ansetzen? Warum macht ihr das? Aus Interesse am Ergebnis? Das unbedingte Erleben-Wollen einer möglichen Antwort auf die Frage?

Reinhold Schinwald: Ich weiß es nicht. Komponieren ist eine verrückte Tätigkeit. Der Weg von ersten Ahnungen bis zur Aufführung ist oft langwierig und voller Ab- und Umwege. Wenn es bis zur Aufführung kommt, ist es eine doch meist beglückende Erfahrung, vielleicht vergleichbar mit einer anstrengenden Bergtour, bei der man am Ende mit einer grandiosen Aussicht belohnt wird.

„Es geht um Entdeckungen, Entwicklung von Beziehungen, die Suche nach neuen Formen, vielleicht auch nach Unmöglichem.“

Es zieht einen diese Magie in ihren Bann, auch wenn der Preis dafür ein hoher ist. Sich herauszugeben in etwas Ungewisses ist auch immer ein Akt der Selbstveräußerung und …

Reinhold Schinwald: … Hingabe.

Gina Mattiello: Es geht um Entdeckungen, Entwicklung von Beziehungen, die Suche nach neuen Formen, vielleicht auch nach Unmöglichem. Ich denke, es geht nicht um Antworten. Es geht darum, Fragen zu stellen. Wachsam zu bleiben gegenüber der eigenen Praxis. Welche Folgen haben meine Handlungen, was passiert, wenn ich einen Prozess unterbreche oder abtrenne? Kann ich die Fäden wieder aufnehmen?

Ist das nicht auch eine ganz gegenwärtige Beschreibung der Zustände, nämlich radikal abgeschnitten worden zu sein, sodass ein Vakuum und die Frage nach dem Weitertun und -nähren entsteht?

Gina Mattiello: Absolut. Das Anteilhaben an solchen Prozessen ist wesentlich, auch die Frage, wie verschiedene Ebenen in Einklang zu bringen sind. Beim Wegbrechen von so Vielem wurden wir mit der Frage konfrontiert, wie sich Lähmung überwinden lässt. Wie bleibe ich im Fluss des Schaffens, des Schreibens, des Hinausgehens und Präsentierens, des sich wieder Zurückziehens, des Sammelns? Das sind essenzielle Vorgänge, die uns als Individuen wie als Gesellschaft am Leben halten. Das letzte Jahr hat uns die Verletzlichkeit des Menschen, ja ganzer Gesellschaften vor Augen geführt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Sylvia Wendrock

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