Wien Modern – Das Tagebuch 6

Die dritte Woche (11.-19.11.) Nicht nur die Highlights der Woche (Konzerte im Mozart-Saal: Arditti String Quartet mit Werken von Kurtág, Ligeti, James Clarke und Ferneyhough; das Klangforum mit Bernhard Lang und Ferneyhough; schließlich der beglückende, alle landläufige Kategorien sprengende Auftritt von György und Márta Kurtág, die vierhändig am “supersordinierten” Pianino an ihren intimen Játékok-Spielen teilhaben ließen, zuvor die Geigerin Hiromi Kikuchi mit Kurtágs Hipartita) fanden den erwarteten begeisterten Zuspruch der Wien Modern-Gemeinde. Gut besucht und akklamiert waren auch die “kleineren”, nicht minder feinen Konzerte im Brahms-Saal, in der Alten Schmiede und in der Ruprechtskirche, bei denen österreichische Komponisten und Interpreten im Zentrum standen.

Hoher Standard der österreichischen SzeneGleich vier äußerst gediegene 17.00-Uhr-Konzerte gab es an den letzten beiden Wochenenden in der immer brechend vollen Alte Schmiede, deren Musikwerkstatt-Programm heuer das dreißigjährige Jubiläum begeht: Dort präsentierte Bernhard Lang Werke für Tonband sowie (mit Caroline Menke) einen kleinen Zyklus für Kontrabass und CD-Zuspielung (loops from the 4th district), stellte das ensemble on_line (feat. Ivana Pristasova, Roland Schueler, Sylvie Lacroix und Petra Stump) Stücke von Romitelli, Gervasoni und Sciarrino zur Diskussion (11./12.11.).

 

Äußerst gediegene Werkpräsentationen gab es dort auch vergangenes Wochenende in zwei mit “Kontext Kurtág” übertitelten Nachmittagskonzerten. Das Ensemble Wiener Collage widmete sich der charmanten Kombination Akkordeon und Kontrabass in Stücken des Komponisten-Doyens Erich Urbanner (unverwüstlich: Duo, 1992) und von dem polnischen, in Wien lehrenden Komponisten Zdzislaw Wisocki (Etüde, 2006). Zu den Interpreten Alfred Melichar und Michael Seifried gesellte sich als Dritte im Bunde gleich zu Beginn die Bratschistin Petra Ackermann für Alexander Stankovskis strukturell und klanglich spannende Komposition 11 Räume (2003). Ackermann interpretierte solo neben Kurtág (Jelek, 1961/92) auch eine wundervolle Spielvorlage von Christoph Herndler: abschreiben (2005) fixiert unvorhersehbare Freiräume im Herausschälen einer graphischen Form. Am Sonntag boten Ernst Kovacic (Violine) und Mathilde Hoursianghou (Klavier) dann Webern, Kurtág sowie Werke von Reinhard Fuchs, Johannes Maria Staud und Wolfgang Suppan (in Uraufführung dessen Duett IIIb, 2006 – das sich als “Kommentar” zum zuvor erklungenen Duett IIIa, 2004 versteht).

 

Beim Konzert des Ensemble Kontrapunkte unter der Leitung von Peter Keuschnig im Musikverein (Mo., 13.11.) lieferte Thomas Pernes mit einer Neufassung des Streicherstücks Helios  (2006) spätromantisch anmutende, etwas (zu) vibratogesättigt-schwülstig interpretierte Klanggebilde; von Michael Amann hörte man zwei ansprechende Ensemble-Stücke: Machautnette (2001) hat schöne klangliche und instrumentatorische Valeurs zu bieten, die Fantasie (1997) bietet mitunter humoristische Blasmusik-Anklänge. In Distanz/Komposition (2000/01) von Bernd Richard  Deutsch ist simultan zu einer Solo-Musik für Bassklarinette ein (nicht fixierter) Gastvortrag vorgesehen, den Walter Weidringer übernahm, der somit als Musikkritiker einmal die Seite wechselte. Mit subtilem, trockenen Humor wortdeutlich und rasant artikuliert, war Weidringers Auftritt eine Mischung aus ironischem Werkkommentar im spitzen Tonfall einer Thomas Bernhard-Figur (dessen Konterfei auf einer Schautafel zur Veranschaulichung präsentiert wurde), Nonsens und der Abhandlung eines wilhelminischen Mediziners, die Vermeidung nächtlicher Pollutionen betreffend. Christian Kapun spielte davon unbeirrt und die beiden Stellen, an denen der Sprecher zu schweigen hat, kamen, rechtzeitig angekündigt und sogar “gedeutet” (Große Sext / kleine Sext), punktgenau. Umrahmt wurde der Abend mit zwei Werken von Sofia Gubaidulina (Solisten: Adrian Eröd, Bariton, Raphael Flieder, Violoncello).

 

Am Sonntagabend (19.11.) brachte das Trio EIS (Pristatova/Ackermann/Schueler)in der Ruprechtskirche eine zyklische Gesamt(ur)aufführung von fünf Streicherstücken mit (Live-)Elektronik von Germán Toro-Pérez zu Gehör: Rulfo/voces (2004/2006) hat die Sprachmelodie eines Texts von Juan Rulfo als ständigen Referenzpunkt. Die Musik (zwei Stücke in Triobesetzung, drei Soli jeweils für Violine, Violoncello, Viola) sucht diesen Monolog als melodische Linie linear zu verklanglichen, die fein eingesetzten elektronischen Erweiterungen schaffen dazu Klangräume (rulfo/ecos).
(hr)