„Wir haben uns einfach über die Jahre ein Vokabular erarbeitet, das uns jetzt aus dem Vollen schöpfen lässt […]“ – KREISKY im mica-Interview

Man könnte kurz meinen, der Wiener Noise-Rock-Vierer KREISKY sei mit seinem sechsten Album „Atlantis“ (Wohnzimmer Records) doch auch einmal ein wenig erwachsen geworden. Aber hört man sich durch die neuen Songs von FRANZ ADRIAN WENZL und seiner Band wird klar, dass dem doch nicht so ist. Zumindest nicht ganz. Klar wird immer gegrantelt, klar geht es noch ordentlich ruppig zu, aber nicht mehr nur ausschließlich. Frontmann FRANZ ADRIAN WENZL und Schlagzeuger KLAUS MITTER im Interview mit Michael Ternai über ihre verschiedenen Arbeitsmethoden, den Wunsch der Band, dieses Mal intensiv an den Songs zu arbeiten, und die vielen Interpretationsmöglichkeiten ihrer Texte.

Zunächst einmal, wie geht es euch in der permanenten Lockdown-Phase? Wie geht ihr mit dieser um?

Franz Adrian Wenzl: Ich will das ganze Corona-Thema jetzt eigentlich nur kurz abhacken. Man kann sagen, dass es uns als Band verhältnismäßig gut geht. Natürlich haben wir in dieser Zeit auch unsere Schwierigkeiten. Wir haben jetzt ein neues Album und am Veröffentlichungstag haben die Geschäfte zu. Das ist nicht gerade ideal. Es ist das schon eine sehr spezielle Situation.

Klaus Mitter: Ich glaube, es läuft darauf hinaus, dass es eh allen Künstlerinnen und Künstlern gleich geht. Das, was einem wichtig ist, was Spaß macht, was einem das Geld bringt und für das man brennt, das alles kann man einfach nicht machen. Nicht einmal auf einer kleinen Skala. Und das ist natürlich alles andere als gut.  Es fehlt einfach etwas. Es ist im Moment insgesamt ein Schmarrn und es bleibt uns nichts anderes übrig, als die ganze Sache auszusitzen. Wir haben den Release des Albums ja auch schon um ein halbes Jahr verschoben. Ursprünglich sollte es ja bereits Anfang des letzten Sommers erscheinen. Und auch eine Tour mussten wir absagen. Aber jetzt wollten wir einfach nicht mehr zuwarten und das Album rausbringen. Trotz der weiterhin widrigen Umstände.  Wir haben ja schon genug neue Ideen und es gibt auch sonst einiges zu tun. Irgendwann muss man Corona einfach einmal ein Stückl weit in die Ecke schieben und weitermachen. Wobei man schon auch sagen muss, dass wir als alte Hasen uns mit der Situation ein bissl leichter tun, weil wir doch schon etabliert sind. Für jemanden, der gerade sein Debüt herausbringt, ist es im Moment wahrscheinlich sehr, sehr schwer.

Franz Adrian Wenzl: Man kann es vielleicht aber auch so sehen. Allzu viele Kunstformen sind im Moment nicht möglich. Was möglich ist, ist ein Album zu veröffentlichen. Und das können die Leute dann genießen.

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„Wenn wir immer exakt gleich arbeiten würden, wäre der Output vermutlich auch immer sehr ähnlich.“

Ihr habt in einem Interview zu eurem letzten Album „Blitz“ gesagt, dass dieses quasi euer Popalbum wäre. Kurze Lieder, für eure Verhältnisse relativ geradlinig. Das ist auf „Atlantis“ jetzt dann doch schon wieder anders. Es gibt Lieder, die auch schon mal 6 Minuten dauern dürfen. Und auch sonst brecht ihr quasi durchgehend aus dem klassischen Popformat aus. Das Album wirkt generell viel mehr ausgearbeitet als das vorangegangene.

Franz Adrian Wenzl: Ich finde, das ist eine korrekte Beobachtung. „Blitz“ war für das, was es ist, super. Uns war damals einfach danach, eher einfache Lieder zu schreiben und sie schnell fertig zu machen. Wir wollten bewusst nicht so lange an ihnen herumwerkeln und relativ schnell zu einem Ergebnis kommen. Bevor wir mit den Arbeiten an dem neuen Album begonnen haben, ist der Wunsch nach Arrangements wieder zurückgekehrt. Und dieser Wunsch hat sich dann auch im Songwriting, während der Studioarbeit und schließlich auf dem Album niedergeschlagen.

Klaus Mitter: Ein Grund, warum die beiden Alben so verschieden sind, hat auch damit zu tun, dass wir im Laufe der Zeit versucht haben, unterschiedliche Arbeitsprozesse auszuarbeiten. Es kommt einfach etwas anderes raus, wenn man sich sagt, wir gehen jetzt eine Woche ins Studio schreiben dort Songs und nehmen die auf, oder wenn man sich Zeit fürs Songwriting nimmt und erst zu einem späteren Zeitpunkt aufnimmt. Das heißt jetzt nicht, dass das eine besser ist als das andere, aber es kommt halt ein anderes Ergebnis raus. Wenn wir immer exakt gleich arbeiten würden, wäre der Output vermutlich auch immer sehr ähnlich.

Franz Adrian Wenzl: Ich glaube, dass wir aus den verschiedenen Arbeitsweisen das Optimum herausgeholt haben. Früher war es oft so, dass wir die Songs für die Bühne geschrieben haben und dann versucht haben, diesen ruppigen Sound auch im Studio hinzubekommen. Dieses Mal haben wir uns gut vorbereitet. Viele Sachen waren eigentlich fertig, bevor wir ins Studio gingen, andere waren eher rudimentär vorhanden, die dann noch fertig gemacht werden mussten. Dadurch ist, glaube ich, auch noch etwas Spontaneität hineingekommen.

Man hört auch heraus, dass ihr euch Zeit genommen habt. Das Album klingt insgesamt sehr abwechslungsreich. 

Klaus Mitter: Es gibt auf dem Album wirklich keine Songs, die in die gleiche Richtung gehen, weder im Sound noch inhaltlich. Wie wir zu schreiben begonnen haben, hatten wir auch keinen Gesamtsound eines Albums im Kopf. Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir die Songs in eine bestimmte Richtung verbiegen müssten. Wir sind dieses Mal in jeden Song einfach soweit reingegangen, wie wir es wollten, und haben uns die Zeit genommen, das Besondere und Wichtige herauszuarbeiten. Wir haben uns so von Song zu Song gehantelt und uns wenig darum gekümmert, wie das Album am Ende als Ganzes klingen würde. Aus den fertigen Songs haben wir dann das Album zusammengebaut. Ein Überthema gibt es – mit dieser Rückschau und den Idealen und was von denen noch übrig ist – schon, aber es war uns wichtig, dass die Songs alle für sich stehen. Und ich denke, dass dies bei diesem Album prächtiger als je zuvor der Fall ist. 

Kann man so weit gehen und sagen, dass „Atlantis“ ein Art Zusammenfassung dessen ist, was ihr bisher gemacht habt? 

Franz Adrian Wenzl: Ich würde jetzt nicht sagen, dass „Atlantis“ eine Zusammenfassung ist, weil wir in der Vergangenheit auch schon Sachen gemacht haben, die schlüssig waren. Die Platte „Meine Schuld“ zum Beispiel. Wir haben uns einfach über die Jahre ein Vokabular erarbeitet, das uns jetzt aus dem Vollen schöpfen und damit immer auch andere Akzente setzen lässt. 

Bild Kreisky
Kreisky (c) Ingo Pertramer

Klaus Mitter: Wenn man Bandbiographien so liest, sind bei den meisten die ersten beiden Alben wichtig, unter anderem auch deswegen, weil man da seinen eigenen Sound entwickelt. Diese Phase liegt schon lange hinter uns. Es kommt vielleicht vor, dass wir da und dort mal Elemente aus dieser Phase aufgreifen, aber generell haben wir jetzt die Zeit, uns woandershin zu fokussieren und dort nachzuschärfen. Dieses Frühere ist vielleicht schon noch da, aber es ist nicht obligat. Wir sind keine Genreband, die einen bestimmten Song liefern muss, sondern haben die Möglichkeit, zu variieren und uns auch einmal treiben zu lassen.

„Sind wir eine Indierockband? Oder eine Classicrock-Band? Eine Zuschreibung ist eigentlich egal. Wir sind einfach Kreisky.“

Kreisky gibt es mittlerweile ja 15 Jahre. Ist der Zugang zu einem Album der gleiche wie in der Anfangszeit? 

Franz Adrian Wenzl: Da sehe ich eigentlich kaum einen Unterschied zu früher.

Klaus Mitter: Es fühlt sich nicht anders an, aber ich glaube schon, dass es anders ist. (lacht) 

Franz Adrian Wenzl: Wahrscheinlich ja. Alleine von unseren Biographien her. Damals waren wir Studenten, die im studentischen Leben verhaftet waren, jetzt sind wir alle Familienväter. Und da geht man natürlich lebenspraktisch anders an die Sachen heran. Aber ich denke, dass wir jetzt einen vollen Werkzeugkoffer haben, der uns erlaubt, dass zu tun, was wir wollen. Das war zu Beginn noch nicht so, es hat Sachen gegeben, die einfach nicht geklappt haben, weil wir sie nicht konnten. Ich weiß jetzt, was ich beim Singen kann und was nicht, wo ich mir vielleicht etwas anderes überlegen muss. 

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Klaus Mitter: Wir wollten am Anfang eine Band machen, die sehr rau und direkt ist. Wir haben uns als Liveband definiert und versucht, unseren ruppigen und lauten Livesound auf ein Album zu übertragen. Das hat sich mit der Zeit geändert. Bei dem Album haben wir uns bewusst gesagt, dass wir uns in keinster Weise limitieren und uns auch nicht daran orientieren wollen, wie wir die Songs live spielen. Das war überhaupt kein Thema. Diese Arbeitsweise, die sich bei uns entwickelt hat, finde ich, beeinflusst den Output unserer Alben massiv. Sie eröffnet uns einfach die Möglichkeit, uns musikalisch immer woanders hin zu bewegen, wo wir noch nicht waren. Wer weiß, vielleicht wird unser nächstes Album aus fünfzehn Zweiminütern bestehen.

Franz Adrian Wenzl: Das kann ich mir gut vorstellen. Auf jeden Fall sind wir eine fertige Band und wir brauchen uns jetzt auch nicht mehr irgendwo positionieren. Sind wir eine Indierockband? Oder eine Classicrock-Band? Eine Zuschreibung ist eigentlich egal. Wir sind einfach Kreisky. 

Inwieweit kann man sagen, dass „Atlantis“ ein für eure Verhältnisse erwachsenes Album ist? Speziell auch wegen des Überthemas des Albums.

Klaus Mitter: Das ist eine interessante Frage. Ich finde eigentlich, dass alle unsere Alben irgendwie erwachsen waren. Auch schon unser Debüt. Vielleicht ist das daran gelegen, dass wir eigentlich auch keine Jugendlichen mehr waren, als dieses entstanden ist, sondern wir Mitte zwanzig waren. Wenn man so will, kann man vielleicht sagen, dass die ersten Alben jungerwachsen waren. Ich glaube aber auch, dass dieses Ruppige und der uns oft zugeschriebene Grant jetzt auch nicht notwendigerweise an ein Alter gebunden sind. Aber das ist schon richtig, ein Album wie „Atlantis“ hätten wir vor ein paar Jahren noch sicher nicht gemacht. Da waren uns andere Sachen noch wichtiger.

Franz Adrian Wenzl: Ich glaube, dass dieses Erwachsenwerden bei uns eigentlich schon vorher stattgefunden hat, weil wir uns schon früh Gedanken darüber gemacht haben, wie und wo wir uns positionieren wollen. Es ist uns aber relativ schnell gelungen, unseren Platz in der Musikszene zu finden.
Wut war sicher oft Thema in unseren Songs, aber nicht deswegen, weil ich so wütend war, sondern weil es unsere Musik einfach bedingt hat. Wir wollten eine Rockband machen und unsere Musik ist auch sehr laut geworden, weil Klaus am Schlagzeug und Gregor am Bass sehr laut und Martin seine Gitarre sehr spitz gespielt haben. Das hat eine bestimmte Art des Singens bedingt. Und das wiederum eine gewisse Richtung von Texten.

Cover Atlantis
Cover “Atlantis”

Klaus Mitter: Das Leise und Resignative war ja vom ersten Album weg als Gegensatz zum Lauten und Polternden immer irgendwie vorhanden. Und man darf auch nicht unterschätzen, wie wir begonnen haben war, war für uns die Distinktion schon wahnsinnig wichtig, weil wir gewusst haben, dass Franz ausschließlich deutsche Texte schreibt und auf Deutsch singt. Und uns war klar, dass wir etwas Eigenes daraus machen wollten. Als wir damals den Begriff „Deutschrock“ gehört haben, ist bei uns alles eingeschlafen. Unsere Referenzen waren amerikanisch und britisch. Das Aktuelle aus Deutschland hat uns damals wahnsinnig genervt. Die Großtaten der Hamburger Schule der 1990er Jahre waren lange vorbei und bei uns in Österreich fand eigentlich nur noch die Kopie der Kopie statt. Das war schlaffer Indierock, musikalisch wie auch textlich. Wir wollten diesem etwas entgegenstellen. Das war dieser Grundausgangspunkt. Und dann ist alles so dominoartig passiert. Wir haben die Musik zugespitzt und auch die Texte und dann war in kurzer Zeit unser Sound da.

„(…) es geht tatsächlich darum, was Menschen machen.“

Ihr habt euch ja nie als politische Band bezeichnet. Aber dennoch, in den Texten werft ihr – wie auch in den Songs auf „Atlantis“ – immer einen Blick auch auf das Verhalten von Menschen. Und dieser Blick lässt sich nicht selten auch als ein (gesellschafts-)kritischer interpretieren. 

Franz Adrian Wenzl: Ich finde es angenehm, dass du nicht politisch oder gesellschaftspolitisch sagst, sondern den Blick auf das Verhalten von Menschen hervorhebst. Ich habe es selber noch gar nicht so formuliert, aber es ist tatsächlich das, worum es geht.  Und vielleicht lassen sich die Texte auch gesellschaftspolitisch deuten. Aber es geht tatsächlich darum, was Menschen machen. Die meisten unserer Lieder sind ja Short-Stories, kleine Ausschnitte aus Geschichten von Menschen. Und nicht wirklich mehr. 

Klaus Mitter: Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass Franz in seinen Texten die Dinge nie klar benennt, dass jeder für sich seine Geschichten immer anders interpretieren kann. Die Texte sind einfach sehr durchlässig für Interpretationen. Und das verstärkt sich auch in so einer monothematischen Zeit wie jetzt, in der Corona und Politik ein so großes Thema sind und man eigentlich kaum anders kann, als sie aus dieser Perspektive heraus zu interpretieren. Es hat sich das Sensorium der Leute einfach verändert. Ich glaube, wenn man dann die Texte liest, die über Menschen handeln, die etwas Bestimmtes tun oder etwas falsch machen, kann man schnell glauben, dass wir etwas damit aussagen wollen, was aber nicht der Fall ist.

Wie sehen eure Pläne für die nächsten Monate aus?

Franz Adrian Wenzl: Die neuen Lieder einmal richtig proben. Irgendwann sollte es ja möglich sein, wieder Konzerte bzw. eine Tour zu spielen und da sollten die Songs dann auch sitzen. Wir haben eigentlich genug zu tun. Unter anderem sind wir gerade dabei, einen Song für einen Film-Soundtrack aufzunehmen. 

Klaus Mitter: Es ist jetzt einmal eine Tour für März geplant. Mal schauen, ob das möglich sein wird und das Ganze nicht doch noch weiter nach hinten in den April verschoben werden muss. Wir haben gewusst, dass wenn wir das Album jetzt im Winter veröffentlichen, es ein klassisches Konzert mit Stehpublikum, wie etwa im WUK, länger nicht spielen wird. Daher haben wir uns entschieden, in Sitzlocations, wie etwa in den Rabenhof in Wien, zu spielen, weil wir es nicht sonderlich reizvoll finden, in Clubs, in die man einfach vierzig Sessel reinstellt, aufzutreten. Für Sommer sind dann auch noch ein paar Open-Air-Konzerte geplant. Generell werden wir wie alle anderen irgendwie auch durch dieses Jahr irgendwie durchschlingern, bis wieder etwas geht. 

Herzlichen Dank für das Interview! 

Michael Ternai

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