„WIR WOLLEN INHALTSGETRAGENE KUNST IN EIN FÜR DAS PUBLIKUM ATTRAKTIVES FORMAT BRINGEN“ – MICA-INTERVIEW ZUM SYMPOSION „ÖSTERREICH IST FREI“

Am 30. April findet in der Csello – Cselley Mühle Oslip die erste Ausgabe von „Österreich ist frei – Symposion für poetisch-politische Inspiration“ statt. Jürgen Plank hat darüber unter anderem mit den Initiator:innen gesprochen: mit dem Autor und Musiker Thomas Andreas Beck, mit Charlie Bader von der Medienmanufaktur und mit Devi Saha, die als art directrice für eine zum Nachdenken und Verweilen anregende Atmosphäre sorgen wird. Das Event ist als Festival des politischen Liedes konzipiert. In diesem Rahmen wird aus dem Staatsvertrag gelesen und die Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik wird über die Bedeutung des Staatsvertrags in der heutigen Zeit referieren und diskutieren.

Angesichts des Festival-Titels „Österreich ist frei“ stellt sich sofort die Frage: Ist Österreich frei? Wofür ist Österreich frei?

Charlie Bader: „Österreich ist frei“ ist natürlich in erster Linie der historische Slogan. Für mich ist Österreich frei. Punkt. Freiheit ist ein zentraler Begriff, im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im Sinne der Österreichischen Verfassung.

Devi Saha: Ich lese viele Zeitungen und Kommentare in sozialen Medien und frage mich das, ohne eine Antwort zu haben. Das ist ein Grund, warum dieses Festival entstanden ist: Weil es Menschen dazu einladen soll, über diese Fragen zu reden und vielleicht sogar zu einem Ergebnis zu kommen. Der Eintritt ist ja frei, die Veranstaltung ist niederschwellig und Menschen mit verschiedenen politischen Hintergründen sind dazu eingeladen, sich zum Nachdenken anregen zu lassen. Ich habe selbst auch noch keine Antwort auf die Frage, wofür Österreich frei ist.

Freiheit und Verantwortung

Bild Oesterreich ist frei Devi Saha
Österreich ist frei / Devi Saha (c) Walter Musil

Wie siehst du das?

Thomas Andreas Beck: Der Begriff „Österreich ist frei“ begleitet mich schon seit langem und fasziniert mich. Oft habe ich im Alltag erlebt, dass jemand sagt, Österreich wäre gar nicht so frei. Das habe ich erst vor einigen Tagen von einem Unternehmer gehört. Das ist sehr philosophisch: beantwortet uns Kant diese Frage? Gibt es andere Antworten? Totale Freiheit in einem sozialen System gibt es wahrscheinlich nicht. Das Symposion soll der Frage nachgehen: Wozu ist Österreich frei? Was könnte das auch für eine Verantwortung sein, nach dem Zweiten Weltkrieg Freiheit geschenkt bekommen zu haben?

Das wird also vielleicht im Kollektiv herausgefunden werden.

Devi Saha: Genau, das ist der Ansatz. Vielleicht auch nicht beim ersten Mal. Wir wollen das Symposion ja fortsetzen, vielleicht kommt das erst beim dritten Mal ans Licht.

Was ist deine Aufgabe im Rahmen der ersten Ausgabe von „Österreich ist frei“?

Devi Saha: Meine Aufgabe ist die der art directrice. Der Ort soll auf eine angenehme, unaufgeregte Weise zum Verweilen einladen. Die Infrastruktur ist ja da, inklusive dem Charme der Cselley-Mühle. Die meisten Gäste, die dabei sein werden, verbindet mit der Mühle vermutlich eine lange Geschichte.

Wie wirst du den Ort gestalten?

Devi Saha: Die Settings sind klar. Es wird eine Hauptbühne geben und eine Seitenbühne für die Staatsvertrags-Lesung. Mit der Politikwissenschafterin Katrin Praprotnik wird man über die Bedeutung des Staatsvertrags heute sprechen können. Die Konzerte (Anm.: u.a. Bipolar Feminin, Thomas Andreas Beck, Gerald Votava) werden auf der großen Bühne stattfinden. Der, erst kürzlich mit seiner Galerie in die Cselley-Mühle eingezogene, Nick Treadwell führt das Publikum durch seine inspirierende und zum Diskurs anregende Kunstsammlung.
Und es wird Sitzmöglichkeiten geben, die dazu einladen werden, dass man bleibt und sich unterhält. In meiner Vision formen sich die Gesprächsgruppen immer wieder neu, vielleicht setzen sich ja auch die KünstlerInnen vor und nach ihren Auftritten dazu.

Apropos Zusammensitzen: im Altgriechischen heißt symposion „geselliges miteinander trinken“. Inwiefern ist die Antike ein Vorbild?

Thomas Andreas Beck: Absolut, genau deswegen verwenden wir die Schreibweise Symposion. Das Ritual des Symposions ist genau das, was wir meinen. Wir wollen nichts Belehrendes, keinen Kongress, der mit Vorträgen vollgepfropft ist. Sondern wir vertrauen auf den Rahmen, auf einen guten Ort, auf den guten Wein natürlich auch. Vor allem auf intensive Kunst und gute Kunstbeiträge, die inspirieren. Deswegen heißt es auch „Inspiration“ und nicht „Belehrung“ oder „Ausbildung“. Es wird gut werden, wenn Menschen bunt gemischt dorthin kommen, diese Zeit miteinander verbringen und sich inspirieren lassen, nachdenken, mitdiskutieren oder vielleicht auch mal nur blödeln.

Wann geht es am 30. April los und mit welchem Programmpunkt?

Thomas Andreas Beck: Grob gesagt von Mittag bis Mitternacht. Bis zirka 14 Uhr wird es eine elektroakustische Klangwolke von Kristian Musser geben, das ist eine unaufdringliche Einladung dazu, den Raum zu betreten. Der Musiker Musser war jahrelang selbst Kurator der Cselley-Mühle und hat gemeinsam mit Thomas Pronai ein Projekt namens „Country“ umgesetzt. Er hat Klänge der Gegend erfasst und über elektroakustische Geräte verwandelt er diese in ein Klangobjekt.

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Das politische Lied ist ein Grundpfeiler von „Österreich ist frei“, was verbindet die auftretenden Bands?

Charlie Bader: Die Artists verbindet, dass sie Texte mit Anspruch haben und dass sie Poesie leben. Das ist das Verbindende. Alle haben auch politische Statements, auch die Gruppe Das schottische Prinzip. Da geht es auch um Sprachspiele, ich habe selbst lange geglaubt, sie singen den Satz „Österreich ist frei“, aber sie singen: „Österreich isst Brei“.

Den Satz kenne ich aus einem Film von Michael Ostrowski, der ist vielleicht von dort geklaut.

Charlie Bader: Sie klauen an manchen Stellen und das ist Teil ihres Tuns.

„Es ist ein Grundelement des Symposions sich mit poetischen Mitteln mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen zu beschäftigen“

Wieso diese Verknüpfung von Poesie und Politik?

Charlie Bader: Es gab einmal eine Tradition des politischen Liedermachens. Das ist eher eine deutsche Tradition, dort war das auch immer stärker vertreten als in Österreich. Hier hat man sich lange Zeit mit Sigi Maron zufriedengeben müssen. Maron ist ja längst gestorben und man könnte vermuten, dass es das gar nicht mehr gibt. Wir wollen uns das also anschauen, ob es da nicht doch mehr in diese Richtung gibt und ob man dem nicht mehr Öffentlichkeit verschaffen sollte. Gleichzeitig soll ein Diskurs zu wichtigen Fragen entstehen und bestehen bleiben.

Thomas Andreas Beck: Eine Frage, die wir uns gestellt haben war: Welche Formate greifen bei uns für das politische Lied? In Deutschland ist das Genre des politischen Liedes auch über Festivals erlebbar. Wir wollen inhaltsgetragene Kunst in ein für das Publikum attraktives Format bringen. Es ist ein Grundelement des Symposions sich mit poetischen Mitteln mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen zu beschäftigen. Das ist etwa bei Gerald Votava fantastisch eindringlich, der Gedichte von Christine Nöstlinger interpretiert. Bipolar Feminin stehen dem Thema Gesellschaftsbruchlinien mit einer liebevollen Aggression gegenüber. Der Nino aus Wien wird gemeinsam mit Natalie Ofenböck lesen, welche Texte wissen selbst wir nicht – genau das macht das Symposion aus: Wir wissen nicht, was wirklich mit uns passieren wird.

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Leni, warum passt ihr mit Bipolar Feminin zu so einem Festival des politischen Liedes?

Leni: Grundsätzlich sprechen wir in unseren Liedtexten Schieflagen in der Gesellschaft an. Es geht auch um einen gewissen Akt von Freiheit, dass ich solche Themen auf der Bühne ansprechen darf. Auch um die Freiheit Kunst zu machen. Ich glaube, alle Menschen, die Kunst so machen wie sie wollen, passen zu so einem Festival.

Kunst als Tool

Welches Lied werdet ihr in Oslip in jedem Fall spielen?

Leni: Das Lied, das von uns am meisten polarisiert, werden wir sicher spielen: „Süß lächelnd“. Es geht dabei um das Anprangern von patriarchalen Strukturen und darum diese Strukturen, die Leute unterdrücken, zu töten. Das wird im Text direkt so angesprochen. Dieser Liedtext verwendet eine sehr direkte, gewaltvolle Sprache. Es ist auch Freiheit für mich, dass ich solche Texte schreiben darf. Was nicht heißt, dass sich alle Leute so frei fühlen können, aber ich habe das Glück, dass mir relativ wenig Widerstand entgegenkommt. Kunst ist in jedem Fall ein wichtiges Tool, das für viele Menschen zugänglich ist, abseits von Parteipolitik.

Bild Bipolar Feminin
Bipolar Feminin (c) Apollonia Theresa Bitzan

Es werden auch Mitschnitte angefertigt, inwiefern ist das Festival nachhaltig angelegt?

Thomas Andreas Beck: Nachhaltigkeit hat auch immer etwas mit Ressourcen zu tun. Eine der Lieblingsressourcen des Menschen ist das Geld. Mir ist ganz wichtig, dass das Festival wirtschaftlich barrierefrei ist: alle, die interessiert sind, sollen dabei sein können. Grundsätzlich ist das Symposion also dem Gemeinwohl gewidmet. Ein Teil, die Lesung aus dem Staatsvertrag, wird mit Virtual Reality-Technik gefilmt und zu einem Kurzfilm geschnitten. So ist die Lesung weltweit nachvollziehbar, digital begehbar. Mir ging es darum, dass auch die vergänglichsten Kunstformen wie Konzerte und Lesungen archivierbar und wieder erlebbar gemacht werden können. Dafür konnte ich eine Förderung von Bund und Land Burgenland aufstellen. Die Eigentümer der Cselley-Mühle stehen auch voll dahinter, dadurch und durch freiwillige Spenden wird der freie Eintritt möglich. Das Festival ist eine Einladung an uns alle: es wird nur gut, wenn viele sich angesprochen fühlen und hinkommen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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So 30.4.2023, Csello – Cselley-Mühle, Oslip, Beginn: 11 Uhr
Anmeldung erforderlich: bindabei@oesterreichistfrei.eu
Live: Bipolar Feminin, Sigrid Horn, Gerald Votava, Das schottische Prinzip, Kristian Musser, Thomas Andreas Beck, Der Nino aus Wien und Natalie Ofenböck (Lesung)

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Link:
Österreich ist frei – Symposion für poetisch-politische Inspiration