„Wir sind nicht nur für ein spezielles Publikum für Neue Musik da.“ – Alexander Wagendristel (ensemble reconsil) im mica-Interview

Es gehört zu den relevantesten Ensembles für zeitgenössische Musik in Österreich: 2002 gegründet, nahm das ENSEMBLE RECONSIL vor zwei Jahren eine personelle Neustrukturierung und damit verbunden auch Änderungen in der Akzentsetzung vor. Im nächsten Konzert am 6. Juni im REAKTOR werden Werke von Artists in Residence von Bundeskanzleramt und KulturKontakt Austria zur Aufführung gebracht. Mit Obmann ALEXANDER WAGENDRISTEL sprach Christian Heindl.

Das ensemble reconsil hat sich unter der Leitung seines Dirigenten Roland Freisitzer innerhalb weniger Jahre zu einer fixen Größe in der österreichischen, speziell der Wiener Szene für Neue Musik entwickelt. Ohne Aufsehen, aber dennoch auch für den Betrachter bemerkbar, kam es 2017 zu Umstellungen im Team des Vereins. Wieso kam es zur Neuaufstellung?

Alexander Wagendristel: Sowohl bei Roland Freisitzer, der noch 2014/15 mit enormem Einsatz das Projekt „Exploring the World“ durchgeführt hat, als auch bei Julia Purgina, die ihre Professur an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien angetreten hat, hat es massive Zeitprobleme gegeben. Um das Ensemble weiterführen zu können, mache ich nun die Hauptarbeit. Im Moment läuft das neben dem Flötenspiel im Orchester, solistischen Auftritten, der Familie und dem Komponieren. Die beiden Letzteren sind natürlich die Prioritäten, die Familie sowieso und weil mich Komponieren immer wieder interessiert.

Wie setzt sich der Verein, der sich ja als Primäraufgabe die Organisation und Durchführung der Konzerte von ensemble reconsil setzt, aktuell zusammen?

Alexander Wagendristel: Maria Frodl ist eine zentrale Stütze bei den Proben und den Konzerten vor Ort. Vom ursprünglichen Team ist weiterhin Thomas Heinisch dabei, neu dazugestoßen sind zu meiner Freude Manuela Kerer, Norbert Sterk und Peter Jakober.

Ein neues Team geht meist Hand in Hand mit neuen Ideen, anderen Gestaltungs- und Präsentationsformen. Auch bei reconsil stellt man fest, dass einiges ein bisschen „anders“ geworden ist.

Alexander Wagendristel: Ja, ohne dem übergroß Gewicht beimessen zu wollen. Eines der ersten Konzerte nach dem personellen Umbau verlief zum Beispiel so, dass wir ein ganzes Programm in einem durchgespielt haben, mit Improvisationen dazwischen. Das hebt sich etwas ab davon, einzelne Stücke, meist Uraufführungen, voneinander unabhängig nacheinander zu spielen. Als Spielstätte haben wir jetzt hauptsächlich den REAKTOR im 17. Bezirk in Wien, der sich sehr für unsere Projekte eignet. Dort besteht die spannende Möglichkeit zwischen zwei bis drei Sälen zu wählen, wobei wir üblicherweise den mittleren Saal nutzen, der akustisch ideal ist. Der große Saal ist sehr hallig, da bedarf es entsprechender Stücke, die das schlucken.

Wie gelangt ihr zu den Stücken, die gespielt werden, funktioniert das über die üblichen Ausschreibungswege?

Alexander Wagendristel: Da haben wir eine Idee von Peter Jakober aufgegriffen. Wir tätigen alle zwei Jahre eine internationale Ausschreibung über das mica, Komponistenvereinigungen, soziale Medien etc., aber es werden in jedem Konzert zumindest zur Hälfte Werke österreichischer Komponistinnen und Komponisten aufgeführt.

„Oberste Priorität hat natürlich immer die Qualität.“

Habt ihr dabei auch eine mancherorts gepflegte „Frauenquote“ im Blick?

Alexander Wagendristel: Ja, durchaus. Oberste Priorität hat natürlich immer die Qualität. Wenn wir von einer realen Frauenquote von rund einem Sechstel innerhalb der Komponisten ausgehen, dann wird diese von uns in der Regel durchaus übertroffen.

Du hast eingangs schon kurz das Projekt „Exploring the World“ angesprochen, bei dem reconsil in den Jahren 2014 und 2015 insgesamt 84 Werke von Komponistinnen und Komponisten aus 15 Ländern gespielt hat, darunter – exakt deiner Angabe entsprechend – die Hälfte, also 42 österreichische Stücke. Dieses Großunterfangen wurde in der Folge von orlando records auf 14 CDs publiziert. Das war zugleich eine beachtliche Leistungsschau für die Arbeit des Ensembles. Gibt es demgegenüber heute eine andere Ausrichtung?

Alexander Wagendristel: Die CD-Box ist natürlich eine großartige Visitenkarte. Die Programmierung verläuft jetzt graduell anders. Wir bemühen uns heute vor allem um dramaturgisch-stilistische Bögen. Wir machen da keine ästhetischen Vorgaben, sehen uns die Werke an und kommen in der Beurteilung oft zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Und mit unseren individuellen Meinungen finden wir letztlich immer zusammen.

Früher war reconsil vor allem auf Uraufführungen spezialisiert. Persönlich habe ich das insofern immer etwas bedauert, weil man gerade neue Stücke auch wieder hören können sollte, was nicht möglich ist, wenn man älteren Stücken keine Chance gibt.

Alexander Wagendristel: Das hat sich nun eher umgekehrt. Wir kennen fast alle Stücke, die wir spielen. Dadurch weiß man auch, was man erwarten kann. Wenn man nur Uraufführungen spielt, kann man eigentlich keinen dramaturgischen Bogen planen. Außerdem weiß man vorher nie, was man bekommt. Manches ist sehr gut, manches enttäuschend. Ein sehr kritischer Punkt bei Uraufführungen betrifft auch das Aufführungsmaterial. Da kommt manches in allerletzter Minute und bringt enormen Stress. So wie wir es jetzt angehen, können wir sichergehen, dass das Notenmaterial rechtzeitig da ist.

„Uns ist durchaus bewusst, dass wir in einer Nische sind, aber es gibt Publikum für das, was wir anbieten.“

Wenn ich nur ein paar der Ensembles für zeitgenössische beziehungsweise Neue Musik erwähne: Ensemble die reihe, Ensemble Kontrapunkte, Ensemble Wiener Collage, Platypus, Phace, österreichisches ensemble für neue musik, Tiroler Ensemble für Neue Musik – wie gesagt nur eine Auswahl. Wo seht ihr da die Positionierung von ensemble reconsil?

Alexander Wagendristel: Wir sind, zumindest im Moment, ein „kleines Rädchen“, das auch mitmacht. Und wir haben da durchaus eine eigene Funktion. Beispielsweise werden ja Programme oft durch Standorte vorgegeben. Etwa können die Kontrapunkte im Musikverein nicht das spielen, was sie woanders spielen würden. Uns ist durchaus bewusst, dass wir in einer Nische sind, aber es gibt Publikum für das, was wir anbieten. Wir sind nicht nur für ein spezielles Publikum für Neue Musik da. Gerade der REAKTOR hat auch einen hohen Anteil an Publikum für bildende Kunst, das sich jetzt durch uns auch für Neue Musik interessiert.

Vieles an der Qualität der reconsil-Konzerte ist auch darauf zurückzuführen, dass ihr keine übliche „Telefonpartie“ seid, sondern in der Regel auf dieselben Musikerinnen und Musiker zugreift. Wie sieht es seit dem Abgang von Roland Freisitzer mit den Dirigenten aus?

Alexander Wagendristel: Wir arbeiten zurzeit vor allem mit zwei hervorragenden Dirigentinnen zusammen: Yalda Zamani, die sogar nach einem reconsil-Konzert bei Wien Modern von Daniel Barenboim nach Berlin engagiert wurde, und Antanina Kalechyts, die unter anderem auch Assistentin von Walter Kobéra bei der Neuen Oper Wien ist. Dazu kommt auch unsere Reihe in Zusammenarbeit mit KulturKontakt Austria, die nach wie vor von Roland Freisitzer betreut wird. Da besteht das Programm aus jenen Komponistinnen und Komponisten, die mittels Stipendien von KulturKontakt einen mehrmonatigen Aufenthalt in Österreich absolvieren konnten. Im nächsten Konzert am 6. Juni im REAKTOR werden wir Werke von Maurizio Azzan, Santa Bušs, Reuben Jelleyman, Dylan Lardelli und Amir Shpilman vorstellen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Christian Heindl

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