„Wir haben sämtliche Energien und Ressourcen in das Album reingeschossen und absolut keine Ahnung gehabt, was als Nächstes kommt“ – NAKED CAMEO im mica-Interview

2018 gaben NAKED CAMEO ein Debüt, von dem jede andere österreichische Band vermutlich nächtelang geträumt hat. Fünf Jahre später sind sie zurück – mit neuem Sound, neuer Formation und einem Album, das daran erinnert, warum diese Band vor wenigen Jahren in Österreich auf Platz 1 der Spotify Charts gelandet war. „Trespassing By“ heißt das neue Album, es gilt die Faustregel ‚Je cuter der Text, desto schlimmer der Song‘. Katharina Reiffenstuhl traf Sänger und Gitarrist Lukas Maletzky und Keyboarderin Maria Solberger zum Interview.

Ihr habt die Arena Wien dieses Jahr ausverkauft. Was ist das für ein Gefühl?

Lukas Maletzky: Schön.

Maria Solberger: Sehr. Und seit zwei Stunden wissen wir, dass Berlin ausverkauft ist. 

Vor Corona habt ihr schon auf großen Festivals gespielt, dann war erstmal Pause. Muss man sich da dann den Weg zurück hinaufarbeiten?

Maria Solberger: In unserem Fall definitv.

Lukas Maletzky: Wobei ich das Gefühl hatte, es hat sich ein bisschen von selbst erledigt. Irgendwas war da in der Luft. 2020 sind die Hörerzahlen sehr niedergegangen, irgendwann ist es wieder gestiegen – da war es plötzlich das Sechsfache. Jetzt sind wir wieder mehr präsent und machen wieder viel Musik, das macht sicher was aus.

Was habt ihr gemacht während der Pandemie?

Lukas Maletzky: Musik. Ein Solo-Mixtape. Und wenn wir es geschafft haben, dass wir zusammenkommen, dann haben wir es gemacht.

Maria Solberger: Es war für uns als Band während Corona schon schwierig, weil wir nicht so gut funktionieren, wenn wir an unterschiedlichen Orten sind und jeder bei sich daheim war. Das war extrem hart. Wir haben es eine Woche lang probiert, uns Projekte zuzuschicken. Dann war’s das. Deswegen war das erste Treffen nach Corona – das war bei meinen Eltern daheim – so super. Wir waren alle so happy. Da ist dann gleich mal “Dead Weight” an einem Abend entstanden. Das war einfach wie, als hätte eine neue Ära begonnen. Corona war schon ein bisschen ein Tiefpunkt, so bandmäßig.

Maria, du wohnst jetzt in Berlin. Das heißt, du musst immer wieder nach Wien kommen, weil das eben über die Distanz nicht funktioniert?

Maria Solberger: Genau.

Lukas Maletzky: Wobei man sagen muss, das letzte Monat haben wir eigentlich alle in Berlin verbracht. Die letzten 1000 Meter vom Album haben wir dort gemacht.

Maria Solberger: Wir waren das ganze Album über an ganz vielen unterschiedlichen Orten. Es gibt so viele Songs, die an mehreren Orten aufgenommen wurden. “Up Is Down” sicherlich an fünf verschieden Orten. Da gibt’s auch echt viele verschiedene Versionen davon – nur zwei davon haben es ins Album geschafft. Das war einfach unsere Lebensrealität damals, die ganze Aufnahmephase wird schön im Album widergespiegelt. 

„WENN ICH EIN ALBUM MACHE, DANN MUSS DAS NACH ALBUM KLINGEN.“

Für das zweite Album habt ihr fünf Jahre gebraucht.

Lukas Maletzky: Ja. Die Courage, dass man’s halt macht, hat gefehlt. Und deshalb hat es länger gedauert. Nach dem ersten Album sind ein paar harte Schläge passiert. Es hat Releases gegeben, wir haben ja eine Doppel-EP gemacht, aber nie so kohärent wie ein Album. Da bin ich ein ziemlicher Hardliner – wenn ich ein Album mache, dann muss das nach Album klingen.

Bild Naked Cameo
Naked Cameo (c) Alex Gotter

Also der rote Faden ist euch da wichtig?

Lukas Maletzky: Ja, die Kohärenz ist da alles meiner Meinung nach. Manche sehen das gechillter. Diese Doppel-EP hätte man ja auch als Album verkaufen können, aber das war es einfach nicht. Es war zu verstreut.

Man setzt sich den eigenen Maßstab vermutlich auch hoch, wenn die allererste Single schon so erfolgreich wird, wie eure es war.

Lukas Maletzky: Das war tatsächlich ein Riesenproblem.

Durchaus ein Jammern auf hohem Niveau. 

Lukas Maletzky: Ja absolut. Wir haben damals das Album fertiggemacht und dann wurden wir gefragt: “So, und was macht’s ihr jetzt?”.

Maria Solberger: Und wir so: “Ähhh … kein Plan”

Lukas Maletzky: Wir haben sämtliche Energien und Ressourcen in das Album reingeschossen und absolut keine Ahnung gehabt, was als Nächstes kommt. Jetzt haben wir uns aber wieder hochgerafft.

Ihr habt mittlerweile ein Mitglied weniger – was ändert sich, wenn man zu dritt statt zu viert ist?

Lukas Maletzky: Nix. [lacht]

Maria Solberger: Wir sind ein besseres Team so. Grundsätzlich sind wir noch nie so gut zusammengewachsen, wie seitdem wir begonnen haben, am neuen Album zu arbeiten. 

Lukas Maletzky: Ich habe damals angefangen, Songs zu schreiben. Dann ist Maria eingestiegen und dann haben wir mal zu zweit am ersten Album gearbeitet. Während dem Entstehungsprozess sind dann Menschen dazugekommen und das hat sich dann so geformt. Im Endeffekt ist das ein bisschen eine Feuertaufe gewesen. Irgendwann haben wir dann beschlossen, dass es besser ist, wenn wir im Kern weiterarbeiten. Wir kennen uns, seit wir 14 sind. Deshalb haben wir gesagt, wenn wir eine Einheit sein wollen, dann müssen wir das so machen. 

„JEDER SONG, DEN WIR MACHEN, ARBEITET MIT EINEM KONTRAST.“

Der Sound am neuen Album ist rockiger, schwerer. Hat sich das angestaut über die letzten Jahre?

Lukas Maletzky: Ja, es hat sich in der gesamten Musiklandschaft irgendwas aufgemacht. Wenn wir das Album vor fünf Jahren rausgebracht hätten, dann wäre damit nicht viel passiert. Keiner hätte Bock auf Gitarren gehabt.

Maria Solberger: Wir hätten es damals auch nicht gemacht. 

Lukas Maletzky: Das stimmt. Ich wollte damals den uniquesten Shit machen, der nur aus mir rauskommen kann. Deswegen ist das ziemlich intuitiv entstanden. Ich bin ein Gitarrist und früher haben wir das einfach besser maskiert. Jetzt habe ich mir gedacht “Scheiß drauf, das mach’ ma”.

Maria Solberger: Jetzt sind viele Songs im Ursprung wirklich als Band gemeinsam im Proberaum entstanden. Da haben wir zu dritt gejammt oder irgendjemand von uns ein Instrument gespielt hat und daraus ist dann ein Song entstanden. Beim ersten Album war es umgekehrt, da war ein Text fertig und dann ist erst die Musik dazugekommen. 

Lukas Maletzky: Es gibt jetzt auch wieder freshe Einflüsse, finde ich. Vor zehn Jahren hat sich keiner für sowas interessiert, deswegen hat es auch keiner gemacht. In letzter Zeit habe ich viel STEVE LACY oder OMAR APOLLO gehört, da bekommt man frische Inspiration.

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Shangri La steht für einen paradiesischen Ort. Euer Song hört sich ehrlicherweise nicht allzu paradiesisch an.

Lukas Maletzky: Der Schein trügt. Jeder Song, den wir machen, arbeitet mit einem Kontrast. Je cuter der Text klingt, desto schlimmer ist der Song. Das ist eine Daumenregel. Also bei “Shangri La” ist das genauso: Schöner Titel, schircher Song. Wenn ein Song bei uns gelungen ist, dann kann man mit den ersten zwei Textzeilen den ganzen Song erklären. Das ist die Mission. 

Wo habt ihr das Video zu „Up Is Down“ gedreht?

Maria Solberger: Da waren wir tatsächlich gar nicht dabei. Wir haben uns fotografieren lassen und die haben dann Pappfiguren angefertigt. Dann sind die damit ins Gebirge gezogen. Nachdem bei den Videodrehs davor immer jemand von uns krank geworden ist und wir dadurch alle schon recht kaputt waren, wollten wir ein Video machen, wo wir nicht aktiv dabei sind. Also haben wir uns ein bisschen was zum Video überlegt und der Clemens [Niel; Anm.] ist dann mit den Pappfiguren ins Gebirge gezogen.

Lukas Maletzky: Ins Tote Gebirge ist er gefahren.

Großer Aufwand für ein Video, oder?

Lukas Maletzky: Ja, der Typ ist wahnsinnig.

Maria Solberger: Er hat erzählt, die sind da zwei Stunden hinaufgefahren, mit Kamera, Equipment und unseren 1,70 Meter großen Pappfiguren. Diesmal haben wir auch echt beim kompletten Album jedes Video mit dem Clemens gemacht, und das war irgendwie auch mal wichtig, dass man da visuell einheitlich bleibt. Es ist immer richtig cool geworden.

Also der macht seinen Job gut.

Lukas Maletzky: Ja, der bleibt auf jeden Fall. Ich habe mittlerweile auch schon drei Videos gelöscht, von früher.

Weil ihr euch damit nicht mehr identifizieren könnt?

Lukas Maletzky: Weil es von Anfang an nie geil war. Ich bin schon ein bisschen ein Control-Freak. Nur ein bisschen, ab einem gewissen Punkt weiß ich, wann ich das Maul halten muss. [lacht] Teilweise haben die Regisseure aber ein bisschen zu viel Kontrolle übernommen über den Output, den wir eigentlich gern gehabt hätten. Manche Videos waren dann einfach nichts sagend und ich hatte irgendwann mehr keinen Bock darauf. Nur schöne Bilder, hat ausgeschaut wie eine H&M-Werbung. 

Maria Solberger: Am Ende stehen ja wir dafür.

„WIR KOMMEN AUS DEM DÖRFIGSTEN DORF, DAS JEMALS GEDÖRFT HAT.“

Ihr seid aus Oberösterreich, Maria lebt jetzt in Berlin, du in Wien – wo hat man die größere Fanbase?

Lukas Maletzky: Wien – Berlin, habe ich das Gefühl. Obwohl Linz eigentlich auch, einfach unsere drei Heimatstädte. Wir haben vor zwei Jahren in Linz im Loft und im Posthof gespielt, und das war auch ausverkauft. Es war immer ein guter Vibe. Linz ist halt einfach nicht so groß.

Maria Solberger: Aber es ist die Homebase irgendwie.

Lukas Maletzky: Vielleicht finden wir es jetzt raus auf Tour.

Rein musikalisch ist wahrscheinlich Berlin DIE Szene. 

Lukas Maletzky: Ja. Da läuft unsere Musik auch am meisten.

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Ist das für euch – Lukas und Patrick – eine Option, auch nach Berlin zu ziehen?

Lukas Maletzky: Oh nein. Ein, zwei, höchstens drei Monate Berlin reicht für mich. Berlin ist viel zu stressig. Ich bin jetzt schon ein bisschen mit Stadtverkehr und Lärm und all dem überlastet. Im Endeffekt fange ich jedes Mal fast zu weinen an, wenn ich auf dem Land draußen bin und Bäume sehe. [lacht] Wir kommen aus dem dörfigsten Dorf, das jemals gedörft hat. Da gehst du raus und legst dich einfach in die Wiese.

Ihr kennt euch also seit der Schulzeit?

Lukas Maletzky: Ja. Das hat sich dann alles zusammengefügt.

Aber gibt es die Band schon so lange?

Lukas Maletzky: Nein. Aber wir haben als 16-Jährige schon so eine Band gehabt.

Maria Solberger: PURPLE MOUNTAIN CLIMBERS[lacht]

Lukas Maletzky: Das war ziemlich geil eigentlich. Da habe ich ähnliche Songs geschrieben wie heute. Aber wie so ein weirdes Mischlingskind aus THE DOORS und PIXIES

Bild Naked Cameo
Naked Cameo (c) Leah Valentinah

Maria Solberger: Also das erste Mal zu dritt aufgetreten sind wir am Frauenberger Marktfest mit den PURPLE MOUNTAIN CLIMBERS, das weiß ich noch. 

Lukas Maletzky: Es war cool. Aber dann ist der Patze zu einer anderen Band gegangen, ich habe studiert und bin wie Maria nach Wien gezogen und so hat sich das alles ein bisschen verlaufen. Nachher haben sich unsere Wege wieder gekreuzt.

Würdet ihr sagen, ihr hättet damals schon das Potenzial zu einer Band gehabt, mit der ihr so wie heute Musik veröffentlicht?

Lukas Maletzky: Nein.

Maria Solberger: So weit wären wir noch nicht gewesen.

Lukas Maletzky: Ich glaube, mit 22 kann man sich dann hinstellen und sagen: “So, jetzt machen wir was Richtiges”. Das kann dann auch von vorne bis hinten funktionieren. Aber vorher war es ein bisschen so ein Ausprobieren.

Kleiner Zukunftsausblick: Wo sieht sich NAKED CAMEO in drei, vier Jahren?

Lukas Maletzky: Puh, be careful what you wish for. Aber es wäre schön, mal konstant Tausender-Touren zu spielen.

Maria Solberger: Grundsätzlich wäre es toll, wenn man sagen kann, wir können alle drei davon leben und uns auf dieses Projekt fokussieren. Das wäre für uns alle ein Ziel.

Das heißt, jetzt schreibt ihr neue Songs? Wird es ein neues Album geben, in ungefähr fünf Jahren?

(Beide lachen)

Lukas Maletzky: Nein, diesmal brauchen wir nicht so lange. Ich habe schon wieder zum Schreiben begonnen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es im nächsten Jahr schaffen. Aber ich bin schneller und selbstbewusster beim Songschreiben geworden. Man weiß ja nie, ob das irgendwer dann feiert. Das könnte ja auch massiver Müll sein. Aber wir haben es rausgebracht – und es war kein Müll. 

Ich gratuliere. Danke für das nette Interview!

Katharina Reiffenstuhl

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Live:
16.12. OKH, Vöcklabruck

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