„Wir haben eine gemeinsame Sprache gefunden“ – JUDITH UNTERPERTINGER und KATHARINA WEINHUBER im mica-Interview

Im Auftrag der NEUEN OPER WIEN erarbeitete JUDITH UNTERPERTINGER die Tanzoper „JUDITH/Schnitt_Blende“. Gemeinsam mit der Choreografin KATHARINA WEINHUBER zeichnet die Komponistin auch für die Inszenierung verantwortlich. Welche musikalischen Zitate in ihr Werk einfließen und warum der Schnitt auch für einen Neunanfang steht, erfuhr Ruth Ranacher im Interview anlässlich der bevorstehenden Premiere am 22. Oktober 2015 in der Hofstallung des MUMOK.

Das „Buch Judith“ ist einerseits ein Stück Kulturgeschichte, andererseits es gibt zu Ihrem Werk auch einen sehr persönlichen Zugang über Ihre verstorbene Großmutter. Die erste Fassung „JUDITH“ wurde außerdem im Dom zu Sankt Pölten aufgeführt. Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre unterschiedlichen Zugänge.

Judith Unterpertinger:
In meiner Kindheit hing über meinem Bett ein Klimt-Abzug von Judith und Holofernes. Die Geschichte begleitet mich also von Anfang an. Als meine Großmutter, nach der ich benannt bin, starb, wollte ich ihr eine Komposition widmen. Für „JUDITH“ wollte ich eine ungewöhnliche Besetzung und habe mich für Instrumente der alten Musik – wobei diese mit erweiterten Spieltechniken zum Einsatz kommen – und für eine Sopranistin entschieden. Aus meinem Recherchematerial zu meiner Großmutter Judith, der biblischen Judith-Figur und – als Gegengewicht – einer zeitgenössischen Figur gab ich den beteiligten Musikerinnen Bild- und Textmaterial. Ich bat sie, dazu kurze Fragmente von zehn Sekunden bis zu einer Minute zu improvisieren. Dies diente mir zum Teil als Ausgangspunkt für die Komposition.
Die Geschichte von Judith und Holofernes selbst ist ein Lehrstück. An der biblischen Figur Judith interessierte mich jedoch vor allem, wie sie bildlich dargestellt wird, und stieß dabei auf drei unterschiedliche Typen. Es gibt die von Gott geführte Judith, die den abgeschlagenen Kopf zwar in der Hand hält, aber dabei wegsieht, wie dies Elisabetta Sirani und Fede Galizia darstellen. Dann gibt es eine Judith, dargestellt als Mörderin, die Holofernes während der blutigen Enthauptung anblickt, wie dies Artemisia Gentileschi darstellt. Und dann gibt es noch die Femme fatale bei Klimt.

Katharina Weinhuber: In die Inszenierung fließen der Stolz und die Überheblichkeit dieser biblischen Figur ein Stück weit über die Haltung ein. Beispielsweise haben wir dafür an bestimmten Kopfhaltungen gearbeitet.

Welches Recherchematerial hatten Sie für Ihre Choreografie?

Katharina Weinhuber: Wir haben uns inhaltlich auseinandersetzt. Mein Part dabei war, Themen ins Körperliche umzusetzen.

Judith Unterpertinger:
Katharina hat das Bewegungsmaterial, das wir gemeinsam erforscht hatten, als Ausgangsmaterial genommen, um eine Choreografie für die Tänzerin zu entwickeln. Vieles ist dann neu hinzugekommen. Die Neue Oper Wien interessierte sich für „JUDITH“ in einer Erweiterung. Daraus ergab sich als logische Konsequenz der Wunsch, diese mit möglichst demselben Team zu erarbeiten und ich erweiterte die Besetzung: „JUDITH/Schnitt_Blende“ ist für drei Musikerinnen und Musiker sowie zwei Videos konzipiert und – als große Änderungen – für drei Stimmen und eine live performende Tänzerin.

„,JUDITH/Schnitt_Blende‘ lässt dem Publikum sehr viel Spielraum für Interpretation.“

In der Musikgeschichte kommt das Thema von Judith und Holofernes auch immer wieder vor. Gehen Sie auf bestimmte Motive ein?

Judith Unterpertinger: Ich habe jeder der drei im Stück behandelten Judith-Figuren musikalische Zitate zugeordnet: Bei der biblischen Figur griff ich auf die Judith-Kantate von Élisabeth-Claude Jacquet de La Guerre, die Anfang des 18. Jahrhunderts geschrieben wurde, zurück. In Anlehnung an das Libretto dieser Kantate entwickelte die Librettistin Magdalena Knapp-Menzel auch einen eigenen Text für meine Oper. Für die Figur der Großmutter wählte ich das deutsche Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“. Als Metapher trägt das Lied das Leben des Menschen als Reise in sich, was ich in Hinblick auf die persönliche Geschichte meiner Großmutter spannend fand. Für die zeitgenössische Figur zog ich wiederum zwei Stücke von mir heran: die Komposition „seven contacts …“ aus dem Jahr 2002 und „wall study III“ (2011), eine Komposition, die aus Zeichnungen und Fotografien entstand. Zudem hat Magdalena einen Text, den ich ursprünglich für ein Duo geschrieben hatte, in das Libretto eingearbeitet.

Katharina Weinhuber: Wir haben uns intensiv mit den Figuren und dem Ausgangsmaterial auseinandergesetzt. Die persönliche Geschichte von Judith, also die Beziehung zu ihrer Großmutter und zu ihrer Namenspatronin, bildet den Ausgangspunkt für „JUDITH/Schnitt_Blende“. Trotzdem hat die Inszenierung kaum etwas Narratives. Es werden unterschiedliche Zugänge über die abstrakte Darstellung und die körperliche Interpretation gestaltet.

Judith Unterpertinger: Das ist der große Unterschied zur klassischen Oper. Natürlich entwickeln sich innerhalb der einzelnen Choreografien kleine Geschichten, aber es ist keine narrative Erzählweise, stattdessen wird dem Publikum die Möglichkeit geboten, darin eigene Geschichten zu entdecken. „JUDITH/Schnitt_Blende“ lässt dem Publikum sehr viel Spielraum für Interpretation.

„Insgesamt haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden.“

Sie zeichnen bei „JUDITH/Schnitt_Blende“ beide für die Regie verantwortlich. Wie darf man sich da die Arbeitsaufteilung vorstellen?

Judith Unterpertinger: Arbeitsaufteilung gibt es da nicht, wir führen gemeinsam Regie. Ich schreibe die Musik, Katharina entwickelt die Choreografie. Dann inszenieren wir gemeinsam. Wir haben beide unsere Schwerpunkte, verlassen aber teilweise auch unseren primären Kompetenzbereich.

Katharina Weinhuber: Unsere Arbeitsweise ist ein Dialog. Wir arbeiten schon sehr lange zusammen, wir wissen, was von der Seite der jeweils anderen kommt, sei es seitens der Choreografie oder seitens der Musik. Was das Bewegungsmaterial betrifft, kommen von mir natürlich auch technische Vorschläge an die Tänzerin. Insgesamt haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden.

Ist das Genre „Tanzoper“ passend?

Judith Unterpertinger: Ich hatte überlegt, das Stück als „multimediale Oper“ zu bezeichnen, aber die Oper ist per se multimedial. Oper bedeutet schlichtweg, dass viele Ebenen wie eben Text, Bild, Performance und Musik zusammenfließen. Vielleicht wäre auch „Kammeroper“ passend, weil es eine Komposition für eine kleine Besetzung ist. „Oper“ ist ein altes Wort, mit dem etwas Verstaubtes assoziiert wird. Die Bezeichnung „Tanzoper“ war ein marketingtechnisch kluger Kompromiss.

Katharina Weinhuber: Wir hatten zuvor über die Erwartungshaltungen seitens des Publikums diskutiert. Mit dem Begriff „Tanzoper“ wird angezeigt, dass wir in „JUDITH/Schnitt_Blende“ dem Tanz einen besonderen Schwerpunkt geben und im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Opern kein klassisches Schauspiel erwartet werden darf. Wir beide arbeiten gerne performativ – und das merkt man.

„Das ist Luxus und normalerweise nicht leistbar.“

Worin unterscheidet sich eine Choreografie von einer Partitur? In der Aufführung unterliegt beides der zeitlichen Linearität.

Judith Unterpertinger: Als Komponistin arbeite ich aus der Distanz. Eine Choreografin überlegt sich ein Konzept und erarbeitet dann das Stück mit den Tänzerinnen und Tänzern. Sie ist dadurch viel mehr am Prozess beteiligt, wohingegen Komponieren ein einsames Arbeiten ist. Hier wird das aber punktuell aufgebrochen, da ich etwa während des Kompositionsprozesses bereits eine Tonaufnahme von bereits fertigen Fragmenten mache. Das ist Luxus und normalerweise nicht leistbar. Hier brauchen wir die Aufnahmen, um weiter an der Choreografie und der gesamten Inszenierung arbeiten zu können.

Katharina Weinhuber: Während des Prozesses habe ich viel mehr Einfluss. Meine choreografische Arbeit ist immer auch ein Miteinander mit den Darstellenden. Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit dem Ensemble durch einen intensiven Dialog bestimmt. Beispielsweise schneiden wir das filmische Material gemeinsam mit Catherine Ludwig.

Wofür steht „Schnitt_Blende“?

Katharina Weinhuber: Aus der Außenperspektive steht „Schnitt_Blende“ für drei Frauen, drei Stimmen und schließlich drei Charaktere, mit denen wir unterschiedliche Haltungen zeigen. Jeder Schnitt bietet in der Inszenierung zugleich einen neuen Richtungswechsel. Dadurch wird jeweils ein bestimmter Blickwinkel, eine Tonlage oder eine körperliche Interpretation hervorgehoben.

Judith Unterpertinger:
Für mich war klar, den Namen „Judith“ nochmals im Titel zu führen. Auf der Textebene kommt „Schnitt_Blende“ aus dem Libretto und bezieht sich auf meine Großmutter, die in den letzten Jahren vor ihrem Tod an Alzheimer erkrankt war. Magdalena beschreibt in ihren Texten etwa das Vergessen – viel besser, als ich das jetzt mit Worten vermag. Der Schnitt bedeutet auch Neuanfang; die Blende geht auf und ermöglicht eine neue Sichtweise.

„Jede Stimme steht für eine ‚Judith‘ […]“

Die Besetzung der drei Stimmen lässt auf eine große stimmliche Bandbreite vermuten.

Judith Unterpertinger: Anna Maria Pammer ist klassisch ausgebildete Sängerin – und großartig. Neben ihr wollte ich noch andere Soundqualitäten einbringen, die ich bei Claudia Cervenca sehr schätze. Als dritte holte ich die junge und talentierte Schauspielerin Elisabeth Kanettis hinzu. Jede Stimme steht für eine „Judith“ mit einem dezidierten Schwerpunkt.

Katharina Weinhuber: Performativ gesehen, agieren die drei Stimmen unter anderem auch als Chor. Herausfordernd ist es, in relativ kurzer Probenzeit die Stimmen und den Tanz zu inszenieren, da die Akteurinnen mit dem Video und der Musik in ständigem Dialog stehen.

Gibt es Pläne für künftige Zusammenarbeiten?

Katharina Weinhuber: Unser Performanceduo znit gibt es nach wie vor. Wir machen gerade die „JOSEFA.Suite“ und erarbeiten mit jedem Aufführungsort einen neuen Teil der Suite. Dadurch wird diese beständig erweitert.

Judith Unterpertinger:
Ein wesentlicher Ansatzpunkt für znit ist das Herausgehen aus traditionellen Formen, ein Vertauschen und Verwischen der Kompetenzen. Das heißt: Wir verlassen bewusst unsere Fachbereiche, erweitern sie und stoßen so auch an unsere Grenzen. In diesem Spannungsfeld können Ideen und Themen anders entwickelt werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Ruth Ranacher

Termine:
Judith / Schnitt_Blende
Tanzoper für 3 Stimmen, Fagott, Viola da Gamba, Clavichord, Tanz und Videovon Judith Unterpertinger
Uraufführung
Ort: mumok hofstallung, Museumsplatz 1, 1070 Wien
Premiere: 22. Oktober 2015
weitere Vorstellungen: 24. & 25 Oktober 2015
Beginn jeweils um 20:00 Uhr
Dauer ca. 1 Stunde

Foto Katharina Weinhuber: Dagmar Höfferer
Fotos Martina Haager (Tänzerin): Leeb/Ludwig

http://neueoperwien.at
http://www.katharina-weinhuber.com/
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