Die JAZZWERKSTATT WIEN veranstaltet heuer zum ersten Mal ein mit „Plus Size“ betiteltes Festival, das am 15. September in die erste Runde ging. Noch bis 24. September erstrecken sich über elf verschiedene Orte 25 Acts, deren Instrumentarien von einer 31-Ton-E-Gitarre über Röhrenfernseher, Linux-Code, Pocketkamera und Turntables bis hin zu Drehleier, Zither, Theremin und Ausdruckstanz reichen. Ebenfalls neu ist der zehnstündige FESTIVAL NORDIC WALK, welcher am Samstag, dem 24. September beschritten werden kann. Um 14:00 Uhr startet der erste von acht Acts. Auf dem Walk liegen fünf Stationen, eine davon im Wettcafé in Margareten, wo Leo Riegler seine Ein-Mann-Oper uraufführen wird.
CLEMENS SALESNY ist einer der vielen Initiatoren der JAZZWERKSTATT WIEN, die es sich seit 2004 zur Aufgabe gemacht haben, den Begriff des Jazz unermüdlich auszuweiten. Der Saxofonist und Klarinettist SALESNY teilt mit dem Kollektiv nicht nur Bühne und Idee, sondern auch den Posten des Kurators. Im Gespräch mit Julia Philomena sprach der Musiker über das neue Festival-Format, die Spannung als Motiv und die Offenheit als Prämisse.
Welchen Anlass gab es für die Umformatierung des Festivals zu einer Plus–Size–Veranstaltung und die Idee des Nordic Walks?
Clemens Salesny: Wir waren kollektiv der Meinung, dass ein großes Festival wahrscheinlich besser funktionieren wird als unsere üblichen drei kleinen. Der Nordic Walk ist zum Beispiel ein ganz neuer Versuch, angelehnt an unsere Strudlhofstiegen-Events, die auch als Open Airs stattgefunden haben. Ob unsere Idee der Musik-Stationen aufgeht, werden wir sehen, ich bin gespannt, ob das Publikum mitmacht.
Wirtschaftlich macht die Neuformatierung allerdings wenig Unterschied, Geld haben wir ähnlich viel ausgegeben wie bisher. Der finanzielle Aspekt war kein Thema und auch nicht die Sorge, dass das Altbewährte nicht mehr funktionieren könnte. Aber Veränderung ist wichtig und etwas Neues bekommt mehr Aufmerksamkeit. Das kommt uns, aber vor allem den Musikerinnen und Musikern zugute.
Sie haben gemeinsam mit Clemens Wenger, Bernd Satzinger, Peter Rom, Daniel Riegler, Manuel Mayr und Leo Riegler, also dem vollständigen JazzWerkstatt-Ensemble, kuratiert. Wie funktioniert die Programmierung in so großer Besetzung?
Clemens Salesny: Wir haben das bei diesem Festival ähnlich gehandhabt wie bei anderen JazzWerkstatt-Veranstaltungen. Jeder hat Vorschläge, Wünsche und ein Mitspracherecht. Außerdem haben wir diesmal wieder einen Aufruf an junge Musikerinnen und Musiker gestartet, sich eigenständig bei uns zu melden, weshalb schon aufgrund dessen ein vielfältiges Line-up gesichert war. Wien Diesel und Tony Renaissance haben sich zum Beispiel heuer zum ersten Mal bei uns gerührt und sind beide im Programm.
Das Line-up führt recht unterschiedliche Acts zusammen, wie beispielsweise JSBL und Max Nagl, das Schallfeld Ensemble und Monophobe & Karma Art. Nach welchen Kriterien wurden sie zusammengestellt?
Clemens Salesny: Das musikalische Spektrum so groß wie möglich zu gestalten, liegt in den Wurzeln der JazzWerkstatt. Schon bei der Gründung unseres Kollektivs haben wir darauf geachtet, dass nicht jeder aus der gleichen Ecke kommt. Die Abwechslung ist wichtig, weil sie durch neue Kontexte einen spannenden Dialog auslöst. Mich hat Karoline Preuschl von Wien Diesel beispielsweise gefragt, ob ich nicht mit dem Saxofon in ihr Set einsteigen möchte, und wir werden das auch sicher nicht proben, weil die Improvisation für diese Verschmelzung wahrscheinlich von Vorteil sein wird. Oft ist das Erste das Beste. Einhören werde ich mich schon in die Musik, aber das muss reichen. Der Freitag wird generell eine gute Mischung, weil ich nach den Modular-Synthesizern von Wien Diesel selbst ein Konzert spielen werde, und danach kommt das Max–Nagl-Trio, das auf unserer Bühne Premiere feiern wird und u. a. Stücke von Anthony Braxton interpretiert. Eine gewagte Kombination – aber so wollen wir das!
„Subversiv gefällt uns immer”
Welche Rolle spielt der klassische Jazz beim Festival bzw. generell für die JazzWerkstatt?
Clemens Salesny: Mittlerweile stellen wir unseren Namen zwar nicht mehr infrage, aber noch vor einigen Jahren hat es die Diskussion gegeben, ob oder inwiefern wir tatsächlich mit dem Jazz in Verbindung stehen und der Name passend ist. Aber ab den 60er-Jahren war eigentlich alles möglich im Jazz, die Abläufe haben sich verändert, die Struktur und daher auch ein bisschen das Genre. Als Fundament, als Ausgangsposition war er für viele von uns sehr wichtig, deswegen stimmt der bunte Stempel nach wie vor.
Relativ bunt sind ebenfalls die Locations, denn es gibt elf Veranstaltungsorte, darunter das Porgy & Bess, das Blue Tomato und das Künstlerhaus. Wie wurde ausgewählt?
Clemens Salesny: Mit einigen Veranstaltungsorten, wie dem Porgy & Bess und dem Blue Tomato, verbindet uns eine langjährige Zusammenarbeit. Die sind also auf der Hand gelegen. Für den Nordic Walk war die Überlegung aber vor allem eine geografische. Da sind wir zum Teil ganz pragmatisch vorgegangen, weil die Reise-Route machbar sein muss und zusätzlich interessant. Zum Beispiel ist die Ein-Mann-Oper im Wettcafé in der Schönbrunnerstraße 6 ein Experiment. Da waren wir uns am Anfang nicht sicher, wie und ob das gehen kann, aber mittlerweile freuen wir uns darauf!
Nimmt sich die JazzWerkstatt – in diesem Fall Leo Riegler – die programmatische Narrenfreiheit, sich vor nichts zu verschließen?
Clemens Salesny: Wir machen auf jeden Fall, was wir wollen! Zwar ist eine politische Metaebene innerhalb des Kollektivs nicht abgesprochen, aber man kann sie sicher als solche verstehen. Subversiv gefällt uns immer [lacht].
„(…) aber der Unabhängigkeit bleiben wir treu.”
Die Jazzwerkstatt Graz wurde 2005 gegründet und etablierte 2007 – nach dem Wiener Vorbild – ebenfalls ein Festival für die junge Musikszene im Jazz-Bereich. Gibt es eine obligatorische Zusammenarbeit oder auch hier den Zustand der lustvollen Gesetzlosigkeit?
Clemens Salesny: Es gibt immer wieder Kollaborationen, aber im Zuge des Festivals gab es keine. Wir wollten uns immer vor allem, was fix ist, fernhalten, weil es unsere Freiheit einschränkt und die Programmierung erschwert beziehungsweise die Qualität schwächt, weil trotz ähnlichem Genre nicht jeder Act in ein Line-up passt. Zwang ist nie gut! Wir sind sehr freundschaftlich verbunden, wollten unser Kollektiv auch nie patentieren lassen, aber der Unabhängigkeit bleiben wir treu.
Welche Position möchte das Festival sowohl in einem nationalen als auch in einem internationalen Kontext einnehmen?
Clemens Salesny: Unsere Position mussten wir zum Glück seit der Gründung nicht überdenken, weil wir mit dem Kollektiv und den Festivals immer gut gefahren sind. Als Leitfaden schwebt immer die besagte Offenheit über uns und deswegen sind wir auch bereit, uns mit jüngeren Veranstaltungen wie dem UNSAFE+SOUNDS FESTIVAL abzusprechen und so weit wie möglich zu koordinieren. Das Black Cage Orchestra beispielsweise spielt für uns beide, weshalb Zusammenhalt und Respekt sehr wichtig sind.
Wie ist Ihre Erwartung im Hinblick auf die kommenden Festival-Tage?
Clemens Salesny: Ich glaube, dass alles sehr gut funktionieren wird, beim Nordic Walk wird man sehen [lacht]. Der optimale Verlauf wäre, dass sich zeitlich alles gut ausgeht, was für alle Beteiligten sicher die größte Herausforderung ist. Dass aber über zehn Stunden hinweg niemand den Walk verlassen wird, ist wahrscheinlich unrealistisch [lacht]. Es kommt, wie es kommt!
Vielen Dank für das Gespräch.
Julia Philomena
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