DUFFY SYLEJMANI ist im Teenageralter aus dem zerrütteten Kosovo nach Linz ausgewandert. In der oberösterreichischen Hauptstadt hat sie zu rappen begonnen, bevor sie vor ein paar Jahren nach Wien gezogen ist, um Kunst zu studieren. Hier hat sie FEMME DMC gegründet – ein Format, das Rapperinnen, Djs, Produzentinnen, Tänzerinnen und Künstlerinnen zusammenbringt und ihnen eine gemeinsame Bühne bietet. Selbstermächtigung und Gleichberechtigung stehen im Fokus dieser Plattform, die im Februar ihr dreijähriges Jubiläum feiert. Als DACID GO8LIN hat Sylejmani nun auch ihre erste EP „Qart“ veröffentlicht. Welchen Einfluss ihre Biographie auf ihre Arbeit hat, wohin sie mit FEMME DMC möchte und welche Hürden es dafür zu überwinden gilt, erzählt die Aktivistin in einem Gespräch mit Shilla Strelka.
Sie sind als Teenagerin nach Linz gekommen.
Duffy Sylejmani: Ja, ich bin mit vierzehn mit meiner Mutter und meinen Brüdern aus dem Kosovo nach Oberösterreich gezogen. Raus aus dem Ghetto, rein in den Sisi-Palast [lacht].
„Raus aus dem Ghetto, rein in den Sisi-Palast”
Haben Sie schon im Kosovo damit begonnen, Musik zu machen?
Duffy Sylejmani: Ja. Als ich drei Jahre alt war, habe ich von meiner Tante eine Kassette geschenkt bekommen. Die ist im Krieg zwar verloren gegangen, aber sie hatte eine sehr wichtige Bedeutung für mich: Wegen dieses Tapes habe ich mich in Musik verliebt. Denn Musik versetzt Menschen in die unterschiedlichsten emotionalen Zustände. Sie bildet die vielen Facetten der Gefühle ab.
Auch das Schreiben war mir schon als Kind wichtig. Ich habe damals Gedichte über die Liebe geschrieben, ohne zu wissen, was das ist. Orientalische Balladen thematisieren sehr oft Leid und Liebe. Darüber hört man sehr viel. Aber Hip-Hop war mein erster Kontakt mit der Außenwelt.
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Sie haben vor ein paar Monaten als Dacid Go8lin die EP „Qart“ veröffentlicht. Seit wann gibt es Dacid Go8lin?
Duffy Sylejmani: Dacid Go8lin gibt es seit 2014. Ich habe mich hingesetzt und mir das Produzieren selbst beigebracht. Es war seltsam, weil meine Beats auf einmal mehr nach Elektro klangen als nach Hip-Hop, obwohl ich davon am meisten geprägt bin. Elektro war nie mein Ding. Mich hat das überrascht und ich hab mir gefragt: „Scheiße, bin ich das?! Wie geht das? Ich will einen Hip-Hop-Beat machen, aber ich schaffe es nicht!“ Aber ich habe mich darauf eingelassen und habe versucht aufzuhören strategisch zu denken. Ich wollte rauszulassen, was rauskommen will.
„Ich habe versucht, westliche Beats mit ethnisch-albanischem Sound zu machen.“
Aber mittlerweile identifizieren Sie sich mit dem Sound?
Duffy Sylejmani: Ja, mit jedem einzelnen Ton! Das ist der Sound von Dacid Go8lin. Ich bin sehr froh, dass ich nie Unterricht hatte, dass ich nie Regeln hatte, sondern versucht habe, mich komplett auf mein Gehör zu verlassen. Ich möchte rausbringen, was ich gut finde, und dann sehen wir, was die Leute davon halten. Bei einigen Beats war es mir wichtig, meine Kultur miteinzubeziehen. Also habe ich alte kosovarische Samples und Stimmen verwendet. Ich habe versucht, westliche Beats mit ethnisch-albanischem Sound zu machen.

Sie rappen auf Albanisch. Ist Ihnen diese Entscheidung leicht gefallen?
Duffy Sylejmani: Ich rappe nur dann auf Deutsch, wenn ich sarkastisch sein möchte. Ich wusste immer, dass ich auf Albanisch rappen kann. Es gab eine Zeit, in der ich versucht habe, auf Deutsch zu rappen. Aber mein Akzent hat mich gestört. Es hat sich anders angehört, als ich es wollte. Das ist auch ein Resultat der Integration: nicht zu dir zu stehen und zu dem, was du machst. Irgendwann war mir das einfach zu anstrengend. Ich dachte: „Fuck off, ich möchte die Leute mit meiner Sprache erreichen.“ Meine Sprache erzählt die Geschichte von 700 Jahren Leid und Kampf um Anerkennung. Man hat uns nicht umsonst versucht umzubringen und unsere Geschichte auszulöschen. Ich habe mich dessen besinnt und mich selbst wiedergefunden. Auch in der Politisierung der Musik. Ich habe gemerkt, dass ich mich verloren habe auf meinem Weg der Integration, durch die Anpassung an das System. Umso schöner finde ich es, wenn Leute auf meinen Konzerten, bei denen ich auf Albanisch rappe, gar nichts verstehen und ärger abgehen als die Leute, die die Sprache sprechen. Es war ein langwieriger Kampf, dahin zu kommen, weil ich mich automatisch doppelt und zehnfach beweisen musste. Dadurch habe ich mir aber auch eine andere Art der Bühnenpräsenz erarbeitet.
Können Sie umreißen, worum es in den Texten geht?
Duffy Sylejmani: Meine Texte sind sehr philosophisch, privat und persönlich. Sie erzählen meine Geschichte. In vielen geht es natürlich um Erfahrungen, die ich hier gemacht habe. Das ist für mich auch ein Weg, um Dinge zu verarbeiten. Trotzdem müssen nicht alle meine Texte tragisch sein und von Problemen erzählen. Ich schreibe auch einfach Lovesongs und Tracks, die eine Stimmung festhalten. Je nachdem, was gerade aus mir rauskommt.
Welche Erfahrungen arbeiten Sie auf?
Duffy Sylejmani: Einerseits sind es persönliche Konflikte, die mich im Alltag beschäftigen. Andererseits ist natürlich auch das politische Klima ein Thema. Es ist schwer zuzusehen, wie sich immer mehr Hass ausbreitet, wenn wir jetzt eigentlich die Chance hätten, gemeinsam eine Zukunft zu gestalten, die für alle da ist. Wie wollen wir denn die Welt verändern, wenn wir nicht mal untereinander klarkommen? Wie wollen wir die Welt nachhaltig gestalten, wenn die Jugend heute so aufwächst, in diesem Durcheinander? Wir dürfen das große Ziel nicht aus den Augen verlieren!
Was kann die Musik leisten?
Duffy Sylejmani: Musik ist das einzige Instrument, das wir haben, um die Welt zu erreichen. Musik ist anders als das Zeichnen und das Schreiben. Wir sind mittendrin. Wenn man Musik macht wie ich, wird man schnell in die Opferrolle gedrängt. Ich musste erst lernen, mich daraus zu befreien.
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Wie haben Sie sich aus der Opferrolle befreit?
Duffy Sylejmani: Das war vor eineinhalb Jahren. Davor habe ich die Opferrolle gelebt. Ich habe lange gebraucht, um das zu merken. Das war krass, weil Dinge, die auf die Psyche gehen, schwerer zu verdauen sind als eine Ohrfeige. Es hat also lange gedauert. Ich habe das Gefühl, dass viele Diskussionen, die stattfinden, diese Opferrolle implizieren. Aber wir haben immer noch das Privileg, etwas zu sagen, egal ob als Ausländerin oder als Österreicherin. Ich genieße trotzdem das Privileg, hier sicher zu sein. Auch wenn ich nicht gleichgestellt bin, weiß ich, dass ich vieles beitragen kann und muss. Das ist der erste Schritt: zu lernen und zu schätzen, was man hat.
Sie sind bereits am popfest Wien und bei Electric Spring aufgetreten. Wie fühlt es sich an, auf der großen Bühne zu stehen?

Duffy Sylejmani: Wenn ich auf die Bühne komme, weiß ich ganz genau, wie ich die Nervosität in Power und Energie umwandle. Ich arbeite mit Frequenzen und Geschwindigkeiten, die die Menschen aufrütteln. Egal wie deep der Text ist, der Beat trägt die Emotionen. Musik beeinflusst dich unterbewusst. Es ist wie eine Programmierung. Für mich ist es wichtig, Glücksgefühle auszuschütten, Wow-Effekte zu schaffen, damit man wieder durchatmen kann und gleichzeitig wachgerüttelt wird. Ich möchte den Moment, in dem ich auf der Bühne bin, mit allen anderen teilen. Ich möchte zeigen, dass die Energie, die mir gerade gegeben ist, von Selbstermächtigung erzählt. Ohne dass mir das Publikum die Kraft gibt, könnte ich das gar nicht machen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich weiß, dass ich all diese Dinge erreicht habe, deswegen muss ich jetzt daran arbeiten, Leute aus meinem eigenen Land zu erreichen. Aber ich habe das Gefühl, dass die noch nicht ready dafür sind. Ich bin schon längst bereit!
Wie erreicht man diese Community?
Duffy Sylejmani: Heterosexuell, Mainstream, Traumfrau sein, dann bekommst du Aufmerksamkeit.
Ein Grund, warum ich mich nie verkauft oder angepasst habe, war, dass ich mehr wollte. Mir ist es wichtig, zu repräsentieren, was fehlt. Und in meiner Kultur ist es eben noch sehr schwierig, so zu sein, wer man ist. Deshalb ist es umso wichtiger, sich treu zu bleiben.
Wenn man etwas Neues bringt, kämpft man immer gegen Hass und Abneigung. Aber Grenzen müssen niedergerissen werden, damit es Künstlerinnen irgendwann nicht mehr so schwer haben. Dann kann sich eine Zukunft entwickeln. Ich versuche, den Mädels bei Femme DMC beizubringen, dass es hart ist, in diesem System zu leben, in dem wir gern von Gemeinschaft träumen und reden, aber sie nie fühlen, weil wir eigentlich Angst davor haben.
Im Grunde genommen sind wir alle die Gemeinschaft. Aber innerhalb dieser gibt es Teilungen; einzelne Gruppen, die sich besser fühlen als der Rest. Das heißt aber, dass das eigene Interesse immer wichtiger ist als das Wir. Das ist das System, in dem wir aufgewachsen sind. Mich nervt das. Mit Femme DMC wollte ich das Gegenteil. Ich wollte alle Frauen erreichen. Ich arbeite mit DJs und Rapperinnen, aber auch mit Tänzerinnen, Graffiti-Künstlerinnen und VJs. Jetzt will ich auch Sängerinnen einladen.
„Ja, die Revolution hat begonnen!“
Die von Ihnen gegründete Plattform Femme DMC geht jetzt ins dritte Jahr.
Duffy Sylejmani: Ja, die Revolution hat begonnen! Wir müssen Geschichte schreiben und die Zukunft. Ich möchte mit den unterschiedlichsten Frauen an einem nie endenden Projekt arbeiten, das stets von Frauen geschrieben wird, egal in welchem Jahrhundert wir uns befinden. Wir müssen uns Räume erobern! Wir müssen über unsere Probleme hinausdenken können, um das große Bild zu erkennen. Das können wir nur gemeinsam.
Besteht Femme DMC hauptsächlich aus Frauen mit Migrationshintergrund?
Duffy Sylejmani: Ja, aber es ist wichtig, dass wir alle zusammenarbeiten. Es ist egal, woher du kommst. Darum geht es nicht. Es geht darum, ob du etwas machen willst und wie viel du von dir geben möchtest. Willst du dir treu bleiben? Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, wer das wirklich will.
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Diversität ist ja gleichzeitig mit Fragen von Identität verknüpft, was wiederum wichtig ist, wenn es um Self-Empowerment geht.
Duffy Sylejmani: Ja, aber ich möchte klarmachen, dass die gesellschaftliche Einheit wichtiger ist als einzelne Einheiten. Sprich: Um eine Gleichberechtigung von Herkunft, Geschlecht, Religion zu erreichen, müssen wir aufhören, in Schubladen zu denken. Und wir sollten wissen, dass diese nur existieren, wenn man daran glaubt. Diversität kann ja nicht verschwinden. Sie ist so oder so da. Aber wir verlieren das große Ganze aus den Augen, wenn wir uns mehr auf die Unterschiede als auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren. Denn was ist am Ende wichtiger: die Einheit oder die Diversität?
„Femme DMC kostet, aber gibt auch sehr viel Kraft!“
Vor welche Herausforderungen stellt Sie so ein Projekt?

Duffy Sylejmani: Ich habe nicht erwartet, dass Femme DMC so arg abgeht. Das Projekt ist für mich gleichzeitig zu Sozialarbeit geworden. Das war ein bisschen viel. Es war ja auch für mich Learning by Doing.
Und ich habe gemerkt, dass ich nicht für andere da sein kann, wenn ich nicht für mich da sein kann. Femme DMC kostet, aber gibt auch sehr viel Kraft!
Susanne Kirchmayr hat in einem Interview einmal etwas Ähnliches über female:pressure erzählt: die Schwierigkeit, dass man in dieser Position oft mit Schicksalen konfrontiert ist, die einen an die persönlichen Grenzen führen.
Duffy Sylejmani: Eben. Ich bin keine Psychologin und ich habe nicht auf alles Antworten. Das Schwierigste für mich war zu sehen, dass ich an einem Punkt nicht einmal mehr Liebe für mich selbst übrig hatte. Ich hatte keine Kraft mehr und musste mich fragen, was schiefgelaufen war. Du willst ja etwas aufbauen. Es war wichtig, dass wir uns weiterentwickeln und Zeit haben, darüber nachzudenken, was alles passiert.
Ich möchte von jetzt an Femme DMC zwei- bis dreimal im Jahr veranstalten, dafür aber richtig. Den Rest der Zeit möchte ich nutzen, um zu arbeiten. Auch um existenzielle Sicherheit zu haben, also etwas, was ich die letzten Jahre nicht kannte.
Bekommt Femme DMC finanziellen Support?
Duffy Sylejmani: Nein. Ich gebe mein Bestes, aber ich bin nicht in allem gut genug. Zum Beispiel wenn es darum geht, Förderungen zu beantragen. Es wäre schön, wenn in solchen Bereichen mehr Unterstützung angeboten werden würde.
Aus wie vielen core members besteht Femme DMC?

Duffy Sylejmani: Die Organisation mache ich meistens allein. Das geht vom Hosten und Booking über Pressearbeit bis hin zur Umsetzung. Femme DMC ist ein Medium, das über 150 Frauen inklusive Newcomerinnen unterstützt. Femme DMC hat nicht nur ein Gesicht. Es sind alle Frauen, die daran teilhaben. Es sind wir. Es ist eine künstlerische Revolution, denn wir wollen Gleichberechtigung durch uns selbst erreichen. Durch die Welt zu gehen, uns selbst aufzubauen und für uns da zu sein ist das Ziel. Wir können das nur so schaffen. Nicht nur durch Demonstrationen oder Diskussionen einzelner Gruppen. Wir müssen viel größer denken! Solange wir das nicht machen, werden wir für immer die Gefangenen und Frauen sein, die einstecken müssen, hysterisch und nicht für einander da sind.

Hip-Hop ist ja die musikalische Homebase für Femme DMC. Wie gehen Sie als Musikerin mit sexistischem Rap um? Was können Sie dem entgegensetzen und welches Publikum gilt es zu erreichen?
Duffy Sylejmani: Frauen werden in der Hip-Hop-Szene oft nur als hübsches Accessoire präsentiert. Dadurch wird ihnen abgesprochen, selbst als Künstlerinnen zu wirken. Dem müssen wir vehement entgegentreten! Im Underground gibt es viele Frauen, die nicht gehört werden. Der Grund, warum Femme DMC so gefeiert wird, ist, dass es den Leuten zeigt, dass wir in diesen politisch unruhigen, unsicheren Zeiten Stärke beweisen können, und dass wir unterschiedlichste Frauen präsentieren. Bei uns stehen Frauen im Mittelpunkt, die endlich die Möglichkeit bekommen, sich musikalisch zu etablieren.
„Denn Femme DMC ist für jede Frau da, nicht nur für eine bestimmte Gruppe von Frauen.“
Sie sind in dem, was Sie tun, auch ein role model für viele. Ist Ihnen das bewusst und wenn ja, erzeugt das Druck?
Duffy Sylejmani: Ich musste selbst erst lernen, dass ich der plug, die zentrale Anlaufstelle von Femme DMC bin. Durch die Erfahrung, die ich dadurch gesammelt habe, sind verschiedene Dinge entstanden, mit denen ich nicht gerechnet habe, aber die uns auch etwas abschweifen haben lassen von dem, was wir eigentlich wollen. Denn Femme DMC ist für jede Frau da, nicht nur für eine bestimmte Gruppe von Frauen. Das sollte uns bewusst sein. Wir sind da für Frauen, die diese Bühnen-Experience brauchen und eine geile crowd wollen, Liebe und Unterstützung. Das ist das Ziel und das ist das, wofür wir stehen sollten. Es soll eine Schule sein.
Im Publikum sind aber auch Männer?
Dafina Sylejmani: Ja, klar. Es ist nicht unser Ziel zu bestimmen, wer im Publikum ist, sondern wer auf der Bühne steht. Bei Femme DMC ist jeder willkommen ! Am 1. Februar feiern wir gemeinsam mit der UK-Rapperin Paigey Cakey unseren dritten Geburtstag im Wiener Camera Club.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Shilla Strelka
Termin:
1. Februar – 3 Years Femme DMC All Stars Edition X Paigey Cakey, Camera Club
Links:
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