Finale und Rekorde 20.600 Besucher, 660 Generalpässe, 21 ausverkaufte Veranstaltungen, eine durchschnittliche Auslastung von 73 %: Wien Modern ist mit einer Reihe von großen Konzerten mit allerdings – Pollini, Penderecki – nicht nur aktueller Musik (wiewohl Pendereckis Achte das Jahr 2005 als Produktionsdatum ausweist) vergangenen Samstag zu Ende gegangen. Nennenswerte weitere Rekorde: Beethovens Neunte in der Stretchversion von Leif Inge erzielte (als Klanginstallation in der Wien Modern Lounge) vierundzwanzig Stunden Spieldauer. Und anlässlich der Ferneyhough-Erstaufführung des 5. Streichquartettes durch die Ardittis erfuhr man, dass diese einst (1980) sechzig (!) Stunden Probenzeit für ein zwölfminütiges Werk von Ferneyhough (dessen 2. Streichquartett) investiert hatten.
Ein letzter generator?
Bernhard Lang präsentierte am 20.11. den am Institut für Elektronische Musik Graz entwickelten Loop-Generator (dem angeblichen dernier cri auf dem Gebiet der Audio- und Video-Softwareentwicklung) und anschließend im Neuen Saal einige neue DW-Versionen (mit E-Viola, E-Zither, Koto sowie in Uraufführung für Gitarre/Bass/Drumset-Trio) mit dem neuen Wunderding. Vor dem Konzert wies er auf den traurigen Umstand hin, dass diese Wien Modern-Veranstaltung gleichzeitig die letzte Folge der generator-Reihe des Konzerthauses sein würde, die – mit Fokus auf die Wiener Elektronik- und Komponistenszene – nach Abschaffung des Festivals Hörgänge so etwas wie eine letzte Bastion aktueller österreichischer Musik im Konzerthaus dargestellt hatte. Eine Unterschriftenliste (mit Bernhard Lang als Erstunterzeichner), die gegen diese Einstellung (vorgeblich aus budgetären Gründen) protestiert, kursiert – hoffentlich immer noch – in Musikerkreisen. Und das mica fragt an dieser Stelle, ob eine solche sang- und klanglose Abschaffung ohne jede Diskussion von Perspektiven und Alternativen der Würde und Reputation sowie dem Stil des Konzerthauses angemessen sein kann. Wir hoffen nicht und fordern einen Diskurs, was in diesem Haus an die Stelle des generator treten soll. Nichts gegen eine Neukonzeption!
Die finalen Konzerte
Maurizio Pollinis Projekt versammelte übers Mozartjahr 2006 verteilt die besten heimischen Interpreten zum Brückenschlag zwischen Werken der Klassik und Denkmälern der modernen Musik nach 1945. Die letzten beiden Events dieser Reihe fanden im Rahmen von Wien Modern im Konzerthaus statt und brachten – interpretiert von Pollini selbst (Klavierstücke VII & VIII) und dem glänzend aufspielenden Klangforum Wien (Kreuzspiel, Zeitmaße, Kontra-Punkte) – Exkurse zu Stockhausen, weiters zu Luciano Berios Altra Voce (für Altflöte, Mezzosopran und Live-Elektronik) und zwei Solostücken aus dessen Sequenze-Reihe (für Flöte bzw. Fagott). Als Kontrastprogramm dann Mozart und Brahms (mit dem Hagen Quartett, das den Pollini fast an die Wand spielte), das andere Mal Beethovens Hammerklaviersonate.
Keine Kosten scheute man, um Krzystof Penderecki im Musikverein dirigieren zu lassen. Die Wiener Symphoniker, der Wiener Singverein und drei Vokalsolisten gaben dessen Achte Symphonie (Lieder der Vergänglichkeit), zuvor eine (grottenschlecht abgespulte) neoklassizistische Honegger-Symphonie. Teuer, aber gut? Jedenfalls: Pendereckis demonstrativer Neoromantizismus stellt einen weiteren Akt der Selbstdemontage des einstigen Neutöners dar.
Wie wunderbar, wie erhellend, wie inspiriert indes der Bezug auf Traditionslinien funktionieren kann, das zeigte Programmierung und Interpretation des dritten und letzten RSO Wien-Konzerts mit Peter Eötvös und Pierre-Laurent Aimard bei Wien Modern (eigentlich dem heimlichen Abschlusskonzert): Béla Bartóks grandioses Zweites Klavierkonzert (1930/31, im Umfeld von auch sonst aufregendsten Schöpfungen moderner Musik des 20. Jahrhunderts komponiert) als Schluss- und Ausgangspunkt, zusammen mit . quasi una fantasia . , einem der schönsten “Raunklang”-Orchesterstücke von György Kurtág (und ebenfalls zutiefst in einer ungarischen Musiktradition stehend), schließlich Eötvös’ CAP-KO (das Kürzel heißt Concerto for Acoustic Piano, Keyboard and Orchestra), das sich in bester Weise auf Bartóks Behandlung des Klaviers als “Schlaginstrument” bezieht und mit dem Keyboard als eigentlichem Soloinstrument auch neue – technische, wie klangliche – Möglichkeiten des “Klavier”-Spiels eröffnet.
(hr)