Wiener Staatsoper: Uraufführung von Olga Neuwirths “Orlando” am 8. Dezember 2019

Am 8. Dezember 2019 kommt im Haus am Ring OLGA NEUWIRTHS neue Oper „Orlando” – basierend auf Virginia Woolfs gleichnamigem Roman – zur Uraufführung. Das Werk mit einem Libretto der franko-amerikanischen Autorin und Dramatikerin CATHERINE FILLOUX und Komponistin OLGA NEUWIRTH wurde 2014 von Staatsoperndirektor DOMINIQUE MEYER für die WIENER STAATSOPER in Auftrag gegeben. Mit der mit großer Spannung international erwarteten Uraufführung dieses neuen Werkes der österreichischen Komponistin wird nun ein neues Kapitel der Aufführungsgeschichte der WIENER STAATSOPER aufgeschlagen.

Orlando ist der erste große literarische Erfolg Virginia Woolfs, der zu einem der prominentesten Klassiker der englischen Moderne avancierte. Es thematisiert die Verflechtung von Geschlechtsidentität, Liebe und künstlerischer Kreativität und bricht poetisch auf raffinierte Weise gesellschaftliche und persönliche Realität. Die Zeit- und Geschlechterreise durch die Jahrhunderte endet aber in Olga Neuwirths „Oper in 19 Bildern“ nicht wie im Original 1928, sondern geht bis ins Heute. Sie öffnet eine Tür ins Reich der Gleichzeitigkeit von Erlebtem, Erlesenem, Gehörtem, Wissen und Gefühl. Ins Reich der Fiktion also, aus Erinnerungen gebaut.

Die Komponistin zu Orlando

Im Interview mit dem Magazin Oper! sagt Olga Neuwirth über die Wahl des Stoffes und ihr neues Werk: Orlando ist ein fiktives Wesen, das sich und seinen Körper aus sich selbst heraus erfindet. Es ist eine Geschichte über das Streben nach Meinungsfreiheit, Originalität und fließender Identität. Eine Persönlichkeit, die jegliche Dualität in Frage stellt und das „Dazwischen-Sein“ im Leben und in der Kunst durchlebt. Diese Hauptfigur Orlando lebt zwischen Geschichte und Tradition und bricht fortwährend aufoktroyierte Regeln. Die fiktive Figur sucht nach einer anderen Art von Schönheit, indem sie die Standards der Gesellschaft nicht akzeptiert und schreibend kreativ die Welt durchschreitet. Virginia Woolf schrieb mit Orlandos queerer Reise durch die verschiedenen Jahrhunderte (patriarchaler) Geschichte eine fiktive Lebensbeschreibung, die alle starren Kategorien mit Leichtigkeit und künstlerischer Freiheit unterläuft. Die Überfülle an Identitäten sprengt jegliche Zuschreibung und starre Kategorisierung, ist gegen jede Stereotypisierung. All das interessiert mich seit über 35 Jahren auf musikalischer Ebene und im Umgang mit der Musikgeschichte. […]}

Ich wollte mit „Orlando“ ein Gattung sprengendes Werk komponieren, um damit auf die unverhandelbare Freiheit des Individuums hinzuweisen. Aber auch auf den schleichenden Vormarsch von Autoritarismus, Rassismus, Intoleranz, Homophobie, Misogynie und alle möglichen Formen von reaktionären Tendenzen. Wie Virginia Woolf möchte ich mit meiner Version von „Orlando“ die Rollen von Mann und Frau, die Stellung der Frau in der Gesellschaft und ihren Zugang zur Literatur hinterfragen. Aber in meinem Musiktheater geht es nicht um einen theoretischen Beweis, sondern Szene um Szene um verschiedene Möglichkeiten, eine nach der anderen – auch musikalisch.“

Olga Neuwirth war, als sie den Kompositionsauftrag erhielt, sofort klar, dass dieses zu verfassende Werk eine hybride “Grand opéra“ als eine Fusion aus Musik, Mode, Literatur, Raum und Videos gestaltet sein muss, um dieses alt ehrwürdige Opernhaus mit unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Genres ein wenig aufzuschütteln“, wie sie in ihrem Programmheftbeitrag „Orlando, eine fiktive musikalische Biographie“ (NYC März 2016) schreibt.

In diesem Text gibt sie zudem einen Ausblick: In jeder der 19 Szenen wird jede einzelne Situation in die Waagschale der Musik geworfen, dennoch soll alles eher sowohl leicht, leuchtend und verstörend sein. Schmerzgeladen, fragil, fremd und schön. Die Szenen werden meist von der Bewegung eines sich drehenden Dreidel unterbrochen, als Symbol für das Vergehen von Zeit. […]

Wie die Figur Orlando von Virginia Woolf, glaube ich, dass Kunst, in meinem Fall die Musik, nicht nur emotional, ästhetisch und intellektuell die Sinne stimulieren kann, sondern auch Verbindung zu andern Menschen aufbauen kann. Aber man darf nie vergessen, dass eine Oper immer nur als eine klanglich und verbal verfehlbare Wirklichkeit zurückbleibt. Denn Wirklichkeit kann nicht auf die Opernbühne gebracht werden. Das, was mich, beziehungsweise bestimmt auch Virginia Woolf, an Orlando interessiert, ist, dass Kunst einen freien, großen überraschenden Raum kreieren kann, in dem Fragen gestellt werden können, dass sie eine Falte im Alltagsraum wirft, eine sprudelnde Freiheit des Geistes, die die Basis jeder Demokratie ist. […]

Die Essenz der fiktiven Biografie Orlando ist die Liebe zum Seltsamen, Übernatürlichen, zur List, zur Kunstfertigkeit, Überhöhung und Übertreibung. Auch geht es immer wieder um Erinnerung und eine kultivierte, höchst raffinierte Form von sexueller Anziehungskraft. Aber auch darum, sich nicht bevormunden und herablassend behandeln zu lassen, was einem als Frau immer wieder geschieht und geschehen wird.“

Das Leading Team

Mit der Uraufführung von Orlando gibt Matthias Pintscher sein Debüt an der Wiener Staatsoper. Der deutsche Dirigent und Komponist ist Musikdirektor des von Pierre Boulez gegründeten Ensemble Intercontemporain, mit dem er sowohl in Paris als auch auf Tourneen in Europa, Asien und den USA auftritt, darüber hinaus arbeitet er regelmäßig mit den wichtigsten internationalen Orchestern und Ensembles zusammen. Er studierte Dirigieren bei Péter Eötvös, mit Anfang Zwanzig nahm das Komponieren wachsenden Raum in seinem Leben ein. Heute betrachtet er beide Tätigkeiten als einander ergänzende Schwerpunkte und erntet weltweit große Anerkennung. Er ist Professor für Komposition an der Münchner Musikhochschule und der New Yorker Juilliard School. Mit 2020 wird er Musikdirektor des Ojai Music Festivals. 2019 brachte er Furrers Violetter Schnee an der Berliner Staatsoper zur Uraufführung.

Im Gespräch mit Produktionsdramaturgin Helga Utz für das Monatsmagazin der Wiener Staatsoper „Prolog“ beschreibt er – er und die Komponistin kennen sich seit rund 22 Jahren – sagt über Olga Neuwirths Arbeit: „Es gibt ein ganz klares Muss und nicht den Wunsch, sondern die Notwendigkeit, auszudrücken und zu Papier zu bringen, was gesagt werden muss. Es gibt keinen Umweg, sie geht direkt hinein, geradeaus. Sie ist sehr mutig. Und darunter liegt so viel Hingabe und Poesie und Liebe. […] Die Musik ist unglaublich vielfältig und dicht.“

Der Dirigent beschreibt weiters die Stimmfächer, die Olga Neuwirth für Orlando gewählt hat: „Sie deckt die ganze Palette ab – vom Knabensopran bis zum Bassbariton. Der Schutzengel ist ein Counter, und Orlando ist nicht einfach ein Mezzosopran, sie sagt sehr genau, welche Art von Mezzosopran sie sich vorstellt. Und immer wieder die Aufspreizung: die drei Damen Purity, Chastity, Modesty, oder die drei Doktoren oder die Dichter, und besonders in den Chören: Ein Kinderchor, und die Teilung in den Stimmen, das erzeugt ein faszinierendes Klangspektrum. Das ganze Spektrum des stimmlichen Ausdrucks, ich glaube, Fülle wäre das richtige Wort. Dazu kommt: Die Wiener Philharmoniker sind ein Orchester mit einem hohen Bewusstsein für das Phänomen der Verschmelzung, das ist sehr aufregend. Sie ist auch sehr, sehr genau, was den Vokalwechsel angeht, sie ist sehr anspruchsvoll und präzise, was die Artikulation betrifft, fast jede Note hat eine Linie oder einen Punkt oder einen Akzent.“

Inszeniert wird das Werk von Polly Graham. Die mehrfach ausgezeichnete englische Opern- und Theaterregisseurin ist Künstlerische Direktorin der Longborough Festival Opera und von Loud Crowd. Sie studierte Englisch am Trinity College in Dublin und an der Royal Academy of Dramatic Art (RADA), am Teatr Pieśń Kosła sowie am Le Théâtre du Soleil und war zwei Jahre Genesis Assistant Director an der Welsh National Opera. Bisher inszenierte sie u. a. an der Welsh National Youth Opera, der Independent Opera am Sadler’s Wells, am Theater St. Gallen, am Bold Tendencies, London, sowie für die Fondazione Haydn. Orlando ist ihre erste Regiearbeit an der Wiener Staatsoper.

Link:
Wiener Staatsoper – Orlando
Olga Neuwirth