„WIR WAREN NICHT DIE ELITE DER SCHRULLIGKEIT“ – GENERAL MAGIC IM MICA-INTERVIEW

Sie kletterten in Kühlschränke, zerkratzten CDs und landeten am Mond – RAMON BAUER und ANDI PIEPER lebten Mitte der Neunzigerjahre nicht nur die technische Revolution, sondern starteten mit MEGO ein Label, das dafür bereit war. Sounds, bei denen andere an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifelten, zogen sie an wie eine Bass-Drum die Hi-Hat. Dabei stand MEGO nie für Techno – zumindest nicht für den aus der Vierviertelschablone. Es musste knarzen, knirschen und krachen. BAUER und PIEPER sorgten seit 1995 als GENERAL MAGIC für Krawall im Underground. 1997 erschien ihre Debüt-LP „Frantz“, eine Mischung aus Ambient, Clicks und Glitches. Kurz zuvor vertonten sie die „Mondlandung“. Im Zuge des 25-jährigen Jubiläums im Frühjahr 2022 sollen beide Veröffentlichungen neu aufgelegt werden. Eine Idee, die auf PETER REHBERG, den verstorbenen EDITIONS MEGO-Gründer zurückgeht. BAUER und PIEPER haben sich im Zuge des Reissues mit Christoph Benkeser via Zoom getroffen. Und erklärt, warum sie einst Löcher ins U4 bohrten, mit Cheap ein Büro teilten und wieder an neuem Material arbeiten.

Wir sollten über die Wiederveröffentlichung von „Frantz“ sprechen.

Ramon Bauer: Du hattest die Idee dazu, wir waren überrascht.

Wieso überrascht?

Ramon Bauer: Gute Frage! Wir sind es nicht gewohnt, zum Thema Audio oder Musik Interviews zu geben. Zumindest in den letzten Jahren.

Andi Pieper: Früher haben wir aber auch nicht viele gegeben.

Eines ist 2001 im skug Magazin und mit Peter Rehberg erschienen.

Ramon Bauer: Wir hatten sogar eine Coverstory. Allerdings nicht über General Magic, sondern im Mego-Kontext.

Jetzt ist „Frantz“ ein Vierteljahrhundert jung. Wer ist in der Zwischenzeit stärker gealtert? Das Album oder ihr?

Ramon Bauer: Hm …

Andi Pieper: Die Platte!

Ramon Bauer: Die Platte ist schneller gealtert als wir? Alles klar!

Ist das so?

Andi Pieper: Sie ist gut verhaftet in ihrer Zeit. Man könnte auch sagen: „Frantz“ ist würdig gealtert. Allerdings hört man schon, dass das Album aus der Zeit stammt, aus der es stammt. Eine Platte wie „Frantz“ würde heute wohl nicht mehr erscheinen.

Ich habe sie vor ein paar Tagen nach Jahren wieder gehört und war überrascht, wie gut sich das Album gehalten hat. Wenn man sich die Veröffentlichungen im experimentellen Bereich der letzten Jahre anhört, könnte man auch sagen: Es hat sich gar nichts verändert.

Andi Pieper: Ja, extrem anders ist es nicht. Damals war eine Zeit der Umbrüche, die Technik war neu. Inzwischen ist sie etabliert, deshalb hat sich nicht mehr so viel getan. Die Revolution mit billigen Computern, also die Möglichkeit, erschwinglich und digital Musik zu machen, hat unseren Ansatz begleitet. Mittlerweile ist das selbstverständlich geworden. Der Computer ist immer dabei. Das war Mitte der Neunzigerjahre anders. Damals konnte man herumexperimentieren und sich fragen, wie digitaler Sound überhaupt zu klingen habe. Eine Frage, die sich heute nicht mehr stellt. Deshalb sage ich: Man hört der Platte ihre Zeit an. Die Nachfolgerplatte find ich immer noch besser!

Ramon Bauer: Der Kontext der Zeit ist wichtig, wenn man „Frantz“ heute betrachtet. Im Zuge der Wiederveröffentlichung wurde die Platte von Russell Haswell neu gemastered. Sobald er in das Klangmaterial eingreift, tut sich nochmal was. Deshalb waren wir vom neuen Hörerlebnis durchaus überrascht. An einige subtile Sachen konnte ich mich erinnern. Ansonsten war das Wiederhören von „Frantz“ eine sentimentale Reise … Vielleicht sollt ich mir auch den Nachfolger „Rechenkönig“ wieder anhören.

Die eigene Musik hört man vermutlich seltener.

Andi Pieper: Klar, man beschäftigt sich in der Produktionsphase derart intensiv mit dem Klangmaterial, dass man es ab einem gewissen Punkt …

Loslässt?

Andi Pieper: Weg damit, ja.

Ihr habt immer in zwei verschiedenen Städten gelebt. Ramon in Wien, Andi in Berlin.

Andi Pieper: Ich bin seit 1991 hier.

Wie habt ihr über die Distanz zusammengearbeitet. Schnell ein paar Schnipsel wetransferen wird nicht drinnen gewesen sein.

Andi Pieper: Wir haben zwar übers Internet kommuniziert, uns aber vor Ort getroffen. Ansonsten wäre der Prozess schwierig gewesen, schließlich lief das Meiste noch über analoges Outboard-Equipment. Außerdem war es lustiger, wenn man gemeinsam in einem Zimmer saß.

Der Grundnenner für eure Bekanntschaft ist die Mego-Gründung 1995. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Ramon Bauer: Wir hatten eine gemeinsame Vorgeschichte. In den späten Achtzigern war das … oder, Andi?

Andi Pieper: Mit der Band Slim Jim, ja! Du bist irgendwann als unser neuer Schlagzeuger vorgestellt worden.

Ramon Bauer: Richtig! Ihr habt’s einen gesucht und ich brauchte eine Band. Das ging auch einige Jahre gut – bis wir eine Platte gemacht haben.

Andi Pieper: Die war das Ende der Band.

Ramon Bauer: Jedenfalls habe ich mit Andi, bevor er 1991 nach Berlin ging, in einer WG gewohnt. Dort haben wir schon begonnen, mit elektronischer Musik herumzuexperimentieren.

Andi Pieper: Weil ich von Gitarrenrock genug hatte! Ich hab deshalb wahnsinnig viel Geld in einen Sampler investiert und mit einem Atari-Computer sowie dem ersten Cubase-Programm herumprobiert. Als ich nach Berlin kam – 1991 rotierte das Technoding bereits– war ich meilenweit von Grunge und Gitarrenmusik entfernt.

In Wien sah das anders aus. Cheap Records kam erst 1993, Mego 1995.

Ramon Bauer: Wir haben uns eine Zeitlang sogar ein Büro geteilt – das erste Mego-Headquarter in der Ruckergasse im zwölften Bezirk. Davor waren wir in einer Lackfabrik in den Outskirts von Meidling. 1997 konnten wir aber im Souterrain-Office von Pulsinger und Tunakan einziehen.

Ihr habt euch ein Büro geteilt? Das hab ich nicht gewusst.Ramon Bauer: Damals spielte die Mego-Labellogistik mit hinein. Wir pressten und verschickten CDs, das brauchte Platz.

General Magic blurry © Tina Frank Photo Collection

Zu der Zeit war Peter schon bei Mego, oder?

Ramon Bauer: Ja. Aber natürlich kannte man sich bereits von davor, weil er während der Achtziger in der Wiener Szene als DJ und Journalist unterwegs war. Im U4 gab es eine Serie von Veranstaltungen namens Rancho Relaxo von Constantin Peyfuss. Der hat dort im sogenannten Green Room Stroh ausgelegt. Und wir gestalteten einen Abend mit Peter. Er besetzte die DJ-Nische mit einem MS-10 Synthesizer. Wir hatten einen Raum im Hinterzimm…

Andi Pieper: Den Katakomben des U4!

Ramon Bauer: Wand an Wand mit dem Clubraum … sagt man überhaupt Clubraum dazu?

Andi Pieper: Damals war es der Clubraum des U4, ja.

Ramon Bauer: Wir haben ein Loch gebohrt, ein Kabel durchgezogen und den Abend gestaltet. Das funktionierte, wir hatten Spaß. So kam die Idee zustande, etwas Gemeinsames weiterzuführen.

In dem Moment haben sich die drei Schrulligen von Wien gefunden.

Ramon Bauer: Andi und ich waren sicher nicht die Elite der Schrulligkeit. Es gab einige andere, die so unterwegs waren wie wir. Ich kann mich aber gut an den Moment erinnern, als Andi, Peter und ich im Garten des damaligen Club Volksgarten zusammensaßen – 1994 muss es gewesen sein – und deppert herumredeten. Das war der Moment, in dem wir den Entschluss fassten, etwas Krasses zu machen. Daraufhin haben wir aus Kühlschrankgeräuschen eine Platte gemacht.

Woraus mit „Fridge Trax“ die erste Mego-Veröffentlichungen werden sollte.

Ramon Bauer: Ja, Peter hat sich in Kühlschränke, die groß genug waren, hineingesetzt und mit dem Minidisk-Recorder aufgenommen. Irgendwann war genug Material da. Peter und ich fuhren zu dir nach Berlin.

Andi Pieper: Und wir haben die Platte in einer Session aufgenommen.

Ramon Bauer: Danach haben wir uns gefragt: Was nun? Eigentlich sollten wir ein Label gründen, weil das sicher niemand veröffentlichen würde. So entstand Mego.

Was ziemlich gut funktionierte.

Andi Pieper: Ja, am Anfang ging das gut. Zwischendurch weniger. Und am Ende wieder toll.

Ramon Bauer: Wir waren bis 2004 involviert. Ab 2005 machte Peter mit Editions Mego allein weiter, das war eine andere Ära.

Andi Pieper: In den letzten Ausläufern der von der Industrie künstlich hochgehaltenen CD-Preise ließ es sich als Independentlabel ganz gut leben. Gepaart mit dem Internet, das plötzlich die internationalen Kontakte einfacher machte, führte es dazu, dass man mit geringer Auflage und weirdem Zeug gut verkaufen konnte – weil man die ganze Welt und nicht nur die Leute aus dem Rave Up als Kundenkreis hatte.

Ramon Bauer: Irgendwann hat das Internet aber die CD aufgefressen.

Andi Pieper: Und heute ist Situation für kleine Labels nochmal ganz anders. Man quält sich mit Vinyl-Produktionen herum, selbst wenn man das Geld am Ende mit Digitalverkäufen und Streaming macht. Das gab es bei uns noch gar nicht.

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Ihr habt euer Fundament schließlich außerhalb der Musik gelegt. Ramon, du hast Geographie studiert. Andi, bei dir war es Architektur, oder?

Andi Pieper: Na, gar nicht. Ich hab die HTL gemacht und mich aus dem Lehrbetrieb vertschüsst. Über die Jahre habe ich mich immer mehr mit Computern und Programmierung herumgeschlagen. Heute bin ich Software-Entwickler.

Und ich wollt dir schon den Architekten unterstellen, sorry!

Ramon Bauer: Ich hab hingegen erst nach meiner Mego-Phase studiert, weil ich mir dachte, dass ich einen Job finden müsste. Das war eine blöde Idee. Einen Job fand ich trotzdem.

Du hast von der Musik in den sicheren Hafen übersetzt.

Ramon Bauer: Akademisch etwas zu erreichen, war naiv. Mittlerweile bin ich im öffentlichen Dienst angekommen.

Als Leiter der Landesstatistik in Wien durchaus gut angekommen!

Ramon Bauer: Es ist zum Glück ein solider Job geworden – ich klopf auf meinen Holzschreibtisch.

„Frantz“ stammt aus einer anderen Zeit. Ihr habt den Namen als Hommage an den Skifahrer Franz Klammer genannt. Ein Mego-Scherz, oder?

Ramon Bauer: Die groß aufgemachte Hommage war das sicher nicht, ja. Es war eine Schnapsidee.

Andi Pieper: Die irgendwann nicht mehr wegging.

Ramon Bauer: A blöde Idee, ja! Und dann war es halt so. Dabei haben wir durchaus eine Ästhetik der Siebzigerjahre in das Neunziger-Cover hineingepackt. Die Mego-Cover der damaligen Zeit waren generell interessant, weil sie einen graphischen Zugang hatten. In der White-Label-Techno-Zeit war das ein Kontrapunkt.

Cover “Frantz”

Andi Pieper: Außerdem haben wir in der Anfangszeit absichtlich Vieles falsch geschrieben.

Es ging um die Gaudi.

Ramon Bauer: Das musste sein und damals war viel möglich.

War das so?

Ramon Bauer: Wir waren in unseren Zwanzigern, da ist immer mehr möglich. Die Neunziger waren trotzdem eine Zeit, in die technische und musikalische Revolutionen fielen. Ich weiß nicht, ob es jemals wieder derartige Neuerungen wie House oder Techno oder generell digitale Musik geben wird. Das war eine Zeit ohne Dogmen. Außerdem schadete das Umfeld in Wien nicht. Es machte jeder etwas anderes, trotzdem respektierte man sich.

Andi Pieper: Damals gab es ein Gefühl von Unbegrenztheit. Heute seh ich das nicht mehr, im Gegenteil. Man muss sich viel mehr Limits setzen, ansonsten wird man wahnsinnig. Das heißt: Sich auf die Möglichkeiten der Technik beschränken, die man nutzt, führt eher zum Ziel als jedes Mal offen dranzugehen.

Ramon Bauer: Im Kontext der technischen Revolution wollten wir allerdings den Bogen überspannen. Von analogen Synthesizern zu ersten Computern bis hin zu Laptops und Realtime-Processing in der Software vergingen nur wenige Jahre. Die Möglichkeiten erschienen unerschöpflich. Einschränkungen gab es keine. Mir fallen sofort die „Dogmatic Sequences“ von Patrick Pulsinger ein. Das war der Versuch … Aber darüber red ma heut nicht, meine Erinnerungen sind zu diffus, das muss der Patrick selbst interpretieren.

Ich versteh was du meinst. Eine neue technische Revolution gab es seither nicht mehr. Deshalb klingt die Musik aus den späten Neunzigern auch nicht völlig anders als die der 2000er und Zehnerjahre.

Ramon Bauer: Die Revolution der Produktionstechnik – von überbordenden Studiokapazitäten hin zu Schlafzimmeraufnahmen – verlief schnell und scheint abgeschlossen zu sein.

Andi Pieper: Davor waren die Achtziger ein Jahrzehnt, das Trevor Horn mit riesigen Mischpulten und noch größeren Produktionen erfand. Die Aufnahme einer Hi-Hat kostete so viel wie ein Ferrari. Heutzutage entstehen die Welthits von Billie Eilish im Schlafzimmer.

Das Bedroom-Narrativ ist aber arg überzogen, nicht?

Andi Pieper: Natürlich hat nicht jeder ein Neumann U87-Mikrofon für 6000 Euro im Schlafzimmer herumliegen. Wenn sich Duran Duran aber vor 30 Jahren ein Studio für sechsstellige Beträge mieten mussten, ist das im Vergleich trotzdem nichts.

Bei euch war es die Übergangsphase. Ihr musstet noch im Wohnzimmer aufnehmen.

Andi Pieper: Trotzdem konnte man bereits alles mit und in einem Computer machen.

Spielt in die Anfangszeit eine Form von Nostalgie mit hinein, oder seid ihr resistent dagegen?

Andi Pieper: Ich würd lieber zwei Monate in einem Millionenstudio verbringen.

Ramon Bauer: Die vorrevolutionäre Nostalgie, interessant!

Womit wir die Zeit der „Mondlandung“ erreichen. Euer Stück wird auf der Wiederveröffentlichung von „Frantz“ sein.

Ramon Bauer: Weil es aus einer ähnlichen Produktionsphase wie die Stücke auf „Frantz“ stammt. Das Album kam zwar 1997 raus. Die Tracks entstanden aber im gleichen Zeitraum bereits ein, zwei Jahre früher.

Mich fasziniert die Nummer, weil ich mich immer schon gefragt habe, was jemanden Mitte der Neunzigerjahre an der Mondlandung interessiert hat.

Ramon Bauer: Wir sind beide vor der Mondlandung geboren. Bei mir ging es sich um ein paar Wochen aus, beim Andi um ein Jahr. Der Generationensplit ist aber nicht der Grund für die Produktion. Space war einfach ein super Thema – schon immer.

Warum?

Ramon Bauer: Man konnte und kann sich gut damit beschäftigen, oder? Die Mondlandung war – wir wissen es – eine der ersten Liveübertragungen, die global stattfand. Durch Zufall sind wir in den Neunzigern auf die deutsche Originalübertragung gestoßen. Man hört den Korrespondenten der ARD, Werner Büdeler, der telefonisch zugeschalten ist und berichtet.

MEG Frantz Innen Buedeler © General Magic

Andi Pieper: Das wirkte schon damals unglaublich altbacken – ganz Deutschland lauschte einem Korrespondenten, der an einer dünnen Telefonleitung hing. Dabei hat fast jedes Land ihre eigene Geschichte zur Übertragung der Mondlandung. Die spanische soll aufregend gewesen sein, bei der österreichischen wurde aus Kostengründen das Band überspielt. Mich hat das fasziniert. Deshalb haben wir die Übertragung genommen und rundherum mit einem Ambienttrack verziert.

Ramon Bauer: Dahingehend ist es gut gealtert, weil es damals schon total gealtert war.

Andi Pieper: Im Gegensatz zu … Sollen wir das sagen? Wir arbeiten nach 20 Jahren ernsthaft an neuen Tracks.

Ramon Bauer: Jetzt hat er uns geoutet! Es stimmt. General Magic arbeiten an neuer Musik.

Andi Pieper: Mehr kommt auch nicht. Und so lassen wir das hier enden.

Umso besser. Danke für eure Zeit und den Rückblick.

Christoph Benkeser

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