Wir sind viele! mica-Interview mit Klaus Ager

Der Österreichische Komponistenbund ÖKB feiert sein 100-jähriges Bestehen. Präsident Klaus Ager über die Wahrnehmung von Komponisten, die Rolle des ÖKB und den drohenden Verlust von Vielfalt und Geld.

Können Sie etwas über die Rolle des Komponisten und dessen Wandel in der Zeit, in der Sie Präsident des ÖKB sind, erzählen?

Klaus Ager: Ich wurde 2004 gewählt. Was ich seit meinem Amtsantritt versucht habe, ist, die Gräben zwischen den einzelnen Vereinen und Institutionen in Wien und anderen Bundesländern zuzuschütten. Ein gutes Beispiel ist die IGNM, mit der es seit ihrer Gründung eigentlich nie eine wirklich gute Zusammenarbeit gab. Das hat sich jetzt ganz grundlegend geändert.

Wir haben die wichtigsten Partner im Bereich Musik und Komposition zusammengeführt. Das geht so weit, dass wir neuerdings auch mit den Autoren im U-musikalischen Bereich gut zusammenarbeiten und gemeinsam Wettbewerbe bestreiten. Das Miteinander hat sich also ganz wesentlich gebessert. Im Ergebnis spricht die ganze Szene der Musikschaffenden sowohl im sogenannten E- als auch im sogenannten U-Bereich neuerdings viel mehr mit einer Stimme, als das noch vor einigen Jahren der Fall war.

Sie haben also versucht, die Kräfte zu bündeln …

Klaus Ager: Genau. Ein zweiter wichtiger Punkt war, die Statuten des ÖKB, die noch aus der Gründerzeit bzw. der Zeit der Wiedergründung im Jahr 1947 stammten, grundlegend zu überarbeiten. Das haben wir auch dazu genutzt, die Grenze zwischen U und E innerhalb des ÖKB durchlässiger zu gestalten und so ein Miteinander zu forcieren, d. h. die gemeinsame Interessen, die es zu vertreten gilt, zu betonen und nicht etwaige Unterschiede. Ich denke, das ist uns auch gelungen: Der ÖKB steht heute als ein Verein da, der die Interessen aller (!) Musikschaffenden vertritt, was sich auch eindeutig positiv auf die Mitgliederzahl ausgewirkt hat: Wir haben heute ungefähr doppelt so viele Mitglieder als zu der Zeit, in der ich Präsident wurde. Darüber hinaus haben wir bemerkt, dass die nationalen Komponistenverbände – so wie wir sie kennen, mit Ausnahme vielleicht der skandinavischen Länder – kaum eine übernationale Zusammenarbeit kennen. Deshalb beschlossen wir, 2006 einen großen Komponistenkongress abzuhalten, zu dem wir alle europäischen Komponistenvertretungen, die uns bis dahin bekannt waren, nach Wien einluden. Das Ergebnis war, dass eine gemeinsame europäische Plattform initiiert wurde. Die „European Composers and Songwriter Alliance“ mit einem eigenen Büro in Brüssel und einigen ständigen Mitarbeitern entstand. Das ist schon allein deshalb eine Erfolgsgeschichte, weil wir seitdem von der EU-Kommission in Fragen der Reform des Urheber- und Verwertungsrechts direkt eingebunden werden. Darüber hinaus sind wir auch bei der globalen Repertoire-Database-Entwicklung dabei.

Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wurde also in vielerlei Hinsicht die Zusammenarbeit forciert. Darüber hinaus aber haben wir auch versucht, Tätigkeiten zu erweitern. Ein großes Ziel dabei war es, die Zusammenarbeit mit den Schulen zu intensivieren, um mehr Komponisten in die Schulen zu bringen. Das erfordert einiges an Organisation, aber langsam fängt auch das zu laufen an.

Klaus Ager: Einen weiteren Schwerpunkt schließlich setzen wir auf die Förderung junger Komponisten gesetzt, das heißt also all jener Komponisten zwischen elf und 19 Jahren,. In Zusammenarbeit mit dem Verein „Musik der Jugend“ wurde hier auch ein Wettbewerb eingerichtet, was deshalb enorm wichtig ist, weil wir an den Universitäten zu wenig Nachwuchs in diesem Bereich verzeichnen.

Das heißt: Es hat sich viel getan, man hat sich gut aufgestellt, organisiert und überlegte Schwerpunkte gesetzt.  Warum aber ist die Rolle des Komponisten dennoch eine konstant schwache?

Klaus Ager: Zunächst einmal ist es schwierig, einen Verband, der seine Rolle in den letzten Jahren anders definierte als es den heutigen Anforderungen entspricht, wieder auf die Reihe zu bekommen, damit er als starker Partner gesehen wird. Dazu kommt, dass für viele Außenstehende der Unterschied zwischen der oder den Verwertungsgesellschaften und einem Komponistenbund nicht ausreichend klar ist.

Kann man den Unterschied klar formulieren?

Ja. Das ist ganz einfach: Der ÖKB ist die Standesvertretung der Komponisten. Die Verwertungsgesellschaften haben eine klar definierte Aufgabe: Die materiellen und ideellen Rechte der Komponisten zu vertreten, d. h. unter anderem die Aufführungsrechte und ähnliche zu vergeben und die Tantiemen dafür einzuheben und an ihre Mitglieder auszuzahlen. Diese Tätigkeit führen die Verwertungsgesellschaften aber nicht nur für die Komponisten, sondern auch für die Verlage durch, was geschichtlich bedingt ist. Im Ergebnis aber decken sich die Interessen von Verlagen und Komponisten in vielem, aber nicht in allem. Insofern ist es umso wichtiger, dass es einen starken ÖKB gibt, der genau dann, wenn die Interessen der Musikschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt werden, seine Stimmer erhebt.

Sie haben die gemeinsamen Interessen der Komponisten im E- Und U-Bereich angesprochen. Wie kann man diese Interessen in wenigen Sätzen zusammenfassen? Worin liegen sie? Ich nehme an, zu einem wesentlichen Tel geht es darum, eine solide Grundlage dafür zu schaffen, von der kompositorischen Arbeit in menschenwürdiges Dasein bestreiten zu können.

Klaus Ager: Man muss ganz genau beobachten, welche Entwicklungen es im Bereich des Urheberrechts gibt. Das Internet hat die Möglichkeiten in der Musik revolutioniert, d. h. die Möglichkeiten sind heute ganz andere als noch vor zehn, 15 Jahren.

Aber die gesetzliche Wahrung der Urheberinteressen stimmt nicht mehr mit der realen Situation überein. Probleme gab es immer. Das fing mit der Erfindung der Kassetten und der Möglichkeit an, Musik aus dem Radio aufzunehmen.

Aber jetzt funktionieren die Möglichkeiten des Duplizierens einfach ungleich leichter. Die Rechtsunsicherheit, die daher kommt, dass Urheber- und verwandte Rechte nicht ausreichend an die geänderte Situation angepasst sind, betrifft natürlich auch uns Komponisten (Klaus Ager ist selbst renommierter Komponist, Anm.)

Die CD-Verkäufe gingen zurück – darüber gibt es Statistiken genug. Dadurch aber ist den Komponisten ein ganz wesentlicher Zweig ihres Einkommens weggebrochen. Das betrifft natürlich nicht nur Komponisten, sondern auch Verlage und Produzenten. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die sich mit der illegalen Bereitstellung von Content dumm und dämlich verdienen. Das sind Dinge, die geregelt werden müssen und sich auch regeln lassen. Es gibt ja die verschiedensten Versuche. Und da gilt es für die Komponisten einen Platz zu finden, der ihren Interessen bestmöglich gerecht wird. Das ist nicht ganz einfach.

Welche Aufgabe hat jetzt der ÖKB in diesem Prozess? Ist es die Lobbying-Arbeit in der Gesetzwerdung oder ist es die Aufklärung seiner Mitglieder über Möglichkeiten der Geltendmachung ihrer Interessen?

Klaus Ager: Es ist auf jeden Fall beides. Unsere Hauptaufgabe ist es, im Rahmen unserer europäischen Vertretung in die Gesetzwerdung voll eingebunden zu werden. Es gibt viel Chaos in Europa: Richtlinien und Empfehlungen stehen da an – man möchte einiges anpassen, von den Schutzfristen angefangen … Und auch eine Novelle des Urheberrechtsgesetzes steht vor der Tür.
Natürlich muss der ÖKB das aber auch seinen Mitgliedern entsprechend kommunizieren. Vor allem den jungen Mitgliedern: Wann muss man wofür zahlen? Was darf man runterladen? Was darf man wie verwenden? Aber mit Lobbying und Auskunft ist es noch nicht getan. Wir müssen auch darüber nachdenken, was man besser machen kann.

Sehen Sie denn diesbezüglich ein Defizit in der Ausbildung zum Komponisten, die natürlich ihr Hauptaugenmerk auf das Komponieren an sich legen muss. Wie sieht es mit der Vorbereitung der jungen Leute auf die geänderten Rahmenbedingungen der Märkte, in die sie hineinwachsen sollen, aus? Werden sie entsprechend vorbereitet?

Klaus Ager: Da gibt es durchaus noch Handlungsbedarf. Ich selbst bin ja an der Universität in Salburg tätig. In Wien aber wird es nicht wesentlich anders sein. Dass es nicht bzw. nicht mehr ausreicht, etwas Tolles zu komponieren und dann daran zu verdienen, ist evident. Dass noch immer zu wenig über diese Dinge gesprochen wird, ebenso. Dass der Beruf des Komponisten nicht so einfach ist, welche Möglichkeiten es gibt, und welche Rechte man hat – da ist durchaus noch Bedarf zur Intensivierung gegeben. Es ist manchmal auch schwierig, das alles Leuten zu vermitteln, die noch ein bisschen weit weg davon sind, es auch tatsächlich zu brauchen. Natürlich ist es schon Teil des Studiums, aber die rechtliche Situation, die sich wie gesagt sehr im Umbruch befindet, ist eine sehr schwierige. Daher muss auch die Auseinandersetzung damit eine intensive, wahrscheinlich auch eine intensivere als im Moment sein. Da wird sehr viel diskutiert …

In Österreich lässt sich ein Hang zu Uraufführungen verzeichnen. Andererseits gibt es darüber hinaus nur wenig, was sich hält. Sehr wenige Komponisten – sie lassen sich eigentlich an einer Hand abzählen – werden immer wieder gespielt und erzielen dadurch eine Aufführungshäufigkeit, die ihnen ein Auskommen sichert. Wo muss man die Hebel ansetzen, um das zu ändern?

Klaus Ager: Bei den Ensembles, den Konzert- und Opernhäusern wird ganz wenig neue Musik und noch weniger österreichische neue Musik gespielt. Und wenn neue, österreichische Musik gespielt wird, dann – und da haben Sie vollkommen Recht – ist es meist eine sehr, sehr kleine Auswahl an Leuten, auf die zurückgegriffen wird.

Wir haben in der E-Musik aber allein 600 (!) Komponisten, die gespielt werden könnten. Im Vergleich zur Bevölkerungszahl ist das einer der stärksten Werte überhaupt. Das heißt also, Österreich ist ein Land mit unverhältnismäßig vielen guten Komponisten. Wenn sie jetzt noch die U-Musik dazurechnen, kommen wir auf sage und schreibe 15.000 Komponisten – das muss man sich einmal vorstellen. Wir sind viele, das merkt man aber weder im U- noch im E-Bereich.

Nehmen Sie den Eurovisions-Songcontest: Da wird nie der Komponist des Liedes genannt. Unter anderem dadurch ist im Bewusstsein der Bevölkerung heute viel zu wenig verankert, dass es Komponisten gibt. Auch das ist unsere Aufgabe: den Leuten bewusst zu machen, dass man nicht nur die Ausführenden, sondern auch die Komponisten namhaft macht, wann immer es möglich ist.

Sie sind ja auch ein profunder Kenner der Medien. Welche Bedeutung kommt den Medien diesbezüglich – d. h. bei der entsprechenden Wahrnehmungsbildung – zu?

Klaus Ager: (lacht) Eine ausbaufähige. Wir versuchen ständig in Gesprächen – besonders mit dem ORF und hinsichtlich des Kulturauftrages, den er hat – klarzumachen, dass das eine wichtige Angelegenheit wäre. Die Aktion SOS Musikland Österreich gibt es ja nach wie vor.
Auch die Situation in der U-Musik ist ja größtenteils eine ganz ähnliche: Der Prozentsatz der auf Ö3 gespielten österreichischen Musik liegt unter der Zehn-Prozent-Marke. Dabei verliert man nicht nur an Vielfalt, sondern es ist auch eine ökonomische Katastrophe, weil viel Geld ins Ausland fließt.
Warum etwa wird bei der Eröffnung eines neuen Musiktheaters der Kompositionsauftrag nicht an einen österreichischen Komponisten/Komponistin vergeben? Dagegen, einen US-amerikanischen Komponisten zu spielen, ist ja grundsätzlich überhaupt nichts einzuwenden. Aber ich bin der Meinung, dass bei der Eröffnung eines Hauses, das viel österreichisches Geld gekostet hat, ein Teil dieses Geldes auch dafür verwendet werden sollte, Werbung für österreichische Musik zu machen – ganz genauso wie man in diesem Land ja auch Geld dafür in die Hand nimmt, Werbung für österreichischen Schinken, österreichische Molkereiprodukte oder dergleichen mehr zu machen.

Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ich Gelegenheit, das Hugo Wolf Quartett zu portraitieren, das die komponistenfreundliche Praxis pflegt, bei ihren Konzerten immer auch ein zeitgenössisches österreichisches Stück zu spielen. Wäre solch eine Praxis nicht in hohem Maße förderungswürdig? Oder anders gefragt: Wäre es nicht Aufgabe des Bundes, des Landes oder welcher Gebietskörperschaft auch immer, genau solche Projekte zu fördern, was derzeit meines Wissens noch nicht der Fall ist?

Klaus Ager: Da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Ich bin etwa zwei Mal jährlich bei der Stadt wegen dieser Themen. Und ja, da müsste wesentlich mehr passieren. Nehmen Sie das Klangforum, ein lobenswerter Klangkörper, was die Aufführung österreichischer Kompositionen betrifft. Aber im internationalen Vergleich ist der Anteil österreichischer Musik, die das Klangforum spielt, immer noch gering. In Dänemark werden vergleichsweise 80 Prozent dänische Stücke gespielt. 30 Prozent österreichische sind es beim Klangforum. Und ich weiß wirklich nicht, woran es liegt. Langsam werde ich noch zum Verfechter einer Quotenregelung, die ich eigentlich ablehne. Es gibt so viele gute österreichische Komponisten … Selbstverständlich sind die 30 Prozent noch wahnsinnig viel im Vergleich zu anderen Klangkörpern, aber immer noch viel zu wenig. Da sollten wir zumindest 50 Prozent anstreben.

Sie haben in einem Interview, das ich vor einigen Jahren mit Ihnen führen durfte, einmal ein Image-Bekenntnis zu österreichischer Musik gefordert – ganz ähnlich wie es etwa mit dem AMA-Gütesiegel im Bereich der Agrarprodukte gepflegt wird. Gibt es da konkrete positive Entwicklungen?

Da sind wir leider nicht weiter gekommen, weil sich immer wieder so viele aktuelle Dinge dazwischenschieben, wodurch langfristige Überlegungen in den Hintergrund treten. Ich halte die Idee aber immer noch für gut und verfolgenswert.

Bleiben wir bei der Wahrnehmung. Was denken Sie, muss man tun, um die Wahrnehmung österreichischer Musik zu intensivieren?

Klaus Ager: Ich glaube, man muss mit möglichst vielen Verbänden Gespräche führen.
Das Eröffnungskonzert unserer Jubiläumswoche etwa war den Musikuniversitäten gewidmet, die ihre jungen Komponisten vorgestellt haben. Gerade diese Aktion dient dazu, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie viele gute junge KomponistInnen es hierzulande gibt. Junge MusikerInnen werden sich für ein Konzert mit den Werken ihrer KollegInnen auseinandersetzen. Die Tatsache, dass sie das im ORF tun dürfen, wird das Renommee ganz wesentlich erhöhen.

Aber man muss, um auf Ihre Frage zurückzukommen, auf vielen Ebenen ansetzen: bei den Kindern, den Jugendlichen, den Eltern. Auf allen Ebenen muss man arbeiten. Es ist bekanntlich der stete Tropfen, der den Stein höhlt.

Ich habe den Endruck, dass sich in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren viel verbessert hat, viel in Bewegung gekommen ist. Es tut sich also einiges, interessanterweise nehmen das die Medien weniger denn je zur Kenntnis. Im Radio wird wenig gespielt, im Fernsehen fast gar nichts. Da ist doch zu hoffen, dass sich der staatliche Rundfunk wieder einmal seiner Dokumentationspflicht besinnt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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