Wien Modern – Das Tagebuch 2

Gelungener Start Zwei Top-Ensembles prägten den Auftakt des Festivals Wien Modern. Beim von Hand gesteuerten Take-Off (Ensemble intercontemporain) gab es allerdings ein paar Havarien, der Weiterflug mit dem Klangforum Wien indes gestaltete sich fulminant.

OpeningBernhard Langs “Differenz/Wiederholung 2” für mit Synthesizern, E-Gitarre und E-Violine verstärktes Kammerensemble und drei Gesangssolisten, uraufgeführt 1999 beim Musikprotokoll in Graz 1999, stellt sozusagen die “Mutter” seiner dem kompositorischen Prinzip der “loop” gewidmeten Serie dar. Über zwanzig mit dem Kürzel DW bezeichnete Werke verschiedenster Besetzung hat Lang mittlerweile  komponiert. Sinnvoll also, das Stück gleichsam als Visitenkarte des Wien Modern-Hauptkomponisten, dessen Musiktheater “I hate Mozart” kommende Woche im Theater an der Wien Premiere hat, auf das Programm des Opening-Events im Museumsquartier zu setzen.

 

Dafür erhielt die Komposition ein neues Outfit: Eine neue, leider eher  nichtssagende  Videoarbeit von Laurent Goldring – sie zeigt in statischen Großaufnahmen Gesten und Grimassen eines Männergesichts, das dem Choreographen Xavier Le Roy gehört  – ersetzte die (verschollene) alte. Interpretiert vom mit eminenten Instrumentalsolisten (grandios etwa Didier Pateau an der Oboe, Alain Billard an der Klarinette oder die leider nicht immer hörbare Jeanne-Marie Conquer an der E-Violine) durchsetzten Pariser Ensemble intercontemporain (Leitung: François-Xavier Roth) klappten etliche Balancen in der Aussteuerung – vor allem auch der Sänger – nicht. Der erwünschte Sog und die “polyphone” Spannung der verschiedenen Textebenen (Deleuze, Burroughs, Christian Loidl) wollten sich nicht so recht einstellen. Auch der Mittelteil des Stücks, ein nur von Synthesizern ausgeführter bedrohlicher Ruhepunkt in Achteltonbewegungen, hatte klanglich wenig “Suspense”, wirkte kalt abgewickelt. Lag es an der Technik, am Dirigenten, am als Konzertsaal problematischen Aufführungsort Museumsquartier – DW2 ist jedenfalls in Wirklichkeit viel spannender.

Aufregender – ebenfalls stupend gespielt – war da der erste Teil: Der 2004 früh verstorbene Komponist Fausto Romitelli hinterließ mit seiner “Trilogie des Professor Bad Trip (1998-2000)”, basierend auf der Lektüre von Werken, die Henri Michaux unter dem Einfluss halluzinatorischer Drogen verfasst hatte, faszinierende spektralklangliche Untersuchungen von instrumentalen und elektroakustischen Gesten der Rockmusik. Durchsetzt mit wummernden Soli des elektrischen Cellos vom Gastsolisten Markus Hohti wurde das manchmal wahrlich zum Höllentrip. Aber mehr noch: Ein betörend ausgehörtes Werk, in dem aus elektronisch und akustisch verzerrten Klängen immer wieder transparente Harmonieketten abgeleitet werden. Fein zu hören.

 

3 Vokalsolistinnen, 15 Hasen und das konzertierende Klangforum
“at it’s best”.

Auf Salome Kammer, die unvergleichliche Stimm- und Sprechkünstlerin, hatte man bei Langs DW2 verzichten müssen. Umso präsenter war sie dann tags darauf beim ersten Klangforum-Konzert im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses. In Bernhard Langs Icht I (1994) mischt sie als Musik steuernder Text-Generator die Sprachgirlanden Christian Loidls in die diese überbordenden, ihnen teils gegenläufigen Äußerungen der Instrumentalisten, ein starkes Ich(t) eben, dass zuweilen wie durch Prozesse des Unbewussten “entmächtigt”, einmal kurz auch zum Schweigen gebracht wird.

 

Lustvoll und teils auch wirklich zwerchfellreizend-komisch ging es weiter mit Bernhard Ganders mit dem Erste Bank-Kompositionspreis bedachten Ensemblestück bunny games: 15 abwechslungsreiche Miniaturen, glänzend instrumentiert, voller wirkungssicherer, sinnlicher, verführerischer Soli (auch an den hochglänzenden und unerreichbaren Bunnies aus dem “Playboy” hat Gander sich abgearbeitet). Es gibt überraschende Amalgamierungen zwischen Scarlatti und Rock, Varèse und Jazz, Alpenlanddisco und BigBandSound-Riffs, scheppernden Müllklängen und edelheißem Trompetenklang, zuweilen auf den unvermeidlichen Crash zusteuernd, bei dem es Bugs Bunny an den Kragen geht (weil er mit einer Wand kollidiert oder einen Abgrund hinunterpurzelt). Interpreten- und hörerfreundliche Musik, von beiden Populationen begeistert akklamiert,  – und Bernhard Gander, tags darauf zur Interview-Nachlese gebeten auf “Wolke 7” (siehe mica-Interview).

 

Auch fragmentarische Miniaturen, jedoch ganz andere Musik, dann nach der Pause: György Kurtágs “Botschaften des verstorbenen Fräulein R. V. Trussowa” (1976-80), bereits so etwas wie ein Klassiker, interpretiert von einer großen Kurtág-Interpretin, der Sopranistin Maria Husman; ja, und was das Klangforum Wien unter Emilio Pomáricos Leitung betrifft – schöner, expressiver kann man das nicht mehr spielen. Der Ausführende des teuflisch schwierigen Hornparts bedauerte ob der Leistung des Ensembles beim anschließenden Schinkenfleckerlessen, dass der Meister bei der Aufführung nicht anwesend war (äußerte aber gleichzeitig Erleichterung, dass er bei den Proben nicht dabei war, da kann er nämlich sehr pitzelig werden .)

 

Eine weitere tolle Solistin oder sozusagen die Solistin für Georges Aperghis’ neues Stück für Sopran und Ensemble “Contretemps” (2006)
trat am Mittwoch im Großen Konzerthaussaal auf den Plan: Donatielle Michel-Dansac beherrscht alle Facetten gehaucht-geflüsterten Sprechgesangs bis zu virtuosen Spitzentönen und wird in ihren Äußerungen famos instrumentalsprachlich konterkariert, die vielfältigen  Korrespondenzen wurden aufs Schönste ohrenfällig.

 

Das Abschlussfeuerwerk: Helmut Lachenmanns Concertini-Partitur (mit organisch eingebauten Soli von Klavier, Gitarre, Harfe, aber auch für alle anderen) entfesselt das ganze Potential eines großen Instrumentalensembles. Lachenmanns Geräuschklangmelodien sind sinnlicher denn je, bieten ebenso ungewohnte wie faszinierende Hörerlebnisse und dann wieder eine atemberaubende Dichte der Ereignisse, die dank extra aufgestelltem “Fernorchester” wie Signale durch den Raum schwirren. Selbst das scheinbar Vertraute, der “Wohlklang” hat hier seinen Platz.

 

Fußnote zu Laurent Goldrings Video: Wer in der WIEN MODERN LOUNGE  William S. Burroughs visionäre experimentelle Kurzfilme angeschaut hat, vor allem Ghost at n°9 (Paris) (GB 1963-72), weiß, wie psychedelisch so eine Gesichtslandschaft wirken kann. Und The Cut-Ups (GB 1966) demonstrieren eindrücklich eine von Sprachschleifen (Hello?- Yes!) strukturierte Filmschnittszenerie, wenn man will also eine Art Lehrbeispiel für die ästhetischen Vorbilder, an denen sich Bernhard Lang orientierte.
Wer nicht zugeschaut hat: Am So., 19.11., 22.00 Uhr gibt es eine Reprise dieser Filme (WIEN MODERN LOUNGE im dietheater Konzerthaus).
(hr)