Wien modern Woche 3 – Stockhausen, G. Neuwirth & Gadenstätter, Komponistenmarathon. Ein weiterer, Karlheinz Stockhausen gewidmeter “Schwerpunkt” von Wien Modern 2008 begann am 7.11. im Konzerthaus fulminant mit dem RSO Wien und zwei Aufführungen der “Gruppen” für drei Orchester (1955-57). Zu berichten ist auch über ein Klangforum Wien-Konzert mit einer Uraufführung von dem heurigen Erste Bank-Preisträger Gösta Neuwirth, einer weiteren von Clemens Gadenstätter Schließlich über den “KompostInnenmarathon” für junge Musik, durchgeführt vom Verein “Platypus” an drei Abenden mit lauter UAs im WUK.
Noch vor dem RSO Wien trat im bummvollen Großen Saal Marino Formenti mit den exzellent gespielten Klavierstücken I-IV (1952) und V (1954) an, dann konnte man aus 5 Lautsprecherquellen und weiter entlang der Chronologie des besonders in seinen frühen Werken unbestritten faszinierenden Stockhausen: “Gesang der Jünglinge” (“aus dem Feuerofen” / 1955/56), eine der ersten elektronischen Kompositionen von ihm für Tonband und vervielfachter Knabenstimm(e), mit durch die Klangregie Peter Böhms sehr guter Raumklangwirkung-Wiedergabe. Formenti spielte auch noch aus den letzen Klavierwerken (2005/06, 2004-07), die durchaus auch etwas Besonderes darstellen – jedes der Stücke aus der dritten Stunde aus “Klang. Die 24 Stunden des Tages” weist eigene Gesetzmäßigkeiten und Ästhetik auf. Die “Gruppen”, dirigiert von Jean Deroyer, Rupert Huber und Matthias Hermann zeigen, wenn man sie so gut hören kann, die Klasse eines wahren Meister- und Schlüsselwerks des 20. Jahrhunderts. Beim zweiten Hören auf (empfohlenem) anderem Platz entdeckt man immer wieder Neues, ungemein toll die Binnenbewegungen, die sich dann auch zwischen korrespondierenden Instrumentengruppen der drei Orchester fortsetzen – im Aufnehmen und Mitziehen und gar Verschmelzen, dann wieder im gegenseitig sich voneinander Abstoßen, ja Auslöschen. Gesamtdauer: (Nur) 25 Minuten, aber was sich da alles abspielt in dieser Zeit! Die Leistung des RSO: Schlichtweg begeisternd.
Weitere Stockhausen-Werke spielte auch das ensemble on_line unter Pironkoff im Haydn-Saal der Musikuniversität, sodann das Klangforum in seinem zweiten Wien Modern-Konzert (“Kreuzspiel”), schließlich am So. 9.11. das Klarinettenduo von Petra Stump und Heinz-Peter Linshalm (“Traumformel” und Stücke aus “Tierkreis”) und auch noch das ensemble recherche (“Für kommende Zeiten” und “Balance” ,ein letztes “Exerzitium” von 2007).
Stump & Linshalm konnten bei ihrem Konzert in der “Alten Schmiede” auch mit Uraufführungen guter, kurzer, einfallsreicher und zumeist sehr prägnanter Stücke hiesiger Komponisten überzeugen, die sie bei diesen für sich beauftragen hatten können. Das war so fein, dass das Publikum sie alle noch einmal anhören wollte, was dann auch geschah. Es handelte sich um “Stop and go” von Alexander Stankovski, “unstable secrets” von Simeon Pironkoff, “twined tracers” von Reinhard Fuchs und “fragile” von Dominik Karski – allesamt Uraufführungen.
Clemens Gadenstätter (Semantical investigations), Gösta Neuwirth (L’oubli bouilli)
Das Auftragswerk von Wien Modern und dem Klangforum Wien an Gadenstätter machte den Beginn und nahm – verglichen mit einem Stockhausen – erklecklich lange Spieldauer in Anspruch. Das (oft vertrackt schwierige und sehr hohe) Violinsolo, wunderbar ätherisch gespielt von Ernst Kovacic und die gewohnt tolle Ensembleleistung des Klangforum brachte ein Stück, das auch mit “Pfeifen, Hupen, Klingeln, Tröten, Theatergongs .. scheinbaren Stilzitaten .” (Gadenstätter) in akribisch dichtem Satz aufwartet und ein “Katapult einer musikalischen Erfahrungsreise durch den Alltag” darstellt. Klänge bestimmter Ereignisse in einem solchen Alltag wollte Gadenstätter samt ihren “semantischen Schatten” in etwas Anderes transformiert und aufgelöst verändern. Mitunter sehr beeindruckend, aber für das was drin ist vielleicht doch – zu lang (?).
Gösta Neuwirths “L’oubli bouilli” für Ensemble, eigenartige Klangregieabschnitte (z.B. so “Rückkopplungsgeräusche” wie die Störung eines Senders) und der großartigen, (an Georges Aperghis.geschulten) Sopranistin Donatienne Michel-Dansac, die erst im zweiten Abschnitt des Stücks auf den Plan tritt, hingegen überzeugte sehr, nie riss der ungemeine Spannungsbogen dieser Musik ab. Und sie bleibt dennoch rätselhaft – eben Musik. Man “versteht” nicht alles gleich. Man möchte es jedenfalls bald ein zweites Mal hören können. Wir dürfen den (auch rätselhaften) “Kommentar” Gösta Neuwirths zum Stück hier einfach auszugsweise zitieren, in dem er schreibt, worum es vielleicht im Stück geht. “FORT. Fort-Sein , das Glück der Kindheit. Sommer (war ich acht oder neun?). Ich war den steilen Wiesenhang gleich hinter dem Haus hochgestiegen bis zum Waldrand; niemand wusste, wo ich war. Es war heiß, wolkenloser Himmel, das Gras stand hoch und ich setzte mich hin. Ich hatte ein Notenheft mitgebracht und einen Bleistift; mit dem schrieb ich langsam Ton für Ton . TON. Wusste ich damals, was ein Ton ist . Recht gegen das gekochte Vergessen . JETZT HÖRE ICH, was eben noch nicht da war und im Augenblick schon fort ist.” (Wien Modern-Katalog)
Gösta Neuwirth, 1937 in Wien geboren, in Ried aufgewachsen (bis 1953), erhält heuer den Erste Bank Kompositionspreis. “Diese Würdigung des österreichischen Wahl-Berliners, derzeit in Freiburg tätig, der in den 60er Jahren Wien verließ, weil die hiesige Hochschule (Erich Deutsch) sein Dissertationsthema zur Musik von Franz Schreker ablehnte, erscheint vor dem Hintergrund des bedeutenden Gesamtschaffens des heute 71jährigen Neuwirth überfällig.” Heißt es in einer Vorschau von Wien Modern sehr zu Recht.
Komponistenmarathon im WUK
Letzter Schwerpunkt, bevor es dieses Wochenende ins Finale von Wien Modern geht, war ein dreitägiger “Marathon” mit lauter Uraufführungen – ein Festival für “junge zeitgenössische Musik” – ein Projekt von “Platypus -Verein für Neue Musik” in Zusammenarbeit mit Wien Modern, unterstützt von der Konservatorium Wien Privatuniversität und dem WUK, gefördert von diversen Sponsoren sowie dem Österreichischen Komponistenbund & I-Kultur. Der Komponist Johannes Kretz als “Tonmeister” und Fachmann für Elektronik war auch persönlich anwesend und verhalf etlichen Aufführungen zum “guten” Ton aus den Lautsprechern.
Ein weitererer maßgeblicher Organisator von den “Platypus”-Leuten ist Fernando Riederer, auch er steuerte ein einleitendes Stück (des ersten Abends) mit dem Bläserduo Soufflée (Doris Nicoletti und Theresia Schmidinger) bei. Auch Hannes Dufek, von dem wir ein Interview über Platypus aus dem Vorjahr anbieten können, steuerte eine neue Komposition bei (“. ist eine flirrende Realität .”).
Einiges (nicht alles aus der Feder der jungen KomponistInnen) war wirklich gelungen und hörenswert. Etwa am ersten Marathonabend Julia Purginas “Reiseskizzen” für Streichtrio oder “transfigurations” für Klavierquintett von Thomas Wally (selbst Geiger beim Ensemble LUX). Ana Szilagy steuerte elektronische “Flüge” von Vögeln über weite Strecken bei, im zweiten Teil des Abends spielte das Ensemble NIKEL (mit Saxophon, E-Gitarre, Perkussion, Klavier und Kontrabass, noch ergänzt durch eine Sängerin und von zwei Frauen gespieltes Erhu und Guzheng) die Komposition “How long is now” von Sivan Cohen-Elias, weiters von Judit Varga und weiterem mit Elektronik (Wei-ya Lin & Johannes Kretz) sowie von Mi-Sun Kim & Oliver Weber.
Man wurde also – auch an den zwei weiteren Abenden – mehr als aufmerksam auf die junge Musikszene, die beim Marathon II auch mit Kompositionen für Stimme(n) auf sich aufmerksam machte (etwa Veronika Mayer: “Einmal, immer (nach einem Gedicht von Paul Celan”), Matthias Kranebitter steuerte für das Ensemble Phidias “spreu und scherben” bei. Als Link finden sie einen grossen Standard-Artikel vom 11.11., den Daniel Ender mit drei Frauen machte, die mitwirkten (Veronika Mayer, Judit Varga und Ana Szilágy).
Heinz Rögl
Karlheinz Stockhausen © Wien Modern
Gösta Neuwirth © recreation Graz
Fernando Riederer © Fernando Riederer Privatfoto