Wien modern Woche 2 – “Musik & Gehirn”

Von Samstag, dem 1. November bis zum Donnerstag, dem 6. 11, standen bei Wien Modern 08 vornehmlich im Neuen Saal interessante Kapazitäten der Hirnforschung mit Vorträgen auf dem Programm, oft im zweiten Teil verbunden mit Konzerten, bei denen Musik von (und mit) Alvin Lucier,  Brian Ferneyhough und (mehrfach)  Peter Ablinger zum Zug kam, auch von Strawinski oder Helmut Lachenmann (im Tanzquartier).  Peter Ablinger gestaltete in dieser Zeit auch eine sehenswerte Ausstellung im WUK.

Es begann mit Beispielen aus Ablingers “weiss/weisslich”-Serie  in der Alten Schmiede, auch mit dem in dieser Woche mehr als vielbeschäftigten Schlagzeuger Bernd Thurner und in der Klangregie von Wolfgang Musil. Ausgangspunkt war ein so simples wie bestrickendes weißes Rauschen in zwei Lautsprechern, unterteilt in hohe und tiefe Hälfte – während der vier Minuten wandern beide Klangpanoramen auf die gegenüberliegende Seite. Dazu kamen Stücke mit Live-Instrumenten wie Schwammtücher und Gaszylinder (“Membrane, Regen”) und dann Schlagzeug-Bestandteile, die vom Interpreten durch leicht anschlagendes “Zittern” in Schwingung versetzt werden plus Rauschfarben mittels elektronischer Verdichtung (“8 Vitrinen, Pigmentstaub”).

 

Lutz Jäncke (Universität Zürich) brachte dann im Konzerthaus einen brillanten Eröffnungsvortrag über die Weiterentwicklung des Hirns durch die Musik (von dem Moment an, als der Mensch sich erste Instrumente baute, was zum vielleicht entscheidenden Bestandteil menschlicher Kultur und Kommunikation wurde). Er und auch viele andere Vortragende an den weiteren Abenden unterstrichen, dass Musikausübung (je und früher und länger, desto messbarer) plastische Veränderungen im Cortex bewirkt (besonders  bei virtuos ihr Instrument beherrschenden und “genialen” Streichern oder Pianisten unterschiedlich – linke Hirnhälfte steuert flinke Bewegungen in der rechten Hand und den Fingern). Und dass diese Ausbildung des Gehirnes und dessen Weiterbetrieb bis ins hohe Alter Fertigkeiten und Schnelligkeiten im Begreifen, Wahrnehmen und Kommunizieren ständig verbessert. Dass Musikausübende weniger an Demenz und anderen Krankheiten leiden.

 

Über den Nobelpreisträger Eric Kandel und den enormen Eindruck, den er – wenn auch nur mittels Film unter uns weilend – gemacht hat, haben wir schon berichtet. Seine klaren Feststellungen über sein Verhältnis zu Wien und Österreich und die damaligen selbst miterlebten Judenverfolgungen, seine Lernchancen in den USA danach vermitteln vielleicht mehr Einsichten als manche Gedenk- und Bedenkveranstaltung hierzulande. Und das mit aller Freundlichkeit, zu der ein Mensch fähig sein kann, mit einem ansteckend schönen und ausgelassenen Lachen und ohne irgendwelche falsche Tränen, aber weinen kann dieser Mann auch, einfach wahrhaftig.

 

Den Einfluss seiner Biographie auf sein Forschungsthema (die Entschlüsselung molekularer Prozesse im Gehirn in der neurowissenschaftlichen Suche nach dem Gedächtnis – er untersuchte dafür eine Meeresschnecke) und seinen Glauben an das zukünftige wissenschaftliche Zusammenwirken der Neurowissenschaften und psychoanalytischer Erkenntnisse fand beredten Ausdruck in seiner Autobiographie, die 2006 erschienen ist: “Ich bin davon überzeugt, dass mein späteres Faible für den menschlichen Geist – dafür, wie Menschen sich verhalten, wie unberechenbar ihre Motive und wie dauerhaft Erinnerungen sind – auf mein letztes Jahr in Wien zurückgeht. Nach dem Holocaust lautete das Moto der Juden: , wachsam gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass zu sein . Meine wissenschaftliche Arbeit widmet sich den biologischen Grundlagen dieses Mottos: den Prozessen im Gehirn, die uns zur Erinnerung befähigen. (Auf der Suche nach dem Gedächtnis, Siedler-Verlag).

 

Einer der besonders interessanten Vorträge kam dann noch von Eckart Altenmüller (Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover), da man sich bei ihm sicher sein konnte, dass bei ihm die Musikerinnen und Musiker selbst im Zentrum seiner Forschung stehen.  Immerhin konnte ein dann in einem Konzert vorgestellter Virtuose an den Flöten (Michael Schmid) mit Hilfe des Forschers von einer vor einigen Jahren erlittenen häufiger auftretenden Musikerkrankheit (Fokale Dystonie, auch Musikerkrampf genannt) Heilung erfahren. Schmid  musste (und konnte) in monatelanger Arbeit die bereits besessen technischen Fertigkeiten des Flötenspiels neu erlernen. Er spielte an diesem Abend  hochkomplexe, sehr schwierige  Stücke von Ferneyhough aus dessen “Carceri d’invenzione”. Der Vortrag behandelte zuvor auch allgemein und packend (und mit viel eigenen Erfahrungen und Kenntnissen auch in der Neuen Musik) “Motorik, Virtuosität und Gehirnwunder: Musik an der Grenze zwischen Machbarkeit und Magie”. Musik ist “eine der anspruchvollsten Leistungen des menschlichen Zentralnervensytems”, erläuterte er. Ein besonders eindrucksvolles Experiment von ihm straft Hochleistungs-Fanatiker Lügen: Zuviel Üben bringts dann gar nicht mehr, im Gegenteil. Irgendwann ist für jeden und alles der Zenit erreicht.

 

Alvin Lucier, an EEG angeschlossen, mittels den unwillkürlichen Alphawellen seines  Gehirns musikalische Klänge hervorbringend, war natürlich auch sehr beeindruckend. Über Konzerte und Stücke von Peter Ablinger erfährt man im bereits erschienenen mica-Interview mit diesem. Im Tanzquartier spielten Gitarristen wie Barbara Romen und Gunter Schneider sowie Klangforum-Musiker nur körperlich, ohne wirklich das Instrument zu spielen, Musik von Helmut Lachenmann mit der Choreographie von Xavier Le Roy, die den Körper mit allen seinen Sinnen erforschen sollte.

 

Und was können wir Nur-Teilmusizierende (Singen oder Tanzen sollte jeder wieder probieren) und reinen “Hörer” daraus lernen? Hören wir Musik, die alle unsere Sinne beansprucht, auf dass wir nicht verblöden!
(hr, unter Verwendung von Wien Modern- Almanach-Texten).

 

Foto 1: Musik ohne Text (Instrumentalstück) behalten und Musik mit Text behalten (bild ORF-On/Science, Nature/Dartmouth College
Foto 2: Eckart Altenmüller während eines Vortrags in der Akademie der Wissenschaften
© ÖAW / R. Herbst