„WIR MÜSSEN DIE KLEINEN MOMENTE AUCH WERTSCHÄTZEN, WENN HINTER UNS DIE WELT UNTERGEHT” – SIAMESE ELEPHANTS IM MICA-INTERVIEW

Samstag. Schwüle Hitze liegt über der Alten Donau. Es ist seltsam ruhig. Dennoch lässt der Blick in den Himmel ein Mai-Gewitter erahnen. Auf einem Holzsteg am Wasser sitzen ALEX KRIZ, MARKUS SCHWARZ, OMAR ABDALLA und AREG BARSEGHIAN, besser bekannt als SIAMESE ELEPHANTS und erzählen zwischen Angelibad und Donaufeld eine Geschichte, die zum Wetter passt: Ihr neues Album “There goes the Sun” spielt mit den Ambivalenzen, die wir zwischen Klimakrise, Weltschmerz und Einsamkeit finden. Dabei verlieren die vier (beinahe vollständigen) Floridsdorfer nicht ihren Optimismus und balancieren den Sound elegant zwischen Discoflair und Melancholie. Im Gespräch mit Ania Gleich erzählen SIAMESE ELEPHANTS, warum Selbstliebe wichtig ist und weshalb es immer auch ein bisschen dreckig sein muss.

Euer Album tänzelt zwischen Euphorie und Melancholie: Welches Gefühl ist für euch vorherrschend?

Markus Schwarz: Sicher beide! Wir schreiben Songs über einen längeren Zeitraum und dabei geht man durch alle möglichen Phasen – so ist das Leben.

Alex Kriz: Zwischen dem ersten Album und dem jetzigen sind auch zwei Jahre vergangen.

Markus Schwarz: Nachdem wir “What Happened at the Social Club” fertig hatten, waren wir euphorisch, dass wir etwas Neues angehen können. Andererseits war es eine Zeit, in der, zwischen Lockdown und Lockdown, noch ein Krieg begonnen und die Klimakrise sich immer weiter zugespitzt hat. Deswegen war die Melancholie schon da. Diese Herangehensweise, dass wir frei sind, etwas Neues zu machen, war für mich trotzdem ein beherrschendes Gefühl. Vor allem was den Sound angeht!

Alex Kriz: Das war auch die erste Thematik für “There Goes The Sun”: sich mit vielen Dingen abfinden zu können. Konzerte sind entfallen, manches konnte nicht funktionieren, weil es einfach nicht ging. Man musste es dennoch akzeptieren.

Omar Abdalla: Vor zwei Jahren war unsere Band-interne Situation auch nicht ganz klar, weil ich ein Visa-Problem hatte.

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Alex Kriz: Omar ist zwar seit elf Jahren hier, aber es war nicht leicht, ein Visum zu bekommen. Damals haben wir die Idee eines Global-Passports glorifiziert.

Omar Abdalla: Für mich persönlich war die Zeit damals zwar zwiegespalten, aber es ging uns immer ums trotzdem weiter machen! Dieses “trotzdem” ist wichtig. Denn schlussendlich hab’ ich die Staatsbürgerschaft ja bekommen, dazwischen aber auch nicht aufgegeben. So gab es finally auch Zeit für Euphorie! Das Gefühl, das wir dann bei Sunday mitgenommen haben, kommt aus dieser unsicheren Zeit. Aber so ist das Leben. Wir wollten das „trotzdem“ wirklich in den Fokus bringen: Trotz aller Krisen, können wir unser Leben so weiterführen, wie wir das wollen!

Alex Kriz: Diese Einstellung kann man natürlich auch negativ sehen, global gesehen! 

Areg Barseghian: Als Individuum ist es leicht, sich in den großen Problemen komplett zu verlieren. Wenn du alle Krisen um uns ungefiltert aufnimmst, kann es overwhelming sein. Aber unser Album kapselt sehr gut ein, wie man die kleinen Momente wirklich wertschätzen kann. Etwa, einfach an einem Konzert teilzunehmen, loszulassen, diesen Moment genießen zu können. Wir müssen die kleinen Momente auch wertschätzen, wenn hinter uns die Welt untergeht.

„DIESER WELTSCHMERZ IST LÄHMEND”

Alex Kriz: Das war auch oft ein Hintergedanke: Was sollten wir tun, wenn morgen ein Asteroid auf die Erde zufliegt und wir nur noch ein paar Stunden zu leben haben.

Don’t Look Up!

Alex Kriz: Ja, genau! Im Endeffekt war dieser Film auch irgendwo eine Inspiration.

Darf man zwischen Klimakrise und Krieg überhaupt in so eine Feel-Good Stimmung escapen?  

Alex Kriz: Es ist total ambivalent. Man möchte sich ja mit den Dingen beschäftigen. Aber es steckt so viel Negativität drinnen, dass das oft schwierig ist. Dieser Weltschmerz ist lähmend. Musik ist für mich immer schon ein Escape gewesen, damit man sich dieser Negativität entziehen kann. Das ist für mich das Prägende am Musikmachen und Musikhören und auch der Spirit der Band. Wir haben ja alle unsere Alltagsprobleme – Wenn wir gemeinsam proben, können wir diese Probleme vergessen.

Areg Barseghian: Aber wir lernen auch, die Konflikte und Gefühle aktiv zu verarbeiten. 

Markus Schwarz: Es ist im Grunde wie ein Gespräch, gemeinsam Musik zu machen, aber ohne dass man die richtigen Worte finden muss. Auch wenn man gerade schlechte Gefühle verarbeitet, ist es dennoch ein gutes Gefühl, wenn man gemeinsam spielt. Das ist schwer in einem anderen Setting zu haben.

Alex Kriz: Es ist wie Therapie!

Omar Abdalla: Also ist es nicht nur Eskapismus! Man muss als Mensch auch Gefühle anerkennen, die man hat. Ich glaube, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, gibt dir Energie, sich den größeren causes zu widmen. Anders kann das die menschliche Psyche nicht stemmen.

Bild Siamese Elephants
Siamese Elephants (c) Igor Dordevic

Haben uns die letzten Jahre nicht gelehrt, Ambivalenzen auszuhalten?

Omar Abdalla: Ja! Die Leute, die das nicht gelernt haben, kippen in Extremismus hinein.

Areg Barseghian: Aber die Thematiken sind heutzutage zu komplex, als dass es nur Schwarz-Weiß-Lösungen gibt.

Andererseits führt das gerade bei jüngeren Leuten oft dazu, dass sich viele nicht entscheiden wollen. Stichwort: Generation Maybe.

Areg Barseghian: Ich habe das in meinem engeren Umfeld sehr stark mitbekommen. Das geht dann teilweise ins andere Extrem: Ein zuviel an maybe, ein zuwenig an “dann mach einfach”. Ständig einen Spagat zu machen, funktioniert nicht. Man muss sich schon auch entscheiden. Denn man lernt immer dazu, auch wenn es nicht immer die beste Entscheidung ist. Dafür wird deine nächste Entscheidung besser. Aber dafür muss man erst zu sich stehen können. Und das fällt vielen nicht leicht.

Ihr singt in Back on the Run “Tik Tok Toxic Sympathy” – haben jüngere Leute diese decision fatigue auch, weil man von allen Seiten zugeballert wird?

Omar Abdalla: In jeder Hinsicht! Aber man muss betonen, dass es das Phänomen nur hier in Europa gibt – im Westen! Wenn ich mir überlege, was diese Überauswahl alleine mit meinem Dating verhalten gemacht hat: Man swiped nach rechts und denkt sofort “Ja, aber vielleicht kommt da ja noch jemand cooler.”

Gibt es ein lack of committment?

Omar Abdalla: Ja, aber das Gleiche gibt es auch in der Karriere und im Job. Man könnte alles machen, was man will.

Alex Kriz: Die Qual der Wahl!

Markus Schwarz: Beim Back on the Run geht es genau um dieses Gefühl. Als wäre man auf der Flucht davor, dass man eh die richtige Entscheidung trifft. Oder vor zu vielen Optionen nicht mehr weiß, wohin. Wir haben das dann ein bisschen überspitzt.

Alex Kriz: Und mit Social Media ist es ja genauso: eine ständige Reizüberflutung, von allen Seiten.

„MAN BRAUCHT INZWISCHEN EINE HOOK, DIE MAXIMAL FÜNFZEHN SEKUNDEN LANG DAUERT, DAMIT ES DEM ALGORITHMUS PASST.”

Was ist denn eure toxic sympathy zu Tik Tok?

Alex Kriz: Ich glaube, dass ich diese eine Phrase eigentlich wegen Jeremy Fragrance geschrieben habe. Der ist ja durch Tik Tok berühmt geworden. Er wirkt nicht wie ein Mensch, mit dem ich mich verstehen würde, aber er hat gleichzeitig etwas Packendes. Also ist es weird, wie man eine solche Sympathie für einen Menschen haben kann, den man eigentlich so unsympathisch findet. Da wundert es einen, wenn man plötzlich schon wieder bei einem Video hängen bleibt. 

Omar Abdalla: Oder wenn du moralisch eigentlich zu einem bestimmten Inhalt gar nicht zustimmst, aber es trotzdem schauen “musst”…

Es dauert ja nur ein paar Sekunden.

Omar Abdalla: Viele folgen zum Beispiel Trump, obwohl es ja nur Schwachsinn ist.

Areg Barseghian: Ich glaube, dass wir sehr schnell in ein rabbit hole reinfallen, wenn wir weiter darüber sprechen. Man muss die Dinge, die viel zu viel sind, eher wegschieben und versuchen, die kleinen Dinge wertzuschätzen.

Markus Schwarz: Mit Tik Tok und Musik ist es ja auch so eine Sache: Man braucht inzwischen eine Hook, die maximal fünfzehn Sekunden lang dauert, damit es dem Algorithmus passt. Das macht etwas mit dem Sound. Da kommen dann schon Gedanken, wie: Geht es schnell genug zum Refrain? Wir mussten uns deshalb auch immer wieder sagen, dass wir nach solchen Kriterien nicht unsere Songs schreiben wollen. 

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Bei eurem Song A bit in love geht es ja um die Liebe zu sich selbst. Kann Selbstliebe dabei helfen, mit dieser TiktTok-Zerstückelung besser klarzukommen?

Markus Schwarz: Man muss mit sich selbst auskommen, das haben wir in der Corona-Zeit gelernt. Zu dem Song hat Alex aber den Text fast alleine geschrieben.

Alex Kriz: Das war aber genau der Denkanstoß. Dieses “einfach damit klarkommen”, wie man ist. Ich habe das schon auch bei mir bemerkt. Ich lenke mich mit vielen Terminen und Socializen auch von mir selbst ab. Durch die Lockdowns waren wir dem Alleinsein ausgesetzt. Der Song klingt wie ein Love-Song, ist aber ein Selbstliebe-Song. Man muss zuerst sich selbst lieben, bevor man andere lieben kann!

Das stand immerhin schon in der Bibel!

Omar Abdalla: Zu viel Selbstliebe ist natürlich auch katastrophal. Das ständige Proklamieren von “Self-love” auf Instagram sehe ich  genauso problematisch!

Areg Barseghian: Mit Selbstliebe meinen wir, dass wir uns selbst mindestens so viel respektieren, dass wir uns nicht wehtun.

Omar Abdalla: Meine Interpretation dieses Gefühls wäre auch Zufriedenheit.

Markus Schwarz: Das andere sind Produkte, die unter dem Wort „Selbstiebe“ verkauft werden.

Der Kapitalismus schluckt alles.

Areg Barseghian: Sobald du jemandem anderen mit deiner Selbstliebe schadest, ist es keine Selbstliebe mehr.

Der Sound zwischen Synths und Autotune löst bei mir Nostalgie über eine Zeit aus, die ich nie erlebt habe. Könnt ihr euch das erklären?

Alex Kriz: Lustig, dass du das sagst! Wir haben vor ein paar Jahren fast alle Stranger Things gesüchtelt. Allein der Titeltrack: Das ist hängengeblieben! Zu der Zeit haben wir immer mehr Synth-Sounds in die Songs eingebaut. Ich weiß nicht, wie bewusst das war, aber dieser 80s-Vibe stammt auch aus einer Zeit, die vor uns war.

Oma Abdalla: Also für mich sind das in Avenues eher die 90s.

Markus Schwarz: Wie du siehst: Wir wissen es ja selber nicht einmal!

Omar Abdalla: Ich glaub jeder von uns könnte dir eine völlig unterschiedliche Perspektive über unseren Sound geben.

Markus Schwarz: Wir haben ja auch einfach gejammt. Beim gemeinsamen Spielen kommt etwas heraus – dazu kommt natürlich, dass wir alle Musik hören, die älter ist. 

„ES DARF NICHT EINFACH EIN REZEPT GUT NACHGEKOCHT SEIN.”

Wie entsteht bei euch ein Song?

Omar Abdalla: Wir haben uns geeinigt, dass jede Line, die geschrieben wird, durch vier Filter gehen muss. Jeder muss also zu jeder Line zustimmen. Seien das Vocals, Gitarre oder Synth. Dadurch dauert natürlich alles ein bisschen länger. Es kommt aber nie vor, dass einer von uns mit einem fertigen Song zum Proberaum kommt!

Markus Schwarz: Dadurch, dass wir zum Teil wirklich unterschiedliche Musik hören, geben wir uns nur zufrieden, wenn wir es alle cool finden. Das ist unsere Qualitätssicherung! Es darf nicht einfach ein Rezept gut nachgekocht sein. 

Omar Abdalla: Avenues ist ein Testimonial für unsere Einführung von Synth-Sounds als tragendes Element im Sound. Ich glaube im Unterschied zur EP oder zum ersten Album, haben Markus und ich eher ein bisschen ein Soul-HipHop-Gefühl eingebracht, beziehungsweise ein Disko-Element.

Markus Schwarz: Und dann kommen ein bisschen die dreckigen Gitarrensounds dazu.

Areg Barseghian: Ganz ohne Dreck geht’s halt auch nicht!

Bild Siamese Elephants
Siamese Elephants (c) Igor Dordevic

Omar Abdalla: Das muss man Areg auch wirklich anrechnen: Er spielt sehr gerne dreckig, nimmt sich oft aber extrem kreativ zurück, sodass es dem Song dient!

Areg Barseghian: Ich bin an dem ganzen Ding wirklich sehr gewachsen, speziell seit Omar dabei ist. Wir pushen uns in Richtungen, die wir alleine nie gehen würden. In meiner Pubertät habe ich System of A Down und Billy Talent gehört. Der Gitarrist von Billy Talent, Ian D’Sa, war mein absolutes Vorbild. Wenn ich dann bei Siamese Elephants in einen Song ein weiches Riff mit Chorus-Effekt lege, ist das nicht dasselbe.

Markus Schwarz: Wenn man das weiß, hört man es aber bei deinem Spiel heraus!

Areg Barseghian: Das fand ich faszinierend bei Ian von Billy Talent: Er war der einzige Gitarrist der Band und musste ständig die Lead-Lines mit den Rhythm-Lines verknüpfen. Das war einfach Top-Notch. Deswegen war er mein Vorbild.

Alex Kriz: Ein bisschen underrated ist das schon.

Habt ihr einen musikalischen holy grail,  an dem ihr euch alle festhaltet?

Omar Abdalla: Ein Begriff, den wir letztens gefunden haben, als wir darüber geredet haben, war: Contemporary Indie Music. Das nimmt diesen alten Aspekt von “Indie” mit, channelt ihn aber offen in die Zukunft.

Alex Kriz: Früher haben wir Indie Rock gemacht. Aber seit ich mir die Synths gekauft habe, machen wir Indie Pop! Ein Ansatz für uns waren ja oft die Parcels – weil sie so perfekt sind!

Areg Barseghian: Zumindest ihre tightness !

Markus Schwarz: Die wären ein holy grail im Sinne einer attitude. Instrumental einfach cool aber kein show-off.

Omar Abdalla: It’s nice, it’s humble, it’s simply wholesome.

Das nehme ich als abschließende Worte!

Alle: Wir danken dir für das Gespräch!

Ania Gleich

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