Wien Modern 2018 startet mit drei riskanten Orchesterkonzerten in die erste Festivalwoche

Passend zum Festivalthema Sicherheit zeigen zahlreiche Künstlerinnen und Künstler heuer bei WIEN MODERN, dass Musik bedeutet, sich etwas zu trauen. Die Wiener Philharmoniker gehen mit gutem Beispiel voran und spielen das Eröffnungskonzert komplett ohne Dirigent. Die Wiener Symphoniker präsentieren drei Tage danach u.a. ein laut Stardirigent Sylvain Cambreling eigentlicht «vollkommen unmöglich zu spielendes» Virtuosenstück von Harrison Birtwistle, das dem Konzert seinen Titel «Panic» gibt. Das RSO Wien zeigt unter der Leitung von Shooting Star Duncan Ward im ersten seiner drei Konzerte im Festival wagemutigen Umgang mit «Chaos + Ekstase» im Goldenen Saal des Musikvereins.

CHRONOLOGIE & DETAILS WOCHE 1

Mit einer ungewöhnlichen Matinee eröffnen die Wiener Philharmoniker am Sonntag 28.10. das Festival spektakulär im Wiener Konzerthaus mit einem kompletten Konzert ganz ohne Dirigent. Erstmals in ihrer Geschichte führen die Wiener Philharmoniker dabei auch Musik des legendären Avantgarde-Pioniers John Cage auf. Neben Schönbergs Verklärter Nacht in der Streichorchesterfassung als vom Orchester selbst ausgewählter Herausforderung steht Johannes Maria Stauds erstaunliche Uraufführung für undirigiertes Orchester auf dem Programm.

Rund um das Konzert eröffnet Claudia Märzendorfers temporäre Installation The Mushroom Book, dem Pilzexperten und Komponisten John Cage gewidmet, und Posaunist Bertl Mütter startet als Unsicherheitsbeauftragter eine mehrtägige Performance-Reihe.

Marino Formenti Cafe Cage (c) nafezrerhuf.com

Im Anschluss wird die Bibliothek des mdw Campus acht Stunden lang in einen Treffpunkt und Hörraum verwandelt: Zahlreiche junge Musikerinnen und Musiker präsentieren gemeinsam mit dem Pianisten Marino Formenti unter dem Titel Bibliosphäre. Die Kugel der Zeit «die dunkleren Ecken der Bibliothek und unseres musikalische Selbstbilds», u.a. mit dem ältesten erhaltenen Musikstück der Menschheit.
Am Montag 29.10. findet die erste von fünf Veranstaltungen der Reihe Café Cage statt: Marino Formenti macht verschiedene Wiener Kaffehäuser, Orte des Alltags und geteilte Wohnzimmer der Stadt, zum Spielort für ein Projekt mit nicht ganz alltäglicher Klaviermusik. Der charismatische Virtuose spielt zum Auftakt im Café Ritter Ottakring Musik von John Cage. (Nächster Termin Freitag 2.11. im Frau Mayer Mollardgasse.)

Dass in Wien neue Musik auf hohem Niveau gemacht wird, demonstriert die (über-) nächste Generation im Projekt Junge Musik am Dienstag 30.10. im Reaktor eindrucksvoll: Schülerinnen und Schüler der Musikschule Wien sowie der Johann Sebastian Bach Musikschule Wien spielen Werke von John Cage bis zu selbst komponierter Musik.

Die Panik, für die Altmeister Harrison Birtwistle mit seinem gleichnamigen Stück 1995 bei der Londoner Last Night of the Proms sorgte, ist längst der Begeisterung gewichen, doch die Wiener Symphoniker zeigen sich im Programm Panic am Mittwoch 31.10. im Wiener Konzerthaus unter Sylvain Cambreling von ihrer rasanten Seite. Julia Purgina setzt die Geigen samt Konzertmeister für ihre Uraufführung kurzerhand auf den Balkon. Malte Giesen bringt ein ganz neues hyperreales Klavier auf die Bühne. Und der Geräuschzauberer Helmut Lachenmann unterläuft kurz vor seinem 83. Geburtstag genüsslich alle Erwartungen – mit seinem ersten Stück, das auch im Neujahrskonzert bestens aufgehoben wäre.

Julia Purgina (c) nafezrerhuf.com

Pünktlich zum berühmtesten Feiertag Mexikos laden echoraum und Institut Fünfhaus am Donnerstag 01.11. zur Noche de los Muertos. Die Programmgestaltung der alljährlichen Elektro-Improv-Nacht liegt diesmal in den Händen der mexikanischen Wahlwienerin Angélica Castelló. Unter dem Titel Un-tape me geht es mit Projekten rund um Tonbänder und Kassetten sehr magnetisch zu.

Beim Claudio Abbado Konzert am Freitag 02.11. unter dem Titel Chaos und Ekstase präsentiert das RSO Wien unter Leitung des jungen britischen Shooting Stars Duncan Ward im Musikverein drei prominente Uraufführungen von Friedrich Cerha, Nicolaus A. Huber und Hans-Joachim Hespos – fein eingerahmt zwischen Chaos (aus dem Beginn von Joseph Haydns Schöpfung) und Ekstase (Alexander Skrjabins selten zu hörendem Opus magnum Poème de l’extase). Hespos, der vermutlich inspirierendste Rebell seiner Generation, kehrt im Jahr seines 80. Geburtstags erstmals in den Wiener Musikverein zurück, wo er 1970 als 32-Jähriger einen Skandal entfacht hatte. Ganz im Zeichen des mutigen Festivalgründers Claudio Abbado erwartet Sie bei diesem Konzert ein hochkarätiges Abenteuer, in dem ein durchaus schiaches Küchenkastl als Soloinstrument und die aktuelle Erste Bank Kompositionspreisträgerin Agata Zubel als Sopransolistin eine Rolle spielen.

AUSBLICK WOCHE 2

 

Olga Neuwirth (c) Lukas Beck

Das erste komplette Festivalwochenende macht den Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses zum temporären Festivalzentrum: Am Samstag 03.11. spielt das Trio Accanto, gefolgt vom Late Night Konzert des Studio Dan. Zwei legendäre «junge Wilden» der Jahre um 1968 – Christian Wolff und Vinko Globokar – komponieren für diesen Abend neue Stücke und sind auch persönlich bei Wien Modern zu Gast. Am Sonntag 04.11. findet die erste von insgesamt drei Solo Challenges statt – besondere Solistinnen und Solisten wagen ganz alleine auf der Bühne ihren persönlichen Drahtseilakt. Im Teil 1, The Solo Challenge: Cello im Wiener Konzerthaus, überrascht das Cello in vier Solo-Rezitals mit Vielseitigkeit – vom Solocellisten der Wiener Philharmoniker bis zur radikalen Elektronik-Improvisatorin. Montag 05.11. folgt das nächste Großprojekt: Bei Casino Cage lädt ein Croupier am Roulette-Tisch im ausgeräumten Großen Saal des Wiener Konzerthauses dazu ein, dem Zufall live bei der Arbeit zuzusehen. 14 junge Solistinnen und Solisten spielen die virtuosen Sequenze von Luciano Berio, wobei sie nach den Spielregeln von John Cages Variations IV gemeinsam mit dem Publikum durch verschiedene Säle wandern. Nach Pierre-Laurent Aimard am Dienstag 06.11. und Olga Neuwirths Filmmusik-Uraufführung Die Stadt ohne Juden am Mittwoch 07.11. (beides bereits nahezu ausverkauft) folgt am Donnerstag 08.11. The Solo Challenge: Piano im ORF RadioKulturhaus. Freitag 09.11. lädt mit drei Projekten bei freiem Eintritt zu Begegnungen mit Musik der wilden Jahre um 1968, mit jungen KomponistInnen und mit der Wiener Improvisationsszene.

DURCHGEHEND & SONSTIGES

Claudia Märzendorfers temporäre Installation The Mushroom Book ist bis zum 07.11. täglich während der Öffnungszeiten des Wiener Konzerthauses kostenlos zugänglich. Die Performances von Bertl Mütter als Unsicherheitsbeauftragter finden am 28. und 31. Oktober sowie am 03.–05., 07. und 21.–24. November rund um die Konzerte im Wiener Konzerthaus statt (Zugang jeweils mit Konzertkarte).

KünstlerInnen, Gespräche und Getränke treffen Sie bei der Bar Modern an zahlreichen Terminen rund um unsere Veranstaltungen an. Vorträge und Diskussionen der mdw Rahmenhandlung (31. Oktober, 03., 06., 07. und 12. November), das von der Universität Wien ausgerichtete Konzert-Symposion mit Salome Kammer (25./26. November), der micafocus mit prominenten internationalen Panelists (16.11.) und weitere Einführungsgespräche und bieten ein umfangreiches Begleitprogramm für AnfängerInnen und Fortgeschrittene. Der insgesamt 514 Seiten starke dreibändige Festivalkatalog (15 €) umfasst zahlreiche Essays, O-Töne der KünstlerInnen und Lesestoff zu allen Projekten. Der Embedded Remote Security Blog von Pia Palme ist online ab Donnerstag 01.11. bis Freitag 30.11.

Insgesamt präsentiert Wien Modern heuer 34 Tage lang über 100 Veranstaltungen mit über 80 Ur- und Erstaufführungen an 29 Spielstätten in zehn Wiener Gemeindebezirken.

Links:
Wien Modern (Website)
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