„WIR SIND UNSERE GEGENSEITIGEN SCHWIMMWESTEN” – ROYAL DIVING ACADEMY IM MICA-INTERVIEW

Die vielleicht ruhigste Band Wiens sitzt am ruhigsten Ort in Wien. Inmitten der Gürteloase, hinten im Weidinger, treffe ich MAX RITTER und RAINHARD SÜSS. Sie sind Teil der ROYAL DIVING ACADEMY – eine Band, die noch letztes Jahr als GLEE ein Album auf POST OFFICE RECORDS veröffentlichte. Inzwischen hat sich nicht nur der Name verändert. Neben ADRIAN WALTHER und ROXANNE SZANKOVICH ist die Band mit CLARA WOLF zu einer kleinen Kapelle gewachsen. Der Sound wirkt weiter wie fünf Baldriantropfen zum Kirschkernkissen – ein Tripsitter für Tage, die sich anfühlen wie Wochen. Zuletzt filmte die ACADEMY die Aufnahme ihres Live-Albums – „Campcore” erscheint im Herbst, das erste Musikvideo nostalgisiert schon jetzt zwischen Kassetten-Kindheit und HD-Heute.

Ich habe euch letztes Jahr als glee kennengelernt. Jetzt nennt ihr euch Royal Diving Academy.

Max Ritter: Wir haben ständig gehört: Ah ja, so wie die Serie! Ich hab trotzdem gehofft, dass es geht, weil wir der Serie den Namen nicht überlassen wollten. Glee ist so ein schönes Wort! 

Rainhard Süss: Es war ein Kampf gegen Windmühlen. Außerdem gibt es sogar Bands in dieser Serie. Wenn du googelst, kommst du nie auf uns.

Max Ritter: Nach unserer ersten Platte als glee ist uns eine Nummer passiert, die „Royal Diving Academy” heißt. Eigentlich dachten wir, dass das auch ein guter Titel für das nächste Album wäre. 

Rainhard Süss: Und jetzt heißt die Band so. Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Auch wenn es ursprünglich charmant gewesen war, einen Bandnamen mit nur vier Buchstaben zu haben. 

Max Ritter: Ich denke oft daran: Wie schön haben diese Zeiten sein müssen, in denen man seine Band einfach Love nennen konnte. Kein Google, kein Nachschauen, nichts. Love (die Band) ist grundsätzlich auch die Ecke aus der wir kommen.

Bild Royal Diving Academy
Bild (c) Royal Diving Academy

Apropos ideologische Ecke. Eure Musik stellt sich gegen den Überdrüber-Sound der Gegenwart, er fängt eher einen unaufgeregten Spirit ein. 

Max Ritter: Das war ein harter Kampf. Das erste Album „Alrite” haben wir mit den Beatles im Hinterkopf aufgenommen. Alles in einem Raum, die Amps ins Schlagzeug bluten lassen, damit wir von vornherein ausschließen, dass wir es später zu groß, zu modern machen. So ist unser Sound: so wenig fett wie möglich. Den Zugang haben wir mit „Campcore” noch weiter auf die Spitze getrieben. 

Es ist heimelig, weich. Wie die Assoziationen zum Titel eures kommenden Albums „Campcore”.

Max Ritter: Viele Leute verbinden den Begriff mit dem Gefühl beim Campen. In unserem Fall meinen wir das Adjektiv „camp” – ein Begriff von …

Susan Sontag.

Max Ritter: Yes, genau! Es geht dabei um die Übertreibung als Stilmittel. 

Und um den Kitsch – in einem alles andere als abwertenden Sinn. Das passt perfekt zu euch.

Max Ritter: Durch die kurze Vorlaufzeit für die Aufnahme haben sich viele Dinge eingeschlichen, die den Sound noch weiter in die Kitsch-Richtung getrieben haben. Zum Beispiel trägt Clara [Wolf, solo auch als Almuth] nicht nur die schöne, weibliche Stimme bei. Sie hat in fast allen Liedern eine eigene Strophe oder Erzählposition. Das war eine Spielart mit dem Kitsch, den man automatisch erreicht, wenn eine Frau und ein Mann sich an- und Emotionen besingen. Das darf alles cheesy sein und wir haben die größte Freude damit. 

Rainhard Süss: Na ja, damit wären wir mit beiden Beinen im Biedermeier – deshalb will ich das Wort cheesy nicht zu sehr bemühen. Unsere Soundästhetik lässt viel mehr Fragilität zu. Wir zeigen uns zerbrechlich und vulnerabel. Wenn wir uns bei mir ins Wohnzimmer setzen und dort ein Album aufnehmen, passiert diese Zerbrechlichkeit also, weil wir so sind. Cheesiness wäre das Gegenteil, weil wir dieses Zerbrechliche krampfhaft erreichen wollten. Das haben wir nicht getan.

Bild Royal Diving Academy
Bild (c) Royal Diving Academy

Es muss nicht fragil sein, aber es darf.

Max Ritter: Dass die Songs so sein dürfen, wie sie sind, war ein langer Prozess für uns. Raini und ich haben viele Jahre damit verbracht, möglichst laut, schnell oder kompliziert zu sein. Jetzt spielen wir Songs, wie sie kommen, ohne zu sagen: Das ist zu simpel oder zu schön. Ich kann darin gut meine persönliche Entwicklung ablesen. Weg vom Drang zur Individualität, hin zu einer Akzeptanz des So-seins-wie-man-ist. Es ist okay, wie ich bin oder denke oder rede. Das habe ich der Musik zu verdanken.

Es darf einfach sein, weil Gefühle nicht schwierig sein müssen, sondern, sorry für den Kitsch: ehrlich.

Max Ritter: Ich bin letzthin über ein italienisches Wort gestoßen: Sprezzatura. Etwas also aussehen zu lassen, als wäre es ureasy, obwohl eigentlich viel Übung dahintersteckt. Damit zieh ich den Bogen zur Royal Diving Academy. Wir sind als Gruppe unsere gegenseitigen Schwimmwesten. Ohne die anderen würden wir untergehen. Oder vielleicht dürfen wir sogar untergehen – aber mit einem warmen Gefühl ums Herz und mit dem Anschein, dass uns alles sehr leicht von der Hand geht. 

Es heißt nicht umsonst diving Academy. Mitunter lässt sich auch unter Wasser etwas entdecken, das schön ist.

Max Ritter: Da ist einiges zu holen! Die Royal Diving Academy ist wie eine Welt und …

Rainhard Süss: Nur die Spitze des Eisbergs.

Max Ritter: Durch den Namen ist uns erst aufgefallen, wie viel Wasser in den Songs steckt. Wir fahren ständig zum Wasser, liegen am Wasser, gehen gern ins Wasser, schauen Wasser an und haben es vor allem gern warm …

Da wirds philosophisch.

Max Ritter: Wenn man das Gerede über das Thema Love auf eine rationale Ebene runterbricht, geht es immer um Wasser. Wir bestehen aus Wasser, kommen aus dem Wasser.

Rainhard Süss: Der Planet ist aus Wasser.

Max Ritter: Wasser ist wichtig. Durch die Royal Diving Academy kanalisieren wir es. Weil: Wir haben gecheckt, dass wir alle auf unsere eigeneArt verwirrt sind. Aber: Wir haben gelernt, diese Verwirrung zu mögen. 

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Das jeweilige Verwirren führt zu einer gemeinsamen Entwirrung.

Max Ritter: Wir wollen die Verwirrung gar nicht auflösen. Man kann sie schließlich ernten, sie hat schöne Früchte.

Ich finde deine Metaphern-Sprache schön.

Max Ritter: So red ich immer. 

Rainhard Süss: Das kann ich bestätigen. 

Max Ritter: Deshalb hab ich die Delays und er die Kompressoren.

Rainhard Süss: Um die Sache trotzdem auf lebensweltliche Dinge runterzubrechen: Vielleicht werden wir einfach erwachsen. Eine Freundin von mir hat das letzthin schön zusammengefasst. Bis 30 glaubt man, dass man keinen Tau von der Welt hat. Ab 30 checkt man: Es geht allen so. Und das ist okay. 

„WIR HABEN EINE GEWISSE NARRENFREIHEIT.”

Das ist, was du Akzeptanz fürs So-sein-wie-man-ist genannt hast, Max.

Max Ritter: Natürlich wissen wir, wie ein Schlagzeug theoretisch zu klingen hat, welche Synths zum Einsatz kommen sollten, damit es an die aktuellen Hörgewohnheiten anschließt. Sich dem trotzdem zu verwehren und zu akzeptieren, dass es nicht notwendig ist, wie alle anderen zu klingen, ist anstrengend. 

Und dann sag ich euch: Das ist ja was Ureigenes!

Max Ritter: Das kommt so selten vor! Oft sind es ältere Herrschaften im Publikum, die die Referenzen checken. Die erinnern sich dann an Gentle Giant und überhaupt Prog Rock, weil sie wissen: Das gab es schon, diese schöne Musik, die aus der Konvention ausbricht. Vielleicht klingt es deshalb so gesettled. Wir schauen weniger nach draußen als nach drinnen – anders könnten wir das alles nicht machen.

Wie meinst du das?

Max Ritter: Na ja. Wir haben vor laufenden Kameras innerhalb eines Tages eine Platte aufgenommen. Egal ob wir es Album, Live-Album oder Session nennen, es ist wurscht, weil es um die 40 Minuten Musik geht. Wir haben eine gewisse Narrenfreiheit.

Rainhard Süss: Deshalb können wir auch Songs neu aufnehmen, die wir in einer anderen Besetzung schon auf der ersten Platte gespielt haben.

Max Ritter: Oder wie bei „Smilefile” eine Single rausbringen, die eineinhalb Minuten dauert und innerhalb der Musikmarktlogik überhaupt keinen Sinn macht – für uns aber alles ist. 

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Rainhard Süss: Das sieht man auch.

Max Ritter: Ja, während der ganzen Session, das erkennt man bereits im Video zu „Pillowtalk”, grinsen wir uns an.

Rainhard Süss: Der Moment, in dem die Geige einsetzt, ist magisch. Ich bekomme Gänsehaut, wenn wir das Stück live spielen. Im Text gibt es auch eine Referenz zu Georg Danzer.

Max Ritter: Ruaf mi ned an!

Rainhard Süss: Dei Polster riecht immer no nach deine Haar!

Max Ritter: So schön! Da haben wir den Danzer rübergewurschtelt. Irgendwann läuft der Song aus und es droppt in ein Walzer-Ding. Es fühlt sich dann so an, als würde man das Fenster öffnen und Wien kommt herein. 

Sorry für den Kitsch again: Man glaubt, so eine selige Ruhe im Raum durch den Bildschirm zu spüren.

Max Ritter: So war es, ja! Ich hatte während der Session teilweise das Gefühl, dass sich niemand zu atmen oder zu bewegen traut – weil man die Blase nicht platzen lassen will, in der wir kurz die Zeit angehalten haben.

Ihr hält die Zeit auch anders fest, das Video wechselt zwischen VHS-Ästhetik und HD-Auflösung.

Max Ritter: Das VHS-Ding löst automatisch ein heimeliges Gefühl aus. Wir kennen ihn schließlich alle aus Kindervideos. Das ist Nostalgie und gerade sehr gängig. Es ist trotzdem erstaunlich, wie gut diese beiden Looks zusammenpassen. 

Hast du eine Idee, warum es zusammengeht?

Max Ritter: Weil der Sound die Basis dafür ist. Und der ist HD und VHS gleichzeitig. Die Seitenverhältnisse verändern sich sogar, aber …

Es fällt nicht auf, wie ein Zaubertrick!

Max Ritter: Das ist faszinierend, ja. In einer ersten Version hatten wir die VHS-Version sogar über das HD-Video gelegt. Das hat was Stressiges ausgelöst, also das Gegenteil dessen, was wir erreichen wollten. Im finalen Video verändern sich die Seitenverhältnisse, man sieht Glitches oder hört das leise Knarzen des Bodens, wenn die Kameraleute durchs Zimmer tapsen. Das alles trägt zur magic bei.

Rainhard Süss: Das „leise” Knarzen ist sogar sehr laut, wir haben in meiner ehemaligen Altbauwohnung aufgenommen. Einen Monat später sind wir ausgezogen. Diese schöne Wohnung wird jetzt totalsaniert. Deshalb ist die Aufnahme ein schönes Zeitdokument, bevor dieser Ort zerstört wurde.

Max Ritter: All das spielt in die Idee von Royal Diving Academy. Glitches, Knarzen, Fehler. Das Dreigestirn um Ästhetik, Bandnamen und Albumtitel erzählt so viel. Zum Teil suche ich auf YouTube gezielt nach diesem Zusammenspiel.

Ich hab letztes Jahr eine Playlist auf YouTube gefunden, die genau das ausmacht: Ein Analogfoto von einem See, der Titel somewhere in Italy 1983 und dann dann Stücke von Debussy und Liszt. Das passt perfekt.

Max Ritter: Jesus Christ, da bin ich auch grad! Es spielt perfekt zusammen. So etwas wollen wir erreichen.

Danke für eure Zeit!

Christoph Benkeser

++++

Links:
Royal Diving Academy (Bandcamp)
Royal Diving Academy (Instagram)
Royal Diving Academy (Facebook)
Post Office Records (Homepage)